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Innenstadtmaut in London, Mailand und Stockholm – eine Übersicht

Dies ist ein Gastartikel von André Jalowy. Wenn auch Sie Interesse haben, hier einen Gastartikel zu veröffentlichen, dann schreiben Sie uns bitte.

Stau, Lärm und schlechte Luft belasten viele Städte und Ballungsgebiete. Die Verstädterung nimmt weiter zu und urbane Zentren werden zum Lebensraum für viele Menschen auf engstem Raum. Dieser Trend setzt sich konstant seit Jahrzenten fort. In Europa kommt erschwerend hinzu, dass viele Städte mittelalterliche Altstädte und Grundrisse haben. Dadurch sind sie heutigen Verkehrsmassen oft nicht gewachsen. Somit müssen wir uns fragen, wie wir diese Städte gestalten wollen. Aktuell optimieren wir die Städte oft ohne Rücksicht auf die Lebensqualität ihrer Bewohner. Straßen werden verbreitert und ein weiterer Grünstreifen zumeist dem ruhenden Verkehr geopfert. Hinzu kommt ein zunehmendes Finanzierungsproblem des Öffentlichen Verkehrs und anderer Infrastrukturmaßnahmen. Alleine der Unterhalt der bereits existierenden Infrastruktur benötigt jährlich mehrere Milliarden Euro.

Doch eigentlich sollte es Ziel der Kommunen sein, die Lebensqualität der Bewohner und Besucher zu steigern. Dieses Ziel wird nur durch eine Reduzierung des Verkehrs erreichbar sein, womit jedoch keineswegs eine Einschränkung der Mobilität gemeint ist! Die Frage ist nun, wie dieses Ziel erreicht werden kann. Durch zum Beispiel Verkehrserziehung, Angebotserweiterung des ÖPNV, besseren Bedingungen für den Radverkehr oder auch durch Einschränkungen des Autoverkehrs.

Ich halte es da mit Prof. Jonas Eliasson, der sagt, man müsste die Menschen „anschubsen“ und dadurch in die richtige Richtung lenken. Mit Vernunft und Aufklärung lässt sich leider nur ein Teil des Zieles erreichen. Am effizientesten werden Menschen immer noch über ihren Geldbeutel erreicht. Ein monetärer Anreiz zur Veränderung des Verkehrsverhaltens ist beispielsweise die Einführung einer Citymaut.

Natürlich muss die Mobilität für alle gewährleistet bleiben. Niemand darf ausgeschlossen werden, weil er es sich nicht leisten kann, in die Stadt zu fahren. Wie bei allen Maßnahmen ist deswegen die Dosis entscheidend. Nun gibt es unterschiedlichste Formen von Citymautsystemen, von denen im Folgenden drei vorgestellt werden: London, Mailand und Stockholm. Des Weiteren wird im Folgenden kurz erklärt, wie der volkswirtschaftliche Nutzen eines solchen Systems zustande kommt.

Die Londoner Congestion Charge

London war eine der ersten Städte in Europa, die bereits 1995 über die Implementierung einer Citymaut nachdachte. Im Jahr 2000 nahm der damalige Bürgermeisterkandidat Ken Livingston die Maut in sein Wahlprogramm mit auf. Er gewann die Wahl und am 17.02.2003 wurde die sogenannte Congestion Charge eingeführt. Die Einnahmen werden, gesetzlich festgeschrieben auf zehn Jahre, nur für den Ausbau des ÖPNV genutzt.

Laut Gesetz sind sämtliche Nettoeinnahmen aus der Citymaut in den ersten 10 Jahren nach Einführung der Maut ausschließlich für die Verbesserung des Transport- und Verkehrswesens in London zu verwenden.

– TfL (2012a) S. 27

Die Pendler verbrachten vor der Maut die Hälfte ihrer Zeit im Stau. London verlor dadurch wöchentlich grob geschätzt 2,5 – 5 Mio. €. Auf welche Weise diese Zahlen zustande kommen, wird an späterer Stelle mit einer groben Erklärung der Kosten-Nutzen-Analyse erläutert.

In London zahlen aktuell alle Nutzer (natürlich gibt es auch einige Ausnahmen), die in das Kordonsystem einfahren zwischen 9 £ und 12 £ (je nach Zahlungsart und Zeitpunkt). Mit umgerechnet rund 15 € fällt diese Gebühr recht hoch aus. Die Mauteinnahmen betrugen im Jahr 2004/05 98 Mio. £, 2007/08 bereits 137 Mio. £ und 2009/10 sogar 148 Mio. £. Von diesen Einnahmen werden jedoch jedes Jahr rund 90 Mio. £ für die Betriebskosten aufgewendet. Der Überschuss wird in den öffentlichen Verkehr investiert. Dazu zählen auch Veränderung des Straßenraums, Verkehrserziehung und alle Maßnahmen, die den ÖPNV fördern.

Die Fahrzeugkilometer sanken nach der Einführung um 15%, die Geschwindigkeit des Verkehrs stieg um 17% und die Nutzung des ÖPNV stieg auch. Die folgende Grafik stammt aus dem 5. Jährlichen Monitoring Bericht von Transport for London. Sie zeigt die Bus Nutzung von 1986 bis 2006.

Anzahl Busfahrgäste London 1986 - 2006
Anzahl der Busfahrgäste, die in den Innenstadtbereich zwischen 07:00 und 10:00 Uhr einfahren in den Jahren 1986 – 2006 – Quelle: Transport for London (2007a), S. 58

Die Erhebungen erfolgten immer von 7:00-10.00 unter Busnutzern, die nach Central London fuhren. Der Startwert von 1986 liegt mit rund 90.000 Nutzern recht hoch. Bis 1999 fielen die Nutzerzahlen bzw. stagnierten. Erst im Jahr 2000 setzte ein Aufwärtstrend ein, welcher bis 2004 anhielt. Dort wurde das Maximum von rund 118.000 Passagieren erreicht. Nun zur Einordnung der Congestion Charge in dieses Schema: Die gestrichelte Linie markiert den Start der Maut. Jedoch ist offensichtlich zu erkennen, dass sich die Nutzerzahlen bereits in einem konstanten Aufwärtstrend befanden. Es ist nicht zu erkennen, dass die Maut zu einer noch stärkeren Nutzung geführt hätte. Seit 2004 stagnieren die Zahlen und 2006 stellte TfL die Zählungen nach 20 Jahren ein. Leider ist dadurch nicht zu erkennen, welchen Einfluss die weitere Erhöhung der Mautgebühr auf die Passagierzahlen hatte.

Dies sind die primären, offensichtlichen Nutzen einer Maut: weniger Stau und Geld für Investitionen.

Doch der Nutzen einer Maut wird wesentlich umfassender ermittelt. In einer solchen Kosten-Nutzen-Analyse werden alle Effekte einer Verkehrsmaßnahme einbezogen (oder besser es wird versucht). Die Effekte auf die

  • Steuereinnahmen (weniger Fahrleistung -> geringerer Kraftstoffverbrauch -> ergo weniger Steuern),
  • die Umwelteffekte (Lärm, Luftverschmutzung),
  • die schnellere Fahrzeit durch die Stadt für Autos und ÖPNV (weniger Stau),
  • weniger Einnahmen aus Parkgebühren und
  • Weniger Unfälle sind die meistbetrachteten Faktoren.

Natürlich werden auch die Investitionen und Betriebskosten mit eingerechnet. Diese komplette Analyse und die Vorgehensweise bei der Kosten-Nutzen-Analyse sind dem jeweiligen Ministerium (hier Transport for London) selbst überlassen, d.h. sämtliche Maßstäbe kann der Ersteller im Endeffekt selber festlegen. Aufgrund dessen gibt es zu jedem Projekt  je nach Ersteller der Studie verschiedenste Einschätzungen.

Beispielhaft zeigt die folgende Tabelle die vollständige Kosten-Nutzen-Aufstellung des Jahres 2005, als die Congestion Charge noch 5 £ betrug. Diese Tabelle wurde von Transport for London erstellt und 2007 veröffentlicht. 

Folgen Auswirkungen London CC
Einfluss der Maut (Höhe: 5 Pfund) auf die verschiedenen Verkehrsarten zu Preisen und Werten des Jahres 2005 in Millionen Pfund – Quelle: Transport for London (2007b), S. 19

Das Gewicht der 266 Mio. £ pro Jahr ist eindeutig zu erkennen. Dort werden die Zeitgewinne und Zuverlässigkeitsgewinne der Maut gebündelt. Die Nutzer müssen sozusagen weniger Pufferzeiten einplanen, wenn sie einen Termin haben, weil es weniger Stau gibt. Dieses wird dann monetär bewertet und als Zuverlässigkeitsgewinne hinzugezogen. Volkswirtschaftlich fallen natürlich auch die Mauteinnahmen mit 215 Mio. £ ins Gewicht. Zu erkennen ist des Weiteren, dass im Jahr 2005 alleine 109 Mio. £ zum Betrieb des Systems benötigt wurden.

Auf den ersten Blick mag einem das als ausgewogene und sinnvolle Methode erscheinen. Es gibt nur ein Problem. In London werden 93% aller Nutzeneffekte durch den schnelleren Verkehr bzw. der Ersparnis an Fahrzeit erzielt. Dieser Effekt setzt sich zwar aus mehreren Teilen zusammen, diese werden aber alle durch den Value of Time bestimmt, dem Wert für eine Stunde eingesparte Fahrzeit.

Je nachdem wie dieser Wert festgelegt bzw. welche Berechnungsgrundlage zugrunde gelegt wird, verändert sich der komplette Nutzen einer Verkehrsmaßnahme. Problematisch ist auch die Spanne, in welcher sich der Wert international bewegt. Prud’homme, der führende französische Wissenschaftler auf dem Gebiet, setzte für Paris einen Wert von 8,80 €/h an und empfahl, dass sich eine Maut für Paris nicht lohnen würde. TfL setzte hingegen für den Londoner Verkehr rund 37 € pro Stunde an, Eliasson in Stockholm ca. 12 €. Bereits mit ein bisschen Kopfrechnen erkenn man, dass eine einzige Variable, welche 90% des Gesamtnutzens bestimmt und zwischen 9 € und 37 € liegt, der entscheidende Faktor ist. Im Umkehrschluss heißt das: Wähle deinen Zeitwert, je nachdem welches Ergebnis du brauchst.

Bei der Berechnung der Zeitersparnisse spielt auch noch die durchschnittliche Geschwindigkeit des Verkehrs und andere Variablen eine Rolle. Auch diese haben sehr großen Einfluss auf das Ergebnis. Sensitivitätsanalysen haben ergeben, dass teilweise Schwankungen von +/-10% eine Veränderung von 100% auf das Gesamtergebnis haben. (Raux (2012), S. 5)

Hinzu kommt ein Wahrnehmungsproblem. Bei ein paar Millionen Nutzern ergeben sich riesige Zeitersparnisse, welche monetär ausgedrückt mehrere Millionen Euro betragen. Wenn diese Zahlen jedoch auf einen Nutzer und eine Fahrt runtergebrochen werden, sind es nur noch einige Sekunden. Pro Kilometer beträgt die Zeitersparnis in London

  • 0,06 Min. (3,6 s) in der Inner Area,
  • 0,01 Min. (0,6 s) innerhalb der Outer Area und
  • 0,59 Min. (35,4 s) innerhalb der Charged Area.

Insgesamt werden pro Tag in der Charged Area 11.953 Stunden, in der Inner Area 14.245 Stunden und innerhalb der Outer Area 5.812 Stunden an Fahrzeit eingespart. Beim einer Reiseweite von 10 km, welche in rund 30 Minuten zurückgelegt wird, spart der Nutzer innerhalb der Inner Area 36 s und in der Outer Area 6 s. (Raux (2012), S. 3)

Wem fällt es auf, wenn er bei 30 min Fahrzeit 36 s schneller ist? Das ist eine verpasste grüne Ampel.

In den letzten Jahren hat zudem der Verkehr sein Vor-Maut-Niveau erreicht und somit gehören diese oben genannten Ersparnisse auch der Vergangenheit an. Dieses war auch dadurch zu erkennen, dass TfL die Veröffentlichung der Zahlen zum Verkehrsaufkommen einstellte und auch offiziell auf seiner Internetpräsenz zugab:

Sadly, congestion has risen back to pre-charging levels but would be much worse without the charge.

– Transport for London (2012b)

Dies kann einerseits durch Umbaumaßnahmen der Straßen begründet werden, d.h. der Straßenraum für Fahrräder und Fußgänger wurde vergrößert und somit für Autos verringert. Dies erklärt aber nicht den kompletten Effekt. Vielmehr liegt dies in der Psychologie des Menschen. Nach nun fast 10 Jahren haben sich die Nutzer an die Gebühr gewöhnt und diese akzeptiert.

Der Stau ist zurück und die Nutzenberechnung ist fragwürdig. Jedoch ist die subjektive Wahrnehmung der Menschen offensichtlich eine andere, sonst wäre die Zufriedenheit wesentlich geringer. Die Investitionen in den ÖPNV und die Umbaumaßnahmen im Straßenbild scheinen für den Nutzer sichtbare und positive Effekte darzustellen. Umfragen zeigen auch, dass viele Menschen einen Anstieg ihrer Lebensqualität sehen.

Dieser Zusammenhang, zwischen der Zufriedenheit mit einer Maut und offensichtlichen Infrastrukturmaßnahmen zeigte sich auch in anderen Städten. 

Pkw-Maut Zufriedenheitswerte vor und nach Einführung in Norwegen
Zufriedenheit mit dem Verkehr vor und nach Einführung einer Innenstadtmaut – Quelle: Gehlert (2009), S. 39

In diesem Diagramm ist die Zufriedenheitsveränderung für Bergen, Oslo und Trondheim zu erkennen. Der blaue Balken zeigt Ergebnisse von Befragen vor der Einführung, die roten nach der Implementierung einer Maut. Sehr deutlich ist der teilweise massive Zufriedenheitsanstieg nach der Einführung der Maut zu erkennen. Die Ängste vieler Bürger wurden anscheinend schnell entkräftet und der Nutzen der Maut erkannt. Oft geschieht dies durch offensichtliche Maßnahmen, wie Straßenausbesserungen oder eine wesentliche Verbesserung des ÖPNV-Angebots. Natürlich sind diese Werte nur Momentaufnahmen und die Zustimmung schwankt sehr stark über einen längeren Zeitraum.

Vor allem für die Politik spielt die Zustimmung eine große Rolle. Kein Politiker wagt dieses Thema anzugehen, wenn er dadurch seinen Posten gefährdet. Das dann wahrscheinlich auch noch für Effekte, welche weit hinter seiner Amtszeit liegen. Zu diesem Thema gibt es einige Untersuchungen, welche aber hier den Rahmen sprengen würden.

Ecopass in Mailand

In Mailand wohnen 8 Mio. Menschen, etwa 7000 Einwohner pro km2. Mit 0,4 Autos pro Einwohner und 1,17 Autos pro Familie hat der größte Ballungsraum Italiens die höchste Autodichte weltweit.

In Mailand wurde die Maut 2008 aus einer anderen Prämisse als in London eingeführt. Zwar lag hier auch ein Stauproblem vor, jedoch waren die Umweltprobleme, vor allem die hohe Luftverschmutzung, ein größeres Übel. Somit wurde eine Maut von 7:30 bis 19:30 Uhr, gestaffelt nach den Abgasklassen, eingeführt. Je schlechter die Abgaswerte, desto höher die Gebühr. Diese ist gestaffelt in 5 Klassen von vollkommen freigestellten Fahrzeugen wie Biogas, Hybrid, E-Autos oder einigen Benzinern bis zu 10 € für einige Dieselfahrzeuge.

Im Vergleich zu London oder Stockholm sind sowohl der Wohlfahrtsgewinn als auch die Nutzerzahlen wesentlich geringer. Die Zahl der einfahrenden Pkw beträgt nur 20% der von London und 18% der von Stockholm. (Rotaris et al 2010 S.362) 2008 betrug der Wohlfahrtsgewinn nur 6 Mio. €. (Rotaris et al. 2010 S.367)

Interessant ist auch die Zusammensetzung des Verkehrs und der Mauteinnahmen. Der Frachtverkehr stellt zwar nur 13% des Verkehrsaufkommens, jedoch zahlt dieser 42% der Mauteinnahmen. Dies folgt aus den oft wesentlich schlechteren Abgaswerten im Frachtverkehr. (Rotaris et al. 2010 S.363)

Diese Maut ist ein eindeutiges Anreizsystem zur Anschaffung sauberer und umweltverträglicher Fahrzeuge. Schon innerhalb sehr kurzer Zeit veränderte sich die Flottenzusammensetzung der zugelassenen Pkw, welche in die Mautzone einfuhren. Allgemein ging im ersten Monat der Verkehr innerhalb der Zone um 22,7% und außerhalb um 12,5% zurück. Auch der ÖPNV profitierte von der Abnahme des Autoverkehrs, die Durchschnittsgeschwindigkeit stieg von 8,67 km/h auf 9,64 km/h und sowohl im Januar als auch im Februar stieg die Anzahl der Passagiere um 9% bzw. 9,8%.( Bielefeldt et al. (2008), S. 92)

Auch die Emissionen sanken: PM10 um 20%, NO2 um 25% und die CO-Konzentration sank von 2,2 mg/m³ auf 1,6 mg/m³ im Vergleich zum Januar 2007.( Bielefeldt et al. (2008), S. 93 ) Eines der erstaunlichsten Ergebnisse ist die schnelle Anpassung der Nutzer an die Gebührenstaffelung nach Abgasklassen.

In the month of January, the shares of passenger cars with emission class 3 went down from 15% to 9%, class 4 from 22% to 11% and class 5, for which the charge is € 10 per day, from 0.4% to 0%. Concerning Light Duty Vehicles the share of class 4 decreased from 49% to 39% and of class 5 from 22% to 15%.

– Bielefeldt et al. (2008), S. 91

Diese Veränderung setzte sich konstant fort. Hieraus entsteht natürlich ein grundlegendes Problem für die Rentabilität des Systems. Wenn der Großteil der Nutzer keine Gebühr mehr zahlt, sinken die Einnahmen und es entsteht kein Überschuss für Investition bzw. sogar ein Defizit bei näherer Betrachtung der Kapitalkosten. Aufgrund dessen wurde die Gebührenordnung bereits nach kurzer Zeit angepasst. Dies soll in Zukunft weiterhin geschehen. Die Mailänder Maut existiert erst 4 Jahre und somit sind zurzeit weder mittelfristige noch langfristige Effekte einschätzbar. Insbesondere auf die weitere Entwicklung der Verkehrszusammensetzung und daraus resultierenden Gewinnentwicklung des Systems gilt es zu achten.

Ein Parkhausbesitzer hatte wegen des Rückgangs seiner Einnahmen gegen die Maut geklagt. Dieser Klage wurde erst stattgegeben und die Maut bis zum Urteil ausgesetzt. Nun entschieden die Richter die Klage abzuweisen und die Maut besteht weiter. (Sicurauto (2012))

trängselskatt in Stockholm

In Stockholm eine Maut gestaffelt nach Tageszeiten eingeführt. Zu den typischen Pendlerspitzen (7:30-8:30 und 16:00-17:30) ist die Gebühr mit 2 € am höchsten. Jeweils 30 min vor und nach den Spitzen beträgt sie 1,50 € und den Rest der Zeit von 6:30-18:30 ein Euro. Dadurch wird versucht, den Verkehr weg von diesen Spitzen zu verlagern. Hinzu kommt, dass die Maut sowohl beim Einfahren als auch beim Ausfahren aus der Zone bezahlt werden muss, somit zahlt ein Pendler bis zu 4 € am Tag.

Noch ein paar Sätze zur Einführung, Vorbereitung und Abstimmung nach der Versuchsphase. Ursprünglich war die Maut, wie in London, vorgesehen um frisches Geld für den ÖPNV zu schaffen. Doch kurz vor der Versuchsphase wechselte die Regierung und heute wird das Geld für den Straßenbau verwendet. Ironischerweise wurden trotzdem vor der Versuchsphase 197 Busse gekauft, 14 neue Buslinien geschaffen (insbesondere in weiter entfernte Randgebiete) und die Park-and-Ride Möglichkeiten massiv ausgebaut. Die Reichweite des ÖPNV wurde dadurch um 7 % erhöht und die P&R Kapazität um 29 %. (Eliasson et al. (2009), S. 242)

Nun wurde die Versuchsphase durchgeführt und danach wurden sowohl die Bewohner der Stadt als auch der Umgebung (14 angrenzende Gemeinden) zur Abstimmung aufgerufen. Interessanterweise waren 52,5 % gegen die Einführung. Doch die Bewohner der Stadt Stockholm, ohne Umgebung, stimmten mit 53 % für die Einführung. Dies kann man werten wie man möchte, denn wenn man die extrem niedrigen Akzeptanzwerte von z.B. 7,4 % zum Zeitpunkt der Einführung in Trondheim betrachtet, sind auch 47 % Zustimmung sehr viel. Trotzdem wollte ich diesen Fakt nicht unerwähnt lassen… (Bielefeldt et al. (2008), S. 51)

Nun zu den Effekten der Maut. In Stockholm wurde die Reduzierung des Verkehrsaufkommens gestaffelt nach Uhrzeiten erfasst. Die Spanne liegt zwischen 5% und 36% im Durchschnitt bei 19%. Die Morgendliche Spitze wurde um 14% reduziert und die abendliche um 19%.

Stockholm Verkehrsfluss
Verkehrsfluss in Stockholm in 24 Stunden-Scheiben – Evaluation of the Effects of the Stockholm Trial on Road Traffic, Report der Stad Stockholm, Juni 2006

In diesem Diagramm aus dem Evaluationsbericht der Stadt Stockholm sind die Veränderungen gut zu erkennen. Die roten Balken stellen die Verkehrsspitzen dar. Der gelbe Bereich die Zeiten zwischen den Peaks und grün die unbemauteten Zeiten. Die blaue Linie stellt das Verkehrsaufkommen vorher dar, die schwarze Linie den Zustand nach der Implementierung. Die blanken prozentualen Werte sind die eine Seite, aber die absoluten Zahlen eine andere. Logischerweise ist die prozentuale Reduzierung zu den Spitzen geringer, da hier die absoluten Startwerte viel höher sind. Im Diagramm zeigt sich eine relativ konstante Senkung. Morgens scheinen die Nutzer unflexibler zu sein als zur abendlichen Spitze, da hier die Abnahme geringer ausfällt. Hier gibt es Berichte, dass Autofahrer bis 18.30 warten, bis sie die Stadt verlassen. Es wird entweder länger gearbeitet oder eingekauft et cetera. Jedoch wäre ohne die Staffelung der Mautgebühr die Senkung der Spitzen noch wesentlich geringer ausgefallen.

In einem Bericht von Jonas Eliasson aus dem Jahr 2011 (also rund 4 Jahre nach Einführung der Gebühr), ist noch nicht zu erkennen, dass der Verkehr zu seinem alten Vor-Maut-Niveau zurückkehrt. In London hat es aber auch zehn Jahre gedauert, bis der Stau zurück war. Wir dürfen also gespannt sein, wie die Mautsysteme und die Nutzer bzw. ihr Verhalten sich entwickeln. (Eliasson et al. (2011)) 

Im Endeffekt zeigen alle drei Systeme, dass sich die Nutzer konstant anpassen und sich an die Maut gewöhnen. Sie verlagern Fahrten in kostenfreie oder kostengünstigere Zeiten wie in Stockholm. In Mailand lassen sie das dreckigere Auto stehen oder kaufen sich ein umweltfreundlicheres. Es unterstreicht auch wiedermal, wie viel wir bereit sind für die Nutzung des eigenen Autos zu zahlen (Spritpreise, Parkgebühren…) ohne unser Verhalten nachhaltig zu ändern. Dadurch gehen die positiven Effekte verloren (Verkehrsreduzierung etc.). Auch die Rentabilität der Maut, wie in Mailand, kann gefährdet sein. Mailand ist natürlich ein Sonderfall, da hier das Ziel, die Menschen zur Nutzung umweltfreundlicherer Autos zu bewegen, damit immer mehr erreicht wird. Diese konstante Anpassung der Nutzer an das jeweilige System zeigt deutlich, dass sich auch die Systeme immer wieder verändern müssen. In London gab es nun schon etliche Anpassungen und aktuelle gibt es Gespräche über die Konditionen der Congestion Charge. Von den Mauterhöhungen bis zu Erweiterung, welche wieder zurückgenommen wurde. Spannend wird auch die Verwendung der Gelder ab 2013, da ab dann die gesetzliche Verwendungspflicht abgelaufen ist. Auch in Mailand wurde die Tarifstruktur schon in den 4 Jahren angepasst. Die Rücknahme nach den Protesten in London beweist, dass ein System immer mit seinen Nutzern kommunizieren muss. Nur durch eine hohe Zufriedenheit hat die Maßnahme eine Chance.

Des Weiteren ist dies wichtig, um auch anderen Bürgermeistern zu zeigen, dass die Implementierung einer Maut kein politischer Selbstmord ist. In vielen Ländern sind Straßenbenutzungsgebühren noch wie ein rotes Tuch auf das einige Medien und andere Interessenverbände sehr „abweisend“ reagieren. Ich bin gespannt ob dies sich in naher Zukunft ändert.

Insgesamt zeigt die Realität, dass eine Maut immer nur ein Teil eines Gesamtkonzeptes sein kann, welches langfristig das Mobilitätsverhalten bzw. die Verkehrsmittelwahl der Nutzer beeinflussen will. Einerseits werden finanzielle Mittel generiert, die Investitionen in den öffentlichen Verkehr und die Infrastruktur ermöglichen. Andererseits wird den Menschen ein Anreiz gegeben diese auch verstärkt zu nutzen (bzw. eher das Auto unattraktiver gemacht). Diese finanziellen Mittel müssen jedoch sehr intelligent und nachhaltig eingesetzt werden, um die Nutzer auch langfristig zum Umsteigen zu bewegen. Nur ein gutes Konzept zur Verwendung der Einnahmen macht eine Maut sinnvoll!

Womit wir wieder bei Eliasson und dem Anschubsen in die “richtige Richtung” wären…

Quellen:

  1. Transport for London (2007a): Impact Monitoring; Fifth Annual Report, July 2007
  2. Transport for London (2007b): Central London Congestion Charging Scheme: ex-post evaluation of the quantified impacts of the original scheme
  3. Bielefeldt, C. (TRi), Persia, L., Giustiniani, G. (DITS), Knockaert, J. (ESI-VU), Bonsall, P. (ITS), Tretvik, T. (SINTEF), Condie, H., Maher, M. (TRi) und Angelo Martino (TRT) (2008) : DIFFERENT User Reaction and Efficient Differentiation of Charges and Tolls; Results from urban case studies
  4. Eliasson, J. und L. Jonsson (2011): The unexpected „yes“: Explanatory factors behind the postive attitudes to congestion charges in Stockholm, Transport Policy, Jahrgang 2011, Ausgabe 18, S. 636-647
  5. Transport for London (2012a): Was müssen Sie über die Citymaut wissen? http://www.tfl.gov.uk/tfl/languages/deutsch/german-congestion-charge-leaflet.pdf (Abrufdatum 04.12.2012)
  6. www.Sicurauto.it (2012): http://www.sicurauto.it/news/milano-l-area-c-resiste.html (Abrufdatum 03.12.2012)
  7. Gehlert, T. (2009): Straßenbenutzungsgebühren in Städten: Akzeptanz und Mobilitätsverhalten, Verkehrspsychologie, VS Research, 1.Aufl., Wiesbaden
  8. Raux, C., Souche, S. und Damine Pons (2012): The efficieny of congestion charging: Some lessons from cost-benefit analyses, Research in Transportation Economics (2012)
  9.  Transport for London (2012b): http://www.tfl.gov.uk/roadusers/congestioncharging/6723.aspx (Abrufdatum 03.12.2012)
  10. Rotaris, L., Danielis, R., Marcucci, E. und J. Massiani (2010): The urban road pricing scheme to curb pollution in Milan, Italy: Description, impacts and preli-minary cost-benefit analysis assessment, Transportation Research Part A, Jahrgang 2010, Ausgabe 44, S. 359-375
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André Jalowy

André Jalowy studiert Master Verkehrswirtschaft an der TU Dresden und beschäftigt sich hauptsächlich mit Kosten-Nutzen-Analysen, Verkehrspolitik, Wirtschaftlichkeitsrechnungen und ökonomischer Geografie.

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André Jalowy

André Jalowy studiert Master Verkehrswirtschaft an der TU Dresden und beschäftigt sich hauptsächlich mit Kosten-Nutzen-Analysen, Verkehrspolitik, Wirtschaftlichkeitsrechnungen und ökonomischer Geografie.