Dieser Artikel ist Teil der Serie Verkehr während der Olympischen Spiele 2012 in London. Eine Übersicht über alle Artikel finden Sie hier.
Wenn es nicht nur für die Atlethen, sondern auch für die Gastgeberstadt der Olympischen Spiele eine Medaille geben würde, hätte London ganz klar Gold gewonnen. In der Kategorie Freundlichkeit gäbe es Gold für die vielen Tausend Freiwilligen, die hilfsbereit Auskunft gaben, für das Londoner Wetter würde es Silber geben (für einige Regentage gibt es Abzug) und für den öffentlichen Verkehr völlig überraschend Gold.
Was vor den Olympischen Spielen niemand dachte, trat ein. Weder bei Underground noch Overground traten größere Probleme auf, die Docklands Light Railway fuhr ebenso zuverlässig wie die Londoner Busse. Das Olympiastadion war mit den Stationen Stratford und Stratford International, die insgesamt mit zehn Linien bedient wurden, die wohl am besten mit dem ÖPNV erschlossene Sportstätte der Welt.
Aber auch langfristig werden die Londoner von den Verbesserungen profitieren. Der größte Erfolg war wohl die hervorgerufene Verhaltensänderung bei den Londonern, die erfahren haben, welche Vorteile Gleitzeit und Tele-/Heimarbeit bringen und wie stark die tägliche Rushhour dadurch entlastet wird. Etwa ein Drittel aller Londoner veränderte während der Olympischen Spiele ihr Fahrverhalten.
Ebenfalls dürften viele Londoner von der Erfahrung profitieren, dass das Planen von Wegen eine große Erleichterung sein kann. Und nebenbei profitiert London von modernisierten Bahnhöfen wie beispielsweise King’s Cross oder dem WLAN-Netz, das in der U-Bahn installiert wurde. Dessen Nutzung war während der Olympischen Spiele kostenlos, nun muss jedoch bezahlt werden. Als ebenfalls vorteilhaft hat sich die nächtliche Anlieferung von Gütern und Waren auf den Verkehrsfluss während des Tages ausgewirkt. Eventuell wäre eine über die Olympischen Spiele hinausgehende Lockerung des nächtlichen Lieferverbots bei Aufstellen enger Lärmschutzregeln sinnvoll.
Transport for London
Während der Olympischen Spiele haben die Besucher 18 Millionen zusätzliche Fahrten zurückgelegt. Über 900.000 Besucher haben spezielle Park & Ride-Angebote, Busshuttle und spezielle Fahrspuren genutzt, um zu den Veranstaltungsorten außerhalb Londons zu gelangen. Der Londoner Verkehr lag um etwa 15 Prozent niedriger als normal. Dadurch war es möglich, theoretische Reisezeiten der Olympiateilnehmer zu 90 Prozent einzuhalten.
Die Docklands Light Railway beförderte mit sechs Millionen zusätzlichen Fahrgästen 100 Prozent mehr Fahrgäste als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum. 1,4 Millionen Fahrgäste nutzen den Olympic Javelin zwischen London St. Pancras und Stratford International. Insgesamt wurden 51,47 Millionen Fahrgäste mit der U-Bahn befördert. Dies ist die größte bewältigte Verkehrsmenge in der 149jährigen Geschichte der Londoner Tube und 12,29 Millionen mehr Fahrgäste als in der Vorjahresperiode.
Während der Olympischen Spiele wurden mehrmals bestehende Tagesrekorde gebrochen. Am 03. August 2012 fuhren mehr als 4,4 Millionen Fahrgästen mit der Londoner U-Bahn, bereits am Tag davor wurde der bestehende Rekord vom Mittwoch (4,25 Mio.) mit 4,31 Millionen Fahrgästen gebrochen. Im Vorjahreszeitraum fuhren nur 3,8 Millionen Fahrgäste / Tag mit der U-Bahn.
Aber auch die Docklands Light Railway setzte mit über 500.000 Fahrgästen / Tag neue Rekorde. Dies entspricht einer Steigerung um bis zu 70 Prozent und wurde noch nie zuvor erreicht. London Overground beförderte mit 2,86 Millionen Fahrgästen 27 Prozent mehr als in vergleichbaren Zeiträumen.
Und auch das Bikesharing-Angebot in London setzte mit 47.000 Ausleihvorgängen einen neuen Allzeitrekord. Die neu eröffnete Emirates Air Line Seilbahn beförderte am 06.08.2012 24.451 Fahrgäste.
Die vorab stark umstrittenen und vor allem von Londoner Taxifahrern bekämpften Olympic Lanes waren nur zu 30 Prozent der Zeit in Benutzung. Insgesamt wurden über 2.400 Bußgelder über 130 Pfund für unberechtigtes Befahren oder Parken auf den Olympic Lanes ausgestellt. An den ersten sechs Tagen der Inbetriebnahme des Olympic Road Networks (48km Gesamtlänge) seit dem 26. Juli 2012 wurden nur Verwarnungen ausgesprochen. Insgesamt wurden während der Olympischen Spiele 312.000 Pfund Bußgelder eingenommen.
Für die Olympischen Spiele 2012 wurden insgesamt 429 Millionen Pfund in die lokalen Verkehrssysteme investiert. 281 Millionen Pfund entfielen auf Investitionen im Netz von Transport for London. Dies umfasste unter anderem Infrastrukturverbesserungen im DLR-Netz, der Umbau des Bahnhofs Stratford und die Modernisierung der North London Line.
Eisenbahn / National Rail
Etwa die Hälfte der Besucher, etwa fünf Millionen Menschen, nutzten die Eisenbahn um von oder zu den Wettkampfstätten zu gelangen oder zwischen den verschiedenen Stadien zu wechseln. Um den Fahrgastansturm zu bewältigen, wurden 12,4 Millionen Sitzplätze zusätzlich zur Verfügung gestellt. Dies geschah entweder durch verlängerte Zuggarnituren oder durch zusätzlich gefahrene Leistungen.
Der Olympic Javelin, gefahren von Southeastern, beförderte im Durchschnitt 90.000 Fahrgäste am Tag zwischen St. Pancras und Stratford International.
Die Pünktlichkeitsquote betrug 95 Prozent.
Luftverkehr / London Heathrow
Einen Tag nach den Olympischen Spielen 2012 mussten die Londoner Flughäfen die Abreisewelle meistern. Der Flughafen London Heathrow rechnete mit 116.000 abfliegenden Fluggästen. Normalerweise werden 95.000 Fluggäste am Tag abgefertigt. Ein speziell für Athleten errichtetes Terminal mit 31 Schaltern und sieben Sicherheitsschleusen wurde errichtet, 6.000 Athleten checkten ihr Gepäck bereits einen Tag vor Abflug im Olympischen Dorf ein. Dieses wurde vorab zum Flughafen transportiert. Die Abfertigung der Athleten und des Gepäcks mit teilweiser Übergröße verlief problemlos.
Städtebauliche Transformation
Die Planungen für den Olympischen Park wurden unter der Prämisse durchgeführt, dass der baufällige Osten Londons mit seinen sozialen Problemen bestmöglich aufgewertet wird. Die Olympischen Spiele mit all den neu errichteten Gebäuden sollen als Katalysator für eine nachhaltige Stadtentwicklung dienen, die eng mit der Erneuerung der Verkehrsinfrastruktur zusammenhängt.
Unbedingt verhindert werden soll eine Entwicklung, wie sie in Athen und Peking zu beobachten ist. Nach den dortigen Olympischen Spielen regiert der Verfall und das Fehlen eines Nachnutzungskonzepts. Sydney und Atlanta haben ihre Olympischen Spielstätten besser integriert. Heute dienen die Sportstätten der Naherholung und Freizeitgestaltung.
In London steht die Nachnutzung der Sportstätten im Mittelpunkt. Das Olympiastadion wird neues Heim eines noch zu benennenden Fußballclubs. Da das Stadion zurzeit für die Anforderungen eines Fußballbetriebs überdimensioniert ist, wird es teilweise rückgebaut und verkleinert. Dies wird auch mit dem Aquatics Center geschehen. Der Stadtteil Stratford benötigt ein neues Schwimmbad, allerdings nicht um Wettkämpfe auszutragen, sondern um der Bevölkerung ein Freizeit- und Sportangebot machen zu können. Daher wird die Schwimmarena ebenfalls verkleinert und den Anforderungen eines normalen Schwimmbetriebs angepasst.
Andere Sportstätten werden vollständig zurückgebaut. Die Basketball-Arena wird vollständig zurückgebaut, in Container verpackt und in Rio de Janeiro für die Olympischen Spiele 2016 wieder aufgebaut. Die Wettkampfstätten der Hockey- und BMX-Wettbewerbe bestanden nur aus Gerüsttribünen und werden vollkommen verschwinden. Einige TV-Studios bestanden aus umgebauten Seecontainern. Auch diese werden aus dem Olympischen Park entfernt.
Insgesamt wird Stratford von den Olympischen Spielen profitieren. Im Osten Londons befindet sich nun das größte Einkaufszentrum Europas, der größte Stadtpark Europas sowie ein leistungsfähiger Bahnhof, der auf die Bedürfnisse des Hochgeschwindigkeitsverkehrs ausgelegt ist. Durch behutsame und nachhaltig wirkende Anpassungen lässt sich die Wirkung der verbesserten Verkehrsanbindung sicherlich weiter erhöhen. Ein erster Schritt wäre mit dem Halt des Eurostars gemacht.
London hat das Experiment gewagt, die Wettkampfstätten über die ganze Stadt zu verteilen anstatt alle Wettkämpfe im Olympiapark zu konzentrieren und damit diesen zuzubauen zu müssen. Durch diese Entscheidung hat sich London viele Möglichkeiten der Nachnutzung und der Stadtentwicklung offen gelassen. Sicherlich nicht die schlechteste Idee…
Lesenswert zum Thema Stadtentwicklung & London 2012 ist auch dieser Artikel bei URBANOPHIL, dessen Lektüre hiermit empfohlen sei.
Genau, das vermute ich auch. Mit diesen Hintergrundwissen bekommen Fahrgastzahlen einen ganz anderen Beigeschmack. Führt ein Verkehrsbetrieb eine Linienreform durch die zu mehr Umsteigezwängen führt erhöhen sich die Fahrgastzahlem, selbst dann wenn real weniger Menschen fahren. Wenn nun jn London in folge von Störungen haufiger ein und ausgecheckt wird hat das auch statistische Folgen.
Wenn ein Verkehrsunternehmen absolut kurzfristig und keinesfalls nachhaltig handeln wollen würde, könnte diese Logik durchaus zutreffen. Allerdings senkt ein Umsteigezwang die Attraktivität einer Verbindung bzw. des gesamten ÖPNV-Angebots. Es gilt ja, dass ab einem zweiten Umstieg theoretisch Schluss ist.
Während der Olympischen Spiele kam es ja zu vergleichsweise wenig Störungen, sodass im Vergleich zum Normalbetrieb mit mehr Störungen und somit mehr Umsteigern die Fahrgastzahl sogar noch höher liegen müsste.
Den könnte man nur mit allgemeinen Abschlagfaktoren entegegen wirken. Oder TfL schafft es, die Oystercard-Daten so auszuwerten, dass eine Quell-Ziel-Beziehung als ein Beförderungsfall und somit als ein Fahrgast gezählt wird. Dann wären die Häufigkeit der Umstiege und Verkehrsmittelwechsel egal. Ich weiß aber nicht, ob TfL das kann…
Diese ganzen Fahrgastzahlen sind für mich wertlos solange nirgendwo steht was als ein Fahrgast definiert ist. Jemand, der auf den Weg zur Sportstätte und zurück zweimal umsteigt ist je nach Defenition 1, 2 oder 6 Fahrgäste.
Wenn man es ganz genau nehmen möchte, kann man Fahrgast mit “Beförderungsfall” gleichsetzen. Das bedeutet, dass jede einzelne Fahrt als “Fahrgast” gezählt wird. Die Einheit Personenkilometer wäre eindeutiger, allerdings wird das von der Erhebung schwieriger.
Die im Artikel genannten Zahlen stammen von den Fahrgastschleusen in Bahnhöfen bzw. von den Lichtschranken in Fahrzeugen. Und somit ist jeder Fahrgast eine Fahrt. Eventuell kommen aber noch aussagekräftigere Daten.
Gruß,
Martin Randelhoff