Karlsruhe in den achtziger Jahren. Der Stadt drohten die gleichen Verkehrsprobleme, mit denen viele Städte zu dieser Zeit zu kämpfen hatten: Stau, Lärm und Abgase. Allerdings hat Karlsruhe damals das Ruder frühzeitig herumgerissen und gegengesteuert.
Um motorisierten Individualverkehr aus dem Umland auf den Öffentlichen Personennahverkehr zu verlagern, wurde nach Möglichkeiten gesucht, den ÖPNV attraktiver zu gestalten. Neben der Geschwindigkeit, dem Preis spielt auch der Komfort eine große Rolle bei der Verkehrsmittelwahl. Je öfters man umsteigen muss, desto unattraktiver erscheint eine Verbindung. Als Faustregel gilt, dass eine Verbindung ab zwei Umstiegen entweder nicht gewählt oder nicht mit Öffentlichen Verkehrsmitteln gewählt wird. Die Bewertung fällt abrupt ab.
In Karlsruhe hat man daher überlegt, wie sich die Zahl der notwendigen Umstiege maximal reduzieren lässt. S-Bahn und innenstädtisches ÖPNV-Angebot sind oftmals baulich, organisatorisch und strukturell voneinander getrennt. Bestes Beispiel dafür ist Berlin, wo neben dem Angebot der S-Bahn Berlin, die Berliner Verkehrsbetriebe Busse, Straßenbahnen und U-Bahnen betreiben.
In Karlsruhe liegen Hauptbahnhof und Innenstadt je nach Ziel zwei bis drei Kilometer entfernt. Um den Bruch zwischen S-Bahn / Regionalverkehr und dem Straßenbahn- bzw. Stadtbusverkehr aufzuheben, wurden in den achtziger und neunziger Jahren Straßen- und Eisenbahnstrecken miteinander verknüpft. Dabei wurde die neue Stadtbahn mitten durch die Fußgängerbereiche des Zentrums geführt, um umsteigefreie und damit attraktive Stadt-Umlandverbindungen zu schaffen. Die Fahrzeuge, die für beide Systeme ausgerüstet sind, fahren von Städten aus dem Umland (Heilbronn, Pforzheim, usw.) nach Karlsruhe, wo sie die Innenstadt als Straßenbahn durchqueren, um anschließend wieder als S- oder Regionalbahn das Umland zu bedienen. Dieses Angebot wurde als Karlsruher Modell bekannt.
Als Begründer des Karlsruher Modells gelten Dr. Dieter Ludwig (Mister 15.000 Volt) auf Seiten der Albtal-Verkehrs-Gesellschaft (AVG), der Verkehrsbetriebe Karlsruhe (VBK) und des Karlsruher Verkehrsverbund (KVV) sowie Horst Emmerich auf Seiten der Deutschen Bahn.
Die Strecken
In den vergangenen Jahren wurde das Stadtbahnsystem in und um Karlsruhe immer weiter ausgebaut:
- 1994 nach Baden-Baden über Durmersheim und Rastatt im Vorlaufbetrieb über DB-Gleise, nach Bruchsal über Weingarten sowie die Weiterführung als Tangentialverbindung Bretten–Bruchsal
- 1996 von Bruchsal nach Menzingen sowie aus der Karlsruher Innenstadt nach Baden-Baden über Rastatt
- 1997 nach Pforzheim über Pfinztal, von Bretten nach Eppingen und nach Wörth
- 1998 von Bruchsal nach Odenheim
- 1999 von Bretten nach Mühlacker und von Pforzheim nach Bietigheim-Bissingen sowie von Eppingen nach Heilbronn Hauptbahnhof.
- 2001 von Heilbronn Hauptbahnhof ins Stadtzentrum Heilbronns (Neubau)
- 2002 von Rastatt nach Forbach auf der Murgtalbahn sowie von Pforzheim nach Bad Wildbad
- 2003 von Forbach nach Freudenstadt auf der Murgtalbahn und die Stadtstrecke in Bad Wildbad (Neubau)
- 2004 von Baden-Baden nach Achern
- 2005 von Heilbronn nach Öhringen
- 2006 von Blankenloch nach Spöck und von Freudenstadt Hbf nach Eutingen im Gäu
- 2010 von Wörth nach Germersheim.
