Analyse Fuß- und Radverkehr Studien Verkehrssicherheit

Wieso die Behauptung “Fahrradhelme verhüten 85% der Kopf- und 88% der Hirnverletzungen.” (Thompson et al. 1989) nicht belastbar ist

Zwei Radfahrer mit Fahrradhelm in den USA
Foto: bradleypjohnson @ Flickr - CC BY 2.0

Alles Wissenswerte zum Thema Radhelmpflicht und deren Wirkung auf den Radverkehr finden Sie in unserem Dossier.

Die Studie A Case-Control Study of the Effectiveness of Bicycle Safety Helmets” von Frederick P. Rivara, Diane C. Thompson und Robert S. Thompson aus dem Jahr 1989 wird von Medien, der Politik, Versicherungen und medizinischen Vereinigungen sowie Befürwortern einer allgemeinen Radhelmpflicht oft zitiert. Die damals erste größere Untersuchung der Wirksamkeit von Radhelmen kam zu dem Ergebnis, dass Fahrrad fahrende Personen durch Tragen eines Radhelms das Risiko einer Kopfverletzung um 85 Prozent und das Risiko einer Gehirnverletzung um 88 Prozent senken. Diese Werte werden seitdem oft wiederholt:

Internationale Studien zeigen, dass ein Radhelm das Risiko einer Schädel-Hirn-Verletzung bis zu 85 Prozent reduzieren kann.

– Kuratorium für Verkehrssicherheit (2003)

Der Fahrradhelm verhindert 85 Prozent aller Kopfverletzungen und 88 Prozent aller Gehirnverletzungen und schützt vor tödlichen Unfällen und Dauerschäden.

– Vorarlberger Landes-Versicherung VaG

Das Tragen eines Schutzhelms beim Fahrrad fahren reduziert nach einer Emnid-Studie das Risiko von Kopfverletzungen um 85 Prozent, die Gefahr einer Gehirnverletzung sogar um 88 Prozent. [Anmerkung Martin Randelhoff: Es steht zu vermuten, dass Emnid ebenfalls nur Thompson et al. zitiert hat.]

– Pressemitteilung der uniVersa Lebensversicherung a.G. vom 09.04.2008

Es gibt nur ein Problem: Die Werte sind nicht belastbar. Thompson et al. haben sich in einer neuen Studie aus dem Jahr 1997 sogar selbst widerlegt1.

Die neuere Untersuchung aus dem Jahr 1997, die im Jahr 2015 erneut und unverändert publiziert wurde, umfasste eine Stichprobengröße von 3.390 Rad fahrenden Personen, die zwischen dem 01.03.1992 und dem 31.08.1994 in den Notaufnahmen Seattler Krankenhäuser behandelt wurden (2.438 Männer (71,9 %), 952 Frauen (28,1 %) | 62 % fuhren täglich Fahrrad, 26,1 % wöchentlich und 11,9 % einmal im Monat oder weniger). 252 der verletzten Radfahrer waren fünf Jahre alt oder jünger (7,4 %), 1.216 zwischen 6 – 12 Jahren (35,9 %), 545 zwischen 13 – 19 (16,1 %) und 1.377 20 Jahre oder älter (40,6 %). 50,7 % der Befragten gaben an, dass sie zum Zeitpunkt des Unfalls einen Fahrradhelm trugen.

22,3 % der verunfallten Radfahrer trugen eine Kopfverletzung (Kopfhaut, Schädel, Stirn und Gehirn) davon. 34,8 % hatten Verletzungen im Gesicht. Hirnverletzungen, definiert als Gehirnerschütterung oder ernsthaftere Hirnverletzung, erlitten sechs Prozent.

Bei 15,3 % der Unfälle war ein Pkw beteiligt. Weitaus häufiger verloren die Radfahrenden die Kontrolle über das Fahrrad und fielen hin (50,0 %) oder kollidierten mit einem Hindernis (29,0 %). 76,6 % der Unfälle geschahen mit einer Geschwindigkeit < 15 mph (24,14 km/h).

Die Schwere des Unfalls hing von mehreren verschiedenen Faktoren ab. So erhöhte die Beteiligung eines motorisierten Fahrzeugs die Wahrscheinlichkeit einer schweren Verletzung um das 3,6-Fache. Eine Geschwindigkeit über 24,14 km/h erhöhte das Risiko um 40 %. Das Tragen eines Radhelms reduzierte die Wahrscheinlichkeit einer schweren Verletzung um 10 %, war jedoch statistisch nicht signifikant. Ebenfalls insignifikant, wenn auch mit einem höheren Risiko verbunden, war ein Alter von über 40 Jahren oder unter zwölf Jahren.

Die Risikofaktoren für Unfälle mit einem Injury Severity Score (ISS) > 8 (n = 232, Faktor von 43,6 stationär behandelt zu werden) waren ein Alter unter 12 oder über 40, die Beteiligung eines motorisierten Fahrzeugs (Faktor 4) und ein Unfall mit einer Geschwindigkeit über 24,14 km/h (20 % höhere Wahrscheinlichkeit). Das Tragen eines Helmes hatte keinen offensichtlichen Einfluss auf das Risiko einer schweren Verletzung. Ursache ist, dass Kopfverletzungen bei weniger als 16,6 % der Unfälle auftraten und der Großteil der Kopfverletzungen keine schweren Verletzungen waren. 

Die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des Halsbereichs konnte ebenfalls nicht mit dem Tragen eines Fahrradhelmes in Verbindung gebracht werden, weder für die gesamte Gruppe noch für die Patienten mit einer Verletzung der Halswirbelsäule oder einer Stauchung. Ein Wirkungszusammenhang zwischen Verletzungsrisiko des Nackenbereichs und Helmtyp (nach American National Standards Institute (ANSI) oder SNELL Foundation) konnte ebenfalls nicht festgestellt werden. Eine Korrelation bestand jedoch zwischen einer Nackenverletzung und einer Kopfverletzung bzw. einer Hirnverletzung.

