Der innerstädtische Liefer- und Wirtschaftsverkehr wächst und stellt zunehmend ein Problem in vielen Städten dar. Insbesondere fehlen ausreichend Flächen und Ladebuchten, eine Folge ist das Parken in Verbotszonen, in zweiter Reihe oder gar auf Radwegen. Zum einen führt das Falschparken zu einem Verkehrssicherheitsrisiko mit Verletzten oder gar Toten und zum anderen zu Stau und damit verbunden zu einer erhöhten Schadstoffbelastung der Anwohnerinnen und Anwohner.
Untersuchungen in Frankfurt am Main haben gezeigt, dass die oft gescholtenen Kurier-, Express- und Paketdienste (KEP-Dienstleister) nicht Hauptverursacher der Parkplatznot sind, sondern nur zehn Prozent der Haltevorgänge des Wirtschaftsverkehrs ausmachen (Rest: Müllabfuhr, Handwerker, Spediteure). Etwa 80 bis 95 Prozent der Parkflächen werden durch den privaten Pkw-Verkehr belegt. Jedoch benötigt der Wirtschaftsverkehr spezielle Flächen, etwa sehr lange oder breite Parkbuchten, für die jedoch nur begrenzt Raum zur Verfügung steht. Anwohnerinnen und Anwohnern sind leider auch nur sehr schwer zu vermitteln, wieso Ladezonen zugunsten von Pkw-Stellplätzen geschaffen werden sollten.
Auslieferungsfahrten von Kurier-, Express- und Paketdienstleistern sind äußerst zeitsensitiv. Stau- und lange Parksuchzeiten verursachen Zeitverluste und erzeugen entsprechende Kosten. Insbesondere in urbanen Ballungsräumen setzen KEP-Dienstleister daher zunehmend auf kleinere Auslieferungsfahrzeuge wie beispielsweise Lastenräder, die nahe an den Lieferort heranfahren können und nur wenig Fläche benötigen.
Lastenräder können je nach Bauart mehrere Hundert Kilogramm Gewicht transportieren. Relativ häufig ist eine maximale Zuladung von 150-250 kg. Auch das Transportvolumen variiert nach Typ und kann bis zu 1,5 m³ betragen.
Für eine möglichst hohe Effizienz werden Auslieferungstouren in der Logistik permanent optimiert. Im innerstädtischen Lieferverkehr mit Fahrrädern hat es sich bewährt, Zwischenlager im Innenstadtbereich einzurichten und diese mehrfach in die Tourenplanung einzuflechten.
So stellt beispielsweise UPS bereits seit 2012 jeden Morgen in Hamburg am Neuen Wall (bei der Stadtwassermühle) eine mit Paketen beladene Wechselbrücke ab, aus der UPS-Zusteller die Pakete zu Fuß mit Sackkarre, mit Lastenfahrrädern und einem elektrisch unterstützten Fahrrad zu den Empfängern bringen. Abgeholte Sendungen werden von den UPS-Mitarbeitern in die Wechselbrücke verbracht, der dann abends abgeholt und zurück in die UPS-Niederlassung transportiert wird. Im Schnitt entfallen durch das neue Logistikkonzept pro Tag drei bis vier Liefertouren per Lkw, bei denen die Fahrer häufig in zweiter Reihe insgesamt 350 Mal anhalten, um ihre Pakete auszuliefern. Weitere Wechselbrücken werden seit 2015 nach dem gleichen Prinzip am Hopfenmarkt, Raboisen und in der Welckerstraße eingesetzt.
Heute wurden mit @HH_BWVI in HH 3 neue Container eingeweiht. Ziel: Emissionen bei der Paketzustellung reduzieren! pic.twitter.com/HnK3OCuT9U
— UPS Deutschland (@UPS_DE) 28. Januar 2015
Neue Kombinationen werden möglich
Neben klassischer Punkt-zu-Punkt-Verkehre mit einem Transportmittel innerhalb einer Stadt (Beispiel: Lieferwagen oder Lastenrad vom Lager zum Lieferort) finden zunehmend auch im innerstädtischen Bereich multimodale Transportketten Anwendung. UPS testet die erwähnte Kombination aus Straßengüterverkehr, Fuß (Sackkarre) und Rad. Amazon testet in einem Pilotprojekt in New York die Paketzustellung per U-Bahn, die letzte Meile wird zu Fuß zurückgelegt.
