Welche Systemeigenschaften machen öffentliche Fahrradverleihsysteme (= Bikesharing) erfolgreich, welche Strukturen bringen Wachstum und welche Fehler lassen sie scheitern? Diese spannende Frage bezüglich Effektivität und Effizienz eines neuen Teilverkehrssystems hat das Institute for Transportation and Development Policy (ITDP) versucht mit dem ITDP Bike-Share Planning Guide (PDF, 7,3 MB) zu beantworten.
In den vergangenen Jahren ist die Zahl (erfolgreicher) öffentlicher Fahrradverleihsysteme kontinuierlich auf über 600 gestiegen. Nichtsdestotrotz haben nicht alle Städte bei der Implementierung Erfolg gehabt. Relativ häufig scheitern Bikesharing-Systeme an der fehlenden politischen Unterstützung, insbesondere in der Planungs- und Realisierungsphase.
Erfolgreiche Fahrradverleihsysteme weisen vier bis acht Fahrten je Tag und Fahrrad und eine Fahrt je 20 – 40 Einwohner auf.
Die Stationsdichte beeinflusst den Erfolg oder Misserfolg eines öffentlichen Verleihsystems relativ stark. Der Aufbau eines dichten Stationsnetzes benötigt hohe Anfangsinvestitionen, die im Vergleich zu anderen Verkehrsprojekten jedoch immer noch äußerst gering sind. Zudem fehlt oftmals noch die Akzeptanz, dass Bikesharing oder der Radverkehr als Ganzes vollwertige Verkehrsarten sind, die für Nutzer und Betreiber nicht nur äußerst kostenminimal sind, sondern gleichzeitig auch großen Nutzen insbesondere im Umwelt- und Gesundheitsbereich mit sich bringen.
In San Francisco wird Bikesharing genutzt, um das Problem der letzten Meile zwischen Haltestellen des ÖPNV und dem letztendlichen Zielort zu lösen, die chinesische Stadt Guangzhou möchte die Kapazität des öffentlichen Verkehrs im Ganzen erhöhen, Paris die Umweltfolgekosten des Verkehrs senken, die Lebensqualität der Bevölkerung steigern und gleichzeitig den Tourismus fördern und Hangzhou, China, nutzt öffentliche Fahrradverleihsysteme als Jobmotor und durch die bessere verkehrliche Erschließung gewisser Stadtbezirke als wirtschaftliches Entwicklungswerkzeug.
Erfolgreiche Systeme wie in Paris, New York, London, Mexiko City oder Barcelona weisen eine spezielle Stationsverteilung innerhalb der Stadt auf, während Systeme in Melbourne und anderen Städten eher mit Problemen zu kämpfen haben (z.B. sucht Melbourne für sein Bikesharing-Angebot “blue bike-share” derzeit einen Käufer, um das Angebot nicht länger “subventionieren zu müssen”).
Die Verknüpfung des ÖPNV mit dem Fahrrad ist zudem ein gutes Mittel, um das Letzte Meile Problem zu lösen. Das Problem von der Haltestelle zu seinem Ziel zu kommen, ist insbesondere in Städten und Regionen ohne dichtes Nahverkehrsnetz (Weg zur nächsten Haltestelle >400 Meter) problematisch. Das Letzte Meile Problem tritt aber nicht nur in Vororten und ländlichen Gebieten auf, sondern ist auch in Großstädten vorhanden. Aus diesem Grund muss das Platzieren von Stationen gut durchdacht sein, um eine möglichst gute Verteilung von Fahrrädern in der gesamten Stadtfläche über den Tag hinweg zu bewirken. In europäischen Städten fallen 30 Prozent der Kosten eines öffentlichen Fahrradverleihsystems bei der Umverteilung von Fahrrädern zwischen den Stationen an. Dieser Kostenblock kann durch gute Planung weitestgehend minimiert werden.
Neben den verkehrlichen Wirkungen scheinen öffentliche Fahrradverleihsysteme eine Stadt auch in sozialer Hinsicht aufzuwerten. Das Beispiel New York lehrt uns, dass Bikesharing-Angebote mit ihren Stationen ideale Triangulatoren sind: Sie lassen aus dem Kontext heraus Gespräche entstehen, es begegnen sich zu jeder Tag- und Nachtzeit Nutzer mit unterschiedlichen Hintergründen und sie dienen als Aktivitäten-Treffpunkt.
Welche Faktoren machen ein öffentliches Fahrradverleihsystem erfolgreich?
Stationsdichte
Ein qualitativ hochwertiges System weist laut ITDP 10-16 Stationen je Quadratkilometer auf. Der durchschnittliche Abstand zwischen den Stationen beträgt etwa 300 Meter. Die Stationen sollten von jedem Punkt innerhalb des Gebietes aus gut zu Fuß erreichbar sein.
Fahrräder je Einwohner
Je 1000 Einwohner sollten in den Stunden mit der maximalen Nachfrage (sogenannte “Spitzenstunde”) 10-30 Fahrräder an den Stationen verfügbar sein. An Stationen mit hohem Verkehrsaufkommen oder Verknüpfungspunkten mit dem ÖPNV sollte das Verhältnis entsprechend höher sein.
Abgedecktes Gebiet
In größeren Städten sollte ein Fahrradverleihsystem eine Mindestfläche von zehn Quadratkilometern abdecken. Das Gebiet sollte alle wichtigen Quellen und Senken einer Stadt (Start- und Zielpunkte) abdecken.
Qualitativ hochwertige Fahrräder
Die Fahrräder müssen langlebig, vandalismus- und diebstahlsicher, gut aussehend und praktisch sein. Ein Korb am Lenker ist von Vorteil.
Leicht zu nutzende Stationen
Der Ausleihvorgang sollte so einfach wie möglich gestaltet sein. Bezahl- und An-/Abmeldevorgänge sollten ein einfaches Interface, ein automatisches Schließsystem und ein Echtzeitmonitoring besitzen.
Hallo Martin,
kannst du nochmal die genaue Quellenangabe des Bikes/1000 Residents Diagramm angeben?
Diese hier:
Die Scheint mir etwas faul zu sein, demnach hätte Shanghai mit 14 Mio Einwohnern und einer Quote von 30/1000 Fahrräder/Einwohner Knapp 400.000 Fahrräder… Auch London mit 8 Mio Einwohnern mit einer Quote von 24/1000 wären bei einer ganz anderen Größenordnung als 8000 Räder…
Gruß,
Björn
In Berlin spielt Fahrradverleih alleine deshalb keine Rolle, weil bereits so viele Menschen selbst ein Fahrrad haben UND benutzen.
In meinen Augen deutet ein extensives Fahrradverleih-System eher auf eine unterentwickelte Radkultur hin.
So hat das hoch gepriesene Paris gerade einmal einen Modal-Split-Anteil von 2% für den Radverkehr, während im so kümmerlich mit Leihrädern ausgestatteten Berlin immerhin 13% der Wege mit dem Fahrrad zurück gelegt werden.
Und was das Problem der letzten Meile betrifft: Mit einer Systemkombination Rad-ÖV wird man nicht viele Autofahrer vom Autofahren abhalten.
Hier mal die Werte für das MVGmeinRad in Mainz:
Stationen: 105
Ausleihvorgänge 2013 (voraussichtlich): 300.000
Fahrräder: 600
Größe der Stadtteile mit Leihradsystem: 109,063 km²
Einwohner in diesen Stadtteilen: 218.254
Damit ergibt sich:
Stationsdichte: 0,96 Stück / km²
Fahrräder pro 1000 Einwohner: 2,749
Fahrten pro 1000 Einwohner pro Jahr: 1374
Das System befindet sich im stetigen Ausbau. Außerdem sind in einigen äußeren Stadtteilen vereinzelnd Stationen zu finden. Die Dichte in der Innenstadt ist 4,7 Fahrräder pro km².
Ich meinte 4,7 Stationen pro km².
Die Einwohnerzahl ist höher als die Gesamteinwohnerzahl von Mainz, da auch die Stadtteile Mainz-Kastel und Mainz-Kostheim, die unter der Verwaltung von Wiesbaden stehen, und Budenheim als unabhängige Gemeinde in das System integriert sind.
Hi,
Luxemburg-Stadt hat auch ein kleines, aber feines Verleihradsystem (www.veloh.lu). Allerdings verfügt es derzeit nur über 250 Räder und 72 Stationen verteilt auf 104.000 Einwohner. :-)
Die allermeisten Nutzer sind sicherlich unter den Berufspendlern zu finden. Ich kenne ein paar, die wie ich, mit dem Zug in die Stadt fahren und dort ein Leihfahrrad nehmen.
Ich persönlich ziehe es aber vor, mein eigenes Rad zu nehmen und fahre aus Richtung Trier kommend mit dem Zug (und Rad) zum Bahnhof, was durch die hiesige Bahngesellschaft (CFL) durch entsprechend große und immer verfügbare Fahrradabteile gefördert wird – Fahrradmitnahme ist nämlich im Ggs. zu Deutschland mit “Die Bahn” kostenlos.
Hallo, ich hab nur das erste Video geguckt, aber da war nirgends Regen! Regnet’s da nicht ?
Ich wohn 160m über der Stelle an der ich arbeite, 20 min hoch radeln, ist ja nur 3 km :-).
Jedenfalls beobachte ich die ganze Sache mit den Rädern sehr positiv, aber ich glaube, dass die menschliche Faulheit so groß ist, dass es immer Autofahrer geben wird :-(
Trotzdem: weiter so!
H.
Hallo Martin,
Fairerwise solltest Du aber noch die durch die Stationen abgedeckte Einwohnerzahl bzw. einen sinnvollen Quotienten angeben.
Nachdem die Städte erheblich unterschiedliche Einwohnerzahlen haben, ist das sonst nicht wirklich vergleichbar.
Hast Du übigens Zahlen für Hamburg?
Hallo Jan,
das ist natürlich richtig. Die reinen Zahlen sind nicht wirklich aussagekräftig.
Call a Bike-Stationen sind in Berlin wie folgt verteilt: http://j.mp/IL6UUR
Für die Fläche und Einwohnerzahl als Bezugsgröße nehme ich also nur die Bezirke Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg, Tempelhof-Schöneberg und Neukölln. Das ist nicht ganz sauber abgegrenzt sondern eher die quick and dirty-Version, aber jetzt das GIS anzuwerfen und das Kiez- oder gar straßenfein zu ermitteln, ist zu aufwändig.
Man kommt bei Betrachtung dieser vier Bezirke etwa bei 150 Quadratkilometern heraus, die Einwohnerzahl addiert sich auf 1,2 Millionen.
Als Vergleichswert nutze ich einfach die ITDP-Angaben, welche ebenfalls entsprechend normiert sind (nur die Abzisse beachten, die Ordinate muss ich mangels Daten ignorieren):
Stationen: http://j.mp/IL6WfB
Für Berlin erhalte ich einen Wert von 0,6666 Stationen / km2 bzw. 1 Station / km2 nach Ausbau auf 150 Stationen. Wenn ich nur Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg betrachte komme ich auf: 100 Stationen / 60km2 = 1,67 / km2 (nach Ausbau: 2,5)
Räder: http://j.mp/IL6UUV
Bei 1,2 Millionen Einwohnern komme ich auf 1,2 Räder / 1000 Einwohner, wenn ich nur Mitte und FH/KB nehme, dann auf 2,45 / 1000 EW. Hier ist das Delta zu anderen Städten extrem groß. Sogar wenn ich entsprechende Sicherheitszuschläge gebe, weil ich nicht weiß wie ITDP gerechnet hat, komme ich bei weitem nicht einmal ins Mittelfeld…
Ich denke, die Unterschiede fallen schon auf, wenn man nur durch die Städte geht. In Paris fällt man ja wirklich an jeder Ecke über eine Station, in Berlin findet man die meistens nur an den Hotspots. Da sind auf jeden Fall quantitative Unterschiede vorhanden. Und man muss auch einfach feststellen, dass Bikesharing in den allermeisten Kommunen Deutschlands noch nicht richtig angekommen ist (Ausnahmen gibt es natürlich).
Viele Grüße,
Martin
PS:
Hamburg: 1.650 Fahrräder und 128 Stationen (Stand: Juli 2013) Hier bitte selber rechnen! ;-)
Habe ich Berlin übersehen oder ist es wirklich nicht dabei?
Hallo i,
Berlin spielt nicht wirklich eine Rolle. Perspektivisch soll die Zahl der Call a Bike-Räder zwar von derzeit 1450 auf 1750 und die Zahl der Stationen von etwa 100 auf 150 steigen, damit ist man aber noch weit von den “großen” entfernt.
Vélib’ (Paris): Über 20.000 Räder an 1202 Stationen
Citi Bike (New York): 6000 Räder (offiziell, real etwa 4600) an 330 Stationen
Bixi Montreal: 5050 Räder an 405 Stationen.
Barclays Cycle Hire (London): 8000 Räder an 570 Stationen
Bicing (Barcelona): über 6000 Räder an 420 Stationen
Capital Bikeshare (Washington D.C.): 1500 Fahrräder an 165 Stationen
usw. usf.
Mit anderen Worten: Bikesharing in Berlin ist für die Weltspitze oder eine internationale Sichtbarkeit an sich unterentwickelt, zu klein, hat zu wenig Stationen und zu wenig Fahrräder im System. Von daher kein Wunder, dass Berlin nicht vorkommt…
Viele Grüße,
Martin