Die Diskussion im März 2011 über die Einführung des Kraftstoffs E10, der einen 10%igen Ethanolanteil besitzt, dreht sich mittlerweile nicht mehr nur um die Verträglichkeit für das Automobil sondern um die generelle Umweltverträglichkeit des Energiepflanzenanbaus.
Die Idee, landwirtschaftlich nutzbare Flächen statt zur Ernährung der Menschen zur Treibstoffversorgung der Fahrzeuge einzusetzen, ruft zumindest bei mir und auch bei anderen, massive ethische und moralische Fragen auf. In einer Welt, auf der auch im Jahr 2011 mehr als eine Milliarde Menschen hungern und etwa 8,8 Millionen Menschen im Jahr an Hunger sterben – dies entspricht einem Toten alle drei Sekunden -, ist es verwerflich sich zuerst Gedanken darüber zu machen, wie man mit Biotreibstoffen der ersten Generation möglichst effizient den Tank füllen kann.
Anfang 2007 stiegen in Mexiko die Preise für Tortillas – ein dort sehr verbreitetes Grundnahrungsmittel – weil in den USA immer mehr Mais zu Bioethanol verarbeitet wurde statt wie bisher in Schwellenländer wie Mexiko exportiert zu werden. Anfang 2008 warnte das Welternährungsprogramm, dass die Biotreibstoffproduktion, die steigende Nachfrage nach Futtermitteln für die Fleischproduktion und Ernteausfälle infolge des Klimawandels zu steigenden Nahrungsmittelpreisen und mehr Hunger führen.
Nichtsdestotrotz planen viele Länder eine Erhöhung des Bioethanolanteils bei Kraftstoffen. Bis 2045 sollen weltweit 480 Millionen Hektar Land für den Anbau von Energiepflanzen genutzt werden1. Zum Vergleich: Die Fläche der Europäischen Union beträgt nur 430 Millionen Hektar.
Derzeit ist 80% des weltweit hergestellten Agrotreibstoffs Bioethanol, nur 20% ist Biodiesel. Die USA sind mit 9 Milliarden Gallonen Ethanol der größte Erzeuger, Brasilien folgt mit sieben Milliarden Gallonen auf Platz 2. Da in Europa der Dieselantrieb stärker verbreitet ist als zum Beispiel in den USA, entfallen mehr als fünfzig Prozent der weltweiten Biodieselproduktion auf europäische Länder. Die USA, Argentinien, Malaysia und Indonesien produzieren jedoch auch nennenswerte Mengen.
Der Unterschied zwischen Agrotreibstoffen und Biotreibstoffen
Wenn man die Effizienz und die Umweltauswirkungen von pflanzenbasierten Treibstoffen richtig diskutieren möchte, muss man zwischen Agrotreibstoffen und Biotreibstoffen unterscheiden.
Agrotreibstoffe sind definitionstechnisch flüssige Kraftstoffe, die aus Nahrungs- und Ölpflanzen in Massenproduktion industriell hergestellt werden. Diese Agrotreibstoffe werden mit Ottokraftstoffen oder Diesel gemischt und dienen vorrangig zum Antrieb von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren. Biotreibstoffe werden hingegen durch Umwandlung lokaler Biomasse in Treibstoff in kleinerem Umfang hergestellt. Beim Kraftstoff E 10 handelt es sich also nicht wie so oft in den Medien fälschlicherweise behauptet um “Biosprit” sondern um einen Agrotreibstoff.
Die Klimabilanz von Agrotreibstoffen
Vor allem die EU setzt massiv auf den Einsatz von pflanzenbasierten Treibstoffen. Dabei ist die CO2-Bilanz von Biotreibstoffen relativ bescheiden. Professor David Pimentel von der Cornell University hat im Rahmen einer Studie nachgewiesen, dass für die Erzeugung der Energiemenge, die in einem Liter Bioethanol enthalten ist, 29 % mehr Energie benötigt als produziert wird. Insbesondere für das Bearbeiten des Ackers, das Düngen, die Aussaat, der Pflanzenschutz, das Ernten und insbesonders bei die Umwandlung in Ethanol wird mehr Energie benötigt als letztendlich in Form von Agrotreibstoff zur Verfügung steht.
Nur einige wenige Pflanzen sind für die Produktion von Biotreibstoffen gut geeignet. Eine Studie der University of Michigan kommt zu dem Ergebnis, dass Mais 25% mehr Energie liefert als für die Produktion benötigt wird. Bei Sojabohnen liegt dieser Wert sogar bei 93%. Im Kehrwert kann man mit Biodiesel aus Soja den CO2 Ausstoß um gut 40% senken. Soja ist im Gegensatz zu anderen Pflanzen deutlich effizienter, da die Pflanzen mit weniger Dünger und Pflanzenschutzmitteln auskommen.