Städte mit einem schiffbaren Kanal- und Flussnetz haben einen weiteren Vorteil: Die Eliminierung des Straßengüterverkehrs, welcher sich nicht immer leicht in vorhandene Stadtstrukturen einfügen lässt. Viele Städte wurden bereits Jahrhunderte lang über den Wasserweg mit Gütern versorgt. Mit dem Aufkommen des flexibleren Straßengüterverkehrs haben sich viele Städte jedoch von der Versorgung über den Wasserweg weg entwickelt. Mittlerweile entdecken viele Städte den Zugang zum Wasser wieder (Beispiel: Paris, Siegen). Die Frage ist, ob nicht auch die Logistik sich das vorhandene Potenzial zunutze machen sollte.
Paris und die Seine
In der französischen Hauptstadt Paris haben Logistikunternehmen in den vergangenen Jahren die Seine als Transportweg wieder entdeckt. Das Straßennetz ist chronisch überlastet, die Parksituation für Lieferfahrzeuge ist häufig schlecht und Restriktionen der Pariser Stadtverwaltung lassen die Ladefenster kleiner werden. Zudem wächst der E-Commerce in Frankreich pro Jahr um etwa zehn Prozent, die Zahl der transportierten Pakete um fünf Prozent. Dies entspricht etwa 30 Millionen zusätzlichen Paketen jedes Jahr.
Im Gegensatz zum Straßen- und Schienennetz besitzt die Seine mit etwa fünf bis 35 Flusskreuzfahrtschiffen und Binnenschiffen, welche Paris pro Tag passieren, noch ausreichend Kapazität.
Um den wachsenden Problemen frühzeitig ein Konzept entgegenzusetzen, haben die Ladenkette Franprix der Handelsgruppe Casino und der Logistikdienstleister Norbert Dentressangle ein Konzept zur Versorgung der Geschäfte im Stadtbereich über den Wasserweg entwickelt. Seit September 2012 transportiert ein Binnenschiff täglich 48 Container vom 20 km außerhalb Paris liegenden Hafen Bonneuil-sur-Marne zum Seinekai Bourdonnais nahe des Eiffelturm. Von dort verteilen Lkw (Euro 5) die Waren an 135 der insgesamt 350 Franprix-Filialen (Stand: Mai 2015). Diese liegen innerhalb eines Radius von vier Kilometer um die Kaianlage.
Über die Kombination Binnenschiff-Lkw werden jährlich rund 3.874 Lkw-Fahrten über 450.000 km vermieden und 88.500 Liter Dieselkraftstoff eingespart. Im Vergleich zum reinen Straßentransport konnten die CO2-Emissionen um etwa 37 Prozent reduziert werden.
Die Container werden im Casino-Lager in Chennevières gepackt und in der Nacht auf der Straße zum 8 km entfernten Hafen transportiert. Die Kaianlagen am Anleger Bourdonnais mussten zuvor für 1,6 Millionen Euro renoviert und verstärkt werden. Mittelfristig ist geplant, die Transporte innerhalb des Pariser Stadtgebiets mit Elektro-Lkw durchzuführen. Zwischen September 2012 und dem Jahr 2015 subventionierte das französische Umweltministerium jeden transportierten Container mit 18 Euro, diese Subvention wurde im Jahr 2015 auf 12 Euro reduziert. Franprix hat die Transporte über die Seine zunächst bis 2017 befristet, eine Verlängerung erscheint jedoch aufgrund wachsender Kraftstoffkosten und zunehmender Stauzeitverluste wahrscheinlich.
Das französische Unternehmen Vert Chez Vous (Grün bis zu Ihnen), ein Unternehmen der Labatut Group, setzte ebenfalls auf die Seine. Das umweltfreundliche, multimodale Transportkonzept verband Binnenschiff und Elektro-Lastenräder miteinander, wurde jedoch im Jahr 2014 aufgrund fehlenden wirtschaftlichen Erfolgs gestoppt.
Die Güter wurden per Lkw zum Logistikzentrum in Pantin gebracht und von dort gebündelt mit dem Lkw zum Hafen von Tolbiac am östlichen Stadtrand transportiert. Dort wurde das 38,50 m lange und 5 m breite Gütermotorschiff “Vocoli” mit den angelieferten Gütern und elektrischen Tricycles beladen. Die Kommissionierung und Verladung in die Lieferfahrzeuge geschah während der Fahrt. Die Vokoli lief fünf Stationen im Pariser Stadtgebiet an. An jeder Station wurde ein Lastenrad mittels Kran abgesetzt, führte die etwa anderthalb Stunden dauernde Liefertour durch und kehrte am übernächsten Stopp auf das Schiff zurück. Dort wurden die insgesamt 18 Lastenräder in etwa 45 Minuten neu mit bis zu 30 kg schweren Paketen beladen, sodass zwei Liefertouren pro Tag durchgeführt werden konnten. 144 Kubikmeter Ware beziehungsweise 3000 Päckchen konnten pro Tag transportiert und ausgeliefert werden.
