Analyse Öffentlicher Personennahverkehr Straßenverkehr USA

[Fakt der Woche] Nachhaltigkeitsindikatoren für Verkehrsnetze in den USA und Deutschland – ein Vergleich

USA Deutschland Vergleich Verkehrsysteme Nachhaltigkeit Gesundheitseffekt Pkw-Abhängigkeit
Nachhaltigkeitsindikatoren der Verkehrssysteme in den USA und Deutschland - Daten: Ralph Buehler, Wolfgang Jung & Andrea Hamre (2015) Planningfor Sustainable Transport in Germany and the USA: A Comparison of the Washington,DC and Stuttgart Regions, International Planning Studies, 20:3, 292-312, DOI:10.1080/13563475.2014.989820 - Grafik: Mark Byrnes / CityLab

Deutschland und die Vereinigten Staaten von Amerika – in Teilen ähnlich, aber auch unterschiedlich. Beide Staaten sind wohlhabende, westliche Länder mit einer marktorientierten Wirtschaftsform und einem hohen Lebensstandard. In den vergangenen 40 Jahren haben beide Länder ein ähnliches Wirtschaftswachstum pro Kopf verzeichnet, 2015 lag das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf in Deutschland bei 47.400 USD und in den USA bei 56.300 USD. Darüber hinaus sind sowohl die USA wie auch die Bundesrepublik Deutschland demokratische Länder mit einer mehrschichtigen Staatsorganisation bestehend aus Bundesregierung, Bundesstaaten / -länder, regionalen und kommunalen Gebietskörperschaften.

Beide Länder haben eine lange Historie im Autobau, die Autoindustrie ist ein wichtiger Wirtschaftszweig mit einer hohen Beschäftigungszahl. Das Automobil gilt als Garant für Freiheit, Mobilität und sozialen Status1. Die Infrastruktur für den motorisierten Individualverkehr ist flächendeckend vorhanden und zeigt sich beispielsweise in einem umfangreichen Autobahn- bzw. Highwaynetz. Beide Staaten haben mit die höchsten Motorisierungsgrade (Pkw je 1.000 Einwohner) der Welt.

Trotz dieser Gemeinsamkeiten zeigen sich Unterschiede in diversen Bereichen. Auffallend ist natürlich der Flächenunterschied, die USA sind um ein Vielfaches größer als die Bundesrepublik Deutschland. Dieser Fakt hat für die Länge der täglich zurückgelegten Wege und den Aktionsradius jedoch nur einen eingeschränkten Einfluss, bei Fernreisen kommt er jedoch zum Tragen. Die Pro-Kopf-Fahrleistung in den USA ist mit 21.500 km / Jahr beinahe doppelt so hoch wie in Deutschland (11.000 km).

Große Unterschiede bestehen bei der Verfügbarkeit und Nutzung von Pkw mit entsprechenden Folgen für die allgemeine Gesundheit und die Umwelt. Im Jahr 2010 waren in den USA 30,9 Prozent mehr Pkw und pro 1.000 Einwohner zugelassen als in Deutschland (766 versus 585). Dies äußert sich in einem weitaus höheren Pkw-Anteil am Gesamtverkehr (83 % versus 58 %) nutzen vier Mal so oft den ÖPNV (9 % vs. 2 %), gehen 2,5 Mal so oft zu Fuß (24 % vs. 11 %) und fahren 10 Mal so oft Fahrrad (10 % vs. 1 %).

Die unterschiedliche Nutzungshäufigkeit der einzelnen Verkehrsarten hat einen positiven Einfluss auf die Verkehrssicherheit und den Anteil der übergewichtigen Personen an der Bevölkerung. In Deutschland sind der Energiebedarf und die CO2-Emissionen des Verkehrssektors geringer.

In den USA verzeichnen sowohl die Haushalte wie auch der Staat höhere Ausgaben für Verkehr und Infrastruktur. Gleichzeitig tragen deutsche Haushalte einen größeren Anteil an der Finanzierung der Straßeninfrastruktur und des öffentlichen Personennahverkehrs.

