Der Bau von Radverkehrsinfrastruktur wird hin und wieder sehr kontrovers diskutiert. Insbesondere wenn die Baumaßnahmen die Umverteilung von Straßenraum zugunsten des Radverkehrs beinhalten. Der Wegfall von Parkplätzen, die Verengung eines Fahrstreifens oder eine Umwandlung derselben zugunsten von Radwegen, Radfahrstreifen oder Schutzstreifen gehen oft Protesten und Widerstand einher. Oftmals wird dabei das Argument angeführt, dass der Radverkehr den Autoverkehr ausbremse, wenn ein Fahrstreifen wegfiele. Doch ist dies wirklich so? Welche Wirkung hat die Anlage von Radfahrstreifen und Schutzstreifen in einem Straßenzug auf den motorisierten Individualverkehr?
Im Rahmen einer Studie der University of Virginia1 haben Conrad Gosse und Andres Clarens die Wirkung von Radfahrstreifen auf die Geschwindigkeit des motorisierten Verkehrs analysiert.
Hierfür wurden vier Szenarien für eine zweispurige Straße innerorts modelliert:
- eine Straße ohne Radfahrstreifen und einem Radverkehrsanteil von 1%.
- eine Straße mit Radfahrstreifen und einem Radverkehrsanteil von 1%.
- eine Straße ohne Radfahrstreifen und einem Radverkehrsanteil von 10%.
- eine Straße mit Radfahrstreifen und einem Radverkehrsanteil von 10%.
Das größte Stauaufkommen und die größten Reisezeitverluste des MIV waren in Szenario C zu verzeichnen. Bei Vorhandensein entsprechender Radverkehrsinfrastruktur konnten breite Kfz, wie beispielsweise Busse, weiterhin überholen. Dies spielte insbesondere bei Straßen mit Steigung eine Rolle.
Die Zeitverluste sind proportional zur Geschwindigkeitsdifferenz zwischen motorisiertem Verkehr und Radverkehr.
Die Existenz von Radfahrstreifen beeinflusst die Fahrzeit des motorisierten Verkehrs positiv. Je größer der Radverkehrsanteil ist, desto stärker sind die Fahrzeitgewinne für bspw. den Pkw-Verkehr.
Ein wachsender Radverkehrsanteil ohne die Schaffung von adäquater Infrastruktur und Zuweisung von Flächen bremst sowohl den Radverkehr wie auch den motorisierten Verkehr aus. Städte mit einem wachsenden Radverkehr sollten daher auch zum Wohle des fließenden Verkehrs Flächen umverteilen und Radverkehrsinfrastruktur schaffen.
Die Ergebnisse aus der Simulation konnten bei der Evaluierung mehrerer Radverkehrsinfrastrukturprojekte bestätigt werden. In New York City verbesserte sich neben der Verkehrssicherheit auch der Verkehrsfluss des motorisierten Verkehrs nach dem Umbau mehrerer Straßen.
Die Columbus Avenue wurde in den Jahren 2010 – 2011 zwischen der 96. Straße bis zur 77. Straße umgebaut. Die Zahl der Fahrspuren wurde von fünf auf vier verringert. Diese wurden zudem von 12 Fuß (3,66 m) auf zehn Fuß (3,05 m) verengt. Der gewonnene Raum konnte für die Anlage eines Parkstreifens sowie eines Radwegs zuzüglich Sicherheitstrennstreifen genutzt werden.
Vor dem Umbau benötigte ein Pkw für die 0,96 Meilen lange Strecke zwischen der 96. Straße und der 77. Straße 4,38 Minuten. Nach dem Umbau nur noch 3:00 Minuten, eine Fahrzeitreduktion von 35 Prozent. Und dies bei nahezu gleichbleibendem Verkehrsaufkommen.
Die 8th Avenue wurde zwischen der 23. Straße und der 34. Straße umgestaltet. Nach einem ersten Umbau in den Jahren 2008 und 2009 waren vier Fahrstreifen, ein Parkstreifen, ein Hybrid-Streifen (zur morgendlichen Hauptverkehrszeit befahren, ansonsten Parken) und ein baulich nicht getrennter Radfahrstreifen vorhanden. Nach dem Umbau waren bis auf Ausnahme des Hybrid-Streifens alle Fahrstreifen in ihrer Funktion erhalten, jedoch verengt.
