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Volvos Fußgängerairbag – sinnvoll oder nicht?

Artikelaktualisierung Zukunft MobilitätFußgänger-Airbag von Volvo UnfallschutzAuf dem Autosalon in Genf hat Volvo seinen neuen Fußgänger-Airbag vorgestellt, der erstmals im neuen Volvo V40 eingebaut werden soll. Bei einer Kollision mit einem Passanten sorgen sieben Sensoren, die in der vorderen Stoßstange angebracht sind, zunächst dafür, dass die obere Verankerung der Motorhaube pyrotechnisch gelöst, die Motorhaube um 10 Zentimeter angehoben und anschließend der Airbag ausgelöst wird. Der zwischen Motorhaube und Motorblock entstandene Raum federt den Aufprall ab. Der aufgeblähte Airbag deckt ein Drittel der Windschutzscheibe sowie einen großen Teil der beiden A-Säulen ab. Das Sicherheitsfeature scheint eine Weiterentwicklung des vom Cranfield Impact Centre entwickelten Außenairbags zu sein.

Zusätzlicher Schutz für Fußgänger und Radfahrer ist stets zu begrüßen. Man muss nur aufpassen, dass Autofahrer immer noch genügend Anreize haben, sicher und vorausschauend zu fahren. Mehrere Studien haben gezeigt, dass die Risikobereitschaft mit Einführung von Sicherheitsgurt und Airbags größer wurde. Indem man sich auf die Schutzwirkung des Fahrzeugs verlässt, sinkt das Gefühl in einer gefährdeten Position zu sein. Mit Abnahme dieses Gefühls sinkt auch die Aufmerksamkeit. Daher kommt es zu vielen Unfällen insbesondere mit schwächeren Verkehrsteilnehmern wie Fußgängern und Fahrradfahrern.

Aber natürlich hat dieser Airbag eine Schutzwirkung. Leider hat Volvo keinen Head Injury Criterion-Wert (HIC) veröffentlicht, sodass ich hilfsweise auf das Ergebnis des vom Cranfield Impact Centre entwickelten Außenairbags zurückgreife.

Head Injury Criterion-Wert (kurz: HIC, deutsch: HIC-Wert, Kopf-Verletzungs-Faktor oder Kopfbelastungswert) ist ein Kriterium zur Bewertung von beschleunigungsbedingten Kopfverletzungen z.B. durch einen Fahrzeugunfall. Der Grenzwert für eine schwere verletzung liegt bei 1000 (AIS 3). Ein AIS-Code von 3 steht für ein nicht unerhebliches Versterbensrisiko (18%). Die Letalität bei einem Thoraxtrauma AIS 3+ und SHT mit AIS 3+ liegt bei 50 – 70%. Beispiel für Verletzungen AIS 3 sind ausgedehnte Pankreaskontusion, Femurfrakturen und offene Tibiafrakturen.

Getestet wurde der Außen-Airbag mit einem Fiat-Stilo. Ein Fahrzeug, das einen Fußgänger mit 40 Stundenkiloemter anfährt, verursacht einen HIC-Wert von über 1.000. Mit dem Cranfield-Airbag wurde ein HIC-Wert zwischen 692 und 945 gemessen. Mit gleichzeitigem Anheben der Motorhaube sinkt der HIC-Wert auf 234 – 682. Bereit bei einem HIC von 800 beträgt die Wahrscheinlichkeit weniger schwer verletzt zu werden 0,9.

Problematisch ist bei Kollisionen mit Fußgängern und Radfahrern auch der Rückprall auf die Straßenoberfläche. Zuerst schlägt der Thorax oder der Kopf auf Motorhaube und Windschutzscheibe ein um danach auf die Straße zurückgeschleudert zu werden. Hierbei treten je nach Geschwindigkeit des Fahrzeugs ebenfalls schwerwiegende Verletzungen auf. Das Zurückschleudern auf die Straße fehlt übrigens im Volvo-Video…

Wir werden in den nächsten Jahren sicherlich einige weitere dieser Schutzmechanismen sehen. Zur Erfüllung des Euro NCAP Standards müssen ab 2015 Fahrzeuge derart beschaffen sein, dass ein Fußgänger eine Kollision mit einem 40 Stundenkilometer schnellen Fahrzeug überleben kann.

Der beste Schutz ist natürlich bei jedem Unfall vorhanden, der gar nicht erst passiert. Spurhalteassistent, Bremsverstärker, automatische Notbremse, etc. sind sicherlich zu begrüßen. Und am Besten wäre noch Tempo 30 innerorts! Letzteres wird übrigens in der Verkehrswissenschaft bzw. Unfallforschung als die Lebensrettungsmaßnahme per se angesehen.

Aktualisierung – 24.05.2012

Mittlerweile hat Volve weitere technische Details bekannt gegeben. Sieben Sensoren, die auf Höhe des vorderen Stoßfängers angebracht sind, analysieren im Falle eines Frontalaufpralls, ob es sich um ein menschliches Bein handelt. Die Regeleinheit aktiviert gegebenenfalls den Außenairbag, der sich innerhalb von 50 Millisekunden aufbläht und die gesamte Windschutzscheibe und die A-Säulen abdeckt. Der Airbag bleibt 300 Millisekunden gefüllt.

Ausgelöst wird der Airbag bei einer gefahrenen Geschwindigkeit zwischen zwanzig und fünfzig Stundenkilometer. Bei einer höheren Fahrgeschwindigkeit bremsen andere Assistenzsysteme das Fahrzeug soweit herunter, dass der Fußgänger-Airbag auslösen kann.

Anonymous

Randelhoff Martin

Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
Ist interessiert an innovativen Konzepten zum Lösen der Herausforderungen von morgen insbesondere in den Bereichen urbane Mobilität, Verkehr im ländlichen Raum und nachhaltige Verkehrskonzepte.

Kontaktaufnahme:

Telefon +49 (0)351 / 41880449 (voicebox)

E-Mail: randelhoff [ät] zukunft-mobilitaet.net

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Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V. (VDV) hat mich im Rahmen der VDV-Jahrestagung 2013 in Mainz als “Talent im ÖPNV” des Jahres 2013 ausgezeichnet. Der VDV vertritt rund 600 Unternehmen des Öffentlichen Personennahverkehrs, des Schienenpersonennahverkehrs, des Schienengüterverkehrs, der Personenfernverkehrs sowie Verbund- und Aufgabenträger-Organisationen.

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Randelhoff Martin

Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
Ist interessiert an innovativen Konzepten zum Lösen der Herausforderungen von morgen insbesondere in den Bereichen urbane Mobilität, Verkehr im ländlichen Raum und nachhaltige Verkehrskonzepte.

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