Fuß- und Radverkehr

[Video zum Wochenende] Mit dem Fahrrad unterwegs in London im Jahr 1984

Radfahrer in London rosa cycle London cycling pink
Foto: Mark Hillary @ Flickr - CC BY 2.0

In vielen Städten erlebt das Fahrrad derzeit eine Renaissance. Zunehmende Probleme mit dem wachsenden motorisierten Individualverkehr wie beispielsweise Staus, Lärm- und Luftschadstoff-Emissionen, Unfälle und Flächenkonflikte, z. B. zwischen Wohnen und Parken, zwingen zu einem Umdenken. Das Fahrrad an sich ist flächensparsam, leise, energieeffizient, schadstofffrei und fördert die Gesundheit. Hinzu kommt, dass Infrastruktur für den Radverkehr vergleichsweise günstig ist – in Zeiten knapper kommunaler Kassen ein entscheidendes Kriterium.

Der Bau von Infrastruktur für den Radverkehr in Form gesonderter Radwege hat in Deutschland bereits in den 1920er Jahren begonnen. Das Fahrrad, welches zu dieser Zeit den Stadtverkehr wegen seines erschwinglichen Preises dominierte, behinderte in den Augen der Politik und der Verkehrsplanung den damals noch schwachen motorisierten Individualverkehr. Durch den Bau gesonderter Radwege sollte die Fahrbahn für den Autoverkehr hindernisfrei gestaltet werden. Die Reichsstraßenverkehrsordnung, welche als erste reichseinheitliche Verkehrsordnung im Jahr 1934 aufgestellt wurde, enthielt bereits eine Benutzungspflicht von Radwegen.1

Bis in die fünfziger Jahre blieb das Fahrrad dominierendes Verkehrsmittel in deutschen Städten, wurde jedoch zunehmend durch den Pkw verdrängt. Maßgeblich hierfür waren eine automobilorientierte Verkehrspolitik und das planerische Leitbild einer “autogerechten Stadt”. Bestehende Radverkehrsanlagen wurden als vermeintliches Hindernis beseitigt oder zu Parkraum umgewidmet. Zusammenhängende Radwegenetze wurden aufgetrennt, ohne gleichzeitig die Trennung von Rad- und Kraftfahrzeugverkehr aufzuheben. Die Folge waren unzusammenhängende und verteilte Radwegereste einhergehend mit einem hohen Konfliktpotenzial zwischen Fußgängern und Radfahrern.

Bereits in den 1970er und 1980er Jahren wurde von einer ersten “Wiederentdeckung des Fahrrads” gesprochen. Der Niedergang des Radverkehrs war gestoppt und in einigen Städten begann der Radverkehrsanteil am Gesamtverkehr wieder langsam zu steigen. Als Entwicklungshemmnis für den Radverkehr wurde das Fehlen von Radwegen identifiziert. Diese wurden daraufhin in unterschiedlicher Qualität und Linienführung auf Fußwegen zulasten der Fußgänger markiert.2

In manchen deutschen Städten stellen die in den achtziger Jahren geschaffenen Radwege auch heute noch das Gros der dort existierenden Radverkehrsinfrastruktur dar.

In Deutschland veröffentlichte die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e. V. (kurz FGSV) im Jahr “1982 die ‘Empfehlung für Planung, Entwurf und Betrieb von Radverkehrsanlagen’ (ERA 82), die aber schon Anfang der neunziger Jahre durch die einsetzende Entwicklung im Bereich der Radwegeinfrastruktur überholt war und 1995 durch die ‘Empfehlung für Radverkehrsanlagen’ (ERA 95) ersetzt wurde. Gerade die hohen Unfallzahlen auf zu schmalen oder baulich schlechten Radwegen führten dazu, dass in der ERA 95 Anforderungen an Radverkehrsanlagen definiert wurden. Diese diente als Grundlage für die Novelle der Straßenverkehrsordnung 1997, deren wesentliche Änderungen u.a. die Aufhebung der allgemeinen Benutzungspflicht von Radwegen, die Öffnung von Einbahnstraßen für den Fahrradverkehr, die Einrichtung von Fahrradstraßen sowie von Schutzstreifen umfassten.”3

Folgendes Video des Greater London Council (GLC) aus dem Jahr 1984 zeigt Maßnahmen, die zur Förderung des Radverkehrs in London ergriffen wurden. Das Greater London Council (GLC) war zwischen 1965 und seiner Auflösung im Jahr 1986 die oberste Verwaltungsbehörde von Greater London4 und auch für die zentrale Planung des Radverkehrs zuständig.

Im Jahr 1983 wurde jedoch von der britischen Regierung beschlossen, den GLC aufzulösen. Sie argumentierte, der GLC sei ineffizient und unnötig, die Aufgaben könnten von den Boroughs – den einzelnen Stadtvierteln – mindestens so gut erledigt werden. Nach der Auflösung des GLC war London die weltweit einzige Metropole ohne zentrale Verwaltung. Die Verkehrsplanung, und damit eingeschlossen die Radverkehrsplanung, litt unter der fehlenden Koordination der einzelnen Stadtviertel.

Im Jahr 1999 wurde in einer Volksabstimmung die vom damaligen Premierminister Tony Blair vorgeschlagene Schaffung der Greater London Authority (GLA) angenommen. Die GLA, bestehend aus der London Assembly und dem Mayor of London, nahm ihre Tätigkeit im darauf folgenden Jahr auf. Im Rahmen dieses Prozesses wurde die Zuständigkeit für London Underground, London Rail und den Oberflächenverkehr in London im Jahr 2001 an “Transport for London (TfL)” übertragen. TfL verantwortet unter anderem das sogenannte “Cycling Centre of Excellence”, welches für die Förderung des Fahrradverkehrs in London und die Vergabe der Konzession für das Londoner Bikesharing-System zuständig ist.

Der Film aus dem Jahr 1984 verdeutlicht, dass im Vergleich zu heute ähnliche Herausforderungen und Lösungen für den Radverkehr gesucht wurden. Auch damals war die Planung eines zusammenhängenden Radwegenetzes prioritär und gleichsam schwierig.

Die Position des Radverkehrsbeauftragten mit entsprechenden Mitarbeitern war geschaffen. Jedoch standen nur zwei Millionen Pfund, etwa ein Prozent des gesamten Verkehrsbudgets, für den Radverkehr zur Verfügung. Im Rahmen einer Beteiligung der Öffentlichkeit und in enger Abstimmung mit Radfahrern, Verbänden und Umweltvereinigungen wurde versucht, die Mittel möglichst effizient einzusetzen.

Als großer Fortschritt wurde damals die Öffnung von Busspuren und von Einbahnstraßen für den Radverkehr angesehen.

einbahnstrassen-oeffnung-radverkehr-london-1984

Die zahlreichen best practise-Beispiele aus den achtziger Jahren, die im Film genannt werden, dürften heute als nicht mehr adäquat angesehen werden:

einbahnstrassen-oeffnung-radverkehr-london-1984-best-or-better-worst-practise-example

Eine weitere Neuerung waren erste mit Lichtsignalanlagen gesicherte Übergänge für den Radverkehr, welche bedarfsgesteuert über Induktionsspulen aktiviert wurden. Ebenfalls wurde bereits in den achtziger Jahren versucht, den Radverkehr über das Nebenstraßennetz zu leiten und sichere und stressfreie Routen zu entwickeln.

Der Radverkehr blieb jedoch in den letzten Jahren auf vergleichsweise niedrigem Niveau. In Großbritannien betrug der Radverkehrsanteil im Jahr 2012 rund 3%. In London hat der Radverkehr jedoch in den letzten Jahren starke Zuwachsraten verzeichnet, auch wenn der Anteil am Gesamtverkehrsaufkommen von 2% noch Potenzial bietet.

Modal Split share London 2013
Modal Split in London im Jahr 2013 – Quelle: TfL Planning, Strategic Analysis. In: Travel in London, report 7, S. 26

Im Berufsverkehr stieg der Radverkehrsanteil von 3% im Jahr 2001 auf 5% im Jahr 2011. In einigen Straßen machen Fahrräder in der Hauptverkehrszeit mittlerweile den Großteil des Verkehrs aus.

