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[Video zum Wochenende] Cincinnati in Bewegung

Artikelaktualisierung Zukunft MobilitätCincinnati im Bundesstaat Ohio ist eine der bedeutendsten Handels- und Fabrikstädte der USA. Die Bevölkerungszahl liegt leicht unter 300.000 Einwohnern, erhöht sich aber im Großraum Cincinnati auf zwei Millionen. Das Stadtbild wird dominiert vom Ohio River, der in den Mississippi mündet. Durch den Ausbau der Fahrrinne und das Aufstauen des Flusses durch mehrere Staustufen ist der Ohio River durch die Binnenschifffahrt befahrbar. Dieser wird durch mehrere Brücken überspannt, die den Norden der Stadt mit dem Süden verbinden.

Andrew Stahlke, ein Student der Stadtplanung an der University of Cincinnati, der zuvor ein Studium des Bauingenieurwesens an der Case Western University absolvierte, hat ein interessantes Video über verschiedene Plätze der Stadt gemacht.

Cincinnati ist aus mehreren Gründen eine interessante Stadt, da sie typisch für eine mittelgroße Stadt im Mittleren Westen ist. In den vergangenen Jahrzehnten hat sie fast die Hälfte ihrer ursprünglichen Einwohnerzahl verloren. Es ist auch eine Stadt, die wie viele andere amerikanische Städte, stark vom Automobil abhängig ist und deren Strukturen auch auf die Bedürfnisse des Straßenverkehrs hin ausgerichtet wurden. So existiert beispielsweise kein richtiger Schienenpersonennahverkehr.

Die großen Entfernungen durch Suburbanisierung und die hohe Abhängigkeit vom eigenen Pkw lassen die Haushalte von Cincinnati zwanzig Prozent ihres Haushaltseinkommens für Verkehr ausgeben. Obwohl die durchschnittlichen Kosten je Fahrt unterhalb des landesweiten Durchschnitts liegen, befindet sich die Stadt auf Platz 6 im landesweiten Stadtvergleich. Houston, in der die Haushalte im Vergleich die höchsten Verkehrsausgaben haben, liegt mit 20,9 Prozent des Haushaltseinkommens nur knapp darüber. Und die Kosten sind nicht das einzige Problem: Jedes Jahr verlieren die Einwohner Cincinnatis dreißig Stunden im Stau.

Dennoch investiert Cincinnati in den Nahverkehr. Oder versucht es zumindest. Bereits seit 1924 liegt der Bau der U-Bahn auf Eis. Wegen der hohen Inflationsrate nach dem Ersten Weltkrieg verdoppelten sich die damaligen Baukosten. Mehrere Versuche, den Bau wiederaufzunehmen, scheiterten. Zuletzt wurde eine Initiative aus dem Jahr 2002 mit einer zwei Drittel-Mehrheit abgelehnt, die den U-Bahn-Bau im Rahmen eines 2,7 Milliarden Dollar schweren Verkehrsentwicklungsplanes MetroMoves fortführen wollte. In den U-Bahn-Schächten liegen heute Glasfaserkabel und Wasserleitungen.

Auch der Aufbau eines regionalen Eisenbahnangebots scheiterte mehrfach. Zur Zeit ist die Aufnahme eines regelmäßigen Angebots von Milford zum Downtown Transit Center in Cincinnati im Gespräch. Die Anschaffung mehrerer Dieseltriebfahrzeuge und die Aufrüstung bestehender Eisenbahnstrecken soll 411 Millionen Dollar kosten.

Der Bau eines neuen Straßenbahnsystems

Cincinnati Straßenbahn LiniePlanung
Linienverlauf der neuen Straßenbahn in Cincinnati – Grafik: City of Cincinnati

Derzeit wird in Cincinnati eine neue Straßenbahn errichtet. Das bestehende System wurde im Jahr 1951 endgültig geschlossen, soll aber in Teilen wiedereröffnet werden. Die neue Straßenbahn soll die Innenstadt, das Viertel Over-the-Rhine und die University of Cincinnati mittels eines 7,2 Kilometer langen Rundkurses und einer Stichstrecke in Richtung Norden miteinander verbinden. Insgesamt soll eine Fläche von 370.000 Quadratmetern mit der Straßenbahn erschlossen werden. Die Gesamtkosten werden auf 185 Millionen Dollar geschätzt.

In diesem Kostenrahmen enthalten sind 7,2 Kilometer Gleisanlagen und Oberleitungen, Unterwerke, sechs Straßenbahnen, 18 Haltestellen und ein Betriebshof sowie ein 15 – 25 prozentiger Anteil Planungs- und Projektierungskosten.

Die Unterhaltskosten sollen 2,0 – 2,7 Millionen Dollar jährlich betragen.

Im Rahmen der Machbarkeitsuntersuchung (PDF) wird mit einem Nutzen und Entwicklungspotenzialen in Wert von 1,4 Milliarden Dollar gerechnet. Laut der Studie könnten 1.200 bis 3.400 neue Wohnungen entstehen, die 34 Millionen Dollar zusätzliche Grundsteuern und 17 Millionen Umsatzsteigerung des Einzelhandels bedeuten würden.

