Öffentlicher Personennahverkehr Straßenverkehr Telematik, Apps und IKT Zukunft

Was passiert eigentlich, wenn das Auto den ÖPNV als bessere Alternative vorschlägt?

Apple und Google setzen erneut zum Sprung an. Nach Smartphones stehen nun die Bedienoberflächen in Fahrzeugen im Fokus. Mit iOS 7 kündigte Apple im Juni 2013 “iOS in the Car” an, welches sich über das Basis-Betriebssystem des Fahrzeugs legen soll. Ziel ist der direkte Zugriff auf iOS-Funktionalitäten über das Infotainmentsystem des Fahrzeugs. Neben Musik, Telefonie und dem Vorlesen und Verfassen von Textnachrichten soll auch die Navigation über das Smartphone erfolgen.

Zu Beginn des Jahres 2014 hat Google nachgezogen und mit Audi, General Motors, Honda, Hyundai und dem Chiphersteller NVIDIA die Open Automotive Alliance (OAA) gegründet. Ziel des Konsortiums ist die Implementierung der Android-Plattform in Fahrzeugen bis Ende des Jahres 2014. Auch bei Android steht die Navigation stark im Fokus.

2012 veröffentlichte Google die erweiterte Google Search App “Google Now“. Die Anwendung soll als intelligenter persönlicher Assistent für Googles Android und Apples mobiles Betriebssystem iOS (veröffentlicht am 29. April 2013 für iOS) dienen. Google Now ist derzeit in den Funktionen – insbesondere außerhalb der USA – noch etwas eingeschränkt. Dieser Zustand dürfte sich aber schrittweise bessern. Hinzu kommt, dass mit zukünftigen Android-Versionen die Integration von Google Now in Android-Smartphones verbessert werden dürfte.

Für die iOS-Plattform soll Siri die Rolle der persönlichen Assistentin übernehmen und dürfte in Zukunft ebenfalls kontext-, zeit- und ortsabhängige Informationen liefern.

Ein wichtiger Baustein ist dabei stets die Navigation. Aus Kalenderdaten, dem aktuellen Standort und vorhandenen Kontakten werden im Hintergrund automatisiert Routen berechnet und – soweit möglich – mit Echtzeit-Verkehrsdaten optimiert. Die Akquisition der Navigationslösung Waze dürfte die Datengrundlage bei Google Maps weiter verbessern.

Waze Livemap Screenshot
Screenshot der Waze Livemap

Waze sammelt anonymisiert Daten über Ort und Geschwindigkeit der Nutzer und gibt diese über eine Datenbank an die anderen Nutzer weiter. Zusätzlich zu den üblichen Funktionen von Navigationssystemen können die Anwender neben der Aufzeichnung und Bearbeitung von Straßenverlauf, Hausnummern und Orten auch Verkehrsunfälle, erhöhtes Verkehrsaufkommen und auch Fotos von Unfällen an den Waze-Server senden und dadurch unmittelbar an die anderen Nutzer weitergeben. Informationen stehen somit nahezu in Echtzeit zur Verfügung.

iOS und Android im Fahrzeug – Nicht nur für die Automobilindustrie eine Chance

Das Mobilitätsverhalten wandelt sich von monomodal zu multimodal. Statt nur ein Verkehrsmittel zu nutzen, werden mehrere Verkehrsarten als gleichwertig angesehen und die Verkehrsmittelwahl je nach Wegezweck und äußeren Einflussgrößen (Wetter, Gepäck, usw.) getroffen.

Öffentliche Verkehrsunternehmen setzen große Hoffnung in diesen Wandel. In diversen Forschungsprojekten werden möglichst unkomplizierte, d.h. vor allem schnittstellenarme Auskunftssysteme erprobt sowie Haltestellen und Netzknoten entsprechend umgestaltet. “Mobilitätsintegratoren” und “Mobilitätsdrehscheiben” spielen im Buzzword-Bingo eine große Rolle. Letzten Endes haben alle Anstrengungen jedoch das gleiche Ziel: Die Komplexität für den Fahrgast möglich weitgehend minimiert werden.

Das Eindringen von iOS und Android in das Innere eines Pkw bringt vollkommen neue und bisher ungeahnte Möglichkeiten!

In Zukunft werden Navigationslösungen nicht nur die Zeit für die Fahrstrecke berechnen, sondern aufgrund entsprechender Sensoren auch den Standort des dem Ziel nächstgelegenen freien Parkplatzes bzw. den durchschnittlichen Zeitaufwand einen freien Parkplatz zu finden. Ebenfalls dürften sich Parkgebühren mittelfristig dynamisieren, d.h. entsprechend der Nachfrage angepasst werden.