Nach dem Umbau konnten neben Verbesserungen für die Verkehrssicherheit ebenfalls Zeitgewinne für den motorisierten Individualverkehr festgestellt werden. Über den Tag hinweg ist die Fahrzeit zwischen der 23. und der 34. Straße (Distanz 0,54 Meilen) um 14 Prozent von 4:20 Minuten auf 3:43 Minuten gesunken. In der morgendlichen Hauptverkehrszeit (7 Uhr – 10 Uhr) sank die Fahrzeit um 13 Prozent von 2:47 Minuten auf 2:25 Minuten, zwischen 10 – 14 Uhr um 21 Prozent von 6:01 Minuten auf 4:44 Minuten und zur abendlichen Hauptverkehrszeit zwischen 16 Uhr und 19 Uhr um 13 Prozent von 3:38 Minuten auf 3:10 Minuten.
Im Juni 2010 wurde Prospect Park West umgestaltet. Statt vormals drei Fahrstreifen stehen dem motorisierten Verkehr nun zwei Fahrstreifen zur Verfügung, die beiden Parkstreifen wurden erhalten. Neu hinzugekommen sind ein bidirektionaler Radweg mit Sicherheitstrennstreifen, mehrere Ladezonen sowie Fußgängerinseln. Die Zahl der Radfahrer wuchs an Werktagen von 349 auf 1.131 im August, 1.043 im September, 1.010 im Oktober und 863 im November. Im Schnitt stieg die Zahl der Radfahrer um 190 Prozent. Am Wochenende stieg die Zahl der Radfahrer von vorher 790 auf 1.719 im August, 1.727 im September, 1.813 im Oktober und 1.838 im November. Im Schnitt stieg die Zahl der Radfahrer um 125 Prozent.
Das Verkehrsaufkommen des motorisierten Verkehrs blieb auch nach den Umbaumaßnahmen stabil, eine Verlagerung auf andere Straßen fand nicht statt:
Die Fahrzeit veränderte sich kaum merklich und blieb stabil. In der morgendlichen Hauptverkehrszeit stieg die Fahrzeit um sieben Sekunden von 02:35 Minuten auf 02:42 Minuten. Mittags sank die Fahrzeit von 02:54 Minuten um zehn Sekunden auf 02:44 Minuten, abends blieb sie mit 02:59 Minuten nahezu stabil zum Vorher-Fall mit 03:03 Minuten (4 Sekunden Differenz).
Die Auslastung der einzelnen Fahrstreifen stieg an, blieb jedoch weiterhin weit unter der Kapazitätsgrenze mit Stauerscheinungen:
Der Wegfall einer Fahrspur und die daraus folgende höhere Auslastung hatten eine geschwindigkeitsdämpfende Wirkung, die sich in einer höheren Verkehrssicherheit, jedoch nicht in Fahrzeitverlängerungen äußert (siehe Fahrzeitmessungen).
Vor den Umbaumaßnahmen wurde die Geschwindigkeitsbegrenzung von 30 mph (48,3 km/h) von 76,0% der Autofahrer überschritten. Die durchschnittliche gefahrene Geschwindigkeit betrug 34,1 mph (54,9 km/h). Die Messung erfolgte am Mittwoch, den 25.03.2009 zwischen 08:20 – 08:30 Uhr.
Nach den Umbaumaßnahmen wurde die Geschwindigkeitsbegrenzung von 30 mph (48,3 km/h) nur noch von 11,0% der Autofahrer überschritten. Die durchschnittliche gefahrene Geschwindigkeit betrug 25,1 mph (40,4 km/h). Die Messung erfolgte am Donnerstag, den 01.07.2010 zwischen 08:30 und 08:45 Uhr.
Die zulässige Höchstgeschwindigkeit wird weitaus häufiger eingehalten, die Verkehrssicherheit steigt. Durch die Anpassung der Geschwindigkeiten ist der Verkehrsfluss homogener, kann folglich besser fließen.
