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Social Media und Verkehrsunternehmen: Zwischen Dauer-Shitstorm und Mehrumsatz

Es gibt vermutlich nur wenige Branchen, die so stark Thema in sozialen Medien sind, wie es die Verkehrsbranche ist. Egal ob Deutsche Bahn oder ein lokales Verkehrsunternehmen, eine kurze Twitter-Suche fördert zu fast jeder Stadt und jedem Verkehrsverbund Tweets zutage. 

Viele Verkehrsunternehmen und Verkehrsverbünde haben reagiert und sind mittlerweile auf Twitter, Facebook, Google Plus und auch Youtube aktiv. Den wohl bekanntesten Social Media-Auftritt eines deutschen Verkehrsunternehmens hat zweifelsfrei die Deutsche Bahn mit mehreren Twitter-Accounts und Facebook-Seiten. Die aus Fahrgastsicht wichtigsten sind mit Abstand @DB_Bahn auf Twitter und die dazugehörige Facebook-Seite. Für diese Arbeit ist das PR-Team der Deutschen Bahn bei den PR Report Awards 2013 mit dem Goldpreis für das PR-Team des Jahres ausgezeichnet worden.

Wenn Social Media-Manager anderer Branchen sich vor Shitstorms (Duden: “Sturm der Entrüstung in einem Kommunikationsmedium des Internets, der zum Teil mit beleidigenden Äußerungen einhergeht”) fürchten, so ist das DB Bahn Social Media-Team einer Art Dauerbeschuss ausgesetzt. Eine kurze Analyse der Tweets unter dem Hashtag #Bahn fördert neben einem üblichen Stuttgart 21- und “Die Bahn ist komplett inkompetent”-Grundrauschen Beschwerden über Verspätungen, verpasste Anschlüsse, überfüllte Züge, zu wenig Steckdosen im IC, zu teures Essen im Bordbistro und störende Mitreisende in aller Form hervor.

Aber nicht nur in Deutschland wird sich online über den öffentlichen Verkehr beschwert. Auch in Großbritannien geht es auf Twitter meistens hoch her.

Das britische Social Media Monitoringunternehmen Brandwatch hat 92.000 Tweets über den britischen Schienenverkehr analysiert. Etwa 29.000 Tweets, beinahe ein Drittel, waren negativ. Die fünf häufigsten Beschwerdegründe waren verspätete Züge, eine nicht funktionierende oder nicht vorhandene Klimaanlage, liegen gebliebene Züge, wegen Problemen zu spät zur Arbeit zu kommen und überfüllte Züge zur Hauptverkehrszeit. Nur 5.000 Tweets waren explizit positiv. Das britische Eisenbahnverkehrsunternehmen South West Trains (210 Millionen Fahrgäste / Jahr) lieferte auf Twitter das schlechteste Bild ab. 44 Prozent aller gesendeten Tweets bezogen sich auf das Unternehmen, 36 Prozent der Äußerungen waren negativ.

First Great Western folgte als auf Platz 2 der auf Twitter unbeliebtesten Eisenbahnverkehrsunternehmen, gefolgt von Southeastern. East Coast wurde am häufigsten auf Twitter gelobt.

Die wirtschaftlichen Folgen von Social Media-Aktivitäten für Verkehrsunternehmen

Soziale Netzwerke bieten nicht nur einen zusätzlichen Kanal, um Fahrgästen Fragen zu beantworten und bei Problemen zu helfen. Ein Social Media-Auftritt eines Verkehrsunternehmens hat zudem einen positiven wirtschaftlichen Effekt.

Eine Untersuchung von Conlumino im Auftrag von O2 (durchgeführt im Juni 2013 mit 2000 britischen Nutzern 25 verschiedener Verkehrsunternehmen) fand heraus, dass britischen Verkehrsunternehmen aufgrund mangelhaften digitalen Kundenbeziehungsmanagements ein Umsatz von jährlich 1,2 Milliarden Pfund entgeht. Viele Verkehrsunternehmen, sowohl im straßen- als auch im schienengebundenen Verkehr, schaffen es nicht, die digitalen Kanäle richtig zu nutzen. Einsatz von Social Media in Verkehrunternehmen

Die meisten Verkehrsunternehmen und auch Verbünde haben mittlerweile erkannt, dass mobile Anwendungen und Webseiten von großer Wichtigkeit sind. Preisvergleiche, Routenplanung, die Suche nach Alternativrouten im Verspätungsfall und zunehmend auch die Ticketbuchung sind wichtige Bestandteile mobiler Anwendungen. Und einige Verkehrsunternehmen (~30 %) glauben, sie machen in diesen Bereichen bereits heute einen guten Job.

Das Problem: 96% ihrer Kunden sind nicht derselben Meinung! 84 Prozent sind vom Aufbau und dem User Interface von Webseiten und Apps verwirrt, 87% vermissen Echtzeitinformationen und 90% sind von unterschiedlichen Preisen für verschiedene Vertriebsarten (Schalter, Automat, Onlineticket, Handyticket) genervt und erwarten ein richtiges Multichannel-Vertriebsmodell.

Dabei sind qualitativ sehr gute und auf die Bedürfnisse der Kunden zugeschnittene Anwendungen für Verkehrsunternehmen und -verbünde wichtiger denn je:

  • 80% der von Conlumino befragten Personen haben über verschiedene Digitalkanäle ihren Reiseverlauf geplant und Fahrpreise abgerufen
  • Echtzeitinformationen werden immer wichtiger: 65% der Befragten nutzen Apps und mobile Auskunftsseiten, um sich über aktuelle Reiseinformationen zu informieren. Vier Mal so viele Reisende wie jene, die traditionelle Informationskanäle wie stationäre Anzeigetafeln oder Telefonhotlines nutzen.
  • Die Vertriebskanäle ändern sich: Die Deutsche Bahn schätzt, dass Online-Tickets 2013 einen Anteil von 29 Prozent aller Fahrscheinverkäufe ausmachen werden. Das ist ein Prozentpunkt mehr als der Anteil der Automaten-Tickets (28 Prozent).

Die Fahrgäste äußern dabei die Wünsche bezüglich der Fahrgastinformation im 21. Jahrhundert recht deutlich, die meisten Verkehrsunternehmen hören leider nicht richtig zu. Sie möchten ein aktuelles, korrektes und integriertes Angebot, das neben der Möglichkeit Fahrscheine zu erwerben und zu verwalten, aktuelle Echtzeitinformationen nicht nur über ihre Reise beim jeweiligen Verkehrsunternehmen, sondern auch über die Anschlüsse am jeweiligen Zielbahnhof liefert.

Die Verkehrsbranche steht vielleicht noch stärker als andere Branchen vor der Herausforderung, mit der Evolution mobiler Technologien und digitaler Kanäle Schritt zu halten. Dieser Aufgabe muss sie sich stellen. Und darf sich nicht in halbgare Pseudo-Lösungen oder gar Ausreden (“Kein Geld! Kein Personal! Viel mimimi!) flüchten.

Übrigens: Auch dieser Artikel vorrangig britische Verkehrsunternehmen behandelt hat, gilt das hier Genannte ebenso für Deutschland. Deutsche Verkehrsunternehmen sind ihren britischen Pendants definitiv keinen Schritt voraus!

Vielen Dank an Urbanophil für den Hinweis auf Twitter!

Anonymous

Randelhoff Martin

Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
Ist interessiert an innovativen Konzepten zum Lösen der Herausforderungen von morgen insbesondere in den Bereichen urbane Mobilität, Verkehr im ländlichen Raum und nachhaltige Verkehrskonzepte.

Kontaktaufnahme:

Telefon +49 (0)351 / 41880449 (voicebox)

E-Mail: randelhoff [ät] zukunft-mobilitaet.net

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dlehm
dlehm
9. September 2013 12:59

In Aachen hat die ASEAG in 2010 einen Twitteraccount gehabt, diesen aber nach einem Monat wieder eingestellt und nach einem Jahr dann ganz gelöscht.

Die haben sich gewundert das nur Flames rüberkamen :)

Siehe auch: http://j.mp/1aw7uCU

Patricia
29. August 2013 12:37

Social Medias werden immer wichtiger, leider haben das noch nicht alle Wirtschaftszweige mit bekommen. Wenn man hier liest wie groß das Potenzial im Verkehrswesen noch ist, dann erstaunt einen das doch sehr.

Dachte das ist gerade hier schon etwas mehr vorgedrungen. Ich selbst nutze vor allem digitale Kanäle um das beste Angebot zu finden.

Jens
Jens
26. August 2013 08:54

Hi,

interessanter Artikel, der meiner Meinung nach gut aufzeigt, welche Potentiale die Sozialen Medien für Verkehrsunternehmen (auch abseits der Bahn) bieten können.

Und einen Extra-Like für einfachdort bzw. für deine Replik :-)

VG
Jens

einfachdort
einfachdort
24. August 2013 20:48

Guten Tag meine Damen und Herren,

trotz des interessanten Artikels erkennt man ausdrucksstarke Artikel in der Regel an der Sprache des Redakteurs. Diese ist weit mehr als Kommunikationsmittel und im Falle dieses Artikels meiner Meinung nach zu stark auf gesellschaftliche Akzeptanz ausgelegt. Zwar wäre der moderne Schreibstil, der wie im Agenturdeutsch von Anglizismen geprägt ist, auch auf blindes Kopieren von Meldungen zurückzuführen, ich gehe aber eher davon aus, dass es dem Redakteur, von dessen fachlicher Kompetenz ich trotzdem überzeugt bin, darum gelegen ist, seine Netzpräsenz dem Erfolge anzupassen und nicht gar als Einsiedler oder Sonderling (“Nerd”) zu gelten.

Jedem sollte doch heute klar sein, dass der Duden keinerlei germanistische Kompetenz mehr übrig hat. Stattdessen wurde in wirtschaftliche Fähigkeiten zugunsten von Marktanteilen investiert. Anders ist es nicht zu erklären, ein Regelwerk der Beliebigkeit aufzustellen, dass unter anderem Wörter nur nach häufiger Verwendung hin aufnimmt.
Deswegen bitte ich, im Sinne der Qualität und vielleicht etwas auf Kosten der Massenverträglichkeit, mehr auf den Wert der deutschen Sprache zu achten, “PR-Anglizismen” (die man häufig an Bindestrichen erkennt) zu meiden und selbst in nachhaltig wirkende Sprachqualitäten zu investieren.

Anders ist ein Beweis fachlicher Kompetenzen vollkommen nutzlos. Die moderne Agentursprache will gar nicht tiefgründig recherchieren oder hinterfragen, sie will Massen beeinflussen und dem Geld dienen.

Mit freundlichen Grüßen oder habt Ihr die deutsche Sprache verloren?

Zweifler
24. August 2013 18:10

Das ist ja mal wieder eine sehr aufschlußreiche Aufarbeitung eines Themas – Danke!

Es ist zwar schön, wenn eigene Eindrücke aus anderen Quellen bestätigt werden, aber wie wir diese Arroganz auf Anbieterseite wegbekommen – da bin ich ziemlich ratlos. Das “Wir sind die Besten” ist im ÖV aus mir völlig unbekannten Gründen unheimlich weit verbreitet.

Wenn es schon beim Kerngeschäft am Geld fehlt, kann man im Software-Bereich beim ÖV keine Wunderwelt erwarten. Aber: ein bisschen bessere Selbsterkenntnis und ein bisschen mehr Denken in Richtung integriertes Angebot (mindestens bzgl. Information) würde sicher dem Kunden weiter helfen.

Geld in den Online-Sektor zu stecken und 96% der Kunden sind dann nicht zufrieden, ist hoch ineffizient und letztlich eigensüchtig: es wird sich beim Zusammenstricken der Angebote nicht bemüht, das ganze mit den Augen des Kunden zu sehen (was der einzige Weg zu Qualität für Firmen ist, die mit dem Kunden Geld verdienen möchten).

Zweifler
Reply to  Randelhoff Martin
25. August 2013 12:34

Schon richtig: Online-Medien erzeugen erheblich weniger Kosten als das Kerngeschäft von Verkehrsunternehmen. Aber: Es wird bei der Auftragsvergabe gespart (d.h. es werden Firmen beauftragt, die eigentlich nicht geeignet sind, die kein Ahnung von Fahrgastwünschen haben etc.), die Personaldecke der Verkehrsunternehmen zur Betreuung des Themas ist oft zu gering (sowohl quantitativ als auch qualitativ).

Dann gibt es auch noch eine ungünstige Marktsituation: Die ganzen Fahrplansysteme werden in Deutschland von sehr wenigen Firmen gebastelt: Hacon, Mentz Datenverarbeitung in München und IVV in Aachen (letztere wohl nur VRS). Es gibt sicher mehr Gruppen, die sich mit solchen Themen befassen – auch Richtung open source – aber die haben m.W. noch keinen größeren Auftrag an Land gezogen.

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Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V. (VDV) hat mich im Rahmen der VDV-Jahrestagung 2013 in Mainz als “Talent im ÖPNV” des Jahres 2013 ausgezeichnet. Der VDV vertritt rund 600 Unternehmen des Öffentlichen Personennahverkehrs, des Schienenpersonennahverkehrs, des Schienengüterverkehrs, der Personenfernverkehrs sowie Verbund- und Aufgabenträger-Organisationen.

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Verfasst von:

Zweifler

Randelhoff Martin

Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
Ist interessiert an innovativen Konzepten zum Lösen der Herausforderungen von morgen insbesondere in den Bereichen urbane Mobilität, Verkehr im ländlichen Raum und nachhaltige Verkehrskonzepte.

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