In Deutschland wird jedoch eher auf den Anbau von Raps und die Weiterverarbeitung zu Rapsölmethylester gesetzt. 2005 wurden bereits 1,7 Millionen Tonnen Rapsdiesel auf 1,2 Millionen Hektar, etwa ein Zehntel der gesamten bundesdeutschen Ackerfläche, hergestellt. Dabei hat Diesel aus Raps die geringsten Einspareffekte gegenüber herkömmlichem Diesel.
Die Europäische Union hat sich selbst das Ziel gesetzt, jedem Treibstoff bis 2020 mindestens zehn Prozent Ethanol beizumischen. Die Erneuerbare Energien-Richtlinie der EU (RED) verpflichtet die Mitgliedsstaaten, bis 2020 zehn Prozent des Gesamtenergieverbrauchs im Verkehrssektor aus erneuerbaren Quellen zu decken – vor allem durch Biokraftstoffe. In der EU wurden im Jahr 2008 knapp zehn Millionen Tonnen Biodiesel und Biobenzin hergestellt. Doch dies reicht noch lange nicht aus um den europäischen Durst nach Kraftstoffen zu stillen. Der steigende Ölpreis und die hohe Abhängigkeit von Rohölexporten aus zum Großteil instabilen Regionen fördern die Nutzung von Agrotreibstoffen weiter. Laut einer Studie von Friends of the Earth kaufen europäische Energieerzeuger aufgrund dieser positiven Aussichten massiv Land in Afrika. Seit 2006 wurden mehr als neun Millionen Hektar erworben. Mehr als ein Drittel des derzeit verkauften afrikanischen Bodens soll für den Anbau von Biomasse genutzt werden. Insbesondere Pflanzen wie Jatropha, Ölpalmen, Cassava und Zuckerrohr sollen angebaut werden.
Die Ausbeutung des afrikanischen Kontinents
Besonders Länder wie Mosambik, Benin und Sierra Leone sind betroffen. Dort existieren bereits heute massive Probleme mit degenerierten Böden, einem sinkendem Grundwasserspiegel sowie steigenden Nahrungsmittelpreisen. Auch der Einsatz von gentechnisch veränderten Energiepflanzen ist mittlerweile im Gespräch. In Afrika werden derzeit etwa fünf Millionen Hektar für den Anbau von Energiepflanzen genutzt. Bis 2030 muss neben des steigenden Energiehungers der Industrieländer die weltweite Nahrungsproduktion um 50 Prozent gesteigert werden um die Nachfragesteigerungen einer wachsenden Weltbevölkerung und zunehmendem Fleisch- und Milchkonsum in großen Schwellenländern befriedigen zu können.
Eine aktuelle Analyse vom März 2010 zum CO2-Ausstoß von Biotreibstoffen kam zu dem Schluss, dass eine Anhebung der Agrospritquote auf mehr als 5 Prozent der Umwelt mehr schade als dass sie ihr nütze. Grund seien vor allem die für den Energiepflanzenanbau durchgeführten Waldrodungen. Die Nationalen Aktionspläne (NAP) für Erneuerbare Energien aus 23 EU-Mitgliedsstaaten zeigen, dass der Verbrauch an Biokraftstoffen in Europa signifikant zunehmen wird. 2020 werden Biokraftstoffe 9,5% des Gesamtenergieverbrauchs im Verkehrssektor ausmachen, 92% dieser Kraftstoffe werden aus Nahrungspflanzen gewonnen werden (z.B. Ölsamen, Palmöl, Zuckerrohr, Zuckerrübe, Weizen). Bis zu 69.000 Quadratkilometer Wälder, Grünland und Torfflächen werden zu diesem Zweck in Anbauflächen umgewandelt werden. Der zusätzliche Nettogesamtausstoß an Treibhausgasen durch Biokraftstoffe könnte bis zu 56 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent betragen. Das entspricht einem Mehr von 12 bis 26 Millionen Autos auf europäischen Straßen bis 2020. Anstatt 35% bis 50% weniger Klimagase auszustoßen (wie es die Erneuerbaren Energien-Richtlinie vorsieht), werden die in der EU-vermarkteten Biokraftstoffe 81% bis 167% schlechter für das Klima sein als fossile Kraftstoffe – wenn entsprechende Landnutzungsänderungen berücksichtigt werden.
Die Verschleierungstaktik der EU
Die EU weiß von diesem krassen Missverhältnis. Und versucht dieses zu verschleiern. Eine von der EU-Kommission in Auftrag gegebene Studie des deutschen Fraunhofer Instituts wurde um ungünstige Stellen gekürzt. Unter anderem fiel den Streichungen eine Textstelle zum Opfer, die sagt, dass Biosprit aus Sojabohnen viermal klimaschädlicher sein kann als normales Benzin aus Erdöl.
Kein Einzelfall: Bei einer anderen Studie, ebenfalls von der EU-Kommission beauftragt, wurde nicht der Abschlussbericht verfälscht, sondern den Wissenschaftlern wurden von den EU-Beamten unrealistische Annahmen vorgegeben. Die Expertise des International Food Policy Research Institutes (IFPRI) kam denn auch zu einem für Biosprit vorteilhafteren Ergebnis als die Fraunhoferstudie. Vorgegeben war von Seiten der EU, dass vom gesamten Biospritverbrauch 55 Prozent auf klimaschädlicheren Biodiesel und 45 Prozent auf Biobenzin entfällt. In Wirklichkeit aber dürften 80 Prozent auf Biodiesel entfallen. Geht man also von einem zu geringen Biodiesel Anteil aus, dann verbessert sich die Klimabilanz der Agrotreibstoffe insgesamt.
Eine andere Möglichkeit, die benötigte Fläche für den Anbau von Biomasse zu verringern, ist die Nutzung von Ernteabfällen für die Ethanolproduktion. Allerdings bringt auch die Verarbeitung von Ernterückständen wie Maisabfälle einige Probleme mit sich.
Durch die Entfernung von Ernte-Überbleibseln kommt es zu einer stärkeren Wind- und Wassererosion und langfristig zu einer Beeinträchtigung der Fruchtbarkeit des Bodens. Durch Auswirkungen auf den Boden-Kohlenstoffgehalt wird der Boden von einer CO2-Senke zu einer Kohlendioxid-Quelle. Der Bodenkundler Humberto Blanco-Canqui von der Kansas State University kommt zu dem Ergebnis, dass maximal 25 Prozent der Ernteabfälle wirtschaftlich genutzen werden können, ohne Gefahren für die Umwelt heraufzubeschwören.
Alternativen und Agrotreibstoffe der zweiten Generation
Als Alternative schlägt Dr. Humberto Blanco vor, schnell wachsende Hölzer (z.B. die Pappel) und hoch wachsenden Sommergräsern wie etwa Rutenhirse zur Produktion von Biotreibstoffen zu nutzen. Der Holz-Anbau verbessert die Qualität des Bodens und trägt zur Speicherung von Kohlenstoff bei. Dadurch können mit relativ geringem Input erneuerbare Energien hergestellt werden und zum anderen die Bodenqualität verbessert werden, sodass die Böden eventuell wieder zum Nahrungsmittelanbau genutzt werden könnten.
Effizienter sind die Nutzung von Bioabfällen, Klärschlamm und Algen. In letztere setzen viele Startups und Wissenschaftler große Hoffnung. Algen können 300 Mal so viel Öl produzieren als herkömmliche Energiepflanzen, die Erntezyklen sind mit weniger als 24 Stunden viel kürzer und es können theoretisch alle Arten von Wasser genutzt werden. Allerdings konnten Algen in ausreichender Menge und Qualität bisher nur unter Laborbedingungen gezüchtet werden. Ein effizienter Anbau wird erst in einigen Jahrzehnten möglich sein 2.
Algen sind eigentlich recht simple Geschöpfe, die dennoch sehr komplex sein können. Die Chloroplasten der Algen können auf sehr effiziente Weise aus CO2, Wasser und Sonnenlicht Energie erzeugen. Diese Energie wird unter anderem in Form von Ölen gespeichert, die beinahe in jede Form von Hydrocarbon raffiniert werden können. Dadurch lassen sich alle Formen von Treibstoffen für Autos, LKWs, Schiffe oder Flugzeuge produzieren.
Das große Problem ist jedoch das folgende: Algen können entweder Öl produzieren oder sich vermehren. Beides gleichzeitig ist bisher noch nicht möglich. Da man aber große Mengen von Algen zur Herstellung einer ausreichenden Menge Algenöls benötigt, ist dies die größte Herausforderung zur Zeit. Die Entwicklung geht dahin, dass die Algen in den ersten Tagen ihrer Lebenszeit sich vorrangig vermehren sollen und erst danach Öl produzieren sollen. Die Steuerung dieses Prozesses stellt die Wissenschaft und Unternehmen vor einige Herausforderungen.
Ein anderes Problem ist das Volumen der Algenproduktion. Für eine nennenswerte Produktionsmenge braucht man große Anlagen, bei denen aber noch nicht klar ist wie erstens genügend Sonnenlicht die Algen erreichen soll und zweitens wie sich die mikrobiologischen Prozesse in einem abgeschlossenen Kreislauf mit Millionen von Algen entwickeln.
Mit Verzicht ist es nicht getan
Allerdings benötigen wir die Entwicklung von Agrotreibstoffen. Zwar können wir unsere PKW mit Strom betreiben, der Luft- und Seeverkehr ist aber hochgradig abhängig von ölbasierten Treibstoffen. Weder Flugzeug noch Frachter können heutzutage mit Strom angetrieben werden. Dies wird auch in Zukunft in keinem nennenswerten Umfang geschehen (können).
Nichtsdestotrotz sollten wir den Energieverbrauch unserer Transportnetze unabhängig von dieser Entwicklung drastisch reduzieren. Es ist an der Zeit verbrauchsarme und effiziente Fahrzeuge zu entwickeln und einen Wandel in unserer Gesellschaft zu nachhaltigeren Strukturen (leistungsstarker ÖPNV, Fußgänger- und Radfahrerfreundliche Städte) anzustoßen.
Zu diesem Thema
Mais-Preis auf Allzeithoch – Querschuesse am 10. Juni 2011
“Der Future (Endloskontrakt) für einen Scheffel Mais zog heute im Tagesverlauf auf ein neues Allzeithoch mit 799,75 Cent. Eine unsichere Lage beim Angebot durch Wetterunbilden, die niedrigsten Lagerbestände seit fünf Jahren in den USA und eine ungebrochene Ethanol-Nachfrage, damit von Mais, als Hauptressource von Biosprit treiben den Preis. Ebenso preistreibend wirkt, die nach wie vor vorhandene immense Liquidität im System, die sich weiter auf ausgewählte Soft-Commodities (Agrarrohstoffe) ergießt.”
Aus für Biosprit-Förderung in den USA – Süddeutsche Zeitung Nr. 139, Seite 23 am 18. Juni 2011
Aufgrund des massiven Haushaltsdefizites in den USA hat der US-Senat mit einer großen Mehrheit (73 zu 27 Stimmen) die milliardenschwere Steuervergünstigung für Raffinerien, die bei der Benzinherstellung pflanzenbasiertes Ethanol bemischen, gestrichen. Die Raffinerien erhalten derzeit eine Gutschrift von 12 Cent für jeden Liter Ethanol, den sie dem Benzin beimischen. Gestrichen wurde auch der Importzoll auf Ethanol. Dieser betrug 14 Cent je Liter. Die Steuererleichterungen belasteten den US-Haushalt in den letzten Jahren mit jeweils sechs Milliarden Dollar pro Jahr. Für die Abschaffung stimmten 40 Demokraten und 33 Republikaner.
“Es wird Unruhen geben” – ZEIT Online am 22.06.2011
Lebensmittelpreise steigen, immer mehr Menschen weltweit hungern – trotzdem sei es okay, Weizen im Tank zu verbrennen, sagt Agrarministerin Ilse Aigner im Interview.
Streit um Agrosprit – ZEIT Online am 22.06.2011
Wegen steigender Lebensmittelpreise warnen zehn internationale Organisationen, die eine zentrale Rolle in der globalen Ernährungspolitik spielen, darunter die Welternährungsorganisation FAO, die Weltbank, die Welthandelsorganisation WTO, das World Food Programm (WFP) und das InternationalFood Policy Research Institute (IFPRI) vor Agrotreibstoffen. Die G20-Staaten werden über eine weitere Förderung entscheiden. Das Ende der lukrativen Subventionen scheint aber unwahrscheinlich.
Artikelbild von Jack Keene – Flickr – Creative Commons
Guten Tag, Dank an den Author. Eine gute Zusammenfassung fast aller Aspekte um das Thema Agrosprit. Manchmal etwas verwirrend bei den vielen Prozentangaben, doch beim Erwähnen absoluter Zahlen/Tabellen ist die Gefahr der Unübersichtlichkeit ebenfalls groß.
Was mir fehlte war der alltägliche Flächenverlust durch Bebauung (Siedlungen, Strassen etc.) bei dem auch landwirtschaftlich nutzbarer Boden verloren geht. Nicht nur die Herstellung von Agrosprit gefährdet die Nahrungsmittelerzeugung sondern auch der Flächenfraß verursacht und geduldet durch unser Wirtschaftssystem.
Hallo,
zunächst vielen Dank.
Natürlich kommt der Verlust landwirtschaftlicher Flächen und Freiräume im Allgemeinen durch den Bau weiterer Siedlungs- und Verkehrsfläche noch hinzu, bei einer Betrachtung der Wirkungen von Agrosprit habe ich dies der Übersichtlichkeit wegen weggelassen. Sie hatten ja selber geschrieben, dass die umfangreiche Nennung von Zahlen bereits die Lesbarkeit etwas einschränkt – da muss ich das nicht noch zusätzlich überfrachten. Auch wenn Sie in der Sache natürlich Recht haben.
Viele Grüße,
Martin Randelhoff