Ich werde recht oft bei Vorträgen oder Podiumsdiskussionen gefragt, wie die Zukunft des Automobils oder der gesamten Automobilbranche aussieht. Für mich ist diese Frage immer sehr schwer zu beantworten, da ich keine Glaskugel besitze und nicht in die Zukunft sehen kann. Ich möchte aber behaupten, dass Fahrzeuge in zwanzig oder dreißig Jahren nicht mehr so aussehen wie heute. Der Elektroantrieb oder der Brennstoffzellenantrieb werden sich sicherlich durchgesetzt haben, Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor werden die Ausnahme bleiben. Auch wird sich etwas an der Form der Fahrzeuge geändert haben. Wir werden bewusster mit den uns zur Verfügung stehenden Werkzeug Automobil umgehen, die emotionale Aufladung des Pkw wird ein wenig zurückgehen. Und die Fahrzeuge der Zukunft werden definitiv andere Maße haben als die heutigen. Einen ersten Vorgeschmack auf diese Entwicklung gab das einklappbare Elektrofahrzeug, welches von der Changing Places Group am MIT und DENOKINN gemeinsam entwickelt wurde.
Das Hiriko Fold getaufte Fahrzeug sollte ursprünglich ab 2013 für 16.000 Dollar angeboten werden. Hiriko ist das baskische Wort für “städtisch”. Zunächst sollte das Fahrzeug im Carsharing-Bereich eingesetzt werden. Hiriko wurde dafür intensiv auf den Straßen der spanischen Stadt Vitoria-Gasteiz getestet. Die Aufnahme der Serienfertigung war für den Frühjahr 2013 geplant. Leider sollte es anders kommen…
Das Fahrzeugkonzept sollte ein Ansatz sein, die Lücke zwischen der Wohnung und öffentlichen Personennahverkehr, das sogenannte erste Meile-Problem sowie das letzte Meile-Problem zwischen ÖPNV und Arbeitsstelle zu schließen. In den letzten 50 Jahren ist die Zu- und Abgangsproblematik immer stärker in ihrem Umfang und ihrer Bedeutung gewachsen. Insbesondere der Zugang zu hochkapazitativen Systemen wie U- und S-Bahn ist durch lange Fußwege oftmals so unattraktiv, dass auf die Nutzung des ÖPNV gänzlich verzichtet wird. Hiriko wurde vom MIT entwickelt, um eine Lösung für dieses Problem zu finden.
Der kompakte elektrisch angetriebene Zweisitzer ist für die Fahrt in der Stadt gedacht. Bei beengten Platzverhältnissen kann die Fahrzeugfläche verringert werden, indem sich die Hinterachse unter die Fahrerkabine schiebt und diese in aufrechte Position gedrückt wird. Im ausgeklappten Zustand misst das Fahrzeug 2,5 Meter Länge, im Parkmodus verringert sich die Länge auf gut 1,5 Meter. Ein- und Ausstieg erfolgen von vorne. Im Vergleich zum Smart Fortwo ist der Hiriko Fold etwa 20 Zentimeter kürzer.
Die Räder können um bis zu 80 Grad geschwenkt werden, sodass sich das Fahrzeug auf der Stelle um die eigene Achse drehen kann. Dadurch wird das Einparken am Straßenrand komfortabler und ist mit weniger Rangieren zu bewerkstelligen. Der Hiriko Fold benötigt etwa ein Drittel der Fläche, die ein normales Fahrzeug benötigt.
In den Rädern befinden sich jeweils ein Elektromotor mit 14,7 KW (20 PS), die Federung, die Bremsanlage und die Lenkung. Durch Drive-by-Wire benötigen die Räder nur eine Daten-, Energie- und mechanische Verbindung zum Fahrzeugchassis. Die Batteriepacks werden geleast und speichern Energie für 100 Kilometer Reichweite. Die Lithium-Ionen-Batterien sollen nur 15 Minuten zum vollständigen Aufladen benötigen. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt 50 km/h. Das Leergewicht beträgt um die 500 Kilogramm.
Der Hiriko Fold ist die kommerzielle Anwendung des CityCar-Projekts des M.I.T. Die anfängliche Förderung durch General Motors endete 2008. Der ursprüngliche Ideengeber, Prof. William J. Mitchell, starb im Jahr 2010. Das Projekt wurde im Anschluss von Prof. Kent Larson geleitet. Die Fertigung verantwortete der Belgier Armando Gaspar, der zuvor bei Daimler beschäftigt war.
Um das Fahrzeug bauen zu können, schlossen sich hauptsächlich spanische Unternehmen zu einem Konsortium zusammen. An diesem waren die folgenden Unternehmen beteiligt: Guardian (Glaskomponenten), Maser-Mic (Elektrotechnik / Mechatronik), FORGING PRODUCTS (Aluminiumchassis), tmarakistain (tragende Elemente und Fronttüren), SAPA PLACENCIA (elektrischer und mechanischer Antrieb), ingeinnova (Fertigung) und BRW – BASQUE ROBOT WHEELS (Reifen und Lenkung).
Hiriko Fold auf Testfahrt in Vitoria-Gasteiz:
Die Geschichte des Scheiterns
Im Jahr 2012 wurde der Hiriko Fold vom damaligen EU-Kommissionspräsident José Manuel Durão Barroso als Möglichkeit gefeiert, der in Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise am Boden liegenden spanischen Industrie neue Impulse zu geben. 16 Monate später stand das Konsortium vor dem Kollaps. Kein einziges Fahrzeug sollte in Serie gefertigt werden. Dafür wurden Millionen Euro Steuermittel wortwörtlich verschwendet.
Die spanische Regierung förderte das Vorhaben mit 14,7 Millionen Euro, die baskische Regionalregierung mit weiteren 2,7 Millionen Euro. Ein Geflecht aus undurchsichtigen Verträgen und sechs Geschäftsmännern, die Subunternehmen ohne Mitarbeitern Aufträge zuspielten oder das Unternehmen zu marktunüblich hohen Mieten in eigenen Geschäftsräumen einquartierten, trugen jedoch zum Scheitern bei.
Auf dem Papier sollten pro Jahr 24.000 – 60.000 Fahrzeuge produziert und ein Umsatz von etwa 720 Millionen Euro erreicht werden. 6.000 neue Arbeitsplätze sollten entstehen, nun sind vor allem die Gerichte mit der Aufarbeitung des Falles beschäftigt.
Die Geschäftsführung verweist auf das schwierige Marktumfeld und die Wirtschaftskrise, namentlich nicht genannte angestellte Ingenieure auf Inkompetenz, überzogene Planungen und Erwartungen sowie ein nicht funktionierendes Projektmanagement.
Von 20 geplanten Prototypen wurde nur einer gefertigt, ein weiterer zu Teilen fertiggestellt. Zwei von drei angemeldeten Patenten wurden aufgrund der hohen Kosten nie angewendet, der Prototyp in einer einfacheren Variante gebaut.
Aktualisierungen
Aktualisierung – 24.10.2012
Die Deutsche Bahn wird den Hiriko Fold im Rahmen des Projektes BeMobility 2.0 des Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) ab Herbst 2013 erproben. Das Fahrzeug soll 2014 in das DB-Carsharing-Angebot Flinkster aufgenommen werden.
Aktualisierung – 20.12.2012
Die beteiligten Unternehmen planen die Aufnahme der Serienfertigung für Frühjahr 2013. Der Hiriko Fold soll der Öffentlichkeit erstmals auf dem Genfer Auto-Salon (07.03 – 17.03.2013) vorgestellt werden.
Aktualisierung – 21.04.2015
Die Geschichte des Scheiterns
Für mich das vielversprechendste Konzept für ein zukunftsfähiges Auto, das ich bislang gesehen habe – gerade weil es nicht das Auto ist, das Michael Lebens fordert: Mit 100km/h Höchstgeschwindigkeit wäre es viel schwerer, teurer und ineffizienter. Das wäre dann ein Einsatzbereich für ein anderes Auto, das auf die Hochstellfunktion verzichten kann.
Durch die Reduktion auf einen Einsatzzweck können enorm Kosten gespart werden, gerade im Gegensatz zu den derzeitigen Car2go-Smarts – Teuer, Ineffizient und laut – ein Gewinn. Im städtischen Kontext ist die Höchstgeschwindigkeit keine Beschränkung, da man eh nicht schneller fahren darf. Wobei die Frage ist, wann man im verdichteten städtischen Kontext zukünftig überhaupt noch ein Auto braucht.
Etwas mutlos finde ich die Reichweite von 100km – aber das ist wohl der Fluch von Henne und Ei: Das Fahrzeug macht vor allem als Carsharing-Auto in einem definierten Einsatzbereich Sinn, d.h. dieser Bereich wäre vergleichsweise leicht mit passenden Ladestationen auszustatten – es müssen auch nicht überall gleich die 15min-Stationen sein, 3kW sind eher verfügbar als 50kW. Dann könnte man den Akku halbieren, hätte geringere Herstellungskosten und nochmal geringeren Energieverbrauch – auf der anderen Seite werden dann die Anfangsinvestitionen noch höher.
Sehr schön finde ich, dass das Platzproblem nicht ignoriert wurde – viele Diskussionen um Mobilität vergessen dieses leider.
Unglaublich. Die Idee war großartig. Wie sieht das Patentrechtlich aus. Könnte theoretisch eine andere Firma die Idee mit dem zusammenschiebaren Auto zur Marktreife bringen?
Hallo Martin,
Das hängt ganz davon ab, wie sich die Zukunft des Unternehmens weiter gestaltet und wer die immateriellen Vermögenswerte wie Schutzrechte u.ä. erhält. Ein anderes Unternehmen kann bei Übernahme natürlich den Fold bauen. Allerdings stellt sich natürlich die Frage, ob ein anderes Unternehmen die Technologie kostengünstiger anwenden kann. Daran ist Hiriko ja auch gescheitert.
Viele Grüße,
Martin
Ich finde das Konzept sehr interresant,aber wahrscheinlich nur in großen Ballungzentren,weil man Ihn nur als Zweitwagen nutzen kann.Für leute die nicht so finanzstark sind,die sich nur ein Auto leisten können wäre es schön wenn man bei gleicher Reichweite 100km/h fahren könnte um auch mal einen Ausflug am Wochenende zu machen.Da die ladezeit nur 15 min beträgt und wenn selbst 1std wäre es möglich.Das würde die Vielseitigkeit erhöhen.Außerdem betreibe ich eine Solaranlage womit dieses Fahrzeug fü mich noch interresanter wäre
Michael
Hallo Michael,
vorrangig ist der Hiriko natürlich für den Carsaring-Bereich gedacht. Ist sicherlich eine gute Alternative zum E-Smart.
Zu den restlichen Einwänden ist im Blog bereits einiges zu finden (z.B.):
Die drei großen Chancen, die uns die Elektromobilität bietet – http://j.mp/L8tPVY
Und die Marktanalyse Elektromobilität: http://j.mp/UdDS0E
Viele Grüße,
Martin Randelhoff
Mir ist der Zusammenhang zur Ersten-Meile-Problematik ehrlich gesagt überhaupt nicht klar geworden. Wenn Hiriko einigermaßen komfortabel nutzbar ist und mich in gängiger Geschwindigkeit durch die ganze Stadt befördern kann, warum sollte ich Hiriko dann nur bis zur nächsten ÖPNV-Station nutzen? Ich denke das funktioniert nicht.
Der Ansatz, die benötigte Stellfläche durch einen Faltmodus nahezu zu halbieren, ist jedoch ziemlich charmant.
Sven
Natürlich kann Hiriko auch ganz normal als Fahrzeug eingesetzt werden. Und natürlich auch als Carsharing-Fahrzeug im gesamten Stadtgebiet.
Der Hiriko wurde ja vor dem Hintergrund amerikanischer Städte und deren Infrastruktur gedacht. Und das letzte/erste-Meile-Problem ist vorrangig ein ameriknisches. Damit ist auch nicht primär die Anbindung zur nächsten Bushaltestelle gemeint, sondern vor allem zu S-Bahnhöfen oder konventionellen Bahnhöfen. Mit letzter Meile wird im Verkehrsbereich im Allgemeinen die Entfernung von einem Knoten (Hub) zur Wohnung bezeichnet. Das ist immer die Problematik eines Linienverkehrsmittels, das nicht in der Fläche wirkt (Gegenbeispiel: Bus und STraßenbahn). Und in den USA ist dieses Problem wegen des enormen Flächenverbrauchs, den großen Entfernungen und der Suburbanisierung ein größeres als in Europa. Eine weiterer Versuch dieses Problem zu lösen, ist ja Bikesharing.
Ich bitte um Entschuldigung, wenn das irgendwie missverständlich rüber kam…
Martin