Umwelt Verkehrspolitik

Verkehrstabus verhindern grundlegende verkehrspolitische Veränderungen (Gössling und Cohen 2014)

Foto: Oskar Kadaksoo @ Unsplash - Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch die Unsplash-Lizenz
In dem 2014 von Gössling und Cohen publizierten Paper “Why sustainable transport policies will fail: EU climate policy in the light of transport taboos” wird die Existenz sogenannter Verkehrstabus in den Raum gestellt, die auf politischer Ebene aus Furcht vor den Konsequenzen nicht artikuliert und angegangen werden. Zu den Tabus soll unter anderem ein industriegeführter Diskurs zählen, bei dem eine Dekarbonisierung des Verkehrssektors alleine auf der Grundlage technologischer Innovationen erfolgen soll. Diese Fokussierung kann im Zusammenhang mit stark verzerrten Beiträgen zum Verkehrsaufkommen gesehen werden, wobei die mobilsten Eliten direkt oder indirekt an der politischen Entscheidungsfindung beteiligt sind oder sogar dafür zuständig sind. Hochmobile Reisende sind auch diejenigen, die sich besonders zögerlich zeigen, ihren hypermobilen Lebensstil aufzugeben, während marktbasierte Maßnahmen paradoxerweise vor allem weniger mobile Menschen zwingen können, ihr Verkehrsverhalten zu ändern. Politische Entscheidungsträger werden von verschiedenen Interessengruppen beeinflusst, die erhebliche Anstrengungen unternehmen, ein Verständnis dafür zu schaffen, dass jede Mobilität gut sei während Umweltprobleme weitgehend durch Technologie gelöst werden können. Hinzu kommen Strukturen, welche Kinder und Jugendliche dahingehend sozialisieren, dass ein hohes Maß an Mobilität als notwendig angesehen wird. Dies ist vor allem in Kombination mit einer weiteren Entwicklung herausfordernd: Die Aufrechterhaltung sozialer Beziehungen erfordert in Zukunft eine noch größere Mobilität, da Freundschafts- und Verwandtschaftsnetzwerke immer globaler werden. Ein weiteres Thema, das im allgemeinen Diskurs nicht ausreichend vorkommt, wenngleich es enorme Auswirkungen auf Klimaschutzbemühungen im Verkehrsbereich hat.

Die in Deutschland seit Jahrzehnten geführte Diskussion um eine allgemein gültige Geschwindigkeitsbegrenzung auf deutschen Autobahnen gilt insbesondere in politischen Kreisen als schwierig. Mit ihr wird ein hohes politisches Risiko verbunden, sodass eine entsprechende Positionierung in der Öffentlichkeit vermieden wird. Im verkehrspolitischen Kontext existieren eine Reihe weiterer derartiger “Verkehrstabus”, welche die Gestaltung, Akzeptanz und Umsetzung verschiedener verkehrspolitischer Maßnahmen und Vorhaben schwierig machen. Trotz politischer Beschlüsse und Zielsetzungen werden notwendige Maßnahmen nicht ergriffen oder ihre Umsetzung nicht aktiv vorangetrieben. Das Ergebnis dieses Verschleppens oder des gänzlichen Ausbleibens politischen Handelns sind Gestaltungsdefizite, welche bspw. im Bereich der Luftreinhaltung oder des Klimaschutzes auch in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen werden.

Im Paper “Why sustainable transport policies will fail: EU climate policy in the light of transport taboos” haben Stefan Gössling und Scott Cohen im Jahr 2014 zehn Tabus identifiziert, die auf europäischer Ebene Klimaschutzaktivitäten im Verkehrsbereich behindern. Als Tabu verstehen sie eine Verletzung von Normen, welche die Gefahr birgt, dass der oder die ÜbeltäterIn an den politischen Rand gedrängt wird und politisch “stirbt”. Sie verhindern daher signifikante verkehrspolitische Veränderungen.1

Verkehrspolitische Tabus wirken anders als strukturelle, wirtschaftliche, technische oder verhaltensbedingte Hürden. Sie können nicht durch Überzeugen oder eine machtpolitische Mehrheitsbeschaffung umgangen werden. Vielmehr gefährdet die politische Adressierung einzelner Tabus die Integrität und Stellung des Normverletzers in seinem jeweiligen Umfeld sowie in der breiten Öffentlichkeit und Gesellschaft.2 Dies betrifft in Deutschland beispielsweise das allgemeine Tempolimit auf Autobahnen, zu dem sich ein gewisser Teil des politischen Spektrums nicht offen bekennen wird.