Das Risiko eines tödlichen Verkehrsunfalls (n = 14) wurde maßgeblich durch die Beteiligung eines motorisierten Fahrzeugs (14,1-höhere Wahrscheinlichkeit) und einer Geschwindigkeit über 24,14 km/h (Faktor 2,6) beeinflusst. Männer starben 2,4 Mal öfters als Frauen. Das Tragen eines Helmes minimierte das Risiko eines tödlichen Verkehrsunfalls um 93 % (Faktor 14,3), jedoch ist die Stichprobengröße mit 14 getöteten Radfahrern, von denen einer einen Fahrradhelm trug, zu gering für allgemeingültige Aussagen.

Fazit

Statistisch konnte kein signifikanter Zusammenhang zwischen der Schwere und dem Risiko eines (schweren) Verkehrsunfalls und dem Tragen eines Fahrradhelmes nachgewiesen werden.

Die Beteiligung von motorisierten Fahrzeugen erhöht die Schwere eines Unfalls und die Wahrscheinlichkeit eines tödlichen Unfalls signifikant. Eine Trennung des Radverkehrs vom restlichen fließenden Verkehr kann nicht als Lösung angesehen werden, da insbesondere in Kreuzungsbereichen ein erhöhtes Risiko auftritt und es ebenfalls zu Konflikten mit Fußgängern kommen kann2. Als mögliche Lösung erscheint eine Geschwindigkeitsdämpfung des motorisierten Verkehrs, da die kinetische Energie maßgeblich von der Geschwindigkeit abhängt (Ekin = 1/2 · m · v2).

Weitere Risikofaktoren beziehen sich hauptsächlich auf das Alter. Ältere Personen verletzen sich bei Unfällen aufgrund ihrer Physis schwerer als Jüngere. Letztere verhalten sich im Verkehr oftmals unsicher und benötigen eine sichere Infrastruktur bzw. Umgebung. Bei der Planung von Straßen sollten daher insbesondere die Anforderungen und Bedürfnisse von jüngeren sowie älteren Menschen im Fokus stehen.

Welche Fehler wurden in der Studie 1989 aus dem Jahr gemacht?

Die sogenannte “Seattle-Studie” von Thompson, Rivara et al. (1989) wird, wie bereits erwähnt, auch heute noch sehr oft als Beleg dafür herangezogen, um die behauptete Schutzwirkung von Radhelmen belegen zu wollen. Die Aussage, dass ein Radhelm vor 85 Prozent der schweren Kopfverletzungen schütze, hat seinen Ursprung in der erwähnten Untersuchung. Oftmals wird diese allerdings nicht vollständig zitiert angegeben, sondern nur auf eine “Studie amerikanischer Wissenschaftler” oder auf eine “US-Studie” verwiesen. Darüber hinaus war Thompson, Rivara et al. (1989) für viele Jahre Basis für weitere Untersuchungen, eine explizite Überprüfung der behaupteten Schutzwirkung des Radhelms wurde nicht näher überprüft und als gegeben vorausgesetzt.

Die Hauptkritik an Thompson, Rivara et al. (1989) bezieht sich auf die Wahl der Kontrollgruppe.

In der Fall-Kontroll-Studie wurden 235 Personen (Helmquote bei Unfall: 7 %), die während des Radfahrens verunfallt und mit einer Kopfverletzung3 in einem der fünf Krankenhäuser in Seattle behandelt wurden, zwei Kontrollgruppen gegenübergestellt. Die eine Gruppe bestand aus 433 Personen, die sich bei einem Fahrradunfall andere Verletzungen zugezogen haben und in ein Krankenhaus eingeliefert wurden (Helmquote bei Unfall 23 %). Die andere Kontrollgruppe bestand aus 558 Personen, die Mitglied in der health maintenance organization (HMO) “Group Health Cooperative” waren und im Bezugszeitraum einen Fahrradunfall hatten (Helmquote [bei Unfall?] 24 %). HMO sind eine private Sonderform eines bestimmten Krankenversicherungs- und Versorgungsmodells, welches sich in den USA entwickelt hat. Von den 235 verunfallten Radfahrern erlitten 99 eine Gehirnverletzung (Gehirnerschütterungen und schwerer, keinen Schädelbruch). Die Helmtragequote lag hier bei vier Prozent.

143 der 235 betrachteten Patienten (60,9 Prozent) waren Kinder. 21 waren jünger als sechs Jahre, 78 zwischen sechs und zehn Jahre und 44 zwischen elf und 14 Jahre alt. 65 % der 99 Gehirnverletzungen und 68 Prozent der ernsthaften Gehirnverletzungen erlitten Kinder unter 15 Jahre. Das Durchschnittsalter der betrachteten Personen lag bei 17,3 Jahren, das Durchschnittsalter der behandelten Personen ohne Kopfverletzung bei 20,1 Jahren und das Durchschnittsalter der HMO-Kontrollgruppe bei 11,0 Jahren. Die Kontrollgruppen hatten im Vergleich zur Fallgruppe ein höheres Bildungs- und Einkommensniveau. (vgl. Thompson, Rivara et al. (1989), S. 1363).

Thompson Rivara zusammensetzung Studie Eigenschaften Radhelm Schutzwirkung
Ausgewählte Eigenschaften der Fallgruppe und der beiden Kontrollgruppen – Tabelle: Thompson, Rivara et al. (1989), S. 1363

Unterschiede bestanden auch hinsichtlich der Unfallursachen und der Unfallbegleitumstände:

Radhelm Schutzwirkung Unfälle Begleitumstände Thompson et al. 1989
Unfallbegleitumstände bei der Fallgruppe und den beiden Kontrollgruppen – Tabelle: Thompson, Rivara et al. (1989), S. 1364

Auffällig ist zum einen, dass die Fallgruppe einen signifikant höheren Anteil an Unfällen mit fahrenden Kraftfahrzeugen aufweist. Insbesondere treten Unterschiede zur zweiten Kontrollgruppe auf. In dieser ist der Anteil der Eigenunfälle (Stürze) weitaus höher. Im Allgemeinen haben Unfälle mit Beteiligung eines fahrenden Kfz aufgrund der höheren kinetischen Energie weitaus schlimmere Folgen als Zusammenstöße mit stehenden Objekten. Dies zeigt sich auch hinsichtlich der Reparaturbedürftigkeit des Fahrrades nach dem Unfall. Darüber hinaus verunfallte die Fallgruppe zu über 90 Prozent auf asphaltiertem bzw. betoniertem Untergrund mit den daraus resultierenden schwereren Unfallfolgen. Zur zweiten Kontrollgruppe liegen für diesen Bereich gar keine Daten vor.