Maßgebliche Kennzahlen zum Verkehr in den USA und Deutschland lassen sich der folgenden Tabelle2 entnehmen:

USA Deutschland Vergleich Verkehrsysteme Nachhaltigkeit Gesundheitseffekt Pkw-Abhängigkeit
Nachhaltigkeitsindikatoren der Verkehrssysteme in den USA und Deutschland – Daten: Ralph Buehler, Wolfgang Jung und Andrea Hamre (2015): Planning for Sustainable Transport in Germany and the USA: A Comparison of the Washington, DC and Stuttgart Regions, International Planning Studies, 20:3, 292-312, DOI:10.1080/13563475.2014.989820 – Grafik: Mark Byrnes / CityLab

In ihrer Untersuchung3 haben die Autoren Ralph Buehler, Wolfgang Jung und Andrea Hamre darüber hinaus Unterschiede und Gemeinsamkeiten in den Großräumen Stuttgart und Washington, D.C. analysiert.

Beide Räume weisen neben einer Vielzahl von Unterschieden auch gewisse Ähnlichkeiten auf. Die Einwohnerzahl der Kernstädte liegt jeweils zwischen 600.000 und 675.000 Einwohnern, wobei in der Region Stuttgart 2,69 Millionen Einwohner und in der Region Washington D.C., bezogen auf das Verbandsgebiet des Metropolitan Washington Council of Governments, 5,58 Millionen Einwohner leben. Mit einer Fläche von 9544,106 km² ist Washington D.C. im Vergleich zur Region Stuttgart mit einer Fläche von 3.654,0 km² etwa 2,6 Mal so groß.

Beide Regionen sind wirtschaftlich stark und bieten Arbeitsplätze für hoch qualifizierte Mitarbeiter. Der Schwerpunkt im Großraum Stuttgart liegt jedoch im Bereich Industrie, während Washington D.C stärker dienstleistungsorientiert und eng mit der US-Regierung verwoben ist.

Die Region Stuttgart ist einer gewissen Nähe zur Automobilindustrie sicherlich nicht unverdächtig. Mit 559 Kfz je 1000 Einwohner im Jahr 2014 lag Stuttgart bei der individuellen Motorisierung hinter Hannover (574), München und Düsseldorf (je 564) auf Platz 4 in der Rangliste der deutschen Großstädte ab 500.000 Einwohner. Der Pro-Kopf-Motorisierungsgrad bei Pkw lag bei 488 Pkw je 1000 Einwohner mit leicht abnehmender Tendenz4. In der Region Washington D.C. ist der Motorisierungsgrad leicht höher, wie folgende Gegenüberstellung einzelner Mobilitätskennziffern zeigt.

Region StuttgartRegion Washington, D.C.
Fahrzeugdichte (je 1.000 Einwohner)544744
Pkw je Haushalt1,11,8
Wege pro Person und Tag3,53,9
mittlere Wegstrecke (Median)5,0 km5,6 km
Täglich zurückgelegte Weglänge / Person40 km44 km
Tägliche Wegzeit / Person75 Minuten80 Minuten
Durchschnittliche Geschwindigkeit27 km/h28 km/h
Anteil des motorisierten Individualverkehrs am Gesamtverkehraufkommen (Region)57 %81 %
Anteil des motorisierten Individualverkehrs am Gesamtverkehraufkommen (Kernstadtgebiet)44 %51 %
Anteil des motorisierten Individualverkehrs am Gesamtverkehraufkommen (innere Vororte)~60 %70–85 %
Anteil des motorisierten Individualverkehrs am Gesamtverkehraufkommen (ländliche Gebiete)70–75 %>90 %
Anteil des des motorisierten Individualverkehrs bei Wegen unter 2 km<25 %~66 %

