In der vergangenen Woche habe ich wieder einmal mit vielen Menschen interessante Gespräche und Diskussionen führen dürfen. Unter meinen Gesprächspartnern waren Mitarbeiter von Verkehrsunternehmen und -verbünden, der Automobilindustrie, Ministerien auf Landes- und Bundesebene und Wissenschaftler verschiedenster Forschungseinrichtungen. Thematisch bewegten wir uns von, auf den ersten Blick, einfachen Themen wie dem Design von Fahrscheinautomaten über Abgasnachbehandlung hin zu komplexeren Themen wie autonomen Fahrzeugsystemen und der Energieversorgung der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2050.
Bedenken aus dem alltäglichen Geschäft lassen sich relativ häufig durch das Schaffen von Kontext beseitigen. Statt einen Kampf um jeden Meter “für und wider” zu führen, kann eine Einordnung in die Historie und das Ausmalen von möglichen zukünftigen Trends und Entwicklungen sehr helfen.
Kein Mensch kann wissen, was die Zukunft wirklich bringen wird. Alle Menschen versuchen jedoch aus ihren Erfahrungen und Informationen, die sie von Dritten erhalten, eine Art Trendforschung zu betreiben. Problematisch ist jedoch, dass wir Entwicklungen aus der Vergangenheit häufig einfach fortschreiben, statt zu erkennen, dass der wahre Fortschritt meistens nicht aus einer Evolution, sondern aus einer Revolution mit all ihren strukturellen Brüchen entstanden ist. Diese Strukturbrüche und der Umgang mit denselben entscheiden letzten Endes über den Fortbestand eines Unternehmens oder einer ganzen Branche.
Aus meiner Sicht ist es daher von essenzieller Bedeutung, die richtigen Fragen zu stellen, statt zu versuchen, die Antworten zu geben, die sowieso niemand mit Sicherheit geben kann.
Mit einem kleinen bisschen Erfahrung und Kenntnis über die Branchen, die einen Bezug zu Verkehr, Logistik und Mobilität haben, bin ich etwas skeptisch, ob die Bereitschaft, jene Fragen zu stellen, wirklich vorhanden ist. Es ist immer einfacher gewesen einen einzelnen Punkt, ein einzelnes Argument, aus dem Kontext herauszugreifen und dieses zu widerlegen. “xy wird nicht funktionieren oder eintreten, weil Randaspekt z so nicht eintreten kann bzw. wir das ganz anders machen.” Es ist in diesen Momenten immer relativ schwierig, die Diskussion wieder auf eine höhere Ebene zu lenken.
Jede einzelne Branche und jedes einzelne Unternehmen hat niemals die absolute Garantie, dass es für immer bestehenden wird. Natürlich werden Wirtschaftszweige, die eine große Bedeutung haben und vielen Menschen Arbeit und damit eine Lebensgrundlage geben, von staatlicher Seite geschützt und, wenn nötig, gestützt. Jedoch hat die Vergangenheit auch gezeigt, dass Branchen im Laufe der Zeit ihre Bedeutung verlieren können (z.B. Porzellan- und Textilindustrie), Arbeitsplätze ins Ausland verlagert werden und somit die Bedeutung jener Branche für die Politik (Arbeitnehmer als Wähler) sinkt.
Die Informations- und Kommunikationstechnologie hat die verkehrsrelevanten Branchen ebenso wie den Großteil aller anderen Wirtschaftszweige in relativ kurzer Zeit massiv verändert. Manche Unternehmen sind in ihrer Anpassung schneller, manche langsamer. Im öffentlichen Verkehrssektor kommt noch hinzu, dass der staatliche Einfluss durch Fördermittel und Ausgleichszahlungen relativ groß ist und eine Vielzahl von verschiedenen Interessengruppen gerne Einfluss nehmen möchte.
Wenn man die öffentliche Verkehrsbranche richtig ärgern wollen würde, könnte man durchaus einmal folgende Fragen stellen: “Seid ihr sicher, dass ihr immer als Rückgrat eines öffentlichen Verkehrsangebots gesehen werdet? Welche Auswirkungen können neue Technologien (bspw. vollautonome Fahrzeugsysteme) auf euer Angebot und die Bedeutung eurer Branche haben? Wie lange können wir es uns aus Gründen der Energieeffizienz noch leisten, einen elf Tonnen schweren Bus für drei oder vier Fahrgäste kilometerweit über die Dörfer fahren zu lassen? Ist der Bus dafür noch das richtige Verkehrsmittel und wird er das auch noch in Zukunft sein? Wenn nein, werdet ihr das Ersatzangebot stellen oder den Weg aller anderen Unternehmen, die sich nicht schnell genug angepasst haben, gehen?”
Diese und ähnliche Fragen sollten sich die Automobilindustrie, die Energieversorger, die Politik und Verwaltung und viele andere stellen. Natürlich sind diese Fragen unangenehm, vor allem da jede Frage einen ganzen Strauß an möglichen Antworten mit sich bringt und nicht eindeutig beantwortet werden kann.
Auf jeden Fall werden am Ende dieses Prozesses eine Vielzahl möglicher Herausforderungen, aber auch Chancen stehen. Und hin und wieder werden Bedenkenträger dann erkennen, dass ihre kategorische Ablehnung aus historischer und heutiger Sicht unter Ausblendung der Zukunft richtig sein mag, mittel- und langfristig jedoch mehr schadet als nützt. Und im Idealfall werden jene Chancen entdeckt, welche die Zukunft mit sich bringt.
Albert Wenger (Bio) hat auf der DLD-Conference – Digital Life Design (DLD) ist die internationale Konferenz- und Innovationsplattform von Hubert Burda Media in München – einen interessanten Vortrag über den ständigen Wandel, das Entstehen des “Information Age” und die Folgen für uns und unsere Gesellschaft gehalten.
In dem dazugehörigen Blogbeitrag wirft er zwei wichtige Fragen auf, die meiner Meinung nach sehr wichtig sind: Erstens, brauchen wir ein katalytisches Ereignis (eine Disruption) oder schaffen wir es auch ohne? Katalytische Ereignisse der Vergangenheit waren große Kriege, Revolutionen und Plagen. Es wäre von Vorteil darauf zu verzichten. Und zweitens, was können du und ich persönlich unternehmen, um diesen Veränderungsprozess zu meistern?
Noch etwas zum Bus: In Asien sind sehr viele Kleinbusse (typisch 20 Sitze, 5t Eigengewicht) unterwegs. Z.B.: http://m.toyota.com.au/coaster/coaster-deluxe-auto?tab=specifications
Voll autonome Fahrzeuge und ihr Einfluss auf den öffentlichen Verkehr?
Wenn das kommt (wovon ich jetzt nicht so schnell ausgehen würde), dann wäre der Vorteil für den öffentlichen Verkehr größer, als für den so genannten Individualverkehr. Man stelle sich vor, statt 10 PKW fahrt ein 20 sitziger Kleinbus. Auf den meisten Straßen hättest du Busse im Minutentakt. Nicht zu vergessen, dass die Lust am Lenken einen großen Einfluss auf die Verkehrsmittelwahl hat.
Sind wir in der Lage zu beurteilen, in welcher evolutionären Episode wir uns gerade befinden? Können wir das vielleicht erst in 10, 20 oder 30 Jahren? Ist es deswegen nicht möglich, heute die richtigen Fragen zu stellen? Gelten die Fragen, die wir uns in West-Europa stellen auch für andere Teile der Welt, die informationstechnisch so nah bei uns sind, wie noch nie zuvor? Oder sind die kulturellen Unterschiede doch noch zu groß?
Das alles ist sehr spannend. Kombiniert mit der Tatsache, dass durch die Übervölkerung der Erde die Ressourcenknappheit bei Nahrung, Energie und Rohstoffen vermutlich die Herausforderung dieses Jahrhunderts sein wird. Diese Ressourcenknappheit wird zusammen mit klimatischen Änderungen die Katastrophen der Menscheit (Katalysatoren) in den nächsten Jahrzehnten beeinflüssen.
Wollen wir deswegen umdenken? Oder ist uns immer noch wichtig, ein schöneres Auto als der Nachbar zu besitzen? Ich befürchte, dass nur ein geringer Teil der Bevölkerung diese primitiven persönlichen Motive zugünsten von kollektiven Motiven aufgeben wird. Also bleibt die zentrale Frage übrig: Wie das Individuum über diese Vorgänge aufgeklärt und dazu bewegt, sein Verhalten zu ändern?
Die Beurteilung der Gegenwart ist natürlich immer nur mit einigem Abstand möglich. Im Hier und Jetzt gibt es auch eine Vielzahl von Störgrößen und -quellen, die im historischen Kontext jedoch keine oder nur eine sehr geringe Bedeutung haben werden. Das Essentielle wird man aber sicherlich erst in dreißig oder vierzig Jahren wenn nicht gar noch später erkennen. Man muss sich nur vor Augen halten wie wir das 17. oder 18. Jahrhundert sehen.
Ich persönlich bin auch sehr gespannt, welchen Stand die Technik (insbesondere die IT) in zehn oder zwanzig Jahren hat. Wir haben in wenigen Jahren eine starke Revolution unseres Kommunikationsverhaltens erlebt, welche eine Auswirkung auf fast alle unsere Lebensbereiche hat. Ich bin wirklich extrem gespannt, in welche Richtung (negativ wie positiv) sich dies weiterentwickeln wird.
Der Mensch an sich ist Veränderungen und Neuem im Großen und Ganzen erst einmal ablehnend eingestellt. Dies ist evolutionstechnisch ganz einfach erklärbar, da das Neue immer auch eine Gefahr mit sich brachte. Hinzu kommt, dass der Mensch zunächst einmal auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist und im sozialen Gefüge eine exponierte Stellung einnehmen möchte. Zwar ändern sich die Statussymbole und auch die Einstellung zu gewissen Themen (z.B. die Erkenntnis, dass wir ressourceneffizienter und umweltverträglicher leben sollten), jedoch hat man immer einen Bruch zwischen den Einstellungen und dem letztendlichen Handeln. Nur die wenigsten können sich intrinsisch motivieren, ihr Handeln zugunsten übergeordneter Ziele / Strukturen zu ändern. Hierfür ist der Mensch meistens nicht fähig. Und auch die Aufklärung kann nur im begrenzten Maße zu einer Verhaltensänderung beitragen, vor allem weil wir eine zeitliche Verzögerung unseres Handelns und den Folgen desselben haben. Verhaltensänderungen kann ich erreichen, wenn ich dem Menschen die Folgen seines Handelns unmittelbar klar machen kann bzw. er diese selber erkennt. Und das ist – insbesondere im Verkehr – eben sehr schwierig. Wenn ich mit überhöhter Geschwindigkeit fahre und jemand dadurch verletze ist es eigentlich schon zu spät. Für die Klimafolgen oder unseren Ressourcenumgang / Abhängigkeit von bestimmten Energieträgern ist die Kausalkette nochmals schwerer zu verdeutlichen.
Ich fürchte – und ich fürchte mich wirklich vor diesem Tag – dass wir irgendwann in der (nahen) Zukunft eine Disruption im Energiebereich bekommen werden. Und ich glaube, dass der Rohölmarkt dafür prädestiniert ist. Wir müssen nur über die Abhängigkeit von diesem Energieträger und den geopolitischen Umständen, in denen Rohöl gefördert wird, nachdenken. Und wir haben heute noch kein Substitut gefunden, welches uns auch nur annähernd diese Energiedichte bieten kann. Ich bin per se eigentlich ein optimistischer Mensch, glaube aber einfach, dass unsere Gesellschaft, Wirtschaft und unser Staat genau in dieses offene Messer rennen wird. Man kann nur hoffen, dass wir es bis zum Tag x schaffen werden, möglichst viele Alternativen zu schaffen und unsere Abhängigkeit zu minimieren.
Vielen Dank Martin, für diese nachdenkliche Reaktion.