Bei einer Fahrt von außerhalb in den Innenstadtbereich prüft das Navigationsgerät in Echtzeit verschiedene Parameter wie Fahrtdauer, Stauprognose, Aufwand für die Parkplatzsuche, Parkgebühren, Verspätungen im ÖPNV, etc. und wird anhand dieser Daten eine Empfehlung aussprechen: “Bitte fahren Sie auf den nächsten Park & Ride-Parkplatz und nutzen Sie Linie 6. Sie sparen 13 Minuten und 2,30 €.”

iOS in the car Screenshot mit ÖPNV und Park and Ride Dresden
Bildmontage: P&R-Empfehlung in iOS in the Car am Beispiel Dresden. – Grafik: Mechlab Engineering – CC BY 2.0 DE

Die genaue Benennung des zeitlichen und monetären Vorteils dürfte für einen Teil der Autofahrer ein ausreichend großer Impuls sein, das Auto stehen zu lassen und auf den ÖPNV umzusteigen. iOS und Android in Fahrzeugen werden somit nicht nur dem Fahrzeuginsassen nützen, sondern auch dem öffentlichen Verkehr!

Voraussetzung dafür ist jedoch, dass Verkehrsunternehmen und Verkehrsverbünde heute die entsprechenden Voraussetzungen für ein solches Routing schaffen. Hierfür ist es von essenzieller Bedeutung, die IT-Systeme entsprechend anzupassen und Fahrplandaten über entsprechende Schnittstellen zur Verfügung zu stellen. Aufgrund der Entwicklungszyklen der Automobilindustrie werden noch mindestens drei Jahre vergehen, bis die fahrzeugseitigen Schnittstellen für Android und iOS zur Verfügung stehen. Man sollte sich aber durchaus bereits heute Gedanken über das Jahr 2017 machen. 

Bei einer möglichen Anpassung der Systeme sollte des Weiteren nicht vergessen werden: wegen des sehr hohen Marktanteils von Android und der Verfügbarkeit von Google Now auf den meisten Android-Smartphones, Tablets und zukünftig auch in Fahrzeugen dürfte die Bedeutung von GTFS bzw. GTFS-Realtime Daten in Zukunft weiter steigen. Die VDV-Schnittstellen 452 und VDV 453/4 werden in diesem Bereich mit aller Voraussicht keine Rolle spielen!

Neben Google, Apple und anderen beteiligten Großunternehmen sollten jedoch auch kleine unabhängige Entwickler die entsprechenden Daten nutzen dürfen (= offene Fahrplandaten). Bisherige Anwendungen fokussierten sich sehr stark auf die Fahrplan- und Verbindungsauskunft, die Verkehrsunternehmen gerne selber zur Verfügung stellen. Hierfür gibt es auch durchaus gute Gründe. Allerdings schwächt sich dieses Argument bei einer weiteren Verbreitung von Android und iOS in anderen Geräten immer weiter ab, da es unwahrscheinlich ist, dass ein Autofahrer während der Fahrt die Anwendung bzw. die mobile Webseite des Verkehrsunternehmens nutzt, um eine Fahrplanauskunft zu bekommen. Die nahtlose Systemintegration bringt eine Verbreitung mit sich, die keine Anwendung eines Verkehrsunternehmens jemals erreichen wird!

Stehen die entsprechenden Daten des Verkehrsunternehmens jedoch anderen Anwendungen, es muss sich dabei nicht einmal um eine verkehrsbezogene Anwendung handeln, zur Verfügung, werden in Zukunft neben dem Routing mit dem Pkw auch öV-Verbindung abgefragt werden. Denkbar sind beispielsweise Kalenderanwendungen, welche automatisch das optimale Verkehrsmittel mit der optimalen Route zwischen zwei Terminen ausgeben. Oder Stauwarner, die statt einer Umfahrung des Staus ÖPNV-Verbindungen als Alternative vorschlagen.

Eines ist klar: Google und Apple werden mit ihrem Vorstoß sicherlich nicht nur die Pkw-Entertainment-Systeme im Blick haben, sondern neue Nutzungsmöglichkeiten für ihre Kartenanwendungen suchen. Die Kreativität und die Ideen von Millionen von Designern, Entwicklern und Programmierern werden viele neue Impulse im Bereich In-Car-Information setzen.

Es dürfte für die Verkehrsunternehmen in Zukunft noch schwieriger werden, eine Mauer mit Burggraben um ihre Daten zu ziehen und die Fahrplandaten nicht über entsprechende Schnittstellen zur Verfügung zu stellen. Statt Daten “zu verschenken”, verschenkt man dann Potenzial. Potenzial in Form von Tausenden potenziellen Fahrgästen!

Anonymous

Randelhoff Martin

Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
Ist interessiert an innovativen Konzepten zum Lösen der Herausforderungen von morgen insbesondere in den Bereichen urbane Mobilität, Verkehr im ländlichen Raum und nachhaltige Verkehrskonzepte.