Logo Cincinnati Straßenbahn
Grafik: City of Cincinnati

In einem Viertel-Meilen-Korridor um den vorgeschlagenen Linienverlauf befinden sich zurzeit 39 Hektar Parkraum. Durch den Wegfall des Bedarfs und die Möglichkeit die Parkplätze als Baugrundstücke ausweisen zu können, entsteht ein zusätzliches Entwicklungspotenzial von 3.787 Wohnungen oder 688.680 Quadratmetern Gewerbe- / Büro- / Hotelflächen. Dies bedeutet zusätzliche Einnahmen von 54 – 193 Millionen Dollar jährlich, mit einer konservativen Schätzung von 112 Millionen Dollar. Die Grundstückswerte würden um 379 Millionen Dollar steigen und über einen Zehn-Jahres-Zeitraum einen Nutzen in Höhe von 1,911 Milliarden Dollar generieren. Der Kosten-Nutzen-Faktor beträgt 15,1. Dies bedeutet, dass jeder investierte Dollar einen Nutzen von 15,1 Dollar generiert. Die Belastbarkeit der Studie wurde von der University of Cincinnati bestätigt. Bereits jetzt lässt sich ein Wachstum der Investitionen im Stadtteil Over-the-Rhine feststellen.

Am 23. April 2008 hat der Stadtrat von Cincinnati den Bau der Straßenbahn beschlossen.

Die allermeisten Verkehrsbauprojekte haben auch in den USA Gegner. In Cincinnati setzten im Jahr 2009 COAST (Coalition Opposed to Additional Spending and Taxes) und die National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) einen Bürgerentscheid durch. Der Entscheid hätte vermutlich auch einen Einfluss auf das Hochgeschwindigkeitszugprojekt zwischen Cincinnati, Columbus und Cleveland gehabt, da es sehr allgemein gehalten war. Am 3. November 2009 lehnten die Bürger der Stadt das Ansinnen beider Organisationen mit 56% zu 44% ab.

Im Jahr 2011 starteten beide Organisationen einen erneuten Versuch, das Straßenbahnprojekt zu beenden. Dieses Mal wären die Folgen noch gravierender gewesen, da bei Erfolg des Referendums jegliche Ausgabe egal ob staatlich, kommunal oder privat für Schienenprojekte bis zum 31. Dezember 2020 untersagt worden wäre.

we vigorously oppose Issue 48 and urge voters to reject it. … Issue 48 is a bad, bad, bad idea.
– The Cincinnati Enquirer: “City/county issues: Vote ‘no’ on divisive anti-rail measure“, 30.10.2011

Am 8. November 2011 wurde Issue 48 mit 52 Prozent der Stimmen abgelehnt. Daraufhin war der Weg für das Projekt endgültig frei.

Am 17. Februar 2012 erfolgte der Spatenstich:

Die Inbetriebnahme soll im Frühjahr 2013 erfolgen. Als bevorzugter Lieferant der Straßenbahnen wurde CAF USA bestimmt. Weitere Details zum Rollmaterial sind noch nicht bekannt.

Weitere Informationen sind auf der Webseite der Stadt Cincinnati oder im CincyStreetcar Blog zu finden.

Aktualisierung – 16.12.2012

Cincinnati scheint sich zu einer richtigen Timelapse-Hauptstadt zu entwickeln. In den vergangenen Tagen habe ich noch einige Videos gefunden, die Cincinnati im Zeitraffer zeigen:



Anonymous

Randelhoff Martin

Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
Ist interessiert an innovativen Konzepten zum Lösen der Herausforderungen von morgen insbesondere in den Bereichen urbane Mobilität, Verkehr im ländlichen Raum und nachhaltige Verkehrskonzepte.

Kontaktaufnahme:

Telefon +49 (0)351 / 41880449 (voicebox)

E-Mail: randelhoff [ät] zukunft-mobilitaet.net

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Auszeichnungen

Grimme Online Award Preisträger 2012

Zukunft Mobilität hat den Grimme Online Award 2012 in der Kategorie Information erhalten. Ich möchte mich bei all meinen Lesern für die Unterstützung bedanken!

PUNKT Preisträger 2012

Zukunft Mobilität hat den PUNKT 2012 der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) in der Kategorie "Multimedia" gewonnen.

Logo VDV Verband Deutscher Verkehrsunternehmen

Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V. (VDV) hat mich im Rahmen der VDV-Jahrestagung 2013 in Mainz als “Talent im ÖPNV” des Jahres 2013 ausgezeichnet. Der VDV vertritt rund 600 Unternehmen des Öffentlichen Personennahverkehrs, des Schienenpersonennahverkehrs, des Schienengüterverkehrs, der Personenfernverkehrs sowie Verbund- und Aufgabenträger-Organisationen.

Lizenz

Zukunft Mobilität Creative Commons

Die Inhalte dieses Artikels sind - soweit nicht anders angegeben - unter CC BY-SA 3.0 de lizensiert. Grafiken sind von dieser Lizenz aus Vereinfachungs- und Schutzgründen ausgenommen (Anwendung aufgrund der Verwendung von Grafiken / Bildern mit unterschiedlichen Lizenzen zu kompliziert) außer die CC-Lizenz ist ausdrücklich genannt.

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Verfasst von:

Anonymous

Randelhoff Martin

Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
Ist interessiert an innovativen Konzepten zum Lösen der Herausforderungen von morgen insbesondere in den Bereichen urbane Mobilität, Verkehr im ländlichen Raum und nachhaltige Verkehrskonzepte.

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E-Mail: randelhoff [ät] zukunft-mobilitaet.net