Die Steigerung des Besetzungsgrads von Fahrzeugen – insbesondere von Pkw – gilt als ein Mittel, die negativen Effekte von Verkehr zu verringern. Durch eine Steigerung der Auslastung lässt sich eine größere Zahl von Ortsveränderungen mit weniger Fahrten bzw. einer geringeren Fahrleistung durchführen, das Verkehrsaufkommen und die damit zusammenhängenden Emissionen und Belastungen sinken. Die Erhöhung des Besetzungsgrades ist bereits heute das Ziel von Fahrdiensten mit Ridepooling-Funktionen, perspektivisch sollen geteilte automatisierte Fahrzeuge privaten Pkw-Besitz in urbanen wie ländlichen Räumen obsolet machen und die Zahl der Pkw auf den Straßen verringern. Ergebnis wäre ein ähnliches Mobilitätsniveau mit einem geringeren Ressourceneinsatz und Flächenbedarf. Startups wie Zoox stellen für diesen Zweck bereits Fahrzeugkonzepte mit dem Slogan “A vehicle built for riders, not drivers” vor.
Der Erfolg der geplanten automatisierten Fahrdienstangebote mit Poolingcharakter hängt neben der Lösung geometrischer Probleme in hohem Maße auch von der Akzeptanz der potentiellen Nutzer:innen ab. Jene Angebote, bei denen nach Bewertung der Nutzer:innen die eigenen Vorteile die eigenen Nachteile überwiegen, werden sich “von selbst” am Markt durchsetzen; Verkehrsangebote, bei denen die Wahrnehmung eine andere ist, benötigen für eine Anwendung abseits der Nische entsprechende Rahmenbedingungen.
Eine Befragung von Jabbari und MacKenzie (2020), welche untersucht haben, wie sich die Einstellung von US-Amerikaner:innen hinsichtlich geteilter Fahrten während der COVID19-Pandemie verändert hat, liefert interessante Hinweise hinsichtlich der Akzeptanz vor und während des Pandemiegeschehens.1 Wenngleich die Verallgemeinerbarkeit aufgrund der Zahl der 2019 und 2020 befragten Personen2 (n = 219) nur bedingt gegeben und eine Übertragbarkeit auf Europa aufgrund möglicher Kulturunterschiede begrenzt sein dürfte, sind die Ergebnisse dennoch interessant.
Eine Frage zielte darauf ab, wie sich die Teilnehmer fühlen, wenn sie eine Fahrt mit Fremden teilen. Das allgemeine Gefühl war sowohl vor als auch während der Pandemie “unbehaglich”. Die beobachteten geringfügigen Verschiebungen von “leicht unangenehm” zu “unangenehm” sind basierend auf einem Wilcoxon Signed-Rank-Test (p = 0,4) statistisch nicht signifikant. Die Befragten fühlten sich bereits vor der Pandemie unwohl, wenn sie Fahrten mit Fremden teilten. Dies hat sich durch die Pandemie nicht geändert.
Die Zustimmung zur Aussage “Ich versuche, Transportmöglichkeiten zu nutzen, die es mir ermöglichen, den Kontakt mit anderen Menschen zu vermeiden.” war bereits vor der COVID19-Pandemie hoch und hat sich während des Pandemiegeschehens entsprechend der Empfehlungen in statistisch signifikantem Ausmaß in Richtung einer zustimmenden Haltung verschoben.
Die Bereitschaft, eine Fahrt aus monetären Gründen mit anderen zu teilen, fand vor der Pandemie bei einer Mehrheit der Befragten Zustimmung. Während der COVID19-Pandemie gab es eine statistisch signifikante Verschiebung von Zustimmung zu Ablehnung. Die befragten Personen waren grundsätzlich bereit, Fahrten zu teilen, um Geld zu sparen (= persönlicher Nutzen), diese Nutzenbewertung hat sich während der Pandemie aufgrund der Umstände jedoch verändert.
Anhand der Daten konnten Jabbari und MacKenzie erkennen, dass sich die Befragten schon vor der Pandemie unwohl dabei fühlten, Fahrten mit anderen zu teilen. Dies hat sich nicht wesentlich geändert. Was sich geändert hat, ist, dass die Befragten jetzt weniger bereit sind, dieses Unbehagen beiseite zu schieben, um Geld zu sparen.