Kontaktaufnahme:

Telefon +49 (0)351 / 41880449 (voicebox)

E-Mail: randelhoff [ät] zukunft-mobilitaet.net

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Helmigo
Helmigo
30. Januar 2014 10:10

“Es dürfte für die Verkehrsunternehmen in Zukunft noch schwieriger werden, eine Mauer mit Burggraben um ihre Daten zu ziehen und die Fahrplandaten nicht über entsprechende Schnittstellen zur Verfügung zu stellen”

Tun sie das wirklich? Siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/HAFAS

Francis Doege
Francis Doege
Reply to  Helmigo
30. Januar 2014 11:49

HAFAS ist eine gute Sache und auch ein Schritt in die richtige Richtung, aber HAFAS ist meines Wissens nach nicht “Open Data” und somit nicht für jeden zugänglich. Der Nutzer ist somit wieder auf die Apps und Systeme der jeweiligen Verkehrsunternehmen angewiesen. Das ist sicher mit der Mauer gemeint.

Markus Koßmann
Markus Koßmann
Reply to  Randelhoff Martin
31. Januar 2014 09:36

Was spricht dagegen, das der Defizitausgleich durch die öffentliche Hand nicht auch die Kosten für die öffentliche Verfügbarmachung der Fahrplandaten enthält ?

Helmigo
Helmigo
Reply to  Randelhoff Martin
31. Januar 2014 23:28

Dass ein Verkehrsunternehmen Fahrplandaten vor seinen Kunden aus Konkurrenzgründen geheim hält, ist doch unglaubwürdig, wer behaupet so etwas? Die Übernahme eines Verkehrsdienstes kostet viele Mio Euro, das Ausforschen eines Fahrplans (inklusive Auslastungsdaten, Pünktlichkeit usw) ist im Vergleich dazu wenig aufwändig.
Fahrpläne müssen veröffentlicht werden, das ist gesetzlich vorgeschrieben. Die Gesetze stammen aber aus der Zeit, als es noch keine EDV gab. Unter dem Vorwand der Modernität wurden Kursbücher abgeschafft, ohne die elektronischen alternativen dazu ordentlich zu regeln.

Intermodale Routenplaner
Wenn Leute vom Auto umsteigen, wenn es auf der Straße Stau, Parkplatznot etc gibt, dann verkommt der ÖPV zur Flutmulde, was beim ÖPV die Kosten in die Höhe treibt und mM nicht erstrebenswert ist.
Der Rückzug des ÖPV aus zeit- und flächenmäßigen Randlagen wird von der Politik gerne mit intermodalen Verkehrskonzepten begründet. Für diejenigen, denen kein Auto zur Verfügung steht ist es die Intermadalität nichts als eine Lücke in der Verkehrskette.

Francis Doege
Francis Doege
30. Januar 2014 08:36

Ich habe das Gefühl, dass die hiesigen Verkehrsunternehmen und -verbünde derzeit eher zurückhaltend im Bezug auf Kooperationen mit den “Global Playern” sind. Anders ist mir nicht zur erklären, wieso spannende Projekte wie Google Transit in Deutschland nicht so richtig Fuß fassen können. Die regionalen Unternehmen fürchten sich zu sehr vor den (sicherlich vorhandenen) Risiken und übersehen dabei die Chancen. Jedoch ist das mobile Internet längst keine Modeerscheinung mehr, sondern wichtiger Bestandteil unseres Alltags und eine einmalige Chance für den ÖPNV. Um diese zu nutzen, geht jedoch kein Weg an den Apples und Googles dieser Welt vorbei.

Andreas Schumann
29. Januar 2014 23:24

Der Artikel gefällt mir sehr. Ich möchte noch eine Gedanken dazufügen. Aktuell werden die Themen Mobilität und Logistik oft getrennt betrachtet. Für Internetplattformen ist es aber egal, ob sie den Transport von Personen oder Warensendungen vermitteln bzw. organisieren. So können sie nicht nur Personen sondern auch Waren zum Ziel führen. Z.B. Auf Ihrer Stecke könnten Sie x Sendungen mitnehmen und y Euro “verdienen”. Sie brauchen dann ca. 10 min länger. Lassen Sie sich von Ihrem Navigationsgerät führen.

Beide branchen sollten die Nachbarbranche öfter mit im Blick haben.

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Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V. (VDV) hat mich im Rahmen der VDV-Jahrestagung 2013 in Mainz als “Talent im ÖPNV” des Jahres 2013 ausgezeichnet. Der VDV vertritt rund 600 Unternehmen des Öffentlichen Personennahverkehrs, des Schienenpersonennahverkehrs, des Schienengüterverkehrs, der Personenfernverkehrs sowie Verbund- und Aufgabenträger-Organisationen.

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Verfasst von:

Andreas Schumann

Randelhoff Martin

Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
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