Umwelt urbane Mobilität Zukunft

Urban Futures 2050: Integrierte Mobilität

Wie werden sich die Mobilitätsbedürfnisse in europäischen Städten aber auch in den Megacities im asiatischen Raum entwickeln? Welchen Herausforderungen müssen wir uns stellen? Und welche Trends lassen sich daraus ableiten?

Diese und viele weitere Fragen wurden im Rahmen der von der Heinrich-Böll-Stiftung (parteinahe Stiftung von Bündnis 90/Die Grünen) veranstalteten Konferenz “Urban Futures 2050” im Mai 2011 diskutiert. Die Podiumsdiskussion beschäftigt sich eingehend mit Problemen und Konzepten für die Zukunft. Sie bietet eine Informationsdichte, die ich persönlich nur sehr selten erlebt habe. Die neunzig Minuten sind sicherlich sehr gut investiert…

Integrierte grüne Mobilität heißt die gegenwärtig populäre Zukunftsvision: Das grüne E-Car wird mit Hilfe moderner Informationstechnologien mit dem Fahrrad und dem öffentlichen Nahverkehr vernetzt. Autokonzerne werden Mobilitätsdienstleister, der einzelne Kunde nutzt je nach Bedürfnis die unterschiedlichen Mobilitätsangebote. Wie verändert sich Mobilität in der grünen Stadt der Zukunft?

Diskutiert haben

  • Anumita Roychowdhury, Leiterin, Centre for Science and Environment, Delhi 
  • Weert Canzler, Projektgruppe Mobilität, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung 
  • Ruedi Ott, Leiter, Tiefbauamt Zürich 
  • Moderation: Dorothee Landgrebe, Referentin Ökologie und Nachhaltigkeit, Heinrich-Böll-Stiftung

die nach ihre Kurzvorträgen auf Fragen aus dem Publikum eingegangen sind.

Mit über anderthalb Stunden Dauer ist dieses Podium sicherlich keine einfache Kost, lässt sich aber gut in mehrere 10-Minuten Pakete aufsplitten. Zudem besteht die Möglichkeit, die Datei herunterzuladen und auf MP3-Player, o.ä. zu laden.

Weert Canzler versuchte zu skzzieren, wie in Städten der nördlichen Hemisphäre eine integrierte Mobilität sichergestellt werden kann, die energetisch vertretbar, nachhaltig und bezahlbar ist.

Er identifizierte hierzu vier große Trends in der Mobilität:

  • Versachlichung /Entzauberung unseres Verhältnisses zum Automobil in Verbindung mit einem Aufschwung des Fahrradverkehrs
  • Reurbanisierung in begrenztem Umfang
  • Überproportionale Steigerung der Mobilitätskosten (MIV, ÖPNV, usw.)
  • Ansätze einer post-fossilen Mobilität

Wichtig in einer solchen Betrachtung sind ebenfalls die Unterschiede zwischen urbaner und nicht-urbaner (ländlicher) Mobilität:

  • Öffentlicher Verkehr ist in urbanen Räumen eine entscheidende Säule des Verkehrs
  • Das Fahrrad ist eine entscheidende und immer wichtiger werdende Säule
  • zu Fuß gehen ist die klassische Art der urbanen Mobilität
  • Bedürfnis nach inter-modaler Mobilität (Integration / Verknüpfung mehrerer Verkehrsarten innerhalb einer Wegekette)

Ruedi Ott, Leiter des Tiefbauamts in Zürich, legte dar durch welche Maßnahmen der viel gelobte Züricher Verkehr zu dem geworden ist, was er heute ist. Dazu wagte er einen Blick in die Vergangenheit und die Gegenwart der Züricher Verkehrspolitik, die stets von der engen Einbindung und letztendlichen Entscheidungsgewalt durch die Bevölkerung, geprägt ist:

Die drei Säulen der Zuricher Verkehrspolitik sind Konstanz, Pragmatismus und Vernetzung.

Nach Otts Meinung ist der Fußverkehr das Rückgrat des Stadtverkehr. Seine Wichtigkeit wird in Zukunft weiter zunehmen. Ohne Fußverkehr ist kein Zugang zum öffentlichen Verkehr möglich. Bei einer restriktiven Parkraumbewirtschaftung ein nur einzelnen Parkhäusern ist der Fußverkehr auch hier für den Zugang von essentieller Bedeutung. eng mit dem Fußverkehr verbunden ist die Lebensqualität und Urbanität eines Gebietes.

Ziele und Entwicklungen für und in der Zukunft:

  • Förderung eines multimodalen Verhaltens
  • “virtuelle Mobilität”: Verzicht auf Wege durch Nutzung des Internets, Smartphone, soziale Netzwerke
  • essentiell für Verhaltensänderungen: Wissen, können, wollen und tun -> erfahren
  • Hauptaufgabe in der Verkehrsplanung: Verteilung der Ressourcen Raum und Zeit
  • Verlangsamung und Entschleunigung des Verkehrs
  • mobility pricing: Mobilität muss ihren Preis haben und ist heute zu günstig: Parkraumbewirtschaftung, Innenstadtmaut, fahrleistungsabhängige Maut für Schwerlastverkehr
  • Herausforderung Energieverknappung (2000 Watt-Gesellschaft)
  • Effizienz und Suffizienz im Verkehrsbereich: Wie sparen wie Verkehrsenergie und Verkehrsleistung ein?

Äußerst interessant sind die folgenden drei Broschüren der Stadt Zürich, die sich mit dem Verkehr 2050 in Zürich auseinander setzen:

Anumita Roychowdhury, Leiterin des Centre for Science and Environment in Delhi betrachtete die Entwicklungen in Indien. (Anmerkung: An dieser Stelle kann ich auch den Vortrag von Geetam Tiwari über Verkehr in Indien empfehlen, den ich bereits in diesem Blog vorgestellt habe.)

In in Indien bzw. Asien existieren massive Urbanisierungstendenzen. Die Frage der Gegenwart und sicherlich auch der Zukunft ist, wie die Mobilitätsbedürfnisse der dortigen Bevölkerung gedeckt werden sollen.

Indien steht noch ganz am Anfang seiner Entwicklung. Aber bereits heute existieren massive Probleme. In mehreren Aktionsplänen hat die indische Regierung versucht, den wachsenden Problemen Herr zu werden. Allerdings steigt die Zahl der Probleme weitaus schneller, als die Möglichkeit, diese zu lösen.

Ein Hauptproblem ist die massive Luftverschmutzung mit den daraus folgenden Gesundheitsproblemen. Diese wird auch in Zukunft weiter steigen. Während sich Wirtschaftsleistung verdoppelte, verachtfachte sich die Verkehrsleistung im selben Zeitraum. Mit der massiven Zunahme des Verkehrs verbunden sind die Gesundheitsprobleme der Bevölkerung durch Luftverschmutzung und Lärm.

Indien versucht derzeit vor allem technologiebasierte Lösungen zu finden. Nachdem Busse in Dehli nicht mehr mit Diesel, sondern nur noch mit Erdgas betrieben werden dürfen, sank die Zahl der Totgeburten laut Weltgesundheitsorganisation um 3.500 Totgeburten jedes Jahr.

In einer zweiten Ebene wurde nicht nur die Volksgesundheit als schützenswert erklärt, sondern auch Maßnahmen gegen den Klimawandel beschlossen.

Allerdings sind die Maßnahmen mit einigen Problemen verbunden: Vor allem arme Menschen leben in den Städten. 40 – 50% der Bevölkerung in Delhi und anderen indischen Megacities lebt in Slums. Der Zugang zu Gesundheitsversorgung, Nahrung und sauberen Trinkwasser ist schwierig. Durch die durch den Verkehr verursachte Luft- und Lärmbelastung sinkt der Lebensstandard dieser Menschen noch weiter. 

