Dass Kopenhagen in Sachen Radverkehr ganz vorne mitradelt, ist sicherlich nichts Neues. Die Kopenhagener Stadtverwaltung hat nun einen neuen Kurzfilm veröffentlicht, der die Integration des Fahrrads in den Alltag in schönen Bildern beschreibt. Ebenso wird der integrative und soziale Aspekt des Radverkehrs betont. Basis für die heute höhere Lebensqualität waren politische und gesellschaftliche Entscheidungen bezüglich Investitionen und Flächenaufteilung – ein Fakt, der neben den unterschiedlich hohen Kosten und Nutzen von Infrastruktur im Video herausgestellt wird. Kurzum: Neue schöne Impressionen aus der dänischen Hauptstadt, welche das von mehreren Artikeln und Videos gezeichnete Bild gut ergänzen.
- Kopenhagen: Ein Paradies für Radfahrer
- Cykelslangen – Kopenhagener Brückenschlag für den Radverkehr
- Erfahrungen mit Kopenhagens fußgängerfreundlichen und verkehrsberuhigten Straßen
- Radverkehr in Kopenhagen: The Good City
- Radverkehr in Kopenhagen: Innovationen aus der (bald) weltbesten Fahrradstadt
- [Video zum Wochenende] Mikael Colville-Andersen – Copenhagenize the planet!
- Radschnellwege für mehr Radverkehr auf dem Land und zwischen Städten
- Stadtplaner Jan Gehl über die gesunde Stadt
- [Video zum Wochenende] Fahrradfreundliche Städte
- usw.
Interessanterweise setzt sich die Orientierung auf das Fahrrad in Kopenhagen mittlerweile auch in der Architektur fort.
Ein Beispiel: das 8-House in Ørestad vereint eine bestimmte urbane Qualität in mehreren Schichten. Die Büro- und Geschäftsräume in den unteren Stockwerken werden über einen umlaufenden Radweg, welcher bis in den 10. Stock reicht, mit den darüber liegenden Wohneinheiten verbunden.
Ørestad ist eine 310 Hektar große Stadt vom Reißbrett, etwa 600 m breit und fünf Kilometer lang entsteht sie auf der Insel Amager zwischen Flughafen und Kopenhagener Innenstadt. Der neue Vorort ist bestens mit öffentlichen Verkehrsmitteln angebunden (sechs Metrostationen) an die Innenstadt. Für Anwohner stehen bewusst keine Stellplätze in ausreichender Zahl zur Verfügung.
Die gesamte Stadtentwicklung in diesem Bereich basiert letztlich auf der neuen öffentlichen Verkehrsanbindung, welche jedoch mit starken Kostenüberschreitungen zu kämpfen hatte. In Folge lief das Projekt bislang eher schleppend und ist durchaus umstritten. Auch fehlt bislang eine gewisse städtebauliche Qualität, sprich: Das Leben zwischen den Häusern.
Der neue Stadtteil Ørestad besitzt leistungsfähige Radverbindungen in die Innenstadt. Die Ørestadsruten als “grüner Radweg” (Grønne Cykelruten) bietet eine sichere Fahrt in Richtung Innenstadt. Sie ist eine von insgesamt 24 Radwegen, welche auf 115 km insbesondere den Freizeitverkehr fördern sollen. 58 Kilometer sind zurzeit realisiert.
Das “grüne Radwegenetz” durchzieht die gesamte Stadt und soll sichere Wege abseits des motorisierten Verkehrs bieten. Sie ergänzen das bestehende Radwegenetz, sollen es jedoch nicht ersetzen. Neben neuen Verbindungen soll das Netz insbesondere der Erholung dienen und Parks und Freiflächen miteinander vernetzen. Etwa ein Drittel des gesamten Netzes verläuft daher durch bestehende Parkanlagen.
Mit der Entwicklung des grünen Radwegnetzes folgt die dänische Hauptstadt ihrem Motto in Sachen Radverkehr: gut, besser, am besten. Sie trifft heute kluge Entscheidungen, welche das Leben in Kopenhagen auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten lebenswert machen.
Nachtrag bzw. Korrektur:
Geht man rein nach den nackten Zahlen war die Fahrradpolitik in Kopenhagen zwischen 2000 und 2012 nahezu wirkungslos. Der Anteil der Fahrten zur Arbeit oder Erziehung/Bildung stiegt von 34% (2000) auf lediglich 36% (in 2012). Überraschenderweise bringen erst die neuen Daten für 2014 (45%!) einen signifikanten Durchbruch. Diese Steigerung ist bemerkenswert und so ohne weiteres auch nicht zu erklären. Möglicherweise hängt das mit der neuen Fahrradstrategie der Stadt zusammen. http://www.cycling-embassy.dk/wp-content/uploads/2015/05/Copenhagens-Biycle-Account-2014.pdf
Betrachtet man allerdings die Daten aus dem Modal Split für alle Wege, die mit dem Fahrrad in Kopenhagen zurückgelegt wurden, zeigt die neue Fahrradstrategie keinerlei positive Wirkung, sogar das Gegenteil ist der Fall. 2014 lag der Wegeanteil mit dem Fahrrad bei 30%. 2010 betrug dieser Anteil je nach Quelle 31% bzw. 33% (http://www.aviewfromthecyclepath.com/2009_12_01_archive.html und http://www.epomm.eu/tems/result_city.phtml?city=227&list=1 oder 33% https://en.wikipedia.org/wiki/Cycling_in_Copenhagen). D.h. also, dass die Nutzung des Fahrrads insgesamt zurückgeht. Das bleibt Fakt.
