Das dänische Radverkehrs-Beratungsunternehmen Copenhagenize.eu, das aus dem sehr zu empfehlenden Blog Copenhagenize.com hervorgegangen ist, hat vor einigen Tagen die Liste der 20 radfreundlichsten (Groß-)Städte auf der Welt für das Jahr 2011 veröffentlicht. Der “Copenhagenize Index” listet Amsterdam als fahrradfreundlichste Stadt weltweit mit 54 von maximal 64 erreichbaren Punkten. Kurz dahinter folgen Kopenhagen und Barcelona. Als erste deutsche Stadt ist Berlin mit 41 / 64 Punkten auf Platz 5 zu finden, München folgt mit 40 / 64 Punkten knapp dahinter auf Platz 6. Die dritte deutsche Stadt wird von Hamburg mit Platz 13 vertreten.
Das schöne am Copenhagenize Index ist, dass sowohl die einzelnen Wertungskategorien beschrieben sind als auch eine Art Kurzbewertung mit Verbesserungsvorschlägen für jede Stadt veröffentlicht wird. Daher bietet sich der Copenhagenize Index dazu an, gute Radverkehrsinfrastruktur und gute Verkehrspolitik von schlechter zu unterscheiden und an verschiedenen Beispielen zu lernen. Jede Stadt hat ihre eigenen Grundvoraussetzungen, eine andere Zielsetzung und setzt unterschiedliche Maßnahmen zur Verbesserung der Radverkehrsinfrastruktur und Erhöhung des Radverkehrsanteil am Modal Split um. Alles Dinge von denen man lernen kann…
Die 13 Wertungskategorien:
Interessenvertretung
Wie stark sind die Interessenvertretungen in der jeweiligen Stadt / Region / Land und welche Einflussmöglichkeiten haben sie?
Wertungsbereich: kein Einfluss bis starken Einfluss mit politischen Einflussmöglichkeiten
Fahrradkultur
Wird das Fahrrad als vollwertiges Verkehrsmittel angesehen oder wird es nur von einer Randgruppe genutzt?
Wertungsbereich: Kein Radverkehr / Nutzung nur von Radsportlern bis Nutzung von allen Bevölkerungsschichten einer Stadt
Einrichtungen und Abstellmöglichkeiten
Gibt es Abstellmöglichkeiten, Rampen in Treppenbereichen, Radabteile in Zügen und Bussen und Schilder in ausreichender Zahl und Qualität?
Wertungsbereich: nicht vorhanden bis weit verbreitet und innovative Einrichtungen
Radverkehrsanlagen
Wie viele und welche Radverkehrsanlagen gibt es in einer Stadt?
Wertungsbereich: Keine Radverkehrsanlagen, Fahrradfahrer können ausschließlich die Straße benutzen bis sichere, baulich abgetrennte Radverkehrsanlagen in sehr guter Qualität
Bike-Sharing
Existiert in einer Stadt ein leicht verständliches und viel genutztes Bikesharing-Programm?
Wertungsbereich: Kein Bikesharing Angebot vorhanden bis sehr stark genutztes und sehr leicht verständliches Bike-Sharing Angebot.
Geschlechterverteilung
Wie viele der Radfahrer sind männlich / weiblich?
Wertungsbereich: Überwiegend männliche Radfahrer bis gleiche Anteile bzw. leicht stärkerer Anteil bei Frauen
Anteil des Radverkehrs am Modal Split
Für wie viele an einem Tag zurückgelegte Wege wird das Fahrrad genutzt?
Wachstumsrate des Radverkehrs am Modal Split (Basis: 2006)
Um welchen Prozentsatz ist der Radverkehrsanteil seit 2006 pro Jahr gewachsen?
Wertungsbereich: unter 1 Prozent bis 5 Prozent oder mehr
Wahrnehmung der Sicherheit:
Wie nehmen Radfahrer ihre Verkehrssicherheit wahr? Dies wird gemessen in Helmtrageraten. Haben die Radfahrer gar Angst wegen massiver Forderungen, das Tragen eines Helmes verpflichtend zu machen oder durch Angstkampagnen?
Wertungsbereich: Helmpflicht mit konstanter Werbung pro Helm bis niedrige Helmtrageraten (= hohes Sicherheitsempfinden)
Politik
Wie ist die Politik und Verwaltung gegenüber Radfahrern eingestellt?
Wertungsbereich:Radfahrer nicht existent auf politischer Ebene bis aktive politische Beteiligung.
Gesellschaftliche Akzeptanz
Wie stehen andere Verkehrsteilnehmer und die Gesellschaft zu Radfahrern?
Wertungsbereich: vollständige Ablehnung bis vollständige Akzeptanz
Stadt- und Verkehrsplanung
Wie viel Wert legen Stadt- und Verkehrsplaner einer Stadt auf die Fahrradinfrastruktur und sind sie gut über gut funktionierende internationale Konzepte informiert?
Wertungsbereich: MIV-zentrierte Planung bis Verkehrsplanung, die Fußgänger und Radfahrer bevorzugt behandelt
Verkehrsberuhigung
Welche Maßnahmen wurden umgesetzt um Geschwindigkeiten zu senken und den Verkehr zu beruhigen, um die Sicherheit für Fußgänger und Radfahrer zu erhöhen?
Wertungsbereich: keine Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung bis Radfahrer und Fußgänger stehen in der Hierarchie an erster Stelle
Bewertungen:
Amsterdam (54 / 64 Punkte)
- Spitzenreiter in den meisten Kategorien
- entspannte Atmosphäre, keine Panikmache und wenige Konflikte mit anderen Verkehrsteilnehmern
- große Fürsprache von Seiten der Politik, der Bevölkerung und anderen Organisationen
- sehr gute Infrastruktur und sonstige Radverkehrsanlagen
Verbesserungsmöglichkeiten:
- Angleichung der Radwege (Qualität und Dimensionierung)
- Fahrverbot von Motorrollern auf Radwegen
- bessere und effektivere Marketingstrategie pro Fahrrad
Kopenhagen (52 / 64 Punkte)
- sehr gute Radfahrkultur, Infrastruktur / Anlagen
- hoher Stellenwert des Fahrrads in Politik und Gesellschaft
- einheitliche Dimensionierung und Qualität der Radverkehrsanlagen
- hoher Radverkehrsanteil
- sehr hoher Innovationsgrad, Mut zu unkonventionellen Maßnahmen, sehr gutes Marketing
Verbesserungsmöglichkeiten:
- Stagnation, Mangelnde politische Visionen
- starke Förderung des Fahrradhelmes -> sinkender Radverkehrsanteil
- Das Ziel 50% Radverkehrsanteil am Gesamtverkehrsaufkommen zu haben, steht unter Beschuss und sollte stärker verfolgt werden
- bisher noch keine Tempo 30-Zonen
- starkes Wachstum
- sehr gutes Bikesharing-Angebot
- Einrichtung vieler Tempo 30-Zonen (Ziel: In 80% des Stadtgebietes soll Tempo 30 gelten)
Verbesserungsmöglichkeiten:
- bessere Förderung des Radverkehrs durch Politik und Verwaltung
- Vereinheitlichung der Radinfrastruktur, Schließen von Lücken im Netz
- Probleme mit Motorrollern sollten gelöst werden
- hohe Akzeptanz des Fahrrades als Verkehrsmittel
- hohe Verkehrssicherheit durch sehr gute Ausbildung der Autofahrer und anderer Verkehrsteilnehmer
- Innovative Abstellmöglichkeiten für Fahrräder insbesondere vor Bahnhöfen
Verbesserungsmöglichkeiten:
- Ausbau des Radwegenetzes, Netzbildung
- Erhöhung der Durchschnittsgeschwindigkeit durch bauliche Maßnahmen oder Trennung der Verkehrsströme
- Stadtweiter Radverkehrsanteil von 13%, in einigen Bezirken sogar bis zu 25%
- gute Geschlechter- und Altersverteilung, Akzeptanz des Fahrrades als konventionelle Verkehrsform in breiten Schichten der Gesellschaft
- gut ausgebautes Radverkehrsnetz
Verbesserungsmöglichkeiten:
- Vereinheitlichung der Radverkehrsanlagen (Qualität und Dimensionierung)
- weitere Verbesserung der Akzeptanz des Fahrrades
- innovativere und mutigere Ansätze von Politik und Verwaltung
- höhere Investitionen
- starke Anstrengungen den Radverkehrsanteil zu erhöhen, großes Marketingbudget
- gute Radverkehrsinfrastruktur
- Politik und Verkehrsplaner sind pro-Fahrrad
Verbesserungsmöglichkeiten:
- Schaffung einer einheitlichen Radverkehrsinfrastruktur
- mehr Mut Straßenraum vom Pkw-Verkehr auf den Radverkehr umzuverteilen
- stärkere Fürsprache der Politik für ein gut ausgebautes Radverkehrsnetz in der Öffentlichkeit
- sehr gutes Bikesharing-Angebot (Spitzenplatz), Vorbild für viele andere Großstädte weltweit
- gut ausgebaute Radverkehrsinfrastruktur
- Fahrrad schnellstes Verkehrsmittel in der Stadt
Verbesserungsmöglichkeiten:
- mehr Mut und Visionen auf Verwaltungsebene
- weiterer Ausbau des Radnetzes, Vereinheitlichung von Qualität und Dimensionierung
- mehr straßengeführte Radwege statt nur straßenbegleitende (dichtere Rasterstruktur)
- lange Vergangenheit: erste Radwege wurden bereits in den 80er Jahren angelegt
- starke Pro-Fahrrad-Bewegung in der Stadt
- gutes Bikesharing-Angebot
- gute politische Vernetzung von NGOs
Verbesserungsmöglichkeiten:
- Ausbau des Radwegenetzes
- Anlage von Ein-Richtungs-Radfahrstreifen an beiden Straßenseiten statt einseitiger Zweirichtungsradfahrstreifen mit höherer Unfallgefahr
- Ausweitung des Bikesharing-Angebots auf das ganze Jahr
- gutes Bikesharing-Programm
- Ausbau des Radwegenetzes und Einrichtung von Tempo 30-Zonen
- politischer Wille den Radverkehrsanteil zu stärken
Verbesserungsmöglichkeiten:
- weitere Anstrengungen den Radverkehrsanteil zu erhöhen
- höhere Budgets für den Radverkehr
- weitere Anlage von Radverkehrsanlagen
- gute gesellschaftliche Akzeptanz des Fahrrades
- Erreichen der 5%-Hürde am Modal Split innerhalb weniger Jahre
- intelligente Planung von Radverkehrsanlagen
- hoher Coolness-Faktor des Fahrrades
- gutes Marketing
Verbesserungsmöglichkeiten:
- Intensivierung der radfreundlichen Politik und des Marketings
- zuverlässige Radverkehrsanlagen
- gute Akzeptanz in der Bevölkerung
- Radverkehr wird von der Politik als wichtig beachtet
Verbesserungsmöglichkeiten:
- Verbesserung des Geschlechteranteils
- Portland ist eine Schön-Wetter-Radfahr-Stadt
- es muss noch viel Überzeugungsarbeit in der Bevölkerung geleistet werden um weitere Nutzer zu gewinnen
- hohes Sicherheitsgefühl
- gutes Bikesharing-Angebot
- stark wachsender Radverkehrsanteil in den letzten fünf Jahren
- erfolgreiches Marketing
Verbesserungsmöglichkeiten:
- Ausbau und Verbesserung der Infrastruktur
- Beschleunigung des Radverkehres
- Umverteilung von Straßenraum zugunsten des Rades
- stetiges Wachstum des Radverkehrsanteils
- Einführung eines Bikesharing-Angebots
- Geschlechteraufteilung wird besser
Verbesserungsmöglichkeiten:
- Ausbau und Verbesserung der Radverkehrsanlagen, bessere Netzbildung
- Ausweitung des Bikesharing-Angebots
- stärkere politische Fürsprache
- Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung, Erhöhung des Radverkehrsanteils und Verbesserung der Radverkehrsinfrastruktur
- Radverkehrsanteil mit 10% gut, aber im Vergleich zu anderen nordeuropäischen Städten zu gering
- gute Akzeptanz des Fahrrads in der Bevölkerung
- gutes Bikesharing-Programm
Verbesserungsmöglichkeiten:
- besseres Marketing
- weniger Fokussierung auf den motorisierten Individualverkehr
- weniger Förderung der Helmpflicht (großes Abschreckungspotential)
- Verbesserung in Infrastruktur im Innenstadtbereich
- gute Infrastruktur
- insbesondere junge Menschen nutzen das Fahrrad häufig
- Fahrradverkehr im Blickfeld der Verkehrsplaner
Verbesserungsmöglichkeiten:
- Modernisierung des Radwegenetzes angebracht
- bessere Instandhaltung im Winter (v.a. Räumen von Schnee)
- mehr politisches Engagement für den Radverkehr
- gutes Bikesharing-Angebot
- starke Fürsprecher und Pro-Fahrrad-Organisationen
Verbesserungsmöglichkeiten:
- bessere Planung, weniger Nacheifern niederländischer oder dänischer Städte, Anpassung der Infrastruktur an örtliche Verhältnisse
- besseres Marketing – auch für den Großteil der Bevölkerung
San Francisco (30 / 64 Punkte)
- international gutes Image der Radverkehrsanlagen
- Zeichen für wachsenden Modal Split-Anteil des Radverkehrs
- Ausbau der Infrastruktur in den letzten Jahren
Verbesserungsmöglichkeiten:
- schnellere Umsetzung
- mehr baulich von der Straße abgetrennte Radwege, Abstellmöglichkeiten und verkehrsberuhigte Zonen
Rio de Janeiro (30 / 64 Punkte)
- gute Infrastruktur, die Großteile der Stadt abdeckt
Verbesserungsmöglichkeiten:
- geringes Sicherheitsgefühl
- Erlaubte Höchstgeschwindigkeit innerorts von 70 Stundenkilometer ist zu viel
- Radwegenetz ist sanierungsbedürftig, neue Viertel müssen erschlossen werden
- steigende Pkw-Nutzung
- politisches Ziel den Radverkehrsanteil auf 8% zu erhöhen
- Einführung eines Bikesharing-Angebots
Verbesserungsmöglichkeiten:
- Vereinheitlichung der Radinfrastruktur (Qualität und Dimensionierung)
- Verkehrsberuhigung
- Ausbau des Bikesharing-Angebotes (v.a. mehr Stationen)
- Beschleunigung des Radverkehrs
New York City (29 / 64 Punkte)
- Ende jahrelanger Stagnation
- starke Grassroots-Bewegung in der Bevölkerung
- Bau neuer Radwege in den letzten Jahren
Verbesserungsmöglichkeiten:
- Einführung eines Bikesharing-Angebots
- besseres Marketing
- problematische Verkehrssicherheitskampagnen, die gegen Radfahrer gerichtet sind
- bessere Verknüpfung der Radwege untereinander, Bildung eines Netzes
- Überdenken der Planung von Radwegen in Einbahnstraßen, teilweise schlechte Verkehrsführung
Guadalajara ist besser als Hamburg? Haben sich die für das Ranking Verantwortlichen wirklich einmal in beiden Städten auf das Rad gesetzt? Auch wenn Guadalajara die Fahrradhauptstadt Mexikos ist – als deutscher Radfahrer (egal, aus welcher Stadt) braucht man schon ein bisschen Mut, um sich dort mit dem Rad fortzubewegen…
Hallo,
soweit ich weiß wurden alle Städte persönlich getestet. Es kommt naürlich immer auf die Bewertung und Wichtung der einzelnen Wertungsbereiche an.
Generell dürfte die Verkehrssicherheit in Deutschland besser sein als in Mexiko. Ich weiß nicht genau, wie das gemessen wurde, aber wenn man die im Straßenverkehr verunglückten Radfahrer mit der Zahl der gesamten Verkehrstoten ins Verhältnis setzt, dürfte Hamburg wegen der geringeren Zahl an Verkehrstoten prozentual unsicherer sein als Guadalajara. Aber letztlich entspricht das sicherlich nicht dem realen Sicherheitsgefühl.