Volkswagen hat im Rahmen der IAA 2011 in Frankfurt seine neue Konzeptstudie NILS vorgestellt. Das einsitzige Elektroauto ist vorrangig für die tägliche Fahrt zur Arbeit und kleinere Besorgungen im städtischen Raum gedacht.
Mit seinen Maßen von 3,04 Meter Länge, einer Breite von 1,39 Metern und einem Leergewicht von 460 Kilogramm reiht sich NILS in die Familie der Mikroautos ein (maximal 3,40 Meter lang und bis zu 1.100 Kilogramm schwer). Mikroautos können ebenso wie podcars in einem urbanen Raum individuelle Mobilität sicherstellen und den öffentlichen Verkehr im Nahbereich ergänzen. Hinzu kommt, dass größere Fahrzeuge durch striktere Emissionsvorgaben, Einfahrverbote und einem damit einhergehenden Mentalitätswandel in den nächsten Jahrzehnten in unseren Städten immer seltener werden dürften. Erinnert sei hier beispielsweise an “Paris 2030“, einem Stadtentwicklungskonzept in dem Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor und große SUVs nicht mehr vorgesehen, ja sogar verboten sind.
Betrachtet man aktuelle Daten bezüglich des Mobilitätsverhaltens in Deutschland, kommt man zum logischen Schluss, dass einsitzige Fahrzeuge und Kleinstwagen alleine aus wirtschaftlichen Gründen bereits heute einen Markt besitzen müssten. Aus gewissen Gründen ist dies allerdings noch nicht der Fall, vor allem spielt hier das mangelhafte Angebot der Fahrzeughersteller eine entscheidende Rolle. Einen ersten Schritt in diese Richtung hat Daimler mit dem Smart gewagt, der nur eine schmale Nische ausfüllt und sich in den ersten Jahren seiner Existenz sehr bescheiden verkauft hat.
Natürlich füllen Mikroautos nur eine schmale Nische, allerdings wird diese Nische von vielen Arbeitnehmern morgens und abends gefüllt.
Eigentlich ist es schwachsinnig. Etwa 30 Millionen Deutsche pendeln jeden Tag zur Arbeit, davon etwa zwei Drittel mit dem PKW. Tag für Tag setzen sich 20 Millionen Menschen in ihr Auto, das aufgrund der zurückgelegten Entfernung und des Besetzungsgrades in den meisten Fällen überdimensioniert sein dürfte.
Berufspendler nach der Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte – Statistisches Bundesamt
Betrachtet man die durchschnittlichen Pendelweiten in Deutschland, bewegen sich knapp 45% maximal 10 Kilometer und beinahe drei Viertel der Pendelweiten bleiben unter 25 Kilometern. Im Nahbereich, der besonders für die Nutzung des Fahrrads oder des ÖPNV prädestiniert ist, nutzen trotzdem 50% der Pendler den PKW. Hier ist erstens ein großes Verlagerungspotential vorhanden und im Bereich des MIV lassen sich auch große Effizienzsteigerungen erreichen.
Betrachtet man neben der Fahrweite noch den Besetzungsgrad, erhöht sich das theoretische Marktpotential für Mikrofahrzeuge um ein Vielfaches. Die Studie “Mobilität in Deutschland 2008” erfasste im Rahmen dieser umfangreichen Untersuchung auch den Besetzungsgrad des PKW-Verkehrs.
Das Ergebnis: Bei fast zwei Dritteln aller Wege mit dem Pkw sitzt nur der Fahrer im Fahrzeug. Bezieht man nun die Fahrten mit ein, bei der eine oder mehrere Personen mitfahren, ergibt sich ein durchschnittlicher Besetzungsgrad von knapp 1,5.
Dieser Wert variiert in Abhängigkeit des Wegezwecks. Besonders geringe Besetzungsgrade ergeben sich für Wege zur Arbeit sowie für dienstliche und geschäftliche Wege.
Hoch sind die Besetzungsraten dagegen bei den Wegezwecken Ausbildung, Freizeit und Begleitung. Diese Werte sind von 2002 nach 2008 nahezu stabil geblieben
- Wege zur Arbeit mit 1,2
- dienstliche Wege mit 1,1
- Ausbildungswege mit 1,7
- Einkaufswege mit 1,5
- Wege für Erledigungen mit 1,5
- Freizeitwege mit 1,9
- Begleitwege mit 1,9
Es gibt daher keinen logischen Grund, warum man zur Beförderung von 80 Kilogramm Körpermasse ein oder zwei Tonnen Stahl, Blech und Elektronik in Bewegung setzen soll, wenn es auch anders geht.
Aber nun zurück zur Konzeptstudie NILS von Volkswagen:Der Fahrer gelangt durch eine nach oben aufschwingende Flügeltür in den Innenraum. Die Rahmen der Flügeltüren bestehen aus drei Hauptelementen: einem inneren Abschnitt, einem verstärkten Abschnitt gegen Unfälle und einem äußeren Teil. Im geschlossenen Zustand bieten sie eine optimale Crashsicherheit. Die Türfenster sind aus leichtem, kratzfestem, mehrschichtige Polycarbonat gefertigt, während die Frontscheibe aus Verbund-Sicherheitsglas besteht. Das Fahrzeug ist in Monoposto-Bauweise mit freistehenden Rädern konzipiert. Auf den 17 Zoll Felgen sind 115/80 (vorne) und 125/80 (hinten) Reifen aufgezogen.
Angetrieben wird das 460 Kilogramm schwere Fahrzeug von einem 19 Kilogramm schweren Elektromotor, der permanent 15 kW (20 PS) und kurzzeitig 25 kW (34 PS) leistet. Das maximale Drehmoment beträgt 130 Nm aus dem Stillstand. Durch das geringe Gesamtgewicht reicht dies für eine Höchstgeschwindigkeit von 130 Stundenkilometer. Von Null auf 100 beschleunigt NILS in 11 Sekunden. Die Reichweite der Lithium-Ionen-Akku mit einer Kapazität von 5,3 kWh soll bei 65 Kilometern liegen. Die Ladezeit bis zur vollen Kapazität liegt bei rund 2 Stunden. Geladen werden kann NILS entweder an einem konventionellen 230V-Anschluss oder an einer speziellen Ladestation für Elektroautos.
Das Energie-Management erfolgt über einen Hochspannungs-Impuls-Wechselrichter, der zusammen mit dem 12-Volt DC / DC-Wandler für das Bordnetz und dem Ladegerät die integrale Antriebseinheit bildet.
Um die Verkehrssicherheit des Fahrers zu gewährleisten ist NILS mit verschiedenen Sicherheitssystemen ausgestattet. Radarsensoren scannen den Raum vor dem Fahrzeug über eine Distanz von etwa 200 Metern und halten durch automatische Bremseingriffe den Abstand zu anderen Fahrzeugen über einem bestimmten Minimalwert. Bei drohenden Kollisionen kann das System das Fahrzeug auch automatisch bremsen.
In Gefahrensituationen warnt das System den Fahrer optisch und akustisch sowie mit einem präventiven Bremsruck. „Front Assist“ ist Bestandteil der automatischen Distanzregelung ACC, arbeitet aber unabhängig und auch bei ausgeschalteter Abstands- und Geschwindigkeitsregelung. „Front Assist“ reagiert in zwei Stufen auf kritische Annäherungssituationen: in der ersten Stufe warnt das Assistenzsystem den Fahrer mit akustischen und optischen Signalen vor plötzlich stark verzögernden oder langsam vorausfahrenden Fahrzeugen und der damit verbundenen Kollisionsgefahr. Parallel dazu wird das Fahrzeug auf eine Notbremsung „vorbereitet“. Die Bremsbeläge werden an die Bremsscheiben angelegt, ohne dass es zu einer Fahrzeugverzögerung kommt, und das Ansprechverhalten des hydraulischen Bremsassistenten wird sensibler geschaltet. Sollte der Fahrer nicht auf die Warnung reagieren, wird er in der zweiten Stufe durch einen einmaligen kurzen Bremsruck auf den drohenden Auffahrunfall hingewiesen und das Ansprechverhalten des Bremsassistenten weiter erhöht. Tritt der Fahrer dann auf die Bremse, steht sofort die volle Bremsleistung zur Verfügung. Ist die Bremsung nicht stark genug, erhöht Front Assist den Bremsdruck auf das erforderliche Maß, damit das Fahrzeug vor dem Hindernis zum stehen kommen kann.
Fahrzeugabhängig bietet Front Assist zwei weitere Funktionen. In diesem Fall leitet Front Assist nach der Kollisionswarnung selbstständig eine automatische Teilbremsung ein, die ausreicht, um das Fahrzeug abzubremsen und die Aufmerksamkeit des Fahrers wieder herzustellen.
In Situationen, in denen eine Kollision unvermeidbar ist, wird der Fahrer zusätzlich mit einer automatischen Vollbremsung unterstützt. Dabei bremst Front Assist das Fahrzeug maximal ab, um die Aufprallgeschwindigkeit zu verringern und die Kollision so gering wie möglich zu halten.
Das Innere ist aufgeräumt. Als Kombiinstrument dient ein Sieben-Zoll-TFT-Display. Die Fahrzeuggeschwindigkeit wird digital in der Mitte dargestellt, während Energiefluss und die noch zur Verfügung stehende Reichweite an den Seiten dargestellt werden. Das zweite zentrale Instrument ist ein mobiles Multifunktionsgerät wie es bereits im neuen up! verwendet wird: das Portable Infotainment Device (PID) von Navigon und Volkswagen. Via Touchscreen steuert der Fahrer Navigationsgerät, Radio, Telefon, Bordcomputer und – für die Vorkonfiguration der Reichweite – Eco. Die PID berechnet die erwartete Reichweite und zeigt nicht nur die Route auf der Karte an, sondern auch den zur Verfügung stehenden Reichweiten-Radius und damit die Ziele, die mit der aktuellen Akku-Ladung erreicht werden können.
Auf der rechten Seite befindet sich der Start-Stopp-Schalter, der auch für die Wahl des Vorwärts- und Rückwärtsganges dient.
Die Front-Scheinwerfer sind Bi-Xenon-Module, das Tagfahrlicht besteht aus weißen und gelben LEDs. Die Rückleuchten sind mit neuen LEDs aus leuchtenden Halbleitern bestückt, die niedrigen Stromverbrauch mit langer Haltbarkeit kombinieren.
Insgesamt ist der Volkswagen NILS eine interessante Studie, die neue Bewegung in den Markt der Kleinfahrzeuge bringen dürfte. Am Namen muss Volkswagen aber noch einmal arbeiten.
Update – 14.09.2011
Bilder des NILS-Prototypen auf der IAA 2011 in Frankfurt:
Sehr interessanter und ausführlicher Artikel! Der ADAC hat dazu auf einem Blog auch gerade etwas veröffentlicht (unter http://j.mp/zrHXgV
). Ich bin gespannt, wie sich die Elektromobilität weiter entwickeln wird.
Und ergänzend zu HerrBrünig möchte ich auch noch anmerken, dass leider eine Generation existiert, die mit dem PKW-Boom und der PKW-Zentriertheit der 60er und 70er Jahre aufgewachsen ist. Diese Menschen sind dahingehend sozialisiert und können sich die Nutzung alternativer Verkehrsmittel oder gar dem Fahrrad außerhalb des Freizeitbereichs gar nicht vorstellen (was ich ihnen jetzt nicht vorwerfen möchte).
Eine Erhebung des Ifak Instituts mit 23165 Befragten im jahr 2007 ergab, dass 35% nie (!) öffentliche Verkehrsmittel nutzen (http://www.vuma.de/de/die-studie.html). In ländlichen Regionen liegt dieser Wert noch ein wenig höher. Für den radverkehr gibt es leider keine einzelnen Erhebungen. Diese sind entweder mit dem Fußgängerverkehr gemischt oder gar nicht vorhanden. Das Bundesverkehrsministerium akzeptiert diese Nutzergruppe schließlich auch nicht als Verkehrsteilnehmer, sie tauchen schließlich in den Prognosen nicht auf. ;-)
Aber für die Akzeptanz von Mikroau kommen noch sozio-ökonomische Aspekte wie die zunehmende Zahl von Singlehaushalten in Deutschland und ganz Europa dazu. Natürlich werden Familien es sich zweimal überlegen, sich ein Mikroauto anzuschaffen. Eventuell als Zweitwagen (wobei man da wieder über den Sinn streiten kann…)
Aber die Entwicklung ist jedenfalls interessant zu beobachten. Egal ob Mikroautos jetzt einen Boom erleben oder nicht…
Wenn ich von mir selbst ausgehe, so würde ich aktuell auch auf jeden Fall einen motorisierten Mehrsitzer wählen. Trotzdem könnte ich mir für die Einsitzer einen Markt vorstellen – wenn größere Fahrzeuge auf Stundenmietbasis bei Bedarf spontan zur Verfügung stünden. Dann wäre das Emobil ideal für die tägliche Fahrt ins Büro – im Gegensatz zu den Freiluftvarianten voll Anzug-tauglich, klimatisiert und regensicher. Außerdem könnten sie eine Lücke schließen: für den Weg von der Wohnung zum Mitwagen oder zu den öffentlichen Verkehrsmitteln.
Es gibt durchaus einen Markt für einsitzige Fahrzeuge, der ist aber eng umkämpft. Einmal sind da ntürlich die unmotorisierten fahrzeuge – Fahrräder und, langsam sich eine Nische erkämpfend, Velomobile. Für die Arbeitspendelei ist in Großstadtgebieten oft keine Motorisierung erforderlich, hier stellt sich also die Frage, ob motorisierte Alternativen überhaupt ausreichend Vorteile bieten, um gegen das gute alte Fahrrad anzukommen.
Dann gibt es ja durchaus einen Nischenmarkt für motorisierte Einsitzer – die Quads mit immerhin gut 15.000-20.000 Neuzulassungen im Jahr. Und natürlich das Motorrad.
Ein Problem aber, auf das ich bei meiner ständigen Werbung fürs Velomobil treffe: Selbst Singles wollen ein mehrsitziges Fahrzeug. Für Ausflüge mit Freunden, PartnerIn und natürlich – immer einen Blick in die Zukunft – mit der Familie. Selbst wenn all das nicht wirklich vorkommt, von einem Alltagsfahrzeug wird die Möglichkeit erwartet, dies damit tun zu können.
Ich sage nicht, dass sie ein solches benötigen. Sie WOLLEN es. Das ist wahrscheinlich das größte Problem. Das und die Konkurrenz mit dem Fahrrad.
Das Fahrrad mag zunächst außer Konkurrenz scheinen, aber: Die Käufeergruppe, die bereit ist, sich ein einsitziges Auto zu kaufen, ist größtenteils auch bereit, komplett auf die Motorisierung zu verzichten oder sich mit einer Hilfsmotorisierung à la eBike zu begnügen.
Schön, dass es in dieser Wagenklasse der E-Mobile auch Modelle gibt, die nicht wie eine Plastikschuhkarton aussehen.