Logistik Schienenverkehr USA

[Video zum Wochenende] Gefährliche Fracht – Ölzüge in den USA

Lac megantic Kanada Zugunglück mit zerstörter Innenstadt und vielen Toten
Brennende Innenstadt von Lac-Mégantic - Foto: Sûreté du Québec - CC BY-SA 1.0

Lac-Mégantic am 6. Juli 2013. Die Menschen in der kanadischen Kleinstadt an der Grenze zu den USA schlafen, während sich ein führerloser Güterzug mit seiner explosiven Fracht nähert. In einer Kurve inmitten des Ortes entgleist der etwa 100 km/h schnelle Zug, welcher in 74 Tankwaggons Rohöl aus kanadischer Fracking-Produktion geladen hat. 63 Tankwagen explodieren, eine Feuerwalze verbrennt in Sekundenschnelle die Häuser um die Unfallstelle und mit ihnen 47 Menschen. Der gesamte Ortskern liegt in Schutt und Asche.

Seit diesem schweren Unfall im Sommer 2013 explodierten 20 Tankwaggons mit Rohöl in einem Sumpfgebiet in Alabama, 13 Wagen eines Zuges entgleisten nahe der kanadischen Kleinstadt Gainford in Alberta (3 Wagen brannten aus). Am 30. Dezember 2013 stieß ein Ölzug mit einem anderen Güterzug nahe Casselton, North Dakota, zusammen. 1.400 Menschen wurden evakuiert, 1,5 Millionen Liter Öl ergossen sich in die Natur. Glücklicherweise mussten bei diesem Unfall keine menschlichen Opfer beklagt werden. Am 7. Januar 2014 entgleiste ein Ölzug in Plaster Rock, New Brunswick, und brannte aus (150 Menschen evakuiert, keine Opfer). Am 20. Januar 2014 entgleiste in Philadelphia ein Waggon eines Ölzuges und fiel beinahe von einer Brücke in den Schuykill River. Glücklicherweise trat weder Öl aus noch kam es zu Verletzten. Am 13. Februar 2014 entgleiste ein Güterzug in Vandergrift, Pennsylvania. Aus vier Waggons traten etwa 12.000 – 15.000 Liter Rohöl aus. Am 14. Februar 2014 entgleisten in der Nähe von Pittsburgh 21 Wagen eines Güterzuges, welcher mit Rohöl und Propangas beladen war, und rammten zum Teil ein Industriegebäude. 12.000 – 15.000 Liter Rohöl traten aus. Im April 2014 entgleisten mehrere Waggons eines Güterzuges in Lynchburg, Virginia (77.000 Einwohner). 13 bis 14 Tankwaggons explodierten und fingen Feuer.

Diese schweren Unfälle sind nur die Spitze des Eisbergs. Im Jahr 2013 gab es insgesamt 113 Unfälle mit Erdöl-beladenen Zügen in den USA, bei denen über 5,5 Millionen Liter Erdöl austraten. Bis Mai 2014 wurden bereits 70 Unfälle gezählt. Ein Vergleich macht den drastischen Anstieg deutlich: Inklusive der Unfälle der Jahre 2013 und 2014 gab es seit 1971 etwa 400 Unfälle mit Ölzügen. Zwischen 1975 und 2012 waren insgesamt drei Millionen Liter Erdöl bei Zugunglücken freigesetzt worden. In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Unfälle nahezu explodiert.

Die steigende Zahl an Unfällen ist Konsequenz des massiven Fracking-Booms in Nordamerika. Zu wenig Pipelinekapazität macht den Erdöltransport via Eisenbahn aus entlegenen Gebieten Virginias, North Dakotas, Alabamas und den kanadischen Provinzen Quebec, New Brunswick und Alberta an die Küste oder in die Raffinerien notwendig. Im Jahr 2013 ist die Menge des mit Zügen transportierten Erdöls in den USA um 44 Prozent gestiegen. Etwa ein Zehntel der gesamten US-Ölförderung (etwa 2,8 Millionen Liter / Tag) werden mit Zügen transportiert. In Kanada sollen 2013 etwa 140.000 Wagenladungen Öl transportiert worden sein, 2009 lag die Zahl noch bei 500. In Kanada und den USA sollen pro Tag etwa 35 Millionen Liter Erdöl von Fördergebieten, zu und zwischen Raffinieren und Lagern auf dem Schienennetz unterwegs sein. Seit 2008 ist die Menge des auf dem US-Schienennetz transportierten Erdöls um 4000 Prozent gestiegen.

Problematisch ist, dass viele Züge bebautes Gebiet durchqueren. Neben vielen kleineren Städten und Dörfern entlang der Bahnstrecken sind auch große Städte wie Seattle und Chicago massiv betroffen. Ölzüge sind zudem im gesamten US-Schienennetz unterwegs wie folgende Karte verdeutlicht:


Hinzu kommen massive Sicherheitsprobleme mit dem häufig eingesetzten Tankwaggon DOT-111A. Obwohl diese bereits seit 1991 bekannt sind, werden die Tankwagen weiterhin eingesetzt und nicht durch sicherere Modelle ersetzt.

Brief des National Transportation Safety Board: Transport of Hazardous Materials in DOT-111A Tank Cars vom 1. Juli 1991:

The inadequacy of the protection provided by the DOT-111A tank cars for certain dangerous products has been evident für many years in accidents investigated by the Safety Board

Nach den schweren Unfällen im Jahr 2013 empfahlen US-Bundesbehörden, keine Tankwagen des Typs DOT-111A mehr zu nutzen. Die Nachfrage nach Transportkapazität ist jedoch so groß, dass diese Wagen weiterhin eingesetzt werden. Eine Weiterentwicklung des DOT-111A Tank Cars zum CPC-1232 ist bereits seit einigen Jahren auf dem Markt. Dieser Wagentyp soll durch zusätzliche Sicherheitseinrichtungen angeblich sicherer sein. An einigen Unfällen waren jedoch auch entgleiste CPC-1232-Wagen beteiligt.

Ein umfassender Austausch der Tankwaggon-Flotte ist eher nicht zu erwarten. Ein Waggon vom Typ CPC-1232 kostet etwa 120.000 US-Dollar, die Umrüstung eines DOT-111A mit den Sicherheitseinrichtungen eines CPC-1232 etwa 20.000 – 30.000 Dollar / Wagen. Wenn sicherere Wagen gekauft werden, dienen diese meistens der Schaffung neuer Kapazität und weniger dem Ersatz unsicherer DOT-111A-Tankwaggons.

Anonymous

Randelhoff Martin

Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
Ist interessiert an innovativen Konzepten zum Lösen der Herausforderungen von morgen insbesondere in den Bereichen urbane Mobilität, Verkehr im ländlichen Raum und nachhaltige Verkehrskonzepte.

Kontaktaufnahme:

Telefon +49 (0)351 / 41880449 (voicebox)

E-Mail: randelhoff [ät] zukunft-mobilitaet.net

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Thijs
Thijs
3. August 2014 10:33

Am Ende ist es wieder ein Mangel an Verantwortung und der BEreitschaf Gewinn zu schmälern um Sicherheit zu steigern.

Kai Te
2. August 2014 22:56

Die US-Bahnen sollen kein automatisches Bremssystem haben, das vergleichbar den europäischen Systemen ist. Also eines, das automatische Bremsungen einleitet, wenn jemand die falsche Weiche gestellt hat oder der Zugführer über ein rotes Signal fährt. Deshalb passiert dort soviel. Es liegt alles komplett in der Hand des einzelnen Zugführers. Vielleicht kann das noch jemand bestätigen, der sich besser auskennt, ich habe das auch nur am Rande mitbekommen. Halte das aber für sehr plausibel.

Martin Randelhoff
Reply to  Kai Te
4. August 2014 05:39

Ja, das stimmt. In den USA ist zum Großteil kein Zugsicherungssystem verbaut. Ausnahmen sind die Bahnstrecken mit relativ viel Personenverkehr (Nordostkorridor, Metro North (wo es den schweren Unfall letztes Jahr gab)), usw.

Ich zitiere der Einfachheit halber mal aus der Wikipedia:

“Currently only three freight railroads, Union Pacific, Florida East Coast and CSX Transportation, have adopted any form of ATC on their own networks. The systems on both FEC and CSX work in conjunction with pulse code cab signals, which in the case of CSX was inherited from the Richmond, Fredericksburg and Potomac railroad on its single main line. Union Pacific’s was inherited on portions of the Chicago and Northwestern east-west main line and works in conjunction with an early two aspect cab signaling system designed for use with ATC. On CSX and FEC more restrictive cab signal changes require the engineer to initiate a minimum brake application or face a more severe penalty application that will bring the train to a stop. Neither system requires explicit speed control or adherence to a braking curve. The Union Pacific system requires an immediate brake application that cannot be released until the train’s speed has been reduced to 40 mph (64 km/h) (for any train traveling above that speed). Then, the train’s speed must be further reduced to no more than 20 mph (32 km/h) within 70 seconds of the initial cab signal drop. Failure to apply the brakes for these speed reductions will result in a penalty application.

Because improper braking can result in a derailment or a runaway, all three freight ATC systems provide the engineer with a degree of latitude in applying the brakes in a safe and proper manner. Furthermore none of the systems are in effect in difficult or mountainous terrain.”

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Martin Randelhoff

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