Gössling und Cohen haben zehn Tabus zusammengestellt, die in ihrer Wahrnehmung auf EU-Ebene insbesondere im Bereich des Straßen- und Luftverkehrs eine Rolle spielen. Die Liste ist jedoch nicht abschließend.

Keine glaubwürdigen Strategien zur Verkehrsvermeidung

Absehbares Verkehrsmengenwachstum wird politisch nicht adressiert, eine Verringerung des Verkehrsaufkommens weder durch Zielsetzungen noch Strategien und Maßnahmen aktiv verfolgt. Ein wirksamer integrierter Mix aus marktbasierten, ordnungsrechtlichen sowie weichen politischen Maßnahmen zur Minderung des Verkehrsaufkommens wird in keinem EU-Mitgliedsstaat angewendet.3 Der Fokus liegt vielmehr auf technischen Fortschrittserwartungen und einem “klimaneutralen” Wachstum. “Dieser technologische Optimismus wird durch kein Verkehrsszenario gestützt, die vielmehr auf eine signifikante Lücke zwischen Emissionsentwicklung und Minderungszielen hinweisen. Auch wenn offensichtlich ist, dass es diese Lücke gibt und eine plausible Strategie, diese zu schließen, fehlt, wird dies in politischen Kreisen weitgehend nicht angesprochen. Eine Schließung dieser Lücke würde grundlegende Veränderungen in den neoliberalen Verkehrsstrukturen erfordern, welche Mobilitätswachstum zum Ziel haben.”4

Der Beitrag Einzelner und bestimmter Gruppen zum Verkehrsaufkommen wird falsch wahrgenommen

In der allgemeinen Wahrnehmung wird häufig angenommen, dass eine Gesellschaft in einem ähnlichen Maße mobil ist. Dies ist jedoch eine Fehlwahrnehmung. In Realität erzeugt eine kleine Gruppe hochmobiler Menschen – meist aus höheren Einkommensklassen – einen hohen Anteil der Gesamtverkehrsaufwände und der damit verbundenen Emissionen. Gössling und Cohen verweisen auf schwedische Männer mit einem Einkommen über 27.800 Euro pro Jahr, die drei Mal so viel Energie für Pkw-Fahrten aufwenden wie Männer mit einem Jahreseinkommen zwischen 9.300 und 13.900 Euro.5 Männer, die in die höchste Einkommensgruppe fallen, fahren 13 % mehr als Frauen in derselben Einkommensgruppe.

Dieser Effekt ist im Luftverkehr noch größer: 5 % der französischen Bevölkerung verantworten etwa 50 % der gesamten Flugdistanzen. In einer schwedischen Untersuchung entfielen auf elf Vielflieger (3,8 % der Stichprobe) 28 % der Flüge.6 Bei einer Befragung von Touristen in Sansibar (Tansania) hatten die zehn Befragten mit den meisten Flügen über zwei Jahre im Schnitt 180.000 Personenkilometer pro Person zurückgelegt.7 Dieser kleinen Gruppe von Menschen mit einer Vielzahl von Flügen im Jahr steht der Großteil der Weltbevölkerung gegenüber: etwa 97 – 98 % der Erdbevölkerung nimmt am internationalen Luftverkehr nicht teil.8

Ein vergleichsweiser kleiner Teil der Weltbevölkerung verantwortet einen vergleichsweise großen Anteil des Verkehrsaufkommens und einen noch größeren Anteil am Energieverbrauch und an den Emissionen des Verkehrs, da Hochmobile energieintensivere Verkehrsarten nutzen. Das Fliegen sowie das häufige Fahren mit leistungsstarken Autos ist weitgehend eine Domäne reicher Menschen, mit klaren Zusammenhängen zwischen Einkommen und Mobilitätsverhalten. Gleichzeitig ist diese Gruppe häufig politisch gut vernetzt und kann sich politisch artikulieren.