Das Hauptproblem ist die massive Zunahme des Pkw-Bestands um 16 – 20 Millionen neu zugelassene Fahrzeuge in den nächsten vier Jahren und wachsende Zahl Motorroller. Hinzu kommt eine Verschiebung in der Flottenzusammensetzung: Viele kleine und schwach motorisierte Fahrzeuge werden durch immer größere ersetzt. Der zunehmende motorisierte Individualverkehr verdrängt Fußgänger, Radfahrer, Rikschas und behindert den ÖPNV massiv. In Indien wird der Energieverbrauch in Zukunft vor allem durch den Verkehrssektor steigen. 

Allerdings sind bereits heute die urbanen Räume mit extrem hohen Bevölkerungsdichten zugestaut. Es existiert kein Raum für weitere Straßen und Fahrzeuge. Und noch immer beträgt der Anteil des Umweltverbunds am Modal Split 60 – 70 Prozent. 85% aller Wege sind kürzer als 10 Kilometer, 45% weniger als fünf Kilometer. Allgegenwärtig ist jedoch der Wunsch der Bevölkerung, trotz der ganzen Probleme aus Statusgründen ein eigenes Automobil zu besitzen. Die durch öffentliche Verkehrsmittel bereitgestellte Mobilität wird nicht als ausreichend angesehen, obwohl diese im Vergleich zum motorisierten Individualverkehr um ein Vielfaches höher ist.

Ein weiteres Problem ist die starke Fokussierung der Politik auf den Pkw: 14 Prozent der Bevölkerung besitzen ein eigenes Auto. Allerdings werden fast alle zur Verfügung stehenden Investitionsmittel für den Pkw-Verkehr und den Ausbau der Straßeninfrastruktur aufgewendet. Ein Großteil der Bevölkerung profitiert nicht.

Interessant ist auch, dass für Pkw-Stellplätze 23 Quadratmeter Fläche vorgesehen sind, eine arme Familie jedoch nur 18 Quadratmeter Raum vom Staat zugewiesen bekommt, um ein Haus zu bauen!

Auf der anderen Seite war Indien das einzige Land, das in der Wirtschafts- und Finanzkrise der Busindustrie staatliche Hilfe zukommen ließ und Kommunen Geldmittel zur Verfügung stellte, um Busse zu kaufen. Aber Busse werden immer noch stärker besteuert als Pkw, da Busanbieter von der kommunistisch geprägten Regierung als kapitalistische Unternehmen gesehen werden.

Interessant ist die DIskussion um die Rolle des Autos in der Zukunft ab 01:03:00

Anonymous

Randelhoff Martin

Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
Ist interessiert an innovativen Konzepten zum Lösen der Herausforderungen von morgen insbesondere in den Bereichen urbane Mobilität, Verkehr im ländlichen Raum und nachhaltige Verkehrskonzepte.

Kontaktaufnahme:

Telefon +49 (0)351 / 41880449 (voicebox)

E-Mail: randelhoff [ät] zukunft-mobilitaet.net

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Gerd Brünig Atelier VorSicht
13. Mai 2012 07:54

Danke für die Zusammenfassung in Stichpunkte.
Mal sehen, wann ich mir die Zeit zum Anhören nehmen kann. Klingt spannend und ich bin auf Weert Canzler gespannt.

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Auszeichnungen

Grimme Online Award Preisträger 2012

Zukunft Mobilität hat den Grimme Online Award 2012 in der Kategorie Information erhalten. Ich möchte mich bei all meinen Lesern für die Unterstützung bedanken!

PUNKT Preisträger 2012

Zukunft Mobilität hat den PUNKT 2012 der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) in der Kategorie "Multimedia" gewonnen.

Logo VDV Verband Deutscher Verkehrsunternehmen

Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V. (VDV) hat mich im Rahmen der VDV-Jahrestagung 2013 in Mainz als “Talent im ÖPNV” des Jahres 2013 ausgezeichnet. Der VDV vertritt rund 600 Unternehmen des Öffentlichen Personennahverkehrs, des Schienenpersonennahverkehrs, des Schienengüterverkehrs, der Personenfernverkehrs sowie Verbund- und Aufgabenträger-Organisationen.

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Verfasst von:

Gerd Brünig Atelier VorSicht

Randelhoff Martin

Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
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