DiGuisseppi et al. stellten in einer Studie über die Radhelmnutzung bei US-Schulkindern im Jahr 19904 fest, dass Kinder mit weißer Hautfarbe weitaus häufiger einen Radhelm trugen als Kinder mit farbiger Haut. Nicht-farbige Kinder waren darüber hinaus weitaus häufiger in Parks und auf Radwegen (in den allermeisten Fällen nicht straßenbegleitend) unterwegs als Kinder mit farbiger Haut. Im Rahmen einer weiteren Studie5 wurde ermittelt, dass Schulkinder, die auf der Straße Fahrrad fahren mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit einen Fahrradhelm trugen als Kinder, die in Parkanlagen oder Bike-Parks unterwegs waren. Ursache für dieses Verhalten ist die unterschiedliche Risikowahrnehmung. Es steht zu vermuten, dass sich in der Fallgruppe ein geringerer Anteil verletzter Kinder mit weißer Haut als in den beiden Kontrollgruppen befand. Dies wird aufgrund der Differenzierung der sozio-ökonomischen Daten unterstützt.

Darüber hinaus erscheint die Helmtragequote mit 23 % in Kontrollgruppe 1 und 24 % in Kontrollgruppe 2 vergleichsweise hoch und nicht zwingend repräsentativ zu sein. DiGuisseppi et al. haben für das Bezugsjahr 1987 eine umfangreichere Auswertung der Helmtragequote in Seattle durchgeführt. Im Mai 1987 ergab sich bei einer Analyse von 1957 Kindern zwischen fünf und 14 Jahren eine Helmtragequote von 3,1 % und im September 1987 bei 2544 Kindern zwischen fünf und 14 Jahren eine Helmtragequote von 3,3 % (Summe: 4501 Kinder; Helmtragequote 3,2 %).

Im Vergleich weichen beide Kontrollgruppen in der maßgeblichen Altersgruppe <15 Jahren von den Ergebnissen von DiGuisseppi et al. ab, während sich die Fallgruppe mit 2,1 Prozent im Umfeld der Ergebnisse bewegt:

Helmtragequote zur Zeit des Unfalls in der Fallgruppe und den beiden Kontrollgruppen nach Altersgrupe - Tabelle: , S. 1365
Helmtragequote zur Zeit des Unfalls in der Fallgruppe und den beiden Kontrollgruppen nach Altersgrupe – Tabelle: Thompson, Rivara et al. (1989), S. 1365

Hätte die Kontrollgruppe aus Personen bestanden, die in Seattle Fahrrad fahren anstatt aus Personen, die beim Fahrrad fahren einen Unfall hatten, hätte sich ein vollkommen anderes Bild hinsichtlich der Effektivität des Fahrradhelms ergeben.

An dieser Stelle ist darüber hinaus zur Kenntnis zu nehmen, dass nur 17 der 235 betrachteten Patienten in der Fallgruppe zur Zeit des Unfalls einen Helm trugen. Bei den 99 Patienten mit Hirnverletzung lag die Quote nur bei 4 %, d.h. vier der Verletzten trugen zum Zeitpunkt des Unfalls einen Helm. Diesen vier verletzten Personen wurden die beiden Kontrollgruppen mit ihren Helmtragequoten gegenüber gestellt und das um 88 % geringere Risiko einer Hirnverletzung ermittelt (angepasstes Quotenverhältnis von 0,12).

Die Aussage, dass das Tragen eines Fahrradhelms das Risiko einer Kopfverletzung um 85 % reduzieren könne, basiert vorrangig auf einem Vergleich der Kinder <15 Jahre in Fallgruppe und der Kontrollgruppe 2 mit einer Helmtragequote von 2,1 % in der Fall- versus 21,1 % in der Kontrollgruppe. Nach einer Korrektur der Altersstruktur ergibt sich die erwähnte Risikominimierung von 85 % (angepasstes Quotenverhältnis von 0,15).

Die Problematik der gewählten Methodik verdeutlicht sich, wenn sie auf die Kontrollgruppe 1 angewendet wird. Zur Erinnerung: In diese Gruppe fallen alle verletzten Personen, die nach einem Fahrradunfall in einem der fünf Krankenhäuser in Seattle behandelt wurden und keine Kopfverletzung erlitten haben. Zwölf dieser 202 verletzten Personen trugen einen Helm (5,9 %). Bei Anwendung der Methode kommt man zu dem Ergebnis, dass Fahrradhelme bei Personen ohne Kopfverletzung (!) theoretisch in der Lage sind, 72 % (1-5,9 / 21,1) der erlittenen Verletzungen an anderen Körperteilen zu verhindern.

McDermott et al. (1993)6 stellten darüber hinaus fest, dass sich das Ergebnis einer Risikominimierung von 85 % auf 61 % verringere, wenn Verletzungen des Gesichts aus den von Thompson, Rivara et al. (1989) verwendeten Daten herausgerechnet werden. Für diesen Bereich des Kopfes bieten die betrachteten Arten (kein Voll-Visierhelm) von Fahrradhelmen keinen Schutz. In der Studie belegten McDermott et al. eine Reduktion der Kopfverletzungen von 40 % beim Tragen eines geprüften Fahrradhelms, jedoch gleichzeitig ein erhöhtes Verletzungsrisiko des Nackens, der Extremitäten und der Becken-Region.