Zur Zeit wird ein neuer Stadtbahntunnel unter der Karlsruher Innenstadt gebaut, die sogenannte Kombilösung. In den letzten Jahren steig der Straßenbahnverkehr immer weiter an. Im Stadtzentrum fahren heute bis zu 48 Züge je Stunde und Richtung. Da die Straßenbahn zum großen Teil durch die Fußgängerzone geführt wird, kommt es vermehrt zu Konflikten mit dem Fußgängerverkehr. Hinzu kommen aufgrund der hohen Verkehrsstärke höhere Wartezeiten der Bahnen vor Haltestellen und Signalanlagen und höhere Haltestellenaufenthaltszeiten. Dadurch sinkt die Kapazität des Gesamtsystems.
Indem die Trasse zwischen Europaplatz und Kronenplatz auf 2,4 Kilometer Länge unterirdisch geführt wird, kann diese Strecke zu einer reinen, ein Kilometer langen Fußgängerzone umgestaltet werden.
Neben des ca. 2.400 Meter langen West-Ost-Tunnel (mit Rampen 2.715 Meter) wird ein Nord-Süd-Tunnel mit 900 Meter Länge (mit Rampen 1.050 Meter) errichtet. Sieben neue unterirdische Haltestellen und sieben oberirdische Haltestellen verbessern den Zu- und Abgang. Hinzu kommen vier direkte Zugänge zu innerstädtischen Einkaufszentren.
Die Baukosten (Stand 2011) betragen für den Stadtbahntunnel Kaiserstraße mit Südabzweig ca. 452 Mio. Euro, für die Bahntrasse in der Kriegsstraße mit Straßentunnel ca. 189 Mio. Euro.
Weitere Informationen zur Kombilösung lassen sich auf der Projektwebseite oder in diesem PDF finden.
Die Fahrzeuge
Die Zweisystemwagen sind sowohl für den Einsatz nach BOStrab als auch für den Einsatz im Eisenbahnnetz nach Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO) zugelassen. Sie verfügen über Räder mit einem Radreifen-Mischprofil, das sowohl für den Straßenbahn- als auch den Eisenbahnverkehr geeignet ist. Ferner besitzen sie eine Sicherheitsfahrschaltung, Punktförmige Zugbeeinflussung für den Einsatz im Eisenbahnnetz und Induktive Weichensteuerung für den Verkehr im Straßenbahnnetz.
Stadtbahnzug der Linie S41 auf der Tennetschluchtbrücke der Murgtalbahn – MCMC @ Wikimedia Commons – CC BY-SA 2.5
Um sowohl unter Straßenbahnfahrleitung mit 750V Gleichspannung als auch unter der Eisenbahnfahrleitung mit 15 kV 16,7 Hz Wechselspannung fahren zu können, sind die notwendigen technischen Einrichtungen auf dem Wagendach sowie unter dem Fußboden des Fahrzeug-Mittelteils untergebracht. Der Einholm-Stromabnehmer ist ebenfalls unter beiden Fahrdrahtarten einsetzbar. Hinzu kommen ein Stromsystem-Prüfsystem, ein pneumatischer System-Wahlschalter, ein Transformator sowie ein Gleichrichter mit Glättungsdrossel. Der Übergang zwischen beiden Stromsystemen erfolgt automatisch.
Die Erfolgsstory
Auf der ersten voll im Zweisystembetrieb betriebenen Städte von Karlsruhe nach Bretten stiegen die Fahrgastzahlen innerhalb weniger Wochen um mehrere hundert Prozent. In den achtziger Jahren beförderten die Verkehrsbetriebe Karlsruhe rund 55 Millionen Fahrgäste. Mittlerweile hat sich die Fahrgastzahl auf 109,3 Mio. pro Jahr gesteigert. Im Karlsruher Verkehrsverbund werden jährlich 173 Millionen Fahrgäste befördert.
Mit 411 Kilometer Stadtbahnlinien zählt das Karlsruher Stadtbahnnetz inzwischen zu den größten Europas. Das Karlsruher Modell gilt als Vorbild auf der ganzen Welt. In Deutschland weisen die RegioTram Kassel oder die CityBahn Chemnitz große Ähnlichkeiten auf.
Sehenswert ist auch diese Dokumentation über das “Karlsruher Modell” vom SWR Fernsehen aus dem Jahre 2003. Leider ist der Ton etwas schlecht.
