Öffentlicher Personennahverkehr Telematik, Apps und IKT

Der nächste Evolutionsschritt der Fahrgastinformation: Wearables

Der 08/15-Fahrgast eines Verkehrsunternehmens macht an Haltestellen mit großer Wahrscheinlichkeit zwei Dinge: Er blickt auf den Fahrplan und schaut auf die Uhr an seinem Handgelenk oder – in heutiger Zeit immer öfters – auf den Bildschirm seines Mobiltelefons. Ziel dieses oft geübten Vorgangs ist es, mithilfe der am Fahrplanaushang entnommenen Soll-Ankunftszeit und der Kenntnis über die Ist-Zeit, die persönliche Wartezeit zu bestimmen.

Für den Fahrgast, und somit auch für das Verkehrsunternehmen, ist dieser Vorgang jedoch nicht optimal, da der Papieraushang keine Informationen über die aktuelle Betriebslage und etwaige Störungen vermitteln kann. Verkehrsunternehmen versuchen, diesen Mangel über dynamische Fahrgastinformationssysteme an den Haltestellen oder Anwendungen für das Smartphone zu beseitigen.

Aktuelle technologische Entwicklungen werden die flächendeckende Fahrgastinformation in naher Zukunft nochmals vereinfachen. Günstig und ohne großen Investitionsbedarf für das Verkehrsunternehmen. Einfach und bequem für den Fahrgast.

Möchte man als Fahrgast heute an einer Haltestelle ohne Fahrgastinformationssystem aktuelle Informationen über die Ankunftszeit des Busses oder der Bahn erhalten, bietet das Verkehrsunternehmen hoffentlich mittlerweile eine native Anwendung oder eine mobile Webseite an, die der Fahrgast über sein Smartphone aufrufen kann. In Zukunft reicht ein Blick ans Handgelenk.

Sogenannte “Wearables” sind Computer, die am Körper des Benutzers befestigt sind. Beispiele für “Wearable Computer” sind Armbanduhren, die neben der Zeit Wetterinformationen oder Nachrichten anzeigen, Brillen, deren Innenseiten als Bildschirm dienen oder Kleidungsstücke, in die elektronische Hilfsmittel zur Kommunikation und Musikwiedergabe eingearbeitet sind. Alle großen Elektronikkonzerne arbeiten derzeit an entsprechenden Produkten: Zu den bekanntesten Vertretern gehören wohl Google mit Google Glass, Samsung Electronics mit der Smart Watch Samsung Galaxy Gear und Sony mit der SmartWatch 2.

Derzeit sind “Wearables” noch etwas für Geeks und Early Adopter. Dies dürfte sich jedoch in naher Zukunft ändern. Laut des US-Marktforschungs- und Beratungsunternehmens International Data Corporation (IDC), die sich auf das Gebiet der Informationstechnologie und der Telekommunikation spezialisiert haben, soll der Markt für Wearables von rund 19 Millionen verkauften Geräten im Jahr 2014 auf bis zu 111,9 Millionen verkaufte Geräte im Jahr 2018 wachsen. Neben dem Markt werden sich aber auch die Geräte in den kommenden Jahren weiterentwickeln. Zurzeit zeigen Smart Watches neben der Zeit meistens nur Benachrichtigungen vom Handy an, wie z. B. Anrufe, Textnachrichten oder E-Mails. Sie erinnern zudem an anstehende Termine und ermöglichen die Steuerung der Musikausgabe des per Bluetooth gekoppelten Handys.

Smart Watches sind die perfekten Devices für die Fahrgastinformation. So könnte neben der aktuellen Uhrzeit auch ein Countdown bis zur Abfahrt des nächste Busses oder der Bahn angezeigt werden. Ein Vibrationsalarm könnte dem Fahrgast den richtigen Zeitpunkt, das Haus zu verlassen und sich auf dem Weg zur Haltestelle zu machen, signalisieren. Eine Verbindungsauskunft kann über Sprachsteuerung durchgeführt werden. Aktuelle Störungsinformationen könnten direkt auf dem kleinen Bildschirm anzeigt werden, ohne dass der Fahrgast sein Smartphone aus der Hosen- oder Handtasche herausholen und die Information aktiv abfragen muss.

Directions for SmartWatch 2
Screenshot der App “Directions for SmartWatch 2”

Der Blick auf die Armbanduhr ist eine oft eingeübte und daher nicht als lästig wahrgenommene Bewegung. In Verbindung mit der einfachen Nutzung steigt der Fahrgastkomfort weiter an.

Die Anwendung “Directions for SmartWatch 2” für die Sony SmartWatch 2 verdeutlicht den Nutzen und die Möglichkeiten auf einer guten, wenn auch einfachen Ebene.

Datenbrillen wie Google Glass werden die ÖPNV-Navigation revolutionieren. Die Idee eine Brille zu tragen, an die ein Miniaturcomputer befestigt ist, der Informationen in das Sichtfeld einblendet (siehe auch: Head-up-Display), mag für den einen oder anderen befremdlich sein. Einige sind auch skeptisch, ob sich derartige Brillen aufgrund gewisser gesellschaftlicher Dynamiken (Ablehnung – Beschimpung als “Glassholes“) durchsetzen werden. Nichtsdestotrotz ermöglichen Datenbrillen dem Nutzer einige Vorteile und werden sich daher wie alle anderen technischen Neuerungen, die eindeutige Komfortgewinne mit sich bringen, über die Zeit mehr und mehr durchsetzen. Bei Markteinführung der ersten Smartphones herrschte ebenfalls Skepsis über den Nutzen und den Markterfolg vor. “Mit dem Handy telefoniere ich nur und schreibe hin und wieder eine SMS. Mehr brauche ich nicht”, war ein oft ausgesprochener Satz. Potenziale und Anwendungsmöglichkeiten wurden massiv unterschätzt.