Ursache für diese Erkenntnisse und gleichzeitig auch Beleg für eine mögliche Verzerrung des Ergebnisses von Thompson, Rivara et al. ist die mögliche Risikokompensation. Fahrradfahrer, die einen Helm tragen, scheinen risikobewusster und somit vorsichtiger unterwegs zu sein, als jene, welche keinen Helm tragen. Aus diesem Grund ist es problematisch, wenn die Helmtragequoten innerhalb der Kontrollgruppen signifikant vom allgemeinen Durchschnitt abweichen. Zu einer weiteren Verzerrung in die andere Richtung kann es kommen, wenn Radfahrer mit Fahrradhelm aufgrund der Schutzwirkung und des damit gefühlt höheren Sicherheitsniveaus aggressiver und risikobehafteter fahren. Akkurate Aussagen über die Risikounterschiede lassen sich nur treffen, wenn Kontrollgruppe und allgemeiner Durchschnitt nahezu identisch sind.

Des Weiteren ist die Annahme, dass eine Kopfverletzung notwendig für eine Verletzung des Gehirns sei, nicht belegt7. Hirnverletzungen können bei jeder Art von Unfall auftreten, sobald der Aufprall eine Winkelbeschleunigung des Kopfes hervorruft. Dafür ausreichend können beispielsweise ein Fall auf das Gesäß und ein Schleudertrauma sein8. Ommaya et al. (1968) zeigten in Experimenten mit Affen, dass sogar eine Winkelbeschleunigung des Kopfes ohne eigentlichen Aufprall Gehirnerschütterungen, Hämorrhagie und Hirnkontusionen erzeugen kann9.

Im Allgemeinen haben Hynd et al. (2009) bei einer Analyse10 verschiedener Studien aus den Jahren 1998 – 2008 hinsichtlich der Effektivität von Fahrradhelmen im Auftrag des britischen Verkehrsministeriums festgestellt, dass keine einzige der betrachteten Fall-Kontroll-Studien alle möglichen Störvariablen benannt / betrachtet und herausrechnet. Zudem seien die Stichprobengrößen durchweg zu klein, um allgemeingültige Aussagen treffen zu können. So sei in Thompson et al. (1996)11 eine Stichprobengröße von 757 Personen untersucht worden, von denen jedoch nur 31 schwere Verletzungen davongetragen und nur sieben der 31 einen Helm getragen hätten. Darüber hinaus stützt auch diese Studie sich auf die Annahme, dass ausreichend wissenschaftliche Belege über die positiven Auswirkungen durch das Tragen eines Fahrradhelms vorliegen und zitiert als Beleg unter anderem die hier besprochene Studie von Thompson, Rivara et al. (1989).

Es ist im Allgemeinen kritisch, dass nahezu alle Studien die Hypothese aufstellen, dass das Tragen eines Fahrradhelms das Risiko einer Gehirnverletzung allgemein reduziert. Es werden keinerlei Abstufungen hinsichtlich der Helm-Art (Hartschalenhelm, Weichschalenhelm), den Typ und die Lokalisierung der Verletzung oder deren Entstehung vorgenommen. Kritik am Vorgehen wird wiederum mit dem Argument abgetan, dass es breite wissenschaftliche Meinung sei, dass Helme schützen.12

Meiner Meinung nach besteht eindeutiger Bedarf nach einer ergebnisoffenen und unabhängigen Analyse bezüglich der Schutzwirkung eines Fahrradhelms in verschiedenen Situationen und bei verschiedenen Unfalltypen. Bisherige wissenschaftliche Untersuchungen stützen sich zu oft auf die oftmals unbelegte Annahme, dass Fahrradhelme in der jeweils betrachteten Unfallsituation eine Schutzwirkung entfalten.

Die Problematik wird zudem nicht besser, wenn Wissenschaftler wie Fred Rivara ihre kritisierten Befunde unkommentiert wiederholen. Bei seinem Vortrag im Rahmen der TEDxMontlakeCut wiederholt er die Behauptung einer 85 % bzw. 88 %-Reduktion [siehe Minute 03:15] ohne auf die kritischen Anmerkungen anderer Wissenschaftler an seinem Ergebnis hinzuweisen. Oder darauf, dass dieses Ergebnis in dieser Größenordnung in den vergangenen 25 nicht ein einziges Mal belegt werden konnte. Darüber hinaus verweist er allgemein auf die hohen volkswirtschaftlichen Gesundheitskosten durch Schädel-Hirn-Traumata, ohne darauf zu verweisen, dass Radfahrer nur 0,6 % der amerikanischen Todesfälle infolge eines Schädel-Hirn-Traumas stellen.


Ebenso ist es kontraproduktiv, wenn Medien und Interessenverbände auf nicht näher genannte Studien “amerikanischer Wissenschaftler” verweisen und die Behauptungen für Dritte (z.B. Leser) nicht überprüfbar sind. Abgesehen davon, dass die zitierten Werte in ihrer Höhe nicht belastbar zu sein scheinen.

