Dies ist ein Gastartikel von Eugenie L. Birch. Wenn auch Sie Interesse haben, hier einen Gastartikel zu veröffentlichen, dann schreiben Sie uns bitte.
Diese sagenumwobene Weltstadt hat eine außergewöhnliche Geschichte zu erzählen. Als erste Stadt außerhalb der europäischen Union wurde Istanbul von der EU zur Kulturhauptstadt Europas 2010 (neben dem Ruhrgebiet und Pécs in Ungarn) ernannt. Viel wichtiger ist jedoch, dass Istanbul ein funktionsