Analyse Luftverkehr

Eyjafjallajökull – die Auswirkungen in Europa und der ganzen Welt

Dieser Artikel ist Teil der Serie Europaweite Beeinträchtigungen im Luftverkehr durch Vulkanasche – Liveblog. Eine Übersicht über alle Artikel finden Sie hier.

137 Stunden lang war der Himmel in Deutschland Kondensstreifenfrei. 137 Stunden waren der Deutsche Luftraum und die meisten deutschen Flughäfen gesperrt. Laut Eurocontrol fielen mehr als 100.000 Flüge aus. Auf Deutschland entfielen geschätzte 40.000 gestrichene Flugbewegungen.
Mehr als 10 Millionen Flugreisende saßen zwischenzeitlich fest – die Umsatzausfälle der Luftfahrtunternehmen belaufen sich auf 1,5 bis 2,5 Milliarden Euro. Der volkswirtschaftliche Schaden mag noch größer sein.

Diese Infografik verdeutlicht das Problem und die Auswirkungen in Europa nochmals vollständig:

Island Eyjafjallajökull Schaden Europa Flugverkehr

Abb. 1 – Auswirkungen der Aschewolke in Europa

Sehr interessant ist auch dieses Video. Es zeigt auf eine sehr eindrucksvolle Weise, wie der Vulkan am 18. April den europäischen Flugverkehr zum Erliegen bringt und sich der Luftraum über Nordeuropa nach Abziehen der Aschewolke ab dem 20. April wieder langsam aber stetig füllt.

Airspace Rebooted von ItoWorld auf Vimeo.

Die globalen Auswirkungen

Aber nicht nur in Europa waren die Auswirkungen zu spüren. Dirk Brockmann, Professor an der Northwestern University, analysierte die globalen Auswirkungen der Luftraumsperrungen. 1 Zu seiner Überraschung war nicht nur der Flugverkehr in Europa, sondern auch in den USA, Indien und Südostasien erheblich betroffen.

Die Wissenschaftler verglichen die Struktur der weltweiten Flugbewegungen vor und nach der Schließung der 27 wichtigsten Flughäfen Europas. Anhand einer komplexen Netzwerktheorie fanden sie heraus, dass auch Singapur, Hongkong und Peking erheblich von den Sperrungen des europäischen Luftraums betroffen waren.

Pro Tag haben die gesperrten Flughäfen normalerweise etwa 1,5 Millionen Passagiere, etwa 1.000 Flughäfen werden von dort aus weltweit angeflogen. Durch die Sperrung ging der globale Luftverkehr um ungefähr 18 Prozent zurück. Dies erklärt aber nicht genau, warum Flughäfen am anderen Ende der Welt beeinträchtigt waren.

Die Gruppe um Professor Brockmann hat für ihre Analyse die kürzesten Wege eines Netzwerkes zugrunde gelegt. Damit ist allerdings nicht die physische Distanz (= euklidische Distanz) gemeint. Google Maps sucht zum Beispiel nicht nach dem kürzesten Weg zwischen zwei Punkten, sondern nach dem Weg, der den geringsten Zeitaufwand benötigt. Das heißt, dass zwei Städte, die durch eine Autobahn miteinander verbunden sind, “näher” beieinander liegen als zwei Dörfer, die nur durch eine Landstraße miteinander verbunden sind, obwohl beide Orte jeweils gleich weit voneinander entfernt sind. Dasselbe Prinzip wurde nun auf die Flughäfen übertragen. Zwei Flughäfen liegen “nah” beieinander, wenn sie viele Passagiere untereinander austauschen und sind umso weiter voneinander entfernt je weniger Passagiere zwischen ihnen hin- und herfliegen.

Die folgenden zwei Grafiken zeigen die Netzwerkstruktur des Flughafens Atlanta vor und nach dem Ausbruch:

Atlanta Vulkanasche Auswirkungen vorher Europa Island Vulkan
Abb. 2 – Netzwerkstruktur – Flughafen Atlanta – vorher

Atlanta Vulkanasche Auswirkungen nachher Europa Island Vulkan
Abb. 3 – Netzwerkstruktur – Flughafen Atlanta – nachher

Die Linien in Abbildung 2 zeigen die Verästelung des “Kürzeste-Strecken-Baumes”, der Flughafen Atlanta befindet sich in der Mitte, die jeweiligen “Äste” in den verschiedenen Farben stellen geographische Angaben dar. Jede Farbe steht für eine Region: Dunkelblau steht zum Beispiel für Ziele in Nordamerika. Der rote Kreis zeigt die ungefähre Entfernung der Welt von Atlanta – nur wenige internationale Flughäfen wie Frankfurt (FRA), London (LHR) oder Hongkong (HKG) liegen ebenso innerhalb des Kreises wie die meisten nordamerikanischen Flughäfen, d.h. sie sind Atlanta am nächsten. Erinnern wir uns noch einmal daran, dass nicht die physische Distanz zählt, sondern jener Weg der kürzeste ist, der die geringste Zeit in Anspruch nimmt.