  1. Rivara FP, Thompson DC, Thompson RS. Epidemiology of bicycle injuries and risk factors for serious injury. Injury Prevention 3: 110-114 (1997). Online im Internet
  2. Wachtel A, Lewiston D. Risk factors for bicycle-motor vehicle collisions at intersections. Institute of Transport Engineers Journal 1994; 64: 30- 2., Online im Internet
  3. Als Kopfverletzung galt eine Verletzung der Stirn, der Kopfhaut, der Ohren, des Schädels und des Gehirns. Nicht mit einbezogen wurden Verletzungen des Gesichts, des Nackens, der Wirbel sowie teilweiser Gedächtnisverlust mit Bewusstseinsstörungen. vgl. Thompson, Rivara et al. (1989), S. 1362
  4. DiGuiseppi, C., Rivara, F., Koepsell, T. Attitudes toward bicycle helmet ownership and use by school-age children. American Journal of Diseases of Children. 1990;144:83–86, Online im Internet
  5. DiGuiseppi CG, Rivara FP, Koepsell TD, Polissar L. Bicycle helmet use by children. Evaluation of a community-wide helmet campaign. JAMA 1989; 262: 2256-61, Online im Internet
  6. McDermott, F.T., Lane, J.C., Brazenor, G.A. and Debney, E.A. (1993): The effectiveness of bicyclist helmets: a study of 1710 casualties, The Journal of Trauma, 34, 6, S. 834-845, Online im Internet
  7. Curnow WJ (2005). The Cochrane collaboration and bicycle helmets. Accident Analysis and Prevention, 37(3), S. 569-573, Online im Internet
  8.  Ommaya, A.K., Gennarelli, T.A., 1974. Cerebral concussion and traumatic unconsciousness. Brain 97, 633–654, Online im Internet
  9. Ommaya, A.K., Faas, F., Yarnell, P., 1968. Whiplash injury and brain damage, an experimental study. J. Am. Med. Assoc. 204 (4), S. 285– 289, Online im Internet
  10. Hynd D, Cuerden R, Reid S, Adams S. Transport Research Laboratory report PPR446, 2009. For the UK Department for Transport Road Safety Section, Online im Internet
  11.  Thompson, D.C., Rivara, F.P., Thompson, R.S., 1996. Effectiveness of bicycle safety helmets in preventing head injuries: a case-control study. J. Am. Med. Assoc. 276, 1968–1973, Online im Internet
  12.  Thompson, D.C., Rivara, F.P., Thompson, R.S., 2000. Reply to comment by Bill Curnow. The Cochrane Library, 2000, Issue 4.
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Randelhoff Martin

Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
Ist interessiert an innovativen Konzepten zum Lösen der Herausforderungen von morgen insbesondere in den Bereichen urbane Mobilität, Verkehr im ländlichen Raum und nachhaltige Verkehrskonzepte.

Kontaktaufnahme:

Telefon +49 (0)351 / 41880449 (voicebox)

E-Mail: randelhoff [ät] zukunft-mobilitaet.net

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Anonym
Anonym
16. November 2021 10:52

Ich meine, wenn die Zahlen (85/88) stimmen würden hätte man die Fahrradhelmplicht zusammen mit der Motorradhelmpflicht eingeführt!!!

Ansgar
Ansgar
26. November 2020 14:05

Die ganze „Diskussion“ ist doch gar keine… wenn ich wissen will, was der Helm bringt lass ich einen Dummy einmal mit und einmal ohne Helm auf den Kopf fallen und messe die Kräfte die auf den Kopf wirken.
Dann weiß man bei welchen Unfallszenarien welche Folgen vermieden werden.
Anschließend guckt man dann wie häufig diese Szenarien sind und dann kann man sehen ob die Risikominimierung eine Helmpflicht rechtfertigt oder nicht.
Stattdessen werden völlig willkürlich die unterschiedlichsten Radfahrer miteinander verglichen um zum gewünschten Ergebnis zu kommen.

Markus Koßmann
Markus Koßmann
12. Januar 2018 18:58

Es gibt laut http://www.fietsberaad.nl/?lang=nl&repository=Overestimation+of+the+effectiveness+of+the+bicycle+helmet+by+the+use+of+odds+ratios wohl bei Case-Control-Studien ein grundsätzliches Problem bei der Berechnung der Schutzwirkung.

Michael S
Michael S
30. Oktober 2016 21:21

Vielen Dank – meine Anfrage blieb bisher unbeantwortet, da freue ich mich über diese Referenzen.

Michael S
Michael S
7. Juli 2016 17:45

Scheinbar neue aktualsierte Zahlen bei http://www.stadthelm.de/Stadthelm/Das-Projekt

“Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass das Tragen eines Fahrradhelms das Risiko einer Kopfverletzung im Straßenverkehr um 69 Prozent reduziert. ”

Mit Bettina Wulf als Frontfrau, dem Bundesverband Kinderneurologie-Hilfe e. V. und Abus als Projektpartner, letztere Firma zeichnet auch für die Website verantwortlich.

Ist doch gut, dass die Sache endlich mal geklärt ist. Ist ja schon 2016, da wurde das langsam Zeit.

Jaheira
Jaheira
Reply to  Michael S
24. Oktober 2016 23:02

Ich habe beim Stadthelmprojekt per E-Mail nachgefragt, woher die 69 % kommen und eine umfangreiche Antwort erhalten, die hier mit Interessierten teilen möchte:

“die von ihnen zitierte Zahl, „….dass das Tragen eines Fahrradhelms das Risiko einer Kopfverletzung im Straßenverkehr um 69 Prozent reduziert“, stammt aus einer vom Robert Koch Institut veröffentlichen Studie von Gutsche, J., Hintzpeter, B., Neuhauser, H., Schlaud, M.: Prevalence of helmet use in children and adolescents in Germany and preventable bicyclerelated head injuries [Helmtragequoten bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland und vermeidbare Kopfverletzungen bei Fahrradunfällen] (2011) Gesundheitswesen, 73 (8-9), pp. 491-498.
http://edoc.rki.de/oa/articles/reXRMNuX0rDOo/PDF/2369Gq34WUkzM.pdf

Auch neuere Studien zum Fahrradhelm aus Deutschland, wie von Dr.-Ing. Matthias Kühn (UVD)(2014) (https://udv.de/de/medien/mitteilungen/radhelme-schuetzen-wirksam) sowie die unter dem Titel „Einflüsse auf das Verletzungsrisiko des Kopfes von Radfahrern und Nutzen von Radhelmen zur Vermeidung und Minderung von Verletzungen“ von Dietmar Otte, Thorsten Facius, Birgitt Wiese (2013) veröffentlichtem German In-Depth Accident Study (GIDAS) bestätigen inzwischen ebenfalls: Im Falle eines Unfalls mit Kopfverletzung kommen Helmträger deutlich besser weg.