Ein Phänomen ist in diesem Zusammenhang das Entstehen einer neuen Nachhaltigkeitselite, die ökologisch sensibilisiert ist, aber dennoch große Distanzen mit dem Flugzeug zu Freizeitzwecken zurücklegt.

Hochmobile und ökologisch sensibilisierte Reisende neigen nicht zu einer Anpassung ihres Mobilitätsverhaltens

Verschiedene Studien haben bei hochmobilen Menschen eine stark begrenzte Bereitschaft zur Veränderung ihres Mobilitätsverhaltens festgestellt.9,10 Dies betrifft sowohl den Umfang wie auch die damit verbundenen Privilegien (Economy statt First Class, u.ä.). Selbst die umweltbewusstesten – und oft auch aktivsten – Reisenden scheinen nicht bereit zu sein, das Reiseverhalten zu ändern.11,12

Ein großer Teil von Reisen folgt keinem spezifischen Zweck

Die allgemeine Wahrnehmung, dass alle Wege und insbesondere Reisen notwendig sind, ist verzerrt. Auch wenn es schwer ist, spezifische individuelle Gründe für eine Reise oder die Wahl eines Ziels zu werten, ist dies auf einer allgemeinen Ebene nachvollziehbar: es gibt Unterschiede zwischen der Fahrt zur Arbeit und der Wochenendfahrt ins Grüne, zwischen einem Familienbesuch und einem Wochend(feier)ausflug oder zwischen einem längeren Jahresurlaub und dem Fernreise-Kurzurlaub (sog. breakneck breaks).

Eine Untersuchung von Nilsson aus dem Jahr 2009 kam zu dem Ergebnis, dass über 60 % der Nachfrage nach Flugreisen mit Low-Cost-Carriern (Billigfluggesellschaften) induziert sei. Die Reiseabsicht hat ihren Ursprung nicht in einem besonderen Grund, sondern nur in der Tatsache, dass der Flug zu diesem Ziel zu einem besonders günstigen Preis angeboten wird.13 Was machen wir an diesem Wochenende? Lass mal kurz nach London fliegen, das kostet auch nur 13 Euro pro Person. Ähnliche Wirkung haben All You Can Fly Passes oder die Sicherung des Statuslevels in Vielfliegerprogrammen. Am Jahresende kommt es zu sogenannten mileage runs, bei denen Vielflieger bestimmte Strecken mit dem einzigen Zweck fliegen, Punkte zur Statussicherung oder Erreichung der nächsten Statusstufe zu erhalten.14

Bei Pkw stehen die Größe und Leistung des Autos oft in keinem Zusammenhang mit den Verkehrsbedürfnissen. Viele Fahrten sind möglicherweise nicht notwendig (z.B. Rundfahrten, Autofahrten zum Sport).

Ein signifikanter Anteil von Pkw-Fahrten und Flügen besitzt eine geringe Notwendigkeit und Dringlichkeit. Die Frage, ob statusbezogene Reisen, die für das persönliche Wohlbefinden unternommen werden, gegen den Verlust von Lebensgrundlagen durch den Klimawandel in Entwicklungsländern, aufgerechnet werden können, ist schwierig zu beantworten. Gleichwohl fehlt auf politischer Ebene die Diskussion dieser Zusammenhänge. Es existiert das Tabu, “unnötige” Reiseentscheidungen zum rein persönlichen Vorteil offen in Frage zu stellen, da das Risiko gesehen wird, als Gegner einer Mobilitätsfreiheit von Menschen wahrgenommen zu werden.