Auch bei einer erheblichen Veränderung der Raumaufteilung und zur Verfügung stehenden Fahrstreifen konnten keine gravierenden Verschlechterungen für den motorisierten Individualverkehr festgestellt werden.
Die 1st Avenue wurde im Jahr 2010 von der 1st Street bis zur 34th Street umgestaltet. Die vormals fünf Fahrstreifen wurden zugunsten einer Busspur sowie eines baulich getrennten Radwegs auf drei reduziert. Die beiden Parkstreifen blieben erhalten.
Trotz der starken Veränderung blieb die Reisezeit nahezu konstant. Die auf Basis von Taxidaten ermittelte gefahrene Durchschnittsgeschwindigkeit sank von etwa 13 mph (21 km/h) um etwa 1 mph (1,6 km/h) auf 12 mph (19,3 km/h).
Die durchschnittlich von Taxis gefahrene Geschwindigkeit Manhattan Central Business District (Manhattan bis zur 86. Straße) blieb trotz zahlreicher Straßenumbauten, Verkehrsberuhigungsmaßnahmen und Errichtung neuer Radwege seit 2007 nahezu konstant.
Das Beispiel New York City zeigt, dass die Anlage von Radfahrstreifen und Radwegen die Verkehrssicherheit erhöht und den Radverkehr als umweltverträgliche Verkehrsart fördert, ohne den motorisierten Verkehr auszubremsen.
Auch in New York City haben sich einige Autofahrer über die Veränderungen beschwert. In einigen Fällen gaben Fahrer an, dass der Verkehr aus ihrer Sicht langsamer fließe. Laut Verkehrsbehörde war hierfür jedoch oftmals der Grund, dass angenommen wurde, dass der Verkehr aufgrund der Veränderungen (weniger Fahrstreifen) langsamer fließen müsse. Die Stadt konnte diese subjektiven Wahrnehmungen jedoch mit den gesammelten Daten in den meisten Fällen entkräften.
In der kanadischen Stadt Toronto wurden neu angelegte Radwege entlang der Simcoe Street, der Richmond Street und der Adelaide Street evaluiert. Auf der Richmond und Adelaide Street sind jeweils ein Fahrstreifen zugunsten eines Radfahrstreifens weggefallen, auf der Simcoe Street wurde die Kapazität für den motorisierten Individualverkehr ebenfalls reduziert und zwischen Front und Wellington Street die Einbahnstraßenregelung aufgehoben.
Für die Richmond Street und Adelaide Street wurden die Fahrzeiten vor und nach Installation der Radfahrstreifen erhoben. Die Vorab-Daten wurden am 17.06.2014 erhoben, die Nachher-Daten am 25. und 26.02.2015.
Die erhobenen Fahrzeiten des motorisierten Individualverkehrs entlang der Richmond Street und der Adelaide Street zeigen eine allgemeine Verbesserung für die meisten Zeitabschnitte. Nur auf der Adelaide Street ist während der abendlichen Hauptverkehrszeit ein Anstieg der Fahrzeit zu erkennen. Ursache hierfür sind zwei Fahrten, welche mit 14:10 und 11:53 Minuten eine signifikant höhere Fahrzeit aufweisen als alle anderen Fahrten zur abendlichen Hauptverkehrszeit auf der Adelaide Street.
Die geringeren Fahrzeiten dürften insbesondere mit der Anpassung der LSA-Schaltungen sowie einer aktiven Durchsetzung von Parkverboten und Strafen für Parken in zweiter Reihe zusammenhängen.
Ein Vergleich der Vorher- / Nachher-Daten zeigt, dass die Schaffung von Radfahrstreifen keinen signifikanten Einfluss auf die Fahrzeit des motorisierten Verkehrs entlang der beiden betrachteten Straßenabschnitte hat.
Eine Analyse der Volume-Demand-to-Capacity Ratio (V/C ratio, Verhältnis von Verkehrsstärke und Straßenkapazität) für Straßenzüge mit Radwegen in Minneapolis kommt zu folgenden Ergebnissen. Je näher sich ein Wert 1,0 annähert, desto stärker ist das Stauaufkommen. Bei Werten zwischen 0,5 und 0,75 nimmt die Verkehrsmenge so weit zu, dass der Verkehr weiterhin rollt, ein freier Wechsel zwischen einzelnen Fahrstreifen jedoch nicht immer möglich ist. Bei einem Auslastungsgrad von bis zu 0,75 spricht man von ungebundenem Verkehr oder freier Fahrt (Qualitätsstufen A bis C). Bei Werten zwischen 0,75 – 0,9 tritt Stau auf, der die Reisezeit negativ beeinflusst (gebundener Verkehr (Qualitätsstufe D)). Bei einem Wert zwischen 0,9 und 1,0 ist die Funktion der Straße erheblich eingeschränkt, es handelt sich um zäh fließenden Verkehr (Qualitätsstufe E). Ab einer Auslastung von 1,0 herrscht Stau (Qualitätsstufe F).
Die Wirkung des Wegfalls eines Fahrstreifens zugunsten eines Radfahrstreifens ist eindeutig: Die Auslastung während der Hauptverkehrszeit steigt an. Ein Anstieg von 30% auf 62% wie im Falle der 19th Ave. S geht mit einer weitaus besseren Ausnutzung der zur Verfügung stehenden Flächen einher (Flächeneffizienz steigt), jedoch werden Fahrstreifenwechsel schwieriger. Die gefahrenen Geschwindigkeiten der einzelnen Verkehrsteilnehmer gleichen sich an, der Verkehrsfluss homogenisiert sich.
In Deutschland wird aus Gründen der Effizienz angestrebt, einen Auslastungsgrad von 0,40 bis 0,60 zu erreichen. Mit Ausnahme der 19th Ave. S würden alle Straßen in Minneapolis trotz der weggefallenen Fahrspur deutsche Qualitätskriterien erfüllen. Die Überschreitung der 19th Ave. S ist minimal und daher vertretbar.
Der Wegfall von Fahrstreifen zugunsten des Radverkehrs erzeugt keinen zusätzlichen Stau, wenn diese Maßnahme in den richtigen Straßen durchgeführt wird. Ein Großteil der Straßen in Deutschland ist großzügig dimensioniert und bietet auch in der Hauptverkehrszeit ausreichend Kapazität, sodass durch die Umbauten die Qualitätsstufen D-F nicht erreicht werden.
Diskussion / Fazit
Die Entscheidung, Flächen des motorisierten Verkehrs dem Radverkehr zuzuschlagen, unterliegt stets einer Abwägung. Auf der einen Seite steht eine wachsende Verkehrsart, die aufgrund der fehlenden Knautschzone besonders schutzbedürftig ist und zudem keine negativen Effekte, wie lokale Luftschadstoffemissionen oder Lärm mit sich bringt. Auf der anderen Seite stehen geringe Zeitverluste für den motorisierten Verkehr, die sich auf einen Kilometer im unteren Sekundenbereich bewegen und oftmals gar nicht spürbar sind bzw. subjektiv übertrieben wahrgenommen werden.
Es erscheint notwendig, dass Kommunen in Deutschland in Zukunft die Anlage von Radfahrstreifen, u.ä. ebenfalls evaluieren und die entsprechenden Daten ähnlich wie in den USA der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen. Die objektiv gemessenen Werte zeigen eine äußerst geringe Verschlechterung für den motorisierten Individualverkehr (Zeitverluste), der große Verbesserungen für den nicht-motorisierten Verkehr gegenüberstehen.
Bei einem Radverkehrsanteil von über zehn Prozent am Gesamtverkehrsaufkommen kann das Fehlen von Radverkehrsinfrastruktur in hoher Qualität größere Zeitverluste für den motorisierten Individualverkehr erzeugen, da ein regelkonformes Überholen von Radfahrern insbesondere für breitere Fahrzeuge wie Busse oder Lkw nicht möglich ist.