Zeichnung Google Glass
Schematische Darstellung von Google Glass – Grafik: MovGP0 @ Wikimedia Commons – gemeinfrei

Der US-Bundesstaat Utah hat im Februar 2014 mit “OnTime for Glass” die erste ÖPNV-Anwendung für Google Glass veröffentlicht. Über die App kann sich der Nutzer verschiedene Informationen direkt in seinem Blickfeld anzeigen lassen:

  • Ankunftszeit des nächsten Busses oder der nächsten Bahn
  • Routeninformationen
  • Standort des Fahrzeugs in Echtzeit

David Fletcher, Utahs chief technology officer, in seinem Statement:

OnTime for Glass brings Glassware to transit riders in a unique app that notifies them when their vehicle is approaching. Wearable technology is a huge opportunity to provide better online experiences for our citizens. And where better to focus than on mobile services where so much of what we do today can be augmented by technology.

Google Glass-Träger können die kostenfreie App unter folgender URL erreichen: ontime.utah.gov.

Die Fahrplanauskunft von Google funktioniert ebenfalls über Google Glass. Theoretisch kann mit dem Sprachbefehl “ok glass, get directions to…” auch eine Verbindungsauskunft bei der Deutschen Bahn oder in München, Münster und im Gebiet des Verkehrsverbundes Rhein-Sieg durchgeführt werden. Voraussetzung ist, dass die Fahrplandaten bei Google Transit hinterlegt sind. Aus diesem Grund ist es umso wichtiger, dass sich öffentliche Verkehrsunternehmen und die Verkehrsverbünde Gedanken über entsprechende Schnittstellen und die Bereitstellung offener Fahrplandaten in maschinenlesbarer Form machen. An dieser Stelle sei zum wiederholten Male darauf hingewiesen, dass es nicht ausreichend ist, nur Google die Daten zu geben, sondern auch anderen Entwicklern entsprechende Schnittstellen kostenfrei und unkompliziert zur Verfügung zu stellen.

Durch den verstärkten Einsatz von Augmented Reality könnten beispielsweise Umsteigevorgänge einfacher und komfortabler gestaltet werden. Insbesondere in Städten und Verkehrssystemen, in denen der Fahrgast sich nicht auskennt. So könnte bei Umsteigevorgängen an komplexeren Haltestellen das richtige Fahrzeug zur Weiterfahrt farblich markiert werden. Fußstapfen, welche auf dem Boden eingeblendet werden, übernehmen die Navigation zwischen zwei Fahrzeugen und verhindern Verwirrung. Des Weiteren könnten im Eisenbahnverkehr Gleiswechsel komfortabler gestaltet werden. Bei reservierten Plätzen könnte der richtige Einstiegsbereich farblich codiert angezeigt werden, sodass der Einsteigevorgang betrieblich effizienter und für den Kunden komfortabler wird.

Erste Entwickler zeigen bereits am Beispiel des New Yorker Bikesharing-Systems Citi Bike, welche Anwendungen mit Google Glass möglich wären: NYCycle by Glass. Ein Transfer auf die Belange und Möglichkeiten für den öffentlichen Verkehr dürfte nicht allzu schwer vorstellbar sein. Es wäre beschämend, wenn die deutsche ÖPNV-Branche diese Chance aufgrund ihrer Behäbigkeit und des latenten Argwohns erneut verschlafen würde!

Man darf gespannt sein, ob der nächste Schritt von der Smartphone auf die Wearables-Ebene von der deutschen Verkehrsbranche schneller gegangen wird.

Anonymous

Randelhoff Martin

Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
Ist interessiert an innovativen Konzepten zum Lösen der Herausforderungen von morgen insbesondere in den Bereichen urbane Mobilität, Verkehr im ländlichen Raum und nachhaltige Verkehrskonzepte.

Kontaktaufnahme:

Telefon +49 (0)351 / 41880449 (voicebox)

E-Mail: randelhoff [ät] zukunft-mobilitaet.net

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Zukunft Mobilität hat den Grimme Online Award 2012 in der Kategorie Information erhalten. Ich möchte mich bei all meinen Lesern für die Unterstützung bedanken!

PUNKT Preisträger 2012

Zukunft Mobilität hat den PUNKT 2012 der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) in der Kategorie "Multimedia" gewonnen.

Logo VDV Verband Deutscher Verkehrsunternehmen

Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V. (VDV) hat mich im Rahmen der VDV-Jahrestagung 2013 in Mainz als “Talent im ÖPNV” des Jahres 2013 ausgezeichnet. Der VDV vertritt rund 600 Unternehmen des Öffentlichen Personennahverkehrs, des Schienenpersonennahverkehrs, des Schienengüterverkehrs, der Personenfernverkehrs sowie Verbund- und Aufgabenträger-Organisationen.

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Verfasst von:

Anonymous

Randelhoff Martin

Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
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