US-Forscher der Universität Arizona haben vor kurzem auf einem Chirurgenkongress in Chicago neue Zahlen vorgelegt. Radfahrer mit Helm kommen demnach bei Unfällen mit deutlich weniger schweren Kopfverletzungen als helmlose Radler davon.
(http://www.welt.de/gesundheit/article147398596/Darum-lohnt-sich-der-Fahrradhelm.html)

Unser Präventions- und Charity-Projekt Stadthelm spricht sich für freiwilliges Helmtragen aus. Der Stadthelm soll seinem Träger Spaß machen und gern getragen werden.
Es sollte jedem freistehen, ob er die Chance, sein individuelles Risiko einer Kopfverletzung beim Fahrradunfall zu verringern, nutzen möchte oder nicht.

Ich hoffe, Ihre Fragen damit einigermaßen beantwortet zu haben und verbleibe
mit schönen Grüßen”

Vorstadt-Strizzi
3. Mai 2016 23:58

“Ihr Kommentar wartet auf Modertaion”

In “Modertaion” ist das a verrutscht.

Vorstadt-Strizzi
3. Mai 2016 23:55

Den Vergleich mit Schwimmwesten finde ich gut. Merk ich mir.

Eine Helm-Studie aus Seattle aus dem Jahr 1989. Warum keine vom Giro 1975?

Wer sich Radverkehr nur als zum Radsport retardiert denken kann oder will, der überträgt solche Studien auf Alltagsradverkehr, wie wir ihn Deutschland noch haben.

Wer Radverkehr anders will, der guckt sich Helmgebrauch, Helmpflicht, Schutz oder Banane in Niederlande oder Dänemark an.

Immer eine Frage, wo man hin will.

Mirko Fischer
Mirko Fischer
3. Mai 2016 12:26

Ich finde es außerdem immerwieder interessant, wie schnell dir Wirksamkeit des Radhelmes akzeptiert wird: “Das ein Helm hilft steht außer Frage.” Ist das wirklich so?
Dazu muss man sich doch nur die Grenzwerte für tödliche Schädelverletzungen ansehen und mit den maximal zulässigen Grenzwerten von Helmen vergleichen.
Die europäische Norm lässt 250g Beschleunigung auf den Testkopf beim Falltest zu. (Dabei ist der Kopf übrigens ohne Körper unterwegs, was einen erheblichen Vorteil für Kräfte, die auf den Helm wirken bedeutet.
Doch ab wann kann man mit tödlichen Kopfverletzungen rechnen? Die Autoindustrie bzw. die Prüforganisationen gehen von 130g Aufprallbeschleunigung aus. Das muss man sich auf der Zunge zegehen lassen: Was bei der Helmprüfung noch im Hauptfeld an Krafteinwirkung lieg, würde beim Crashtest eines PKWs zum durchfallen führen.
Die Schlüsse darf nun jeder für sich selbst ziehen.
Noch ein kleiner Hinweis: 250g translatorische Belastung (D.h. man stößt mit dem Kopf gegen etwas) sind nicht wirklich das Problem bei Unfällen. Für rotatorische Belastungen liegt der Grenzwert bei 30g für tödliche Verletzungen im Gehirn. Das bedeutet die Verletzungen, die durch Drehbewegung beim Unfall hervorgerufen werden sind um Welten schlimmer.
Noch ein Denkanstoss: Pro Jahr verunglücken ca. 400 Radfahrer tödlich. Es stehen nur die Nutzer der öffentlichen Verkehrsmittel noch besser da. Ebenfalls ca. 400 Tote haben wir unter den Badegästen pro Jahr deutschlandweit zu verkraften. Schwimmwesten helfen übrigens hervorragend gegen Ertrinken… Das kann man auch statistisch gut nachweisen. Selbst Versuche mit ganzen Dummys statt nur mit Köpfen sind möglich, ohne um brauchbare Ergebnisse fürchten zu müssen. :-)

Simon
29. Juni 2015 15:45

Ach herrje…
Ein Rückenprotector (wie man den ja auch bei schweren Bikes hat) könnte sicherlich noch mehr zur Sicherheit beitragen. Besser gleich ein Lederkombi, man weiss ja nie…

Da gab´s mal nen interessanten Text (“Wir in den 80ern”) oder so ähnlich. Irgendwer hatte da angemerkt, dass wir früher alle ohne Radlhelm unterwegs waren – und, hurra, wir leben noch (auch ein Titel aus den 80ern…)

Wenn mehr Verkehrsteilnehmer auf 2 Rädern mit mehr Hirn fahren würden, bräuchten viele keinen Belli drum rum.
Ich fahre seit zig Jahren ohne Helm und werd mir das auch in Zukunft nicht vorschreiben lassen.

Chris
Chris
Reply to  Simon
7. August 2015 16:10

Hallo,

Vorsicht mit solchen Aussagen:
Diejenigen, denen ohne Helm etwas zugestoßen ist, können heute nicht mehr singen “Hurra, wir leben noch!”. Das gleich könnte man dann auch bei Sicherheitsgurten im Auto sagen. Die Frage ist, wie viele mehr wären noch da, wenn sie einen Helm bzw. Gurt getragen hätten?

Siehe auch:
https://de.wikipedia.org/wiki/Survivorship_Bias

Gruß,

Chris

Fahrradairbag
Reply to  Chris
16. Oktober 2015 08:56

Hi Chris,
ja sicher du hast recht, was wäre wenn. Aber das wissen wir nicht. Fakt ist nur jeder sollte sich so gut schützen wie es nur geht. Am Ende zählt doch die Gesundheit des einzelnen. Inzwischen gibt es doch auch wirklich schöne Helme und sogar richtig gute Alternativen zu Fahrradhelmen. Keiner muss mit einem grauen runden Ding auf dem Kopf herum fahren. Leute schützt euch!

Mirko Fischer
Mirko Fischer
21. Mai 2015 10:59

Vielen Dank für diesen Artikel. Es ist wichtig, dass reale und belastbare Fakten für eine so emotional diskutierte Sache geliefert werden.
Man sieht auch daran, dass obwohl sich die Autoren selbst wiederlegen, hauptsächlich der Glauben in der Bevölkerung die Schutzwirkung bestimmt.
Schöne Beispiele für die Wirksamkeit von Radhelmen liefern Länder wie Australien oder Neuseeland. Wobei Australien eine Sonderrolle einnimmt, da zeitgleich zur Helmpflicht auf dem Rad eine allgemeine Promillegrenze für Kraftfahrer eingeführt wurde.
Der krasse gegensatz sind Länder wie Dänemark oder die Niederlande, in denen Radfahren weder als Sport noch als gefährlich angesehen wird. Über Radhelme lachen die meisten Einwohner: “German Angst…”
Bei Studien vom UDV wäre ich sehr vorsichtig. Wenn man sich die Youtube Filme vom UDV bezüglich Radhelm anschaut, vorallem die Unfalltests, erkennt man, dass der UDV nicht nach wissenschaftlichen Massstäben arbeitet. Daher haben solche Aussagen und Studien keine Relevanz. Der UDV ist obendrein eine Lobbyorganisation der Versicherer und Versucht deren Interessen zu untermauern. Sprich: Unfall ohne Helm = Minderung des Schadenersatzanspruchs.
Unter anderem fordert der UDV auch Tempo 30 in Ortschaften. Hier kann man wenigstens auf breitere Studien anderer Länder zurückgreifen.

Rolf Mecke
19. Mai 2015 17:57

Hallo,
Info hat mir eine Kollegin aus Rheine zugeschickt –
kurz anbei als Ergänzung – Ergebnis einer Studie der Unfallforschung der Versicherer (UDV). Zusammen mit dem Institut für Rechtsmedizin München und dem Universitätsklinikum Münster wurden 543 Unfälle mit verletzten Radfahrern aus den Jahren 2012 und 2013 detailliert untersucht. Außerdem wurde die Datenbank getöteter Verkehrsopfer der Ludwig-Maximilians-Universität München genutzt.
http://udv.de/de/mensch/radfahrer/studie-radhelm-schuetzt-vor-kopfverletzungen
Gruss Rolf Mecke

Walter
Walter
14. Mai 2015 22:50

Bei Fußnote 2 ist leider der Link kaputt.

Bea Liebig
Bea Liebig
14. Mai 2015 21:50

Prallt ein Fahrzeug mit 50 km/h mit einem Fußgänger zusammen, entspricht der Unfall einem Sturz aus 10 Metern Höhe. Ist das Auto dagegen mit Tempo 30 unterwegs, entspricht eine Kollision einem Sturz aus 3,5 Metern. Wer überzeugt ist, dass der Kunststoffhelm die hohe kinetische Energie aus 1,5 t Blech und 30 km/h aufnimmt, ist auch überzeugt, dass er bei einem Fall aus 3,50 m Höhe hilft. Ich zumindest würde es nicht testen wollen.

Chris
Chris
Reply to  Bea Liebig
27. Mai 2019 11:11

Guter Hinweis. Daraus kann man ableiten: Wer als Radfahrer aus Sicherheitsgründen einen Helm trägt, sollte ihn als Fußgänger nicht ablegen.

Michael S
Michael S
14. Mai 2015 15:12

Ich bin auch aus einer persönlichen Perspektive heraus immer dankbar für Zahlen. Man kann für sich individuell ja immer per Bauchgefühl entscheiden, wenn man es nicht besser wissen will. Aber ähnlich wie ein Gesetzgeber Regeln aufstellt, lege ich für meine minderjährigen Kinder auch Dinge fest und die will ich möglichst rational entscheiden. Würde ich den allgemein verbreiteten Zahlen a la Rivara/Thompson folgen, träfe ich eine solche Entscheidung auf falscher Grundlage. Das will ich weder für mich und meine Kinder, noch will ich, das Gesetze auf solchen Grundlagen erlassen werden.

Gerhart
Gerhart
14. Mai 2015 11:42

Danke für den Artikel!
Ich kann leider nicht behaupten, den ganzen Zahlensalat zu verstehen. Was ich mitgenommen habe, man möge mich hier korrigieren: Nichts genaues weiß man nicht.

Für mich als Alltagsradler stellt sich weniger die Frage, ob bei einem Unfall ein Helm tatsächlich einen Schutz bietet oder wie groß dieser ist, sondern wie hoch mein Lebenszeitrisiko ist, mit bzw. ohne Helm schwer oder tödlich zu verunglücken.

Wenn man bedenkt, dass in Deutschland Jahr für Jahr ca. 1 Million Menschen sterben, hiervon aber nur ca. 400 beim Radfahren, kann Radfahren gar nicht so gefährlich sein. Von den 400 gibt es nochmal eine große Zahl, wo auch ein Helm nichts geholfen hat/hätte, beispielsweise unter’m abbiegenden LKW.

Bisher konnte mir niemand sagen, wie groß das Risiko vom Radfahren allgemein ist und wie sich das Helmtragen darauf auswirkt.
Meine starke Vermutung ist, dass Radfahren ziemlich sicher ist, mit und ohne Helm.
Warum soll ich mir also einen unbequemen+unpraktischen Helm aufsetzen?

Axel
Axel
13. Mai 2015 21:32

Ich weiss nicht, was dieses “Zahlen schubsen” bei diesem Thema soll – weder um einen Helm zu rechtferigen, und noch viel weniger um das zu wiederlegen.

Der Helm hat eine Schutzwirkung – Punkt aus. Radsport würde ich nie ohne betreiben – im Alltag fahr ich aber ohne.

Die Frage ist nicht, wie hoch oder effektiv eine Schutzwirkung ist, sondern ob sie verhältnismässig ist. Beim radhelm muss das jeder für sich entscheiden, un das sollte auch so bleiben – mehr sollte man zu dem Thema nicht sagen und nicht sagen müssen.

Axel
Axel
Reply to  Randelhoff Martin
13. Mai 2015 21:43

Martin, das war keine Kritik an Dir oder Deinem Artikel im Speziellen, sondern eine Meinung. Es sollten sich vielleicht viele bei diesem (und auch anderen Themen) überlegen, ob man sie nicht auch pragmatisch angehen kann, statt sie wissenschaftlich zu Tode zu zerreden.

Ich finde Deine Zahlenspiele bei vielen Themen sehr gut – bei diesem halte ich es einfach für überflüssig, da die Frage eben nicht lautet, ob der Helm schützt oder nicht, sondern ob die Entscheidung einen zu tragen, auch in Zukunft eine freie bleiben soll.

Also nicht böse gemeint :)

M_Net
M_Net
Reply to  Axel
16. Mai 2015 21:29

Das würde ich doch gerne nochmal genauer erklärt bekommen: Inwiefern ist die Frage nicht, “ob der Helm schützt oder nicht”? Das ist doch in diesem Zusammenhang die absolut entscheidende Frage! Deine Frage bzgl. der Freiwilligkeit der Helmnutzung kommt dagegen erst ganz am Schluss.

Die erste Frage muss lauten: Hilft ein Helm – irgendwann, in irgendwelchen Unfallsituationen? Diese Frage lässt sich leicht mit “ja” beantworten, diese Frage ist für die Entscheidung “Helm tragen/nicht tragen” aber irrelevant (siehe zweite Frage). Spätensten beim Umfallen mit dem Fahrrad aus dem Stand hilft ein Fahrradhelm, nur dass derartige Unfälle praktisch nicht vorkommen (umgekehrt ist ein Fahrradhelm bei einer Beinverletzung sinnlos).

Die zweite Frage ist: Helfen Helme mehr, als dass sie schaden? Ist der (gesamte) Nutzen also größer als die gesamten Kosten (incl. indirekten Effekten)? Dazu gehört nicht nur der Aufwand einen Helm zu nutzen, sondern bspw. auch die Frage der Risikokompensation. Und nicht zuletzt auch das Problem, dass die ständige Aufforderung beim Fahrradfahren einen Helm zu tragen suggeriert, Fahrradfahren sei gefährlich. Und eine geringe subjektive Sicherheit, die damit erzeugt wird, ist einer der wichtigsten Gründe für Menschen nicht Fahrrad zu fahren (wenn man sich anschaut, wer zu den Organisationen gehört, die regelmäßig Fahrradhelme propagieren, kann man auch auf die Idee kommen, dass dieser Effekt nicht ganz unbeabsichtigt ist).

Die dritte Frage ist die persönliche Entscheidung: Rechtfertigt (für mich persönlich) der Nutzen eines Helmes im Falle eines Unfalls und das Risiko beim Fahrradfahren den Aufwand? Diese Frage wird man aber sinnvollerweise nur dann mit “ja” beantworten können, wenn man vorher die Fragen eins uns zwei methodisch sauber mit “ja” beantwortet hat – und daran sind bis heute wissenschaftliche Studien stets gescheitert, siehe Artikel oben.

Erst dann, an letzter Stelle, kann man ernsthaft über eine Helmpflicht reden. Aber schon darüber zu diskutieren ist nur dann sinnvoll, wenn die Frage zwei mit einem deutlichen “ja” beantwortet wurde. Und zwar nicht aufgrund von nicht-signifikanten Ergebnissen bei geringen Fallzahlen.

Axel
Axel
Reply to  M_Net
17. Mai 2015 08:31

@M_Net Deine zweite Frage, braucht man nicht beantworten, wenn das ganze freiwillig bleiben soll. Über eine Pflicht braucht man erst zu diskutieren, wenn jemand Zahlen und Ergebnise wie beim Motorradhelm oder dem Gurt vorlegt – und dann gibt es auch nicht mehr viel zu diskutieren.
Aber solche Zahlen gibt es eben nicht. Wenn bei der heutigen Faktenlage einen Grund für eine Helmpflicht auf dem Rad gäbe, dann brauchen wir auch den Pflichtfallschirm auf dem Klo, die Pflichtschwimmweste in der Dusche und die Pflichtknieschoner beim Rolltreppe fahren ;-)

Wie dem auch sei. Vielleicht ist es für mich auch nur zu offensichtlich und ich verstehe deshalb nicht, warum man diese Zahlen überhaupt diskutieren muss.

Vor allem interessieren für politische Entscheidungen heute doch eh keine Zahlen mehr – oder warum kommt sonst die Seehofer-Maut?

M_Net
M_Net
Reply to  Axel
25. Mai 2015 12:04

Ich halte die zweite Frage auch für freiwilliges Helmtragen für entscheidend. Denn ich persönlich werde nur dann einen Helm tragen, wenn mich jemand mit validen wissenschaftlichen Studien vom (Netto-)Nutzen überzeugen kann. Insofern muss für mich die dritte Frage zwangsläufig auf der Antwort der zweiten Frage beruhen (weshalb ich früher einen Fahrradhelm getragen habe, seit mittlerweile ca. zwei Jahren aber keinen mehr trage).

Vermutlich ist es tatsächlich für dich zu offensichtlich. Indem du schreibst “Über eine Pflicht braucht man erst zu diskutieren, wenn jemand Zahlen und Ergebnise wie beim Motorradhelm oder dem Gurt vorlegt – […] Aber solche Zahlen gibt es eben nicht” beantwortest du implizit meine zweite Frage (nämlich dass der Nutzen eben nicht groß genug ist).

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Randelhoff Martin

Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
Ist interessiert an innovativen Konzepten zum Lösen der Herausforderungen von morgen insbesondere in den Bereichen urbane Mobilität, Verkehr im ländlichen Raum und nachhaltige Verkehrskonzepte.

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