Meinung
In den Niederlanden haben viele Autofahrer verstanden, dass Radfahrer ein schnelleres Vorankommen für sie selbst bedeuten. Jeder Pkw weniger auf der Straße verringert das Verkehrsaufkommen und somit die Stauanfälligkeit städtischer Infrastruktur. Es ist an der Zeit das Verkehrssystem als Gesamtsystem zu betrachten und nicht nur isoliert auf einzelne Verkehrsarten oder Verkehrsträger zu blicken.
Ziel sollte eine für alle Verkehrsteilnehmer sichere Verkehrsinfrastruktur sein, die die Erreichbarkeit und Mobilität garantiert. Der Radverkehr ist ebenso wie der Fußverkehr, der ÖPNV und der Pkw ein wichtiger Baustein in der innerstädtischen Mobilität. Die Belange aller Verkehrsteilnehmer sollten in die Abwägung und politische / öffentliche Diskussion einfließen. Hierfür ist es jedoch notwendig, auf Basis von Daten und nicht von Gefühlen zu argumentieren und die bestmögliche Lösung zu finden.
- Gosse, Conrad; Clarens, Andres 2013: Quantifying the total cost of infrastructure to enable environmentally preferable decisions: the case of urban roadway design, Environ. Res. Lett. 8 015028 doi:10.1088/1748-9326/8/1/015028 ↩
“Ein wachsender Radverkehrsanteil ohne die Schaffung von adäquater Infrastruktur und Zuweisung von Flächen bremst sowohl den Radverkehr wie auch den motorisierten Verkehr aus. ”
Ehrlich gesagt kann ich grad keinerlei Daten im Artikel finden, die das belegen.
Die aufgeführten Daten belegen lediglich, dass durch Radverkehrsseparation der motorisierte Verkehr beschleunigt wird.
Das ist ja ohnehin seit Jahren bekannt und war seit den späten 20ern der Grund separate RVA zu bauen.
Hier wird deutlich, dass das Prinzip auch bei Radstreifen / Schutzstreifen den motorisierten Verkehr beschleunigt, und die Reisezeitkonkurrenz somit in Richtung MIV verschoben wird.
Habe ich da was übersehen, oder ist die Behauptung einfach nur ‘freihändig’ ohne Datengrundlage?
Der Satz über die Autofahrer in Holland zeigt denn Kern des Problems. Das gilt aber nicht nur für Autofahrer hinterm steuer, sondern eben auch für Autofahrer in Planungsbüros und Autofahrer in Stadtverwaltungen und Autofahrende Stadträte die Entscheidungen treffen. So lange Radfahrer als was lässtiges wahrgenommen werden, so lange wird auch die Radverkehrsinfrastruktur so geplant und gebaut und genehmigt, dass sie mehr Probleme schafft als löst.
Hallo Martin, schöner Artikel! Ich habe eine kleine Nachfrage zu den Maßnahmen in den Beispielstädten. Ich frage mich, ob vor den Maßnahmen die Radfahrer einen Fahrradweg neben dem Fußweg hatten, oder ob sie im Straßenraum radeln mussten? Wenn die Radfahrer vorher als “langsame Hindernisse” für die PKW-Fahrer auf den normalen Fahrspuren fahren mussten, sind die Ergebnisse nur nachvollziehbar.
Zudem würde mich interessieren, ob es vergleichbare Grafiken wie die aus Minneapolis (Grafik: FiveThirtyEight)auch für Deutschland/Hamburg existieren. Wenn bspw. in Hamburg in den Hauptverkehrszeiten bereits erhebliche Fahrzeitverzögerungen (vgl. TomTom-Studien) bestehen und dann noch Fahrspuren wegfallen, steigt der Auslastungsgrad weiter an. Die Folge sind doch dann mehr Stau und nicht weniger…
In Hamburg würde ein anderer Effekt noch greifen:
Da es bereits nennenswerten Radverkehr gibt, würde eine weitere Förderung des Radverkehrs den Stau reduzieren, da der Stau im Vergleich zu den attraktiveren Alternative Radverkehr relativ unattraktiver wird. Sehr viele Autofahrten sind unter 5km, mit guter Infrastruktur (und verstärkt durch Pedelecs) werden auch gerne mal 10km Arbeitsweg geradelt.