Die Lieferungen per E-Lastenrad wurden zunächst durch Lieferfahrten mit batterieelektrischen Lieferfahrzeugen oder Erdgasfahrzeuge mit einer Ladekapazität von 20 m³ ergänzt. Mittlerweile haben diese Fahrzeuge die Lastenräder komplett ersetzt.
Der Transport über das Binnenschiff wurde im Jahr 2014 gestoppt, da kein wirtschaftlich tragfähiges Geschäftsmodell entwickelt werden konnte. Die Kosten für den Umschlag und die Betriebskosten des Schiffes waren zu hoch. Es soll jedoch geprüft werden, ob ein effizienteres Schiff eine höhere Wirtschaftlichkeit mit sich bringen könnte.
Die Grachten von Amsterdam
Amsterdam ist für seine Grachten weltberühmt. Die Kanäle durchziehen die gesamte Innenstadt in mehreren Ringen und sind von zahlreichen Brücken überspannt. Das Netz der befahrbaren Wasserwege Amsterdams hat eine Gesamtlänge von über 80 Kilometern.
Das Grachtennetz Amsterdams wurde ab 1612 zum bequemen An- und Abtransport von Waren zu den direkt daran errichteten Lager- und Kaufmannshäusern sowie zur Entwässerung und Verteidigung angelegt. Da der Güterverkehr zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert stark zunahm, erwirkten die Bewohner Amsterdams ein Fahrverbot für Güterschiffe auf den Grachten. Dieses Verbot bestand bis 1997. In diesem Jahr erlaubte das niederländische Verkehrsministerium dem deutschen Logistikkonzern DHL ein schwimmendes Verteilzentrum zu betreiben. Über dieses wickelt DHL seitdem Express-Sendungen mit Zustellung im Amsterdam Innenstadtbereich ab.
Das Boot verkehrt nach einem speziellen Fahrplan und fährt über den Tag hinweg verschiedene Stationen an. Jeden Morgen werden Briefe und Pakete im nördlichen Teil der Stadt geladen und über den Tag hinweg verteilt. Fahrradkuriere bringen Express-Sendungen zum Boot, in welchem diese erfasst, sortiert und für den weiteren Versandweg vorbereitet werden. Durch den Einsatz des Bootes konnte DHL die Zahl der Lieferfahrzeuge im Amsterdamer Innenstadtbereich von zehn auf zwei reduzieren.
Seit September 2010 bietet Mariteam Mokum auf den Kanälen Amsterdam Logistikdienstleistungen an. Das Kanalboot “City Supplier” verkehrt auf dem Amsterdamer Grachtennetz und staut und löscht am Ufer Ladung über einen Kran. Transportiert werden können Müllcontainer, Schüttgutbehälter (Bigbag), Gitterboxen, Paletten und EcoCassettes. Maximal können 85 m³ Ladung aufgenommen werden (entspricht zwei 12 t-LKW). Die Fläche reicht für 57 Europaletten oder 38 Müllcontainer. Die notwendige Ausstattung zum Transport von Kühlcontainern ist ebenfalls vorhanden.
Hauptsächlich wird das Schiff zur Ver- und Entsorgung von Gastronomiebetrieben eingesetzt. Darüber hinaus werden Baumaterialien und größere Frachtstücke transportiert.
Die “City Supplier” hat einen Tiefgang (leer) von 1,0 Metern, ist 20,0 Meter lang und 4,25 Meter breit und mit einem Hybridantrieb ausgestattet. Im Innenstadtbereich treibt ein 52kW (ca. 65 PS)-starker Elektromotor das Schiff lokal emissionsfrei und leise an. Die Akkus ermöglichen einen Betrieb von etwa acht bis zehn Stunden. Für längere Fahrten außerhalb des Stadtgebiets können zwei Generatoren (Jelmer Valk Vario Common-Rail-Dieselgeneratoren mit je 35 kW Leistung) zugeschaltet werden. Diese werden mit Biodiesel betrieben, welcher in der Bioraffinerie Greenmills im Amsterdamer Hafen produziert wird. An dieser Stelle schließt sich zudem ein Kreis: Denn Mariteam Mokum sammelt organische Abfälle von Restaurants und Hotels ein, welche in der Bioraffinerie verarbeitet werden.
https://www.youtube.com/watch?v=NyRHv0IUmu4
Das Schiff ist mit einem hydraulischen Kran des Typs HMF 1720-K5 ausgerüstet. Der mittschiffs an Bord eingebaute Kran kann maximal 17 Tonnen heben, bei 15 Meter Auslage sind es noch 760 kg. Der Kran kann mit einer Fernsteuerung von Land aus bedient werden. Der Kran wird wie das Boot durch Akkus angetrieben. Wird der Kran zwei Minuten nicht verwendet, wird das Power-Pack automatisch abgeschaltet und erst bei erneuter Nutzung wieder aktiviert. Für den Weitertransport der Ladung an Land bis zu einer Entfernung von 150 Metern wird ein elektrischer Transportkarren an Bord mitgeführt.
Bierboot und Cargohopper in Utrecht
Bereits seit 1996 setzt Utrecht bei der Belieferung der Gastronomiebetriebe auf das “Bierboot”. Nach Einführung von Achslastbeschränkungen für Lkw zum Schutz historischer Straßen und Kaianlagen sowie spezieller Lieferfenster und Längenbeschränkungen hatten insbesondere Brauereien Probleme, die gastronomischen Betriebe im Altstadtbereich zu beliefern. Als Lösung führte die Stadt das Bierboot ein. Dieses liefert im Auftrag von vier Brauereien und einem Großhandel für Gastronomiebedarf an vier Tagen insgesamt sechs Mal Waren aus. Das Boot befindet sich im Eigentum der Stadt und wird an die Frachtführer vermietet. Im Jahr 2009 (Bezugsgröße: Dieselboot) standen Betriebskosten von 70.000 Euro Einnahmen von etwa 90.000 Euro entgegen.
Der Kapitalwert über die Nutzungsdauer von 30 Jahren liegt bei einem Zinssatz von 3,5% zwischen 104.639 – 739.682 Euro. Auch wenn dies nicht übermäßig hoch ist, weist das Bierboot dennoch einen positiven Kapitalwert auch bei geringem Frachtvolumen auf. Gesamtwirtschaftlich ist das Boot ebenfalls erfolgreich, da durch die Belieferung von der Wasserseite aus der innerstädtische Frachtverkehr merklich reduziert wurde. Dies hat positive Wirkungen auf das Stauaufkommen, die Verkehrssicherheit sowie die lokalen Lärm- und Luftschadstoffemissionen.
Im Jahr 2010 wurde das konventionell angetriebene Bierboot durch das erste rein elektrisch angetriebene Frachtschiff der Welt ersetzt.
Das 18,8 Meter lange und 4,26 Meter breite Boot hat einen maximalen Tiefgang von 1,10 Metern. Es kann 40 Rollcontainer laden, die maximale Zuladung beträgt 18 Tonnen. Gespeist wird der 55-kW-Synchronmotor über ein 480-Volt-Batteriepaket mit einer Kapazität von 86,4 kWh. Der Akku ist ausreichend für einen Betrieb von neun Stunden. Jährlich werden dadurch 16,5 Tonnen CO2, 35 kg NOx und 2 kg PM10 eingespart. Der an Bord befindliche hydraulische Ladekran hat eine Reichweite von 14 Metern. Für den Notfallbetrieb ist ein 83-kW-Dieselgenerator eingebaut.
Fazit
Laut Bevölkerungsprognosen sollen bis zum Jahr 2050 80% der europäischen Bevölkerung in Städten leben und konsumieren. Dies stellt Städte vor enorme Herausforderungen. Zum einen muss ausreichend Wohnraum zur Verfügung stehen, zum anderen müssen die Stadtbevölkerung versorgt und die Waren im Innenstadtbereich verteilt werden. Flächenkonflikte sind absehbar. Insbesondere der Lieferverkehr wird aufgrund sich ändernder Konsum- und Produktionsmuster zunehmen und weitere innerstädtische Flächen benötigen. Gleichzeitig macht die europäische Verkehrs- und Umweltpolitik nicht an den Stadtgrenzen Halt. Bis 2050 sollen die Abhängigkeit von Rohöl und die CO2-Emissionen des Verkehrssektors um 60% gesenkt werden. Um dieses Ziel zu erreichen, soll der innerstädtische Lieferverkehr bis 2030 CO2-frei abgewickelt werden.
Städte mit Zugang zu Wasserstraßen und einem ausgedehnten Kanalnetz haben bei der Transformation hin zu einer energieeffizienten, CO2-freien und stadtverträglichen Innenstadtlogistik große Vorteile. Die Beispiele aus Paris und Amsterdam zeigen, dass Transporte per Schiff in Kombination mit anderen stadtverträglichen Verkehrsarten im innerstädtischen Güterverkehr einen Platz haben. Eingebettet in ein entsprechendes Logistikkonzept sind sie durchaus konkurrenzfähig zum konventionellen Lkw-Transport.