Was mir noch durch den Kopf gegangen ist, ist die Tatsache, dass nicht nur einzelne Menschen ihren eigenen Vorteil nacheifern, sondern auch Unternehmen, Politik und öffentliche Verwaltungen. Bei (fast) allen ist das Streben nach Wachstum die über Jahre hinweg konditionierte Motivation. Wer nicht Wächst ist ein “Verlierer” und wird von außen dafür bestraft (Aktionäre, Wähler, etc.). Immer nur Wachstum braucht aber immer mehr Ressourcen, immer mehr Energie. Siehe die Entwicklungen in Asien.
Je länger ich darüber nachdenke, je schwerer scheint es mir, diese Entwicklung zu durchbrechen. Speziell auch, weil die Auswirkungen des Handelns nicht unmittelbar erkennbar sind, wie du schon treffenderweise schreibst.
Vielleicht sollte ich “Die Grenzen des Wachstums” des Club von Rome mal lesen.
So, jetzt noch zum mehr philosophischen Teil der Diskussion.
Entwicklungen verlaufen in verschiedenen Bereichen und verschiedenen Zeiten mit unterschiedlicher Geschwindigkeit. Das ist allerdings zunächst mal subjektiv, da man sich über objektive Parameter, Entwicklungsgeschwindigkeit zu messen, lange streiten kann.
Nimmt man verschiedene Bereiche zusammen (Kommunikation, Physik, Kosmologie, Biologie, …) ist halt mal das eine ziemlich rasant und das andere stagniert ein wenig, und zu anderen Zeiten mag es genau umgekehrt sein.
Beim Punkt “Disruption” bin ich etwas vorsichtig – wie allgemein mit Vorhersagen. ;-)
Ich könnte jetzt auf die Diskussion über die Vorhersagen des Club of Rome aus den 1970er-Jahren verweisen. Vom Ansatz her waren die Arbeiten sicher wegweisend, aber die Schwächen der Prognosemodelle waren halt auch gegeben.
Disruptionen: Kriege, Weltwirtschaftkrise, Revolution – alles so Sachen, wo der menschliche Einfluss viel deutlicher ist als beim Klima oder den Bodenschätzen. Insofern sehe ich das eher als schwieriges Thema. Ok noch nachgereicht etwas Diffuseres: Schnelle Epidemien wie die Pest – sicher über Hygiene auch menschenbeeinflusst, aber etwas indirekter. Und dann kann uns natürlich auch noch ein zu großer Brocken aus dem All treffen.
Noch etwas nachgereicht: Kommunikation, Informationstechnologie spielt eine doppelte Rolle. Sie ist zum einen selber Objekt der Frage der Entwicklungsgeschwindigkeit, zum anderen Medium von Entwicklungsschritten in anderen Bereichen.
Wie lange hat es gedauert, bis Newtons Erkenntnisse sich über die Zivilisiation verbreitet haben? Wie lange brauchte Einsteins Relativitätstheorie? Heute sind wir dank Internet fast live dabei, wenn im LHC ein Higgs-Boson auftaucht.
Und wenn es mehr als Neugier sondern auch Mitwirken (und sei es nur beim darüber nachdenken) ist, beschleunigt IT nicht nur die Information, sondern die Entwicklung (der Physik, der Biologie, …) selber.
Zum Thema Prognosen empfehle ich aktuell mal den Taz-Artikel “Demografie als Angstmacher – Statistikprofessor Gerd Bosbach hinterfragt seit langem Hintergrunddaten zum demografischen Wandel.” http://www.taz.de/Demografie-als-Angstmacher/!131729/
Ich weiß zwar nicht, wie weit Herr Bosbach recht hat, aber zumindest zeigt der Artikel, dass man der ersten Schicht der via Politik und Medien verbreiteten “Wahrheit” vielleicht nicht immer ungeprüft glauben sollte. Der zweiten Schicht vielleicht auch nicht, und nur weil jemand die gegenteilige Meinung vertritt, ist es natürlich auch nicht wahr (siehe Klimaskeptiker).
Ein Versiegen der Ölquellen wäre natürlich im Falle des Jetzt-auf-Gleich eine Katastrophe. Ich glaube nicht, dass das passieren wird, wenn der Hahn zugedreht wird und der Preis sprunghaft steigt, wird viel finanzielle Energie freigesetzt, um Alternativen zu finden. (Ob das dann in die richtige Richtung führt, sei mal dahin gestellt.)
Ich frage mich als erstes – ohne dass ich das Video gesehen habe – inwiefern “technologische” Zeitalter überhaupt durch katalytisches Ereignisse gewechselt werden. Wie reden hier von Prozessen, die vermutlich Zeitspannen erreichen, die über die Lebenswerwartung eines Menschen hinausgehen. Sicherlich gibt es immer wieder einzelne Ereignisse, die Einfluss nehmen, nennen wir Tschernobyl oder die Zerstörung westdeutscher Städte durch die Luftangriffe im 2. Weltkrieg. Aber diese Ereignisse, so wirkmächtig sie auch sind, haben doch nicht selbst eine dauerhafte Veränderung herbeigeführt, sondern lediglich die Möglichkeit geschaffen Ideen zu verwirklichen. Der Wiederaufbau von Freiburg beispielsweise, mit den Arcadenhäusern, ist die Verwirklichung von nationalsozialistischer Städtebauplanung, die im Dritten Reich durch die Verweigerung der Hausbesitzer neuzubauen, nicht durchgesetzt werden konnte. Tschernobyl war nicht so wirkmächtig wie Fukushima, obwohl es – soweit ich es verstehe – viel katastrophaler und vor allem näher war. Kriegszerstörte Städte boten die Möglichkeit sie neuzuplanen, aber die autogerechte Stadt ist keine “Lehre” des Zweiten Weltkriegs, sondern die Schlussfolgerung aus eines Auto-Wachstums über den Weltkrieg hinaus. “Technologischer” Wandel ist Mentalitätswandel, und der vollzieht sich als Prozess, nicht als Einschnitt. Wer weiß, ob wir in unserem begrenzten Horizont, obwohl stark vernetzt, den epochemachenden Faktor richtig erkennen können. Dass der Fall der Berliner Mauer die Politik Europas dramatisch beeinflusst, ist eindeutig, aber als Tim Berners-Lee “das Internet erfand” hat wahrscheinlich kaum einer mit Sekt angestoßen.
Wie können wir also die Veränderung meistern? Ich finde, die Grundfrage muss sich danach richten, was Michael Kopatz bei unserer Veranstaltung zum Bürgerticket gesagt hat (wenn mir dieser Werbeblock gestattet ist:
“Fragen Sie mal Ihren Nachbarn, ob ihm der Klimaschutz egal ist. Der wird sagen: ‘Nein, nein, das ist ganz wichtig,’ steigt in sein Auto und fährt weg. Warum? Weil er sich denkt, was bringt das schon, wenn ich alleine auf mein Auto verzichte, wenn alle anderen weitermachen wir bisher. So erzeugt das individuell rationale Verhalten ein kollektiv irrationales Ergebnis. Deswegen ist es so wichtig, dass wir die Menschen in eine Situation versetzen, dass sie sich viele nachhaltiger verhalten, ohne bewusst darüber nachzudenken.”
Die Konsequenz für mich ist, selbst das zu leben, was man fordert, und dann in vielen kleinen Schritten die Mitbürger informieren, informieren, zum Nachdenken bringen. Verkehr/Stadtplanung ist ja unglaublich komplex, das heißt, das “nur” kleine Schritte gemacht werden können. Und nicht zuletzt verwirklicht Kommunalpolitik das, was der Prozess vor langer Zeit angeschoben hat, selten übernimmt Kommunalpolitik eine Vorreiterrolle wie beispielsweise in Frankreich (meiner Erfahrung nach). Der Druck muss, wie Du es neulich bereits aufgeführt hast, von unten kommen, aus dem Lokalen.
Hallo Jan,
ich bin mit allem einverstanden. Auch mit Kopatz Aussage (der Werbeblock sei dir gestattet, da ich ihn nicht als Werbung auffasse… ;-))
Mit den großen Strukturbrüchen bezog sich Wenger historisch auf die Domestizierung von Tieren und die Erfindung der Landwirtschaft, Schrift und Spezialisierung / Arbeitsteilung, Erfindung der Dampfmaschine, Elektrizität, Handwerk, Fortschritte in Chemie und Bergbau, das Industriezeitalter, usw.
In jüngerer bzw. jüngster Vergangenheit die Erfindung des Computers mit all seinen technischen Weiterentwicklungen, das Internet und Netzwerke. Zurzeit stecken wir ja mitten im Bereich Robotik und Maschinenlernen, 3D-Druck, Big Data und Zellbiologie.
Ich gehe prinzipiell davon aus, dass sich technologischer Fortschritt immer durchsetzen wird, wenn er bisherige Prozesse bzw. den gesamten Status Quo verbessern und ersetzen kann. Natürlich muss man eine Technikfolgenabschätzung treffen und auch über die Kehrseiten der Medaille sprechen (z.B. Totalüberwachung, Darf der Mensch “Gott” spielen?, Entwicklung von Superviren, usw.) Aber genau das sind ja die Fragen, die wir auf einer höheren Metaebene zumindest nicht ignorieren sollten. Wir wissen nicht, in welche Richtung sich die Welt entwickelt. Man muss als Teilnehmer an dieser Entwicklung fast alles hinnehmen, da man es selber nicht wirklich beeinflussen kann. Was wäre denn gewesen, wenn die Finanz- und Wirtschaftskrise uns in einem Zustand der 1930er Jahre getroffen hätte? Haben wir in diesem historischen Kontext nicht eine Weiterentwicklung erlebt? Wie werden letztendlich die kommenden Generationen über unsere Entscheidungen und auch unser Lebensstil urteilen? Ist das Zeitalter der “alten Welt” mit dem uns bekannten Wohlstand in einhundert Jahren endgültig vorbei (wir haben nun mal fast keine Rohstoffe), wie schaffen die Transformation unserer Gesellschaft hin zu mehr Ressourceneffizienz, wie geht es mit Europa und dem europäischen Gedanken weiter, usw.?
Und weil wir hier ja letztendlich über Verkehr und Mobilität sprechen: Welche Auswirkungen hat das alles auf den Verkehr und die damit zusammenhängenden Strukturen mit all ihren Wechselwirkungen? Ist wirklich eine sehr abstrakte Diskussion, aber sie zeigt Entwicklungsrichtungen und -möglichkeiten auf, die wir letztendlich brauchen.
Hallo Martin,
Danke für die Antwort. Ob der Mensch Veränderungen gegenüber per se ablehnend eingestellt ist, glaube ich gar nicht mal, es gab z.B. in den 50ern durchaus eine beachtliche Fortschrittsgläubigkeit, vielleicht auch mit dem Hintergrund, dass die unmittelbare Vergangenheit nicht erhaltenswert war. Und wenn man sich die Trauben vor den Apple-Stores anguckt, gibt es Bereiche, in dem Veränderung sehr wertgeschätzt wird, was natürlich nicht bedeutet, dass es keinen Abwehrmechanismus gegen neue Konzepte gibt.
Was mich an dem Begriff Strukturbruch so stört, ist, dass er eine unmittelbare, direkte Wirkung eines Ereignisses impliziert, die so nicht gegeben ist, es ist in allen Beispielen ein Prozess. Das bedeutet auch, dass es steuerbar ist, jedenfalls in gewissem Umfang. Nehmen wir die Energiewende, die so gut läuft, dass sie Gefahr läuft sich selbst abzuschaffen, weil Großkraftwerke nicht mehr profitabel sind. Da gibt es soviele Stellschrauben, die sich gegenseitig beeinflussen, dass man da nicht von Singulären Ereignissen sprechen kann. (Manche Kehrseiten von Medaillen entstehen auch erst im Prozess und dann muss man Lösungen finden. Aber erst dann.)
Du sagst “Man muss als Teilnehmer an dieser Entwicklung fast alles hinnehmen, da man es selber nicht wirklich beeinflussen kann.” Ich bin da anderer Meinung, vielleicht hoffnungsvoller als Du. Gerade Dein Blog und Deine Arbeit zeigt doch, wie man als einzelner Teilnehmer wirkmächtig sein kann, dass man sogar als “Student” als Redner zu zahlreichen Veranstaltungen eingeladen wird und dort respektiert wird. Und wer, wenn nicht die User haben das Internet entwickelt? Herr Zuckerberg hat nicht darauf gewartet, dass “das Internet” Facebook erfindet.
Ich finde es in Wuppertal gerade faszinierend, wie viel sich in Projekten entwickelt, sei es die Nordbahntrasse, Utopiastadt, das Fablab, die Opendata-Bewegung oder auch Urban-Gardening. Das sind sicher nicht viele, bezogen auf die Stadtgröße, aber um einen Haufen zu schaffen, muss man die erste Schüppe Veränderung werfen, damit der Haufen wächst. (Das ist jetzt eine schiefe Metapher, ich weiß)Ich finde es immer wieder erstaunlich, wer auf mich zukommt und sagt, das Bürgerticket wäre doch eine gute Idee und ich solle da weitermachen. Ich finde, man soll nicht aus der Angst vor Machtlosigkeit in Ohnmacht verfallen. Für Prozesse braucht man einen langen Atem, um noch einmal ein Bild zu verwenden: Ein Haus abfackeln kann ich in einer Nacht, es wiederaufzubauen kann zwei Jahre dauern.
P.S. Den Werbeblock habe ich mir ja selbst ruiniert, da ich den Link vergessen habe. Also kommt er hier, als Beispiel für endlich was machen, selber was auf die Beine stellen ;) Das Bürgerticket ist eine Chance für Wuppertal! http://www.unsere-wsw.de/2013/09/nachbericht-das-burgerticket-ist-eine.html
“Wie lange können wir es uns aus Gründen der Energieeffizienz noch leisten, einen elf Tonnen schweren Bus für drei oder vier Fahrgäste kilometerweit über die Dörfer fahren zu lassen?”
Wenn man irgendwo am Tag auf einem Streckenabschnitt ein großes Fahrzeug braucht, ist es da, und es ist ggf. mehr Ressourcenverschwendung, für Schwachlastzeiten ein zweites Fahrzeug vorzuhalten. Dabei muss man eventuell auch Fahrzeugumläufe über mehrere Linien sowie die Zusatz-Kilometer für Ein- und Ausrückfahrten von/zum Betriebshof mit betrachten.
Das Wort von den Geisterbussen – meist von der Politik in Umlauf gebracht – hat schon viel Schaden angerichtet. Im Regelfall sollten Energieverbrauch, Kosten und betriebswirtschaftliche Kalkulation ja gemeinsam zu einem vernünftigen Ergebnis führen. Es sei denn, man argumentiert, die Energiekosten seien zu niedrig, um die betriebswirtschaftlichen Entscheidungen richtig zu beeinflussen.
Sehr schön. Da hat meine kleine Provokation ja gefruchtet… ;-)
Du weißt ja, dass ich weiß, dass der Vorwurf der “Geisterbusse” in 99% der Fälle Nonsens sind. Verkehr hat nun mal gewisse Lastrichtungen und eine schwankende Nachfrage über den Tag hinweg. Und natürlich kann es sinnvoller sein, einen Solobus den ganzen Tag hinweg fahren zu lassen, als diesen den Großteil des Tages auf dem Betriebshof stehen zu lassen, diesen zwei Mal am Tag aus-/einrücken zu lassen und die restlichen Fahrten mit kleineren Transportgefäßen abzuwickeln. Gleiches gilt ja im Bahnbereich für das Triebwagenkonzept und dem Schwächen / Stärken von Zügen über den Tagesverlauf.
Wenn ich den öffentlichen Verkehr auf dem Land jedoch etwas weiter denke und einen demografischen Wandel mit Bevölkerungsverlusten zwischen 10 – 30 Prozent sowie sinkende Schülerzahlen unterstelle, komme ich irgendwann in einen Bereich, in dem ich den Solobus auch in den Spitzenstunden nicht mehr benötige. Und in diesem Fall kann es sehr wohl aus betriebs- wie auch aus volkswirtschaftlicher Sicht richtig sein, die Gefäßgröße zu verringern. In meiner Heimatstadt Hof hat man (auch aus finanziellen Aspekten – AK und Kapitalkosten) Standardbusse nach Ablauf ihrer Nutzungsdauer durch Midibusse ersetzt, weil einfach die Fahrgastzahl auf einzelnen Linien in einer schrumpfenden Stadt den Einsatz eines Standardbusses nicht mehr rechtfertigt. Und wir werden hier eine weitere Differenzierung definitiv sehen. Auch Großstädte setzen in Randgebieten ja auf Solaris Alpino 8.6, Evobus Cito / Citaro K, MAN Lion’s City M, usw.
Ich persönlich finde diese Entwicklung eigentlich relativ gut, weil man ein öffentliches Verkehrsangebot mit kleineren Fahrzeugen und damit auch kleineren Betriebskosten (Personalkosten mal außen vor gelassen) aufrecht erhält, welches mit Fahrzeugen mit höheren Fahrzeugkosten so nicht darstellbar wäre.
Diese Frage sollte ja keineswegs bedeuten, dass man das öffentliche Verkehrsangebot ganz einstellen sollte, nur weil man keinen Standardbus über den ganzen Tag hinweg gefüllt bekommt… ;-)
Ja, die Personalkosten sind das Problem. Und dass dir das mit den Geisterbussen klar ist, ist wiederum mir klar. Ich dachte da eher an den unbedarften Leser. Man wundert sich ja immer, wie einfach es ist, falsche Schlüsse zu ziehen.
Kleinere Gefäßgrößen sind sicher kein Problem, wenn man damit auch Spitzen abdecken kann. Auf dem Land braucht es sicher mehr und besseres Mobilitätsmanagement, dass z.B. auch Einfluss auf Beginn und Ende von Schulunterricht etc. hat.
Problematischer sind da eher bedarfsorientierte Verkehre. Die Leute tun sich ja so schon schwer, die Hürde ÖV zu nehmen. Bei Vorbestellung bleiben in den meisten Fällen nur Zwangskunden und ganz Hartnäckige.
Ja, die bedarfsorientierten Verkehre…hier ist definitiv noch einiges verbesserungswürdig. In diesem Bereich haben wir über technologischen Fortschritt noch gar wirklich nachgedacht, auch wenn es sicherlich Ansätze gibt. Hier denkt aber die öV-Branche auch nicht progressiv genug bzw. experimentiert zu wenig. Mir fallen auf Anhieb mindestens drei Ansätze bzw. fertige Produkte ein, die erprobungswürdig wären.
Darüber hinaus gilt natürlich: Ab einem gewissen Punkt stößt man an die Systemgrenze. Der öffentliche Verkehr ist ein Kollektivverkehr, der nie die individuelle Nachfrage zu 100 Prozent erfüllen können wird. Hier muss es gezwungenermaßen zu einem Kompromiss kommen. Sei es eine entsprechende Wartezeit oder eine verlängerte Reisezeit, die natürlich auch mit den individuellen Zeitkosten bewertet werden muss.
Der Staat als Finanzierer dieser Verkehre zieht sich ja teilweise auch zurück und versucht noch irgendwie das politische Ziel der Daseinsvorsorge bzw. der gleichen Lebenschancen auf dem Land und in der Stadt aufrecht zu erhalten. Ob ihm das dauerhaft gelingt, weiß ich nicht. Auf jeden Fall versucht er ja auf “Bürgerbusse”, usw. auszuweichen, wobei ich – das ehrenamtliche Engagement in allen Ehren – davon nicht wirklich viel halte. Öffentlicher Verkehr auf dem Land ist und bleibt ein spannendes Thema.