Für mich ist Radverkehrsförderung in Hamburg fast nur mit stärkerer und strengerer Parkraumbewirtschaftung denkbar: Sonst ist kaum Platz für hochwertige Radverkehrsanlagen vorhanden und vollgeparkte Radstreifen sind fast schlechter als keine. Mit mehr Parkraumbewirtschaftung ginge der Autoverkehr zurück, da das Autofahren für die meisten dadurch unattriktiver wird und die Alternativen dadurch attraktiver, darüber hinaus sinkt der Parkplatzsuchverkehr – momentan grob 25%. Und die Busse kommen auch besser durch und werden attraktiver – ganz ohne teure Investitionen.
In Hamburg wurden auch schon 4-spurige Straßen in 2-spurig mit Radspur umgewandelt, mit dem Ergebnis, das auch die Autofahrenden zufrieden sind.
An vielen Straßen, gerade in Hamm, könnte ich mir auch vorstellen das 4 Spuren in 3 Spuren (oder 6 in 5) umgewandelt werden: Wenn die 3. Spur Lastgerecht genutzt wird, sinkt die Kapazität in der Rushhour kaum – Stau in beide Richtungen ist eher selten.
Die Zahlen zum KFZ-Verkehrsaufkommen in Hamburg findest du hier:
http://www.hamburg.de/bwvi/start-verkehrsbelastung/
Daraus kann man leider nur indirekt und ungenau auf die Auslastung schließen. Stundengenaue Zahlen findet man in manchen Planungsunterlagen, die sind dann allerdings oft von 2000 rum, also ziemlich veraltet, und ich weiß nicht wo es diese zentral gesammelt gibt.
Ich sehe die Schlussfolgerungen im Text z.T. kritisch (bin erfahrener Stadt-Radfahrer und seit Jahren an einschlägigen Planungsverfahren beteiligt). Man muss hier m.E. mit Nachdruck ergänzen: Ob sich die Sicherheit durch Radfahr- oder Schutzstreifen erhöht, kommt auf die Randbedingungen an – sprich WIRKLICH großzügig dimensionierte Straßen (die im Beitrag erwähnten 5 Spuren je Richtung in USA-Straßen sind natürlich eine perfekte Ausgangslage). Sind diese nicht vorhanden, sollte eher auf den Bau solcher Anlagen auf der freien Strecke verzichtet werden.
Hauptproblem: Regelkonformes Überholen (festgelegt durch Gerichtsurteile; in der StVO nicht definiert) bedingt einen Abstand des überholenden Kfz von wenigstens 1…1,5 m zum Radfahrer (Abstand Kfz-Blech zu linkem Lenkergriff). Die Erfahrung zeigt, dass sich überholende Kraftfahrer stur an der Begrenzungslinie des Schutzstreifens orientieren. Diese Linie sollte so angeordnet sein, dass auch bei Fahrt des KFZ (auch Lkw/Bus) an der Linie noch der ausreichende Überholabstand erreicht wird. Die Mindestanforderungen des entsprechenden Regelwerkes (ERA 2010) sind unzureichend. Eine nur nach den Mindestanforderungen umgebaute Straße in Jena zeigte nach dem Bau der Schutzstreifen viel mehr Fahrradunfälle als vorher, und zwar fast nur Längsverkehrs-Unfälle außerhalb der Knotenpunkte. Der Verkehrsfluss verbesserte sich zwar deutlich (auch für die Radfahrer), aber auf Kosten der seitlichen Abstände. Ich halte Schutzstreifen für eine Notlösung; z.B. im Stauraum von Knotenpunkten sind sie brauchbar.
Es gibt einen neuen Bericht der Unfallforschung der Versicherer zum Thema, der viel Wissenswertes enthält und diese Erfahrungen bestätigt:
http://udv.de/de/publikationen/forschungsberichte/einfluss-radverkehrsaufkommen-und-radverkehrsinfrastruktur-das-unfallgeschehen
Man sollte vielleicht Radwegdesign und Kreuzungsdesign jeweils einzeln betrachten. Nur weil der Radweg nicht auf der Fahrbahn geführt wird, folgen nicht unweigerlich Probleme bei Abbiegesituationen. Diese müssen durch das richtige Kreuzungsdesign (Abbiegegeschwindigkeit durch Kurvenradien, etc. verringern, Autofahrer und Radfahrer treffen in möglichst großem Winkel aufeinander, rechtsabbiegende Fahrradfahrer kommen überhaupt nicht mit Autos in Berührung, etc.) möglichst ausgeschlossen werden.