Die Region Washington, D.C. und die Region Stuttgart haben sich vor allem wegen der Anwendung unterschiedlicher Strategien in den Bereichen Verkehr und Raum- und Regionalplanung sowie der Anwendung eines integrierten Planungsansatzes unterschiedlich entwickelt. Insbesondere die Koordination von Verkehrs- und Raumplanung und Anwendung entsprechender Planungsprinzipien haben in Deutschland die Entwicklung von Strukturen ermöglicht, welche notwendige Grundlagen für einen funktionierenden ÖPNV und starken nicht-motorisierten Verkehr legen. Bereits seit den siebziger Jahren wird in Deutschland systematisch an der Förderung des ÖPNV, Radverkehr und Fußverkehrs gearbeitet. Zugleich wurden mit unterschiedlichen Maßnahmen die monetären Kosten [z. B. Kraftstoffsteuer] wie auch die Zeitkosten [z. B. Verkehrsberuhigungsmaßnahmen] des motorisierten Individualverkehrs erhöht.

Im Vergleich zu den USA besitzt Deutschland eine geringer ausgeprägte räumliche Trennung zwischen unterschiedlichen Nutzungsarten wie bspw. Wohnen oder Gewerbe. Die Aufteilung einer Stadt oder Region in einzelne Funktionsgebiete für Wohnen, Arbeiten und Erholung erhöht die Entfernungen und somit die Fahrweiten. Durch eine Nutzungsdurchmischung nicht-störender und die Lebens- und Arbeitsbedingungen nicht negativ beeinflussender Nutzungsarten können kompakte und vom Pkw unabhängige Strukturen geschaffen werden.

Für eine detaillierte Analyse und einen weitergehenden Vergleich zwischen dem deutschen und US-amerikanischen Planungssystem und dessen Wirkung auf Verkehr und Mobilität sei Ralph Buehler, Wolfgang Jung und Andrea Hamre (2015): Planning for Sustainable Transport in Germany and the USA: A Comparison of the Washington, DC and Stuttgart Regions, International Planning Studies, 20:3, 292-312, DOI:10.1080/13563475.2014.989820 empfohlen.

  1. Schmucki, B. (2001): Der Traum vom Verkehrsfluss: Städtische Verkehrsplanung seit 1945 im deutsch-deutschen Vergleich. München: Campus/Deutsches Museum München.
  2.  Ralph Buehler, Wolfgang Jung und Andrea Hamre (2015): Planning for Sustainable Transport in Germany and the USA: A Comparison of the Washington, DC and Stuttgart Regions, International Planning Studies, 20:3, 292-312, DOI:10.1080/13563475.2014.989820
  3. Ralph Buehler, Wolfgang Jung und Andrea Hamre (2015): Planning for Sustainable Transport in Germany and the USA: A Comparison of the Washington, DC and Stuttgart Regions, International Planning Studies, 20:3, 292-312, DOI:10.1080/13563475.2014.989820
  4. Biekert, Franz (2015): Der Pkw-Bestand in Stuttgart 2014. In: Statistik und Informationsmanagement, Monatsheft 10/2015. Stuttgart. https://service.stuttgart.de/lhs-services/komunis/documents/10740_1_Der_Pkw_Bestand_in_Stuttgart_2014.PDF

Randelhoff Martin

Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
Ist interessiert an innovativen Konzepten zum Lösen der Herausforderungen von morgen insbesondere in den Bereichen urbane Mobilität, Verkehr im ländlichen Raum und nachhaltige Verkehrskonzepte.

Kontaktaufnahme:

Telefon +49 (0)351 / 41880449 (voicebox)

E-Mail: randelhoff [ät] zukunft-mobilitaet.net

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Zukunft Mobilität hat den Grimme Online Award 2012 in der Kategorie Information erhalten. Ich möchte mich bei all meinen Lesern für die Unterstützung bedanken!

PUNKT Preisträger 2012

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Logo VDV Verband Deutscher Verkehrsunternehmen

Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V. (VDV) hat mich im Rahmen der VDV-Jahrestagung 2013 in Mainz als “Talent im ÖPNV” des Jahres 2013 ausgezeichnet. Der VDV vertritt rund 600 Unternehmen des Öffentlichen Personennahverkehrs, des Schienenpersonennahverkehrs, des Schienengüterverkehrs, der Personenfernverkehrs sowie Verbund- und Aufgabenträger-Organisationen.

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Verfasst von:

Randelhoff Martin

Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
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