Marktbasierte Maßnahmen belasten vor allem ökonomisch schwächere Menschen

Marktbasierte Maßnahmen wirken häufig sozial unausgewogen. Die Betroffenheit ärmerer Einkommensgruppen ist oftmals stärker als bei höheren Einkommensgruppen. Letztere erhalten im Verhältnis zu ihrem Einkommen selten Preissignale in einer Höhe, dass bei ihnen eine Verhaltensänderung angeregt wird.15

Das Problem besteht bspw. bei Bußgeldern für Verkehrsverstöße, die nominal für alle Einkommensgruppen identisch sind, jedoch nach Einkommenshöhe gestaffelt unterschiedliche Wirkung entfalten. Ein ähnlicher Effekt tritt bei Kraftstoffsteuern auf: Menschen mit hohem Einkommen, die sich schwere, stark motorisierte, große Fahrzeuge leisten können, werden aufgrund des höheren Kraftstoffverbrauchs nominal stärker belastet. Im Verhältnis zu ihrem Einkommen ist die zusätzliche Steuerbelastung jedoch marginal und reicht nicht aus, um Anreize zum Kauf kleinerer und schwächer motorisierter Fahrzeugen zu setzen. Gleichzeitig werden ärmere Menschen, die bereits jetzt aus finanziellen Gründen ein kleineres, sparsames Fahrzeug fahren, proportional stärker belastet und können aufgrund ihrer höheren Mobilitätsausgaben in finanzielle Schwierigkeiten geraten.16 Wirkungsvoller und gerechter wäre es, über ein Bonus-Malus-System aus Zulassungssteuern und Fördermitteln, den Kauf schwerer, hochmotorisierter Fahrzeuge zu verteuern und die Einnahmen zur Förderung neuer, kleinerer, umweltfreundlicher Fahrzeuge zu verwenden. Da Limousinen, Sportwagen, schwere SUV, u.ä. über ihre Nutzungszeit vergleichsweise viele Emissionen emittieren und aufgrund ihrer Preisstruktur von ärmeren Haushalten sowieso nicht erworben werden können, würde eine Zulassungssteuer auch bei Haushalten mit hohem Einkommen eine Lenkungswirkung entfalten und zugleich sozial gerecht sein. Ärmere Haushalte könnten über entsprechende Fördermechanismen befähigt werden, Fahrzeuge mit aktueller Umwelttechnik zu erwerben.

Die Frage sollte daher lauten, ob die vorgesehenen preisgestützten Maßnahmen, Menschen mit einer überproportionalen Inanspruchnahme von Ressourcen und einem THG-Fußabdruck, also insbesondere die Gruppe der Hochmobilen, davon überzeugen, weniger zu fahren oder andere Verkehrsmittel zu benutzen. Viele Maßnahmen berücksichtigen die einzelnen individuellen Beiträge zu den verkehrsbedingten Emissionen nicht. Die Bedeutung von Einkommens- und Vermögensunterschieden auf das Verkehrsverhalten wird ebenfalls nicht bedacht bzw. bleibt in der öffentlichen bzw. politischen Diskussion außen vor.

Energieintensive Verkehrsarten werden steuerlich am geringsten belastet und am stärksten gefördert

Im Luftverkehr und teilweise auch im Kfz-Verkehr existieren eine Vielzahl marktverzerrender Steuerbegünstigungen und direkter Beihilfen. Dies betrifft bspw. die nicht-existente Kerosinsteuer, die umsatzsteuerliche Begünstigung internationaler Flüge, aber auch direkte Beihilfen für Fluglinien und Regionalflughäfen. Viele Kommunen tragen die Verluste der örtlichen regionalen Flughäfen und versuchen, über besonders niedrige Landeentgelte oder andere beihilferechtlich zulässige Maßnahmen Fluggesellschaften anzulocken.17

Der Straßenverkehr wird u.a. über die Energiesteuervergünstigung für Dieselkraftstoff, die pauschale Besteuerung privat genutzter Dienstwagen oder die Mautharmonisierung (deutsche Speditionen erhalten Förderung als finanzielle Entlastung für die Lkw-Maut) finanziell gefördert. Hinzu kommen externe Kosten in Milliardenhöhe, die durch die einzelnen Verkehrsarten bzw. Verkehrsträger nicht internalisiert und der Gesellschaft angelastet werden.18 Die finanziellen Auswirkungen dieser Externalisierung, der fehlenden Belastungen und gewährten Entlastungen im Verkehrssektor wird in politischen Kreisen nicht diskutiert oder gar in Einklang mit übergeordneten Zielen gebracht.

Lobbyismus beeinflusst und verwässert verkehrspolitische Entscheidungen

Verschiedene Interessengruppen nehmen auf politische Entscheidungen Einfluss bzw. versuchen, diese in ihrem Sinne zu beeinflussen. Betroffen sind hiervon unter anderem Investitionsentscheidungen, Steuern, aber auch das regulative Umfeld und das Ordnungsrecht.

Zur Verhinderung von Rechtsvorschriften zum Zweck des Klimaschutzes werden bspw. der Nutzen des jeweiligen Sektors für die Gesellschaft, sein vergleichsweise geringer Beitrag zum Klimawandel, relative Verbesserungen der Umweltleistung in der Vergangenheit sowie ein positiver Ausblick auf zukünftige technologische Lösungen hervorgehoben.19 Neben direkter politischer Einflussnahme wird das öffentliche Meinungsbild durch PR-Kampagnen beeinflusst, die wiederum einen Einfluss auf politische Entscheidungen haben. Mitunter wird hierbei auf grundlegende Menschenrechte, die Freiheit des Einzelnen oder das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit verwiesen.

Bei der Beeinflussung konkreter Entscheidungen bilden sich oftmals Allianzen, die aus verschiedenenen Richtungen und mithilfe unterschiedlicher Argumentationen wirken.20 Während die betroffenen Unternehmen – oftmals in Verbänden organisiert – vor allem mit wirtschaftsnahen Politikvertreter*innen kommunizieren, verweisen Gewerkschaften öffentlichkeitswirksam auf die zahlreichen negativen Auswirkungen auf die Arbeitnehmerschaft und die damit verbundenen sozialen Folgen. Weitere Akteure sind bspw. mitgliederstarke Automobilclubs, welche Belastungen und Einschränkungen für Straßenverkehrsteilnehmer*innen vermeiden möchten.

Zur Verhinderung von EU-Gesetzgebung kann es aus Akteurssicht sinnvoll sein, den Fokus auf wirtschaftlich schwächere Länder mit entsprechender Industrie zu legen. Da im Rat der Europäischen Union in den meisten EU-Politikfeldern Entscheidungen mit doppelter Mehrheit beschlossen werden müssen, kann eine entsprechend große Gruppe eine Sperrminorität ausüben bzw. eine Abschwächung industriekritischer Positionen erreichen. Da die Positionen, die ein EU-Mitgliedsstaat im Rat vertritt, nur selten öffentlich bekannt werden, können Lobbyisten auf nationaler Ebene Einfluss auf Politiker und so im Hintergrund auch auf die Entscheidungen des Rates nehmen.

Schlüsselthemen für klimaschonende Verkehrssysteme werden weiterhin ignoriert

Laut Gössling und Cohen gibt es mehrere Maßnahmen, die allgemein als wichtig für die Reduzierung der Verkehrsemissionen angesehen werden. Für Autos sind dies Geschwindigkeitsbegrenzungen, aber auch Staugebühren und Mautgebühren/Vignetten. Geschwindigkeitsbegrenzungen reduzieren Emissionen auf verschiedene Weise. Erstens erfordern reduzierte Geschwindigkeiten einen geringeren Energieaufwand, zweitens wird der Verkehrsfluss gleichmäßiger und drittens ergibt sich eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit anderer Verkehrsträger, wie z.B. Züge.

Als Beispiel führen sie die Diskussionen um ein allgemeines Tempolimit auf deutschen Autobahnen an. Eine allgemein zulässige Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h im Autobahnnetz würde die Treibhausgasemissionen des Pkw-Verkehrs um 2,2 Mt CO2 reduzieren.21 Dies entspricht etwa zwei Prozent der Emissionsmenge.22 Dieser primäre Reduktionseffekt würde durch weitere Sekundäreffekte verstärkt werden. Wenn Fahrzeuge gewisse Geschwindigkeitsbereiche nicht mehr erreichen, können Motoren für niedrigere Geschwindigkeitsklassen optimiert werden. Zudem können leichtere Fahrzeuge mit geringer dimensionierten Bremsanlagen und Reifen konstruiert werden. Diese Fahrzeuge entfalten die Einspareffekte über alle Straßenkategorien, eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen hat somit weitergehende Wirkung.

Mobilitätsmuster bilden das Gefüge der heutigen Gesellschaften ab

Mobilitätsmuster in der EU sind auch das Ergebnis kultureller Praktiken und sozialer Normen, an denen Technologie, Wissensstrukturen und Emotionen beteiligt sind.23 Insbesondere Autos und Flugzeuge haben Lebensstile, Beziehungen, Gemeinschaften, Arbeits- und Freizeitmuster hervorgebracht, die Verhalten und Identität beeinflussen.24 Menschen werden bereits im Kindesalter mit bestimmten Mobilitätsmustern und Wertigkeiten sozialisiert.25 So gilt häufiges Fliegen als wünschenswert und glamourös und wird durch das Marketing der Fluggesellschaften auch entsprechend positioniert. Automobilhersteller bewerben insbesondere hochmotorisierte Fahrzeuge und einen automobilzentrierten Lebensstil, der Abenteuer und Freiheit verspricht.

Die sozialen Mechanismen, durch die Mobilität von Gesellschaften verherrlicht wird, und die psychologischen Funktionen eines hochmobilen Lebens, be- und verhindern politische Eingriffe. Das Verständnis von mobiler Freiheit geht oftmals über das eigentlich Notwendige hinaus. Daher müssten Maßnahmen zur Emissionsreduzierung neue unkonventionelle Instrumente einbeziehen, wie z.B. Verbote kommerzieller Werbung und der Verherrlichung von Fahrzeugen mit hohem CO2-Ausstoß sowie bestimmter Arten von CO2-intensivem Verkehr in städtischen Gebieten.

Aufkommende gesellschaftliche Strukturen werden ignoriert

Szenarien, die ein zukünftiges Wachstum des Verkehrsaufkommens prognostizieren, dürften Veränderungen in den gesellschaftlichen Strukturen und Motivationen für Reisen, die sich zunehmend auf die Pflege sozialer Netzwerke konzentrieren, nicht vollständig berücksichtigen. Dazu gehören Familienstrukturen, die durch Single-Haushalte, getrennte Wohnungen, Patchwork-Familien, multilokale Lebensstile (saisonal), interkulturelle Beziehungen über Länder und Kontinente hinweg sowie globale Freundschafts- und Familienstrukturen oder Bewegung für die Arbeit geprägt sind.26,27 Es ist unklar, wie diese neuen sozialen Muster das Mobilitätsverhalten in Zukunft beeinflussen werden. Da ein Großteil dieser Reisen jedoch als notwendig angesehen wird, ist es schwierig, diese Entwicklung zu kanalisieren oder zu beeinflussen. Gleichwohl bedeutet dies, dass Klimaschutzanstrengungen im Verkehrsbereich ein Verkehrsmengenwachstum insbesondere im internationalen Luftverkehr gegenübersteht, welches kontraproduktiv bei der Erreichung der Klimaschutzziele ist.

Fazit

Gösslings und Cohens These der Verkehrstabus, welche die Debatte um tiefgreifende Veränderungen im Verkehrsbereich und politische Interventionen be- bzw. verhindern, klingt zunächst nachvollziehbar. Die Ursachen für fehlende Erfolge einer ökologisch-sozialen Verkehrspolitik liegen nicht nur in fehlenden politischen Mehrheiten, sondern tiefgreifender. Zur Erreichung systemischer Veränderungen erscheint es notwendig zu sein, diese Tabus offen anzusprechen und eine politische Diskussion anzustoßen. Nicht alle Themen werden hierbei auflösbar sein. Eine höhere Transparenz über Verursacher und Belastungen kann jedoch dabei helfen, die öffentliche Diskussion auf eine andere, zielgerichtetere und somit effektivere Ebene zu heben.

Verweise

  1. Gössling, S. & Cohen, S. (2014). Why sustainable transport policies will fail: EU climate policy in the light of transport taboos. Journal of Transport Geography, 39, S. 198
  2. Gössling, S. & Cohen, S. (2014). Why sustainable transport policies will fail: EU climate policy in the light of transport taboos. Journal of Transport Geography, 39, S. 198
  3. Hill, N., Brannigan, C., Smokers, R., Schroten, A, van Essen, H., Skinner, I. (2012). EU Transport GHG: Routes to 2050. Final Report.
  4. Gössling, S. & Cohen, S. (2014). Why sustainable transport policies will fail: EU climate policy in the light of transport taboos. Journal of Transport Geography, 39, S. 200
  5. Carlsson-Kanyama, A., Lindén, A.-L. (1999). Travel patterns and environmental effects now and in the future: implications of differences in energy consumption among socio-economic groups. Ecol. Econ. 30, S. 405–417.
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  14. Gössling, S. und Nilsson, J.H. (2010). Frequent Flyer Programmes and the Reproduction of Mobility. Environment and Planning A, 42: 241-252.
  15. Gössling, S. & Cohen, S. (2014). Why sustainable transport policies will fail: EU climate policy in the light of transport taboos. Journal of Transport Geography, 39, S. 201
  16. Gössling, S. & Cohen, S. (2014). Why sustainable transport policies will fail: EU climate policy in the light of transport taboos. Journal of Transport Geography, 39, S. 201f.
  17. Gössling, S. & Cohen, S. (2014). Why sustainable transport policies will fail: EU climate policy in the light of transport taboos. Journal of Transport Geography, 39, S. 202
  18. Gössling, S. & Cohen, S. (2014). Why sustainable transport policies will fail: EU climate policy in the light of transport taboos. Journal of Transport Geography, 39, S. 202
  19. Brulle, R.J. (2013). Institutionalizing delay: foundation funding and the creation of U.S. climate change counter-movement organizations. Climatic Change.
  20. Douglas, M.J., Watkins, S.J., Gorman, D.R. und Higgins, M. (2011). Are cars the new tobacco? Journal of Public Health 33(2): 160-169.
  21. Umweltbundesamt (UBA) 2010. CO2-Emissionsminderung im Verkehr in Deutschland. Dessau-Roßlau.
  22. ebd.
  23. Sheller, M. und Urry, J. (2006). The new mobilities paradigm. Environment and Planning A 28(2): 207-226.
  24. Schwanen, T., Banister, D. und Anable, J. (2012). Rethinking habits and their role in behaviour change: the case of low-carbon mobility. Journal of Transport Geography, 24, 522-532.
  25. Sheller, M. (2004). Automotive emotions: Feeling the car. Theory, Culture and Society 21(4/5), 221-245.
  26. Beck, U. und Beck-Gernsheim (2014). Distant Love. Polity Press: Cambridge.
  27. UNWTO. (2012). UNWTO Tourism Highlights. 2012 Edition. Madrid: United Nations World Tourism Organization.
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Randelhoff Martin

Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
Ist interessiert an innovativen Konzepten zum Lösen der Herausforderungen von morgen insbesondere in den Bereichen urbane Mobilität, Verkehr im ländlichen Raum und nachhaltige Verkehrskonzepte.

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