Dasselbe gilt natürlich für Einfahrten (sollten nicht mehr abgesenkt werden, Bordstein könnte steiler sein, etc.)
Der Umkehrschluss gilt ja auch nicht. Nur dadurch, dass der Radweg auf der Straße geführt wird, sind Rechtsabbiegeunfälle auch nicht ausgeschlossen (z. B.: Radfahrer befinden sich automatisch im toten Winkel von LKWs, Rechtsabbiegende Radfahrer konkurrieren unnötigerweise mit rechtsabbiegenden Autofahrern, etc.).
Hallo Martin, Sehr interessanter Artikel.
Und: freut mich, wenn meine Urlaubsfotos zu etwas zunütze sind :-)
Konrad
Hallo Konrad,
Danke! Auch für das Bild. Das war so schön und passend, da konnte ich nicht anders. :-)
Viele Grüße,
Martin
Rein technisch ist es im Verkehrsingenieurwesen ja nun Konsens, dass solche Angebotsstreifen wenig Einfluss auf den MIV haben und die Verkehrssicherheit erhöhen, da die Radfahrer besser gesehen werden. Auf dem Bild sieht man’s ja ganz gut: wär der Radstreifen rechts beim Gehweg, würden viele Objekte das Blickfeld der Autofahrer einschränken und damit, z.B. beim Abbiegen, das Unfallrisiko erhöhen. Leider wird nur immer vergessen, dass auch die Verkehrspsychologie berücksichtigt werden soll. Daher bauen diverse “Fahrradstädte” in Europa (natürlich nur sofern räumlich möglich) lieber wieder physisch getrennte Radwege, um den Inklusionsbegriff aufzugreifen, wonach sich alle Bürger, ob 8 oder 80 Jahre alt, auf dem Weg auch sicher fühlen, denn ansonsten nehmen sie das Rad erst gar nicht. Und speziell ältere Menschen (hallo an den demographischen Wandel) sind verunsichert, wenn Busse und Lkw ohne physische Trennung an ihnen vorbeirauschen. Das kann man gerne statistisch erwidern, aber wer sich unsicher fühlt, wird dann lieber selbst das Kfz nehmen statt das Rad. Und so wird das nichts mit der Verkehrswende.
Dann vielleicht doch lieber ein Design wie in diesem Bild als Kompromiss verschiedener Ansprüche?
(natürlich nicht bidirektional wie im Bild…)
Ich meine, ich hätte irgendwo eine Petition von Motoradfahrern aus England gegen die Armadillos gelesen, die sich dadurch wohl (besonders im Dunkeln) extrem gefährdet sehen. Wenn, muss das schon eine richtige Abtrennung sein, die als solche von allen gleich erkannt wird.
Ich stimme den meisten deiner Aussagen grundsätzlich zu.
Nur hier:
“Rein technisch ist es im Verkehrsingenieurwesen ja nun Konsens, dass solche Angebotsstreifen … und die Verkehrssicherheit erhöhen, da die Radfahrer besser gesehen werden.”
Wir haben es hier mit einer Eigentümlichkeit der Radverkehrssicherheitsdiskussion zu tun, die in der gesamten Sicherheitsbranche (Safety & Security: Angriffs~, Prozeß~, Arbeits~, Betriebs~, etc) ihresgleichen sucht.
Trennende Schutzeinrichtungen sind das A&O, insbesondere wo es zu Begegnungen von (menschengeführten) Maschinen und Menschen kommt bzw kommen kann.
Jeder für die Sicherheit Verantwortliche, der auf trennende Sicherheitseinrichtungen zugunsten einer “besseren Sichtbarkeit” verzichten würde, würde hochkant aus dem Job fliegen.
Das gilt auch in Betrieben, die die relative Unfallhäufigkeit des Strassenverkehrs nicht erreichen.