Bye bye
Kurt
Willkommen in Pleasantville ;-) (Zitat: “Hier herrschen die Gesetze des ProductionCodes und des weißen Harmoniediktats der 50er: kein Sex, keine Toiletten, keine Gewalt, keine Afroamerikaner, keine Reifenpannen, kein Feuer, keine Drogen, keine Kunst, keine Armut, kein Generationskonflikt, kein Regen. Dafür lächelt hier alles mit penetrant zähnebleckender Freundlichkeit, und das örtliche Basketballteam trifft mit wirklich jedem Wurf ins Netz”. http://www.filmzentrale.com/rezis/pleasantvillejd.htm) sorry, ich meinte in der dänischen Hauptstadt.
Kopenhagen priorisiert seit Jahren den Fahrradverkehr, insbesondere durch rigorose Verdrängung des mobilisierten Individualverkehrs, mit immer neuen Strategien und Konzepten und feiert sich selbst als Fahrrad-Hauptstadt der Welt. Im Ergebnis ist der Anteil der Radfahrer am Modal Split in 10 Jahren von 30% (1998) auf rund 36% (2008) gestiegen; also um gut 20%. Wenn man die Daten zum Modal Split von 2012 heranzieht, liegt der Anteil des Fahrradverkehrs in Kopenhagen inzwischen nur noch bei 26%! http://de.wikipedia.org/wiki/Modal_Split. Vielleicht auch, weil die Grenzen des zentral verordneten Fahrradwachstums inzwischen erreicht worden sind http://www.theguardian.com/environment/bike-blog/2011/sep/09/copenhagen-cycling-congestion?
Aber warum wird diese aktuelle Entwicklung verschwiegen? Das größte Problem der dänischen Fahrradstrategen und Stadtplaner ist meiner Erachtens, dass sich die meisten Menschen nicht bei der Wahl ihres bevorzugten Verkehrsmittels bevormunden lassen wollen. Die wenigsten fahren nämlich bei 10 Grad und Nieselregen mit einem Lächeln auf dem Gesicht per Fahrrad zur Arbeit oder zur Stroget. Auch im Winter dürfte sich bei vielen Kopenhagenern die Vorfreude auf das Fahrradfahren in Grenzen halten, daran ändern auch die schneegeräumten Radwege nichts. Und nicht jeder arbeitet “um die Ecke” oder will tagtäglich nur bei Irma nebenan einkaufen. Dass Fahrradfahren umweltfreundlich und nahezu lärmfrei ist, bleibt unbestritten, aber das sind Elektro-Autos (EV) bis Tempo 30 auch; und noch dazu ermöglichen EV eine individuelle, komfortable und bequeme Mobilität, die unabhängig ist von Regen, Schnee, Hitze, eigenem Antrieb oder körperlicher Konstitution.
Das Ganze klingt wie oben erwähnt zu sehr nach Pleasantville und geht am Reallife einfach vorbei.
Bis dann
Kurt
Immer wenn ich Berichte oder Videos aus Kopenhagen lese / sehe wird mir als Hamburger ganz seltsam. Neid? Frustration über die elend langsame Entwicklung in HH? Bewunderung über die innovative Kopenhagener Stadtverwaltung?
Kopenhagen avanciert mehr noch als Hamburg zu meiner Traumstadt! Nicht nur wegen der tollen Radinfrastruktur, der unmittelbaren Nähe zur Ostsee und der neuen Konzepten aufgeschlossenen Bevölkerung, sondern auch wegen der durch die Reduzierung des Kfz.-Verkehrs deutlich erhöhten Lebensqualität in Kopenhagen. Wäre ich nicht Mitte 50, sondern 15 Jahre jünger, gäbe es für mich wohl kein Halten mehr. Ich würde von einer sehr schönen Stadt in eine noch schönere Stadt umziehen.
Die Lebensqualität und der Spirit der Stadt faszinierten mich!
Was mich zu diesem tollen Artikel und den Videos “Fahrradfahren in Kopenhagen” interessieren würde ist Folgendes: Es war in dem Video eine kurze Sequenz zu sehen, in dem die Kopenhagener auch im Winter bei Schnee Rad fahren. In Deutschland werden bekanntermaßen so gut wie keine Radwege gestreut bzw. freigeräumt.
Wie sieht es in Kopenhagen aus? Werden dort die Radwege schnee/eisfrei gehalten? Das wäre natürlich ein großer Pluspunkt.
Ich beneide die Kopenhagener zu ihrer unglaublich radfreundlichen Politik. Wir brauchen diesbezüglich nur mal nach Stuttgart zu schauen-Grauenhaft!
Hallo Nina,
Kopenhagen gilt auch in Sachen Winterradeln und Radwege räumen als Vorbild. Die Radwege werden systematisch und entlang der Hauptverkehrsstraßen mit Priorität geräumt: http://www.copenhagenize.com/2010/01/snow-clearing.html
Der Schnee wird auch nicht nur mit einem Schneepflug vom Radweg geschoben, sondern es wird auch mit einer Kehrmaschine gereinigt und anschließend gestreut: https://vimeo.com/17954162
Ich glaube diese Bilder (http://www.copenhagenize.com/2011/01/cycling-in-winter-in-copenhagen.html) oder dieses Video (https://www.youtube.com/watch?v=_mXOqv38euQ) sprechen für sich, dass man in Kopenhagen auch im Winter problemlos radeln kann.
Viele Grüße,
Martin