Infrastruktur Öffentlicher Personennahverkehr urbane Mobilität

[Video zum Wochenende] Dhaka mehr oder weniger in Bewegung

Ich bin schon länger der Meinung, dass wir uns dringend von unserem Bild über Großstädte in Entwicklungsländern verabschieden sollten. Viele Städte in Asien und Afrika versuchen mit absolut hochtechnologischen Ansätzen ihre Probleme zu lösen.

Die Hauptstadt Bangladeschs, Dhaka, ist eine solche Stadt. Heute leben in Dhaka rund 13 Millionen Menschen. Im gesamten Ballungsraum leben mehr als 16 Millionen. Dhaka ist die weltweit elfgrößte urbane Agglomeration und die neuntgrößte Stadt auf der Welt.

Laut Vereinten Nationen ist Dhaka die am stärksten wachsende Stadt auf diesem Planeten und wird bis 2025 größer als Peking, Shanghai und Mexiko City sein. Die Bevölkerungszahl soll auf über 25 Millionen steigen.

Bangladesch ist eines der ärmsten und am dicht besiedelsten Länder weltweit. Die Bevölkerungszahl könnte von heute 152 Millionen auf 250 Millionen im Jahr 2050 steigen. Die große Armut auf dem Land führt insbesondere nach Ernteausfällen zur Landflucht in Richtung Dhaka.

Ein solches Bevölkerungswachstum bringt natürlich große Herausforderungen für die Verkehrssysteme des Landes und insbesondere Dhakas mit sich. Die Infrastruktur kann schon seit längerem nicht mehr mit dem schnellen Wachstum der Stadt mithalten. Die Stadt ist von Verkehr total überlastet. Stau ist an der Tagesordnung.

Verkehr in Dhaka, Bangladesch, zur Hauptverkehrszeit
Dhaka zur Hauptverkehrszeit – Foto: Soman @ Wikimedia Commons CC BY-SA 3.0

Und wenn wir über morgendlichen Stau auf dem Weg zur Arbeit schimpfen, kann man in Dhaka froh sein, wenn man überhaupt lebend an sein Ziel kommt. Die Megacity hat eine der höchsten Unfallraten auf der Welt. Dies ist auch auf die mangelnde Infrastruktur zurückzuführen. So gibt es gerade einmal an 67 Kreuzungen Lichtsignalanlagen (= Ampeln). Und das bei einem Straßennetz mit einer Länge von 1.868 Kilometern!

Erlebnisbericht eines deutschen Studenten, der in Bagladesch für die damalige deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) gearbeitet hat (inkl. interessanter Bilder!):

Man erzählt sich, dass etwa 70% der Autofahrer mit gefälschtem Führerschein fahren, was ich für absolut glaubwürdig halte. Das führt zu skurillen Situationen: etwa auf Kreuzungen von Nebenstraßen. Normales Verhalten ist, mit 50 km/h auf die Kreuzung zu preschen und ständig zu hupen. Das soll soviel bedeuten, wie: “Ich komme! Macht alle Platz!” Da das aber im Zweifelsfall die Fahrer aus den anderen drei Richtungen genauso sehen, ist die Kreuzung rasch verstopft. Statt ein Auto vorzulassen, besteht jeder auf seine Vorfahrt, begleitet von aggressivem Hupen natürlich. So eine Situation kann schon mal zwei Minuten dauern. Am Ende ist der Rickscha-Fahrer Schuld, der zuletzt in die Szene gekommen ist. Wild gestikulierend regen sich alle auf, bis sich der Knoten plötzlich löst, begleitet von weiteren Hup-Attacken. Gehupt wird übrigens auch, wenn eine Straße komplett dicht ist und sich absolut nichts bewegt, ein Reflex der Verzweiflung.

Ein weiteres großes Problem ist die massive Umweltverschmutzung durch Industrie und Verkehr.

Dabei ist das Hauptverkehrsmittel der Stadt zum Großteil nicht einmal motorbetrieben. Mit mehr als 400.000 Rikschas gilt Dhaka als die Rikscha-Hauptstadt dieses Planeten. Bei der Stadt sind jedoch nur 85.000 Rikschas für Personenbeförderung lizensiert, der absolute Großteil des öffentlichen Verkehrs in Dhaka wird illegal betrieben. In einigen Stadtvierteln wurden Rikschas mittlerweile verboten, da diese die Straßen verstopften und den Verkehr vollkommen zum Erliegen brachten.

Wie überall in Asien bringt das steigende Einkommen einige Probleme mit sich. Auch in Dhaka nutzt die wachsende Mittelschicht immer häufiger private Pkw, Taxis und Motorroller. Bis 2025 wird für Bangladesch ein Pkw-Bestand von 24 Millionen Fahrzeugen prognostiziert, der sich bis 2050 auf etwa 50 Millionen Fahrzeuge verdoppeln könnte.

Der Großteil der Bevölkerung, deren Durchschnittseinkommen bei rund 400 Dollar je Monat liegt, nutzt jedoch auch heute entweder Rikschas, das Fahrrad, den ÖPNV oder geht zu Fuß.

Das Busnetz wird von der staalichen Bangladesh Road Transport Corporation (BRTC) und einigen privaten Anbietern betrieben. Hinzu kommen einige Regionalbahnlinien, die ebenfalls vollkommen überlastet und nicht mit der Servicequalität europäischer Bahnen vergleichbar sind.

Dhaka versucht die Probleme aber auf verschiedene Art und Weise zu lösen.

Die Regierung und viele Verkehrsunternehmen haben in den letzten Jahrzehnten Pläne zur Verbesserung der Verkehrssituation erstellt und beschlossen. Leider hat eine mangelhafte Umsetzung den Erfolg bislang verhindert. So haben in den Jahren 1991 – 1994 die Dhaka City Corporation (DCC), die Rajdhani Unnayan Kartripakkha (RAJUK) und die Bangladesh Road Transport Authority (BRTA) parallel einzelne Maßnahmen umgesetzt ohne sich untereinander abzusprechen. Durch Kompetenzgerangel und mangelnde Koordination kam es zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis. Die Probleme wuchsen weiter.

Mit finanzieller Hilfe der Weltbank hat die Regierung Bangladeschs im Jahr 1998 das Dhaka Transport Coordination Board gegründet. Dieses soll die verschiedenen Maßnahmen koordinieren und wurde von renommierten Verkehrsplanungsbüros weltweit unterstützt.

Im Jahr 2008 wurde ein umfassender Generalverkehrsplan für den Ballungsraum Dhaka mit allen angrenzenden Städten und Gemeinden erstellt. Der Plan deckt ein Gebiet von rund 3960 Quadratkilometern ab.

15 Schlüsselelemente wurden genauer geplant. Diese umfassen Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit, Bevorzugung des Fußgängerverkehrs, Förderung des ÖPNV und des nicht-motorisierten Verkehrs, und vieles mehr. Insgesamt wurden 70 verschiedene Empfehlungen an die Politik adressiert und zehn vollumfassende Verkehrspläne ergestellt. Aus den zur Verfügung stehenden Maßnahmenkatalogen wurden die effektivsten Elemente herausgelöst und zu einem endgültigen Plan zusammengefasst. Dieser umfasst drei neue MRT (Metro Rail Transit)-Linien, einem System ähnlich einer U-Bahn, und drei neue Bus Rapid Transit-Korridore. Hinzu kommen 54 neue Straßen in und um die Stadt herum, drei Autobahnen und ein Strategiepapier für wassergebundene Verkehrsmittel wie Fähren, u.ä.

Eine aufgestelzte Autobahn (Shahjalal International Airport – Kuril – Banani – Mohakhali – Tejgaon – Saatrasta – Moghbazar Rail Crossing – Khilgaon – Kamalapur – Golapbagh – Dhaka-Chittagong Highway) befindet sich zur Zeit im Bau.

Metro Dhaka Linienplan
Geplantes Metro-System in Dhaka – Grafik: Soman @ Wikimedia Commons CC BY-SA 3.0

Zur Zeit wird in Dhaka eine U-Bahn (MRT Linie 6) geplant, die eng mit dem MRT-System verknüpft wird. Diese U-Bahn soll die Stauanfälligkeit der Stadt lindern und die größten Verkehrsprobleme lösen. Die Machbarkeitsstudie des 21,5 Kilometer langen U-Bahnnetzes, dessen Bau in etwa 1,7 Milliarden Dollar kosten soll, ist bereit abgeschlossen. Die Japan International Cooperation Agency hat sich bereit erklärt, 80 Prozent des Investitionsvolumens zu finanzieren. Zu einem Zinssatz von 0,01 Prozent!

Die erste Linie wird die Stadt von Pallabi im Norden der Stadt nach Süden (Sayedabad) durchschneiden. Der Großteil der Metro wird aufgeständert über bereits existierenden Straßen geführt. Diese Bauweise bietet ein sehr großes Einsparpotenzial. Die Baukosten je Kilometer betragen bei der aufgeständerten Variante etwa 12 Millionen Dolar. Für eine unterirdische Streckenführung wären je Kilometer etwa 48 Millionen Dollar angefallen.

Insgesamt ist zur Zeit die Vorplanung für drei U-Bahnlinien abgeschlossen.

CNN hat eine interessante Reportage über die Verkehrsprobleme und Lösungsansätze in Dhaka veröffentlicht, die hiermit empfohlen sei.

Danke an Yannic B. für die Empfehlung!

Anonymous

Randelhoff Martin

Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
Ist interessiert an innovativen Konzepten zum Lösen der Herausforderungen von morgen insbesondere in den Bereichen urbane Mobilität, Verkehr im ländlichen Raum und nachhaltige Verkehrskonzepte.

Kontaktaufnahme:

Telefon +49 (0)351 / 41880449 (voicebox)

E-Mail: randelhoff [ät] zukunft-mobilitaet.net

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Anonym
Anonym
2. Dezember 2022 09:45

Die Ampeln sind auch nur zum Spaß da und werden einfach ignoriert. Im Endeffekt müssen Polizisten and Knotenpunkten den Verkehr irgendwie regeln, was komischerweise auch öfters funktioniert. Nach welchem Prinzip sie dabei vorgehen, ist allerdings nicht erkennbar (der Ampelschaltung an “ihrer” Kreuzung folgen sie dabei jedenfalls nicht…)

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Randelhoff Martin

Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
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