Wir haben es in Deutschlands Städten mit qualitativ anderen Radverkehrsanteilen und einer anderen Radkultur als in Nordamerika zu tun (Anteile 1% bis 10%, überwiegend Mamil, Middle Aged Man In Lycra). Aufgrund dessen haben wir es auch mit einem anderen Potential des Radverkehrs zu tun. Bei uns sehe ich deshalb Radstreifen als Rückschritt.
Siehe auch: Neue Radstreifen in Hamburg und Radverkehrssicherheit. Eine kritische Betrachtung.
https://radverkehrhamburg.wordpress.com/2015/07/17/neue-radstreifen-in-hamburg-und-radverkehrssicherheit-eine-kritische-betrachtung/
Gerade lese ich die neue UDV Studie der Kfz-Versicherer.
Im Abstract heißt es:
“Bei Führung des Radverkehrs auf der Fahrbahn wie auch auf Radfahrstreifen ist mit Anstieg der Radverkehrsstärke die stärkste, auf Radwegen die geringste Zunahme an Radverkehrsunfällen
zu verzeichnen.
…
Wegen ihrer niedrigen Unfallzahlen und geringer Zunahme der Unfallbelastung auch bei steigenden Radverkehrsstärken sollten Fahrradstraßen – soweit sich die Struktur des Straßennetzes dafür eignet, auch als Netzalternative zu Verkehrsstraßen – verstärkt Einsatz finden.”
“Netzalternative”, das geht deutlich in Richtung Go Dutch, weitgehende Trennung der Verkehrsnetze. Zwar erst 40 Jahre alt, das Konzept, aber sei’s drum, mal ganz was Neues von der UDV.
Denn: Die (kostenauffälligen,grusel) Längsverkehrsunfälle nehmen zu (schon heute 35%).
“Bei künftig erhöhten Geschwindigkeiten kann eine noch stärkere Zunahme von Längsverkehrs-Unfällen und ein erhöhter Anteil von Unfällen durch ruhenden Verkehr erwartet werden.” (Ebda)
Von wegen “subjektiver” und “objektiver” Sicherheit.
Der Verlauf der Diskussion ist der äußerst missverständlichen Überschrift des Artikels geschuldet.
In der New Yorker Studie geht es um “Protected Bike Lane Analysis”, das hat mit den deutschen Begriffen “Radfahrstreifen” oder gar “Schutzstreifen”, wie im Titel, rein gar nichts zu tun.
Ganz im Gegenteil zeigt die Studie auch die Vorteile des Umbaus von “Buffered Lanes”, schon die sind von der Trennung her weit besser und sicherer als unsere “Streifen”, in noch einmal geschütztere “Protected bike lanes”.
In New York und auch z.B. Sevilla ist es nicht unüblich, zuerst einmal “bicycle lanes” bzw “buffered lanes” zu markieren, um dann bei einem größeren Instandsetzung der Strasse,”protected lanes” anzulegen.
“Based on our visits to New York and Seville, in
particular, we consider ‘light segregation’ likely
to be an effective means of quickly securing
safer space for cycling. The option to move to a
‘heavier’ form of segregation, if later considered
desirable or necessary, will always remain.
(International Cycling Infrastructure Best Practice Study, Transport For London,S. 30)
https://tfl.gov.uk/cdn/static/cms/documents/international-cycling-infrastructure-best-practice-study.pdf
Bei uns, z.B. in Hamburg, läuft das ja genau anders rum.
Die beliebte geschützte, jedoch vergammelte Radinfra wird, statt ertüchtigt, zurückgebaut zugunsten des unbeliebten Mischverkehrs bzw der Streifen.
Also entschieden der umgekehrte Prozess.
Ja klar, die tollen Radwege von Sevilla…
Alles hat eine Ende..
Nach 6 Monaten Bauzeit, 10 Tage nach der Eröffnung…
Das war mal ein Gehweg….html
Selbst mit nem Rolator hauts Dich da aus der Kurve…
Aber klar, wenn man Beraterhonorar kassiert hat, dann kann man so was schon mal gut finden….