Nachdem ich hier einige teilweise doch recht emotionale Beiträge gelesen habe, möchte ich gerne auch meinen Senf zu dem Thema dazugeben:
Allein der Bau der Kombilösung, also der innerstädtischen Untertunnelung in Karlsruhe, ist sicherlich ein Anzeichen dafür, dass der rasante Erfolg des Karlsruher Modells nun selbst zum Problem wird. Man hat in der Vergangenheit die meisten Strecken durch die Karlsruher Innenstadt hindurch geführt und damit ein Nadelöhr geschaffen, dem man nun nicht mehr anders Herr wird als die Stadtbahn von den übrigen Verkehrsströmen zu trennen, um den sich abzeichnenden Kollaps aus lauter Straßenbahnen zu vermeiden. Wer aber am grundsätzlichen Erfolg des Karlsruher Modells zweifelt, der möge sich nur das im Vergleich zu anderen Nahverhrsverbünden rasante Wachstum des Karlsruher Schienennetzes vor Augen führen, das allein spricht schon Bände.
Ich selbst mache aber noch ganz andere Beobachtungen. Ich bin im Baubereich tätig, und zwar im südlichen Kraichgau, dem eher ländlich geprägten Umland nordöstlich von Karlsruhe. Hier hat sich in den letzten 10-15 Jahren eine deutliche “Zweiklassengesellschaft” innerhalb der Gemeinden ausgebildet, solche mit oder ohne Stadtbahnanschluss. Bei Anfragen nach Wohnungen oder Bauplätzen ist stets ein großer Wunsch “aber bitte mit Stadtbahnanschluss”, und zwar quer durch alle Altersgruppen, egal ob junge, ungebundene Leute, Familien mit Kindern oder Rentner. Dörfer ohne Stadtbahnanschluss bleiben auf der Strecke, während gleichzeitig Ortschaften “mit Stadtbahn” einen unglaublichen Boom erleben. Hier kann die Erschließung neuer Baugebiete mit dem ansteigenden Bedarf nicht mithalten, scheinbar ganz gleich, wie viel erschlossen wird, während nebenan selbst eine gut getaktete Busverbindung diesen Nachteil nicht ausgleichen kann.
Die Stadtbahn ist ein konkurrenzloser Standortvorteil, wenn es darum geht, Menschen oder Industriegebiete anzusiedeln. Sie scheint einen unwiderstehlichen Sog auf alles um sich herum auszuüben.
Aber es geht mit auch selbst so. Ich wohne gut. Müsste ich jedoch umziehen, dann aber bitte “mit Stadtbahn”.
Viele Grüße
Th. Grimm
Was bedeutet die Abkürzung CFL-Zug in den DB-Fahrplänen
Hallo Herr Schöpf,
CFL steht für die staatliche Eisenbahngesellschaft Luxemburgs mit dem Namen Société Nationale des Chemins de Fer Luxembourgeois. Die Züge verkehren Stand Januar 2016 als Regional-Express von Koblenz über Trier und Wasserbillig nach Luxemburg.
Viele Grüße,
Martin Randelhoff
So eindeutig erfolgreich ist das Karlsruher Modell nicht! Schon verkehrstechnisch ist gerade die 100%ige Zentralisierung (alles durch die Kaiserstraße) und den daraus folgenden Kapazitätsproblemen fragwürdig. Je erfolgreicher das Karlsruher Modell desto fragwürdiger und – wie geschildert – problematischer!
Die politisch daraus erzwungene Konsequenz – die sog. Kombilösung – führt noch nicht einmal zu einer wirklichen Lösung, weil es bei 50% der Anzahl Fahrten durch die besagte Karlsruher “Fußgängerzone” (die nie eine echte Fußgängerzone war) bleiben wird. Kommt hinzu, dass die unmittelbar betroffenen Einzelhändler aus gutem Grund gegen die sog. Kombilösung und gegen einen Tunnel waren und sind.
Bei der ersten in Karlsruhe abgehaltenen Bürgerbefragung / Volksentscheid hatte sich auch eine Mehrheit der Karlsruher gegen den Tunnel ausgesprochen. Deswegen hat der damalige CDU-Oberbürgermeister dann nach drei Jahren die Abstimmung einfach wiederholen lassen und diesmal die nicht von dem verkehrstechnisch falschen Konzept betroffenen Einwohner aus dem Karlsruher Umkreis mit abstimmen lassen – und siehe da, Herrschaft und (Schein-) Demokratie schließen sich nicht mehr aus.
Das Karlsruher Modell besteht also vielmehr darin, wie die CDU ihre Herrschaft auch in widerständigen Zeiten durchpauken kann1 Verkehrspolitisch ist das Karlsruher Modell schon immer sehr, sehr fragwürdig:
Ich durchquere jeden (Werktag) nahe zu das gesamte KVV-Einzugsgebiet und bin auch jedesmal dankbar, dass ich nicht mit der KVV fahren muss (sondern mit Bahn und Rad) – mit der KVV bräuchte ich glatt 2,5 Mal so lange. Nee danke! Und wenn man auch nur die Karlsruher Innenstadt zugrunde legt: Die oftmals vorgeschlagene Tangetiallösung (bei der die Bahnen eben nicht mehr, oder zumindest nur noch wenige, die Kaiserstraße durchfahren), hätte die Menschen weiterhin bis auf wenige 150m an die Kaiserstraße herangebracht, aber den selbst erzeugten Stau (von KVV und KVB) nahezu ausgeschlossen.
Warum also jetzt die verkehrlich massiv schlechtere Lösung? Ganz einfach: aus dem selben Grund wie S(chwachsinn)21! Hinter der KVV steckt die DBAG. Und die bläht ihre Grundlagen für Vorstandstantiemen nunmal dadurch auf, dass die Projektkosten möglichst hoch sind und die sog. Eigenleistung (= nichts tun, nur als solches deklarieren) sich mit über 20% der geplanten(! oder besser gesagt aufgeblähten) Kosten, als Blattgold auf den Arsch kleben lassen. Zu Lasten der Karlsruher Fahrgäste und natürlich zu Lasten der Steuerzahler. Ganz zu schweigen von der weiterhin verkehrlich katastrophalen Situation sowohl für die Karlsruher als auch alle Nutzer von außerhalb in oder oder gar durch Stadt Gequälten. Von dem absolut undemokratischen Zustandekommen der politisch erzwungen und aufgenötigten Kombilösung noch ganz zu schweigen.
Das Karlsruher Modell verhindert leider nicht den täglichen Verkehrskollaps in der Karlsruher Innenstadt und auch die Kombilösung sollte man kritisch hinterfragen. Mit einer reinen Verlegung des Stadtbahnverkehrs auf die Kriegsstraße hätte die Situation in der Fußgägnerzone bereits sehr effektiv und viel kostengünstiger realisiert werden können. Auch bei vielen Bürgern stößt die Kombilösung auf Ablehnung. Nicht zuletzt weil man den von Großprojekten bekannten Kostenanstieg in der politischen Meinungsbildung komplett verneinte.
Nichtsdestotrotz hoffe ich, dass möglichst viel neue Grünfläche entsteht und die Radwege in der Innenstadt ebenfalls ausgebaut werden.
Hallo,
von den Problemen habe ich bei meiner Recherche gar nicht so viel mitbekommen. Ich habe zwar etwas über das Gegenkonzept gelesen und auch über die Abstimmung, bei der nur eine knappe Mehrheit für die Kombilösung gestimmt hat und diese Stimmen vor allem aus den Karlsruher Außenbezirken kamen, die von den innenstädtischen Problemen gar nicht betroffen sind.
Soweit ich weiß, wurde ein Alternativvorschlag bereits im Jahr 1996 abgelehnt. Hätte es denn jetzt (bzw. vor einigen Jahren) eine Zustimmung zu diesem Alternativvorschlag gegeben? Ich kenne mich mit den Karlsruher Gegebenheiten leider nicht aus und müsste die Stadt mal in naher Zukunft besuchen und mir das System genauer anschauen.
Generell sind Tunnelbauten natürlich mit höheren Baukosten verbunden. Die Folgekosten für Wartung und Instandhaltung liegen auch um ein ganzen Stückchen höher. Weitere negative Folge ist die Schaffung eines “Flaschenhalses” mit geringerer Flexibilität bei Störungen. Und man kann die Kapazität eines Tunnels nur sehr schwer weiter erhöhen, da die Blockabstände verringert werden müssten. Das sind natürlich alles Faktoren, die dieses Kombimodell schwächen. Ich bin mir nur nicht sicher, ob die Alternativlösung die gleiche Verbindungsqualität in die Innenstadt geboten hätte.
Und auf letzteres ist natürlich immer zu hoffen… ;-)
Martin Randelhoff