Nach der Schließung der 27 europäischen Flughäfen wandern viele Punkte nach außen (Abb. 3). Das bedeutet, dass sich die Entfernungen erhöht haben. Insbesondere alle westeuropäischen Flughäfen (lila) liegen nun klar außerhalb des Kreises. Aber auch die Entfernungen nach Afrika (rot, grün, gelb), Indien (türkis) und den Mittleren Osten (dunkellila) haben sich verlängert.

Ebenso wie die Entfernungen sich veränderten, veränderte sich auch die Struktur im Luftverkehr. Normalerweise führt ein Großteil der Flüge Richtung Westeuropa über Chicago (ORD) und über London (LHR) Richtung Afrika, Asien und den Mittleren Osten. Seitdem der Flughafen London geschlossen war, ist Westeuropa in drei Teile geteilt worden. Diese werden nun von New York, Chicago und Miami angeflogen. Afrika, Indien und Asien über Bangkok und Hongkong. Analysen weiterer Flughäfen finden sich hier.

Sehr interessant sind auch die folgenden Grafiken:

Atlanta Flugbewegungen Vulkanasche Ausbruch vorher
Abb. 4 – globale Flugverbindungen, Ursprung Atlanta –
vorher

Atlanta Flugbewegungen Vulkanasche Ausbruch nachher
Abb. 5 – globale Flugverbindungen, Ursprung Atlanta – nachher

Abbildungen 4 und 5 zeigt nochmals deutlich die Veränderungen, die der Wegfall der 27 größten europäischen Flughäfen in der weltweiten Luftfahrt verursacht hat. Diese beiden Abbildungen sind eventuell ein bisschen plastischer und einfacher zu verstehen als eine Baum-Analyse. Man erkennt deutlich die ausgedünnten Flugbewegungen über Europa, die Verschiebung der transatlantischen Flüge Richtung New York, Chicago und Miami sowie der Flüge Richtung Asien und Afrika über Hongkong.

Ein weiteres Beispiel zur Veranschaulichung: Die europäischen Flughäfen sind sehr wichtig für den globalen Flugverkehr. Flüge aus den USA Richtung Mumbai führen normalerweise über Europa. Vor der Eruption hat man zwei Flüge benötigt um nach Indien zu gelangen, d.h. man musste einmal umsteigen (meistens in London). Nach der Eruption waren vier bis fünf verschiedene Flüge notwendig um nach Mumbai zu gelangen, der Zeitaufwand hat sich folglich erheblich gesteigert, das bedeutet der Weg nach unserer Definition ist ebenso länger geworden. Der Wegfall der europäischen Flughäfen hat daher das gesamte globale Gefüge erheblich aus dem Gleichgewicht gebracht.

Dies ist der letzte Artikel zur Serie “Europaweite Beeinträchtigungen im Luftverkehr durch Vulkanasche

Überblick:

Teil 1 – Die Geschehnisse vom 21. März 2010 – 15. April 2010

Teil 2 – Die Geschehnisse am 16. April 2010

Teil 3 – Die Geschehnisse am 17. April 2010

Teil 4 – Die Geschehnisse am 18. April 2010

Teil 5 – Die Geschehnisse am 19. April 2010

Teil 6 – Die Geschehnisse am 20. April 2010

Teil 7 – Die Geschehnisse ab dem 21. April 2010

Dieser Artikel ist Teil der Serie Europaweite Beeinträchtigungen im Luftverkehr durch Vulkanasche – Liveblog. Eine Übersicht über alle Artikel finden Sie hier.

  1. Northwestern University (2010, April 23). Eyjafjallajokull’s global fallout: Airports affected are not necessarily the ones you would think. ScienceDaily. Retrieved May 1, 2010, from http://www.sciencedaily.com­ /releases/2010/04/100423094620.htm
Anonymous

Randelhoff Martin

Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
Ist interessiert an innovativen Konzepten zum Lösen der Herausforderungen von morgen insbesondere in den Bereichen urbane Mobilität, Verkehr im ländlichen Raum und nachhaltige Verkehrskonzepte.

Kontaktaufnahme:

Telefon +49 (0)351 / 41880449 (voicebox)

E-Mail: randelhoff [ät] zukunft-mobilitaet.net

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Grimme Online Award Preisträger 2012

Zukunft Mobilität hat den Grimme Online Award 2012 in der Kategorie Information erhalten. Ich möchte mich bei all meinen Lesern für die Unterstützung bedanken!

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Zukunft Mobilität hat den PUNKT 2012 der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) in der Kategorie "Multimedia" gewonnen.

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Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V. (VDV) hat mich im Rahmen der VDV-Jahrestagung 2013 in Mainz als “Talent im ÖPNV” des Jahres 2013 ausgezeichnet. Der VDV vertritt rund 600 Unternehmen des Öffentlichen Personennahverkehrs, des Schienenpersonennahverkehrs, des Schienengüterverkehrs, der Personenfernverkehrs sowie Verbund- und Aufgabenträger-Organisationen.

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Verfasst von:

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Randelhoff Martin

Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
Ist interessiert an innovativen Konzepten zum Lösen der Herausforderungen von morgen insbesondere in den Bereichen urbane Mobilität, Verkehr im ländlichen Raum und nachhaltige Verkehrskonzepte.

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