Transport for London geht davon aus, dass täglich etwa 4,3 Millionen Wege in London mit dem Fahrrad zurückgelegt werden könnten. Über die Hälfte dieser Wege sind kürzer als drei Kilometer Länge und würden maximal 12 Minuten mit dem Fahrrad dauern. Beinahe zwei Drittel von 4,3 Millionen möglichen Wegen werden zurzeit mit dem Pkw zurückgelegt, die restlichen hauptsächlich per Bus. 3,5 Millionen dieser Wege können in weniger als 20 Minuten mit dem Fahrrad zurückgelegt werden.

Für sichere und komfortable Fahrten mit dem Fahrrad hat London noch einen weiten Weg vor sich.

Aufgrund der mangelhaften Infrastruktur und Verkehrskultur ist das Fahrrad nur für einen kleinen Teil der Londoner Bevölkerung das Verkehrsmittel der Wahl. Insbesondere ältere und jüngere Menschen sind heute stark gefährdet und wählen kaum das Fahrrad als ihr Verkehrsmittel.

Auswahl von diversen Gefährdungen ausgehend von unterschiedlichen Verkehrsarten




Eine Hauptursache für die starke Gefährdung von Radfahrern ist die geringe Weiterentwicklung des Radverkehrsnetzes. Trotz des starken Radverkehrswachstums in London hat sich die Radverkehrsinfrastruktur seit den achtziger Jahren nur in Teilen verbessert. Der einzige Unterschied liegt darin, dass eine Umverteilung von Fläche und eine Schwächung des Pkw-Verkehrs zumindest kommunikativ akzeptiert zu werden scheinen. Dies zeigt sich beispielsweise in den Plänen von Bürgermeister Boris Johnson zur Weiterentwicklung des Radverkehrs in London.

Auch wenn London trotz der weitreichenden Pläne noch ein ganzes Stück Arbeit vor sich hat und die Cycle Superhighways noch ein ganzes Stück von niederländischen oder dänischen Qualitätsstandards entfernt zu sein scheinen:

Man darf gespannt sein, wie in 31 Jahren auf den Radverkehr in London und die heutige Situation zurückgeblickt werden wird. Und erst recht, ob sich bis dahin signifikante Verbesserungen eingestellt haben werden.

Filmempfehlung via VeloCityRuhr auf Twitter

  1.   vgl. Bockelmann, P. (1975): Einführung zum Straßenverkehrsrecht, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1975, Seite 12
  2. vgl. Monheim, H. (1992): Radverkehr an Hauptverkehrsstraßen – Netzaspekte im Wandel der Auffassungen in: Radverkehr an Hauptverkehrsstraßen, Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes NRW (Hrsg.), Düsseldorf 1992, Seite 10
  3. von Einem, T. (2006): Verkehrsregeln für den Radverkehr – Kenntnisse und Verhalten, Diplomarbeit am Institut für Mobilität und Verkehr, Technische Universität Kaiserslautern. Kaiserslautern. S. 33
  4. Das Verwaltungsgebiet Greater London (engl. für Groß-London) umfasst die zentralen Bezirke City of London, City of Westminster sowie 31 weitere London Boroughs; also jenes Gebiet, das allgemein als London bekannt ist.
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Randelhoff Martin

Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
Ist interessiert an innovativen Konzepten zum Lösen der Herausforderungen von morgen insbesondere in den Bereichen urbane Mobilität, Verkehr im ländlichen Raum und nachhaltige Verkehrskonzepte.

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Telefon +49 (0)351 / 41880449 (voicebox)

E-Mail: randelhoff [ät] zukunft-mobilitaet.net

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Daniel Bertholdt
Daniel Bertholdt
31. Oktober 2015 19:22

Hallo,

vielen Dank für den Artikel! Ich finde ja diese ganzen baulichen Änderungen spannend, vor allem die bedarfsgesteuerten LSA. Ziemlich ausgeklügelt über ganze Kreuzungsanlagen. Davon ist man ja in den letzten Jahren ziemlich abgekommen, oder? Der Trend geht in der Stadtplanung ja eher hin zu weniger reglementiertem Verkehr mit mehr gegenseitiger Vorsicht (shared space etc.) statt der häufig nur scheinbaren regelbasierten Sicherheit, so wie ich das mitbekommen habe.

Ich war leider noch nie in London. Gibt es diese Anlagen heute noch zumindest teilweise oder wurden die inzwischen zurückgebaut?

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Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
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