Ein nicht unbedeutender Teil der Befragten stand dem Teilen von Fahrten auch vor dem Pandemiegeschehen skeptisch bis ablehnend gegenüber. Dies äußerte sich bislang in einer Nichtnutzung des klassischen ÖPNV, kann aber unter gewissen Umständen auch für Fahrdienste gelten. Rahn (2012) kam für den Berliner ÖPNV zu dem Ergebnis, dass die Pkw-Nutzung von Bewohner:innen des Berliner Umlandes unter anderem vom Wunsch motiviert war, auf keine anderen Menschen im ÖPNV zu treffen.3 Im Gegensatz zum öffentlichen Verkehr bietet der privat besessene Pkw die Möglichkeit der Kontrolle des sozialen Umfelds im öffentlichen Raum. Urry (2006) zieht hierbei den Vergleich zum Eigenheim, bei welchem durch die Hauseigentümer:innen ebenfalls kontrolliert werden kann, wer in ihr privates Umfeld gelassen wird.4 Autofahrer:innen möchten hierbei sozialer Interaktion nicht zwingend aus dem Weg gehen, häufig ist die Austauschbeziehung im Auto intensiver als im ÖPNV (Beispiel: Mutter-Kind-Interaktion, Gespräche zwischen Freund:innen), sondern sie möchten die Kontrolle über ihr soziales Umfeld behalten. Viele Menschen begrüßen es, unterwegs zu sein, ohne mit Vielfalt (andere soziale Klassen, Ethnien, etc.) in Berührung zu kommen. Dies zeigt sich besonders in Städten, die durch ein hohes Maß an Segregation und sozialer Ungleichheit gekennzeichnet sind.5
Verkehrsmittelwahlentscheidungen sind das Ergebnis eines komplexen Prozesses bestehend aus objektiven Kriterien und subjektiven Einstellungen und Entscheidungen. Mit einer weiteren Verbreitung von Poolingoptionen kommt neben der Entscheidung für ein bestimmtes Verkehrsmittel die Option hinzu, die jeweilige Fahrt geteilt oder privat durchzuführen. Bislang fehlen jedoch Erfahrungswerte und Daten über die Akzeptanz zum Teilen von Fahrten mit Fremden und den jeweiligen Interaktionsraten. Ebenfalls ist derzeit der Anteil der Bevölkerung nicht abschätzbar, der aktiv private Fahrten mit dem Pkw durch geteilte Fahrten bei Fahrdiensten substituiert. Es steht zu vermuten, dass auch zukünftig ein nicht kleiner Teil der Bevölkerung die Möglichkeit geteilter Fahrten für sich persönlich ausschließt.
Eine Folge könnte sein, dass die Poolingquote auch zukünftig relativ niedrig bzw. niedriger als in vielen Modellierungen und Simulationen unterstellt bleibt. Dies gilt auch für Szenarien mit autonomen Robotaxis, bei denen die Eingriffsmöglichkeiten durch die heutzutage fahrenden Fahrer:innen wegfallen würden. Eine andere Option wäre eine Ausdifferenzierung verschiedener Poolingangebote nach gewissen Kriterien. Anbieter mit einem Fokus auf ökonomisch leistungsfähige Haushalte könnten bspw. andere soziale Gruppen aus ihrem Angebot auspreisen. Dies würde jedoch die soziale wie ethnisch-kulturelle Segregation in Städten weiter verschärfen. In diesem Kontext wäre zudem zu diskutieren, wie in einer solchen Welt die Daseinsvorsorgefunktion des öffentlich finanzierten öffentlichen Verkehrs funktionieren kann und welche Qualitäten dieser bietet. Eine höhere Poolingquote im Verkehr kann verkehrliche Probleme lösen, dürfte aber neue hervorbringen. Durch eine entsprechende proaktive Ausgestaltung der Rahmenbedingungen könnte man gewisse Entwicklungen antizipieren und Fehlentwicklungen vorbeugen.
Verweise
- Jabbari, Parastoo und MacKenzie, Don (2020): Ride Sharing Attitudes Before and During the COVID-19 Pandemic in the United States. Findings, November. https://doi.org/10.32866/001c.17991 ↩
- Durchschnittsalter 38 Jahre, Median 36 Jahre; Haushaltseinkommen: 40.000 – 60.000 USD; 55 % männlich, 45 % weiblich; 77 % Vollzeitbeschäftigte; Wohnort in größeren Ballungsräumen und kleineren Städten ↩
- Rahn, Cornelia (2012): Suburban Daily Mobility – between Freedom and Sustainability. 32nd International Geographical Congress, Session: Global Challenges & Local Responses , 26. – 30. Aug. 2012, Köln. (nicht veröffentlicht) ↩
- Urry, John (2006): Inhabiting the Car. Sociological Review 54 (s1), S. 17–31, S. 27 ↩
- Henderson, Jason (2006): Secessionist Automobility: Racism, Anti-Urbanism, and the Politics of Automobility in Atlanta, Georgia. International Journal of Urban and Regional Research 30 (2), S. 293–307, S. 297 ↩
Letztlich spiegeln solche Ergebnisse die tief verankerten Vorurteile und Ängste anderen Menschen gegenüber in unserer Gesellschaft wider.
Dabei kann gerade Ridepooling eine Brücke schlagen, um in Kontakt mit Menschen jenseits der eigenen Blase zu kommen. Wäre ja irgendwie schön, wenn Mobilität mehr als nur die Bewegung von A nach B beinhaltet sondern auch eine gesellschaftliche Komponente wahrnimmt.
Ernüchternde Zahlen. Interessant wäre zu verstehen, wovon die Bereitschaft Fahrten zu teilen abhängt (u.a. Unterschied Carpool/ÖPNV-Nutzer vs. Nicht-Nutzer) und wie sie sich erhöhen lässt. Inwiefern kann die Innenraumgestaltung der Fahrzeuge die Einstellung beeinflussen, wie es z.B. MOIA mit ihren Fahrzeugen versucht: https://www.moia.io/de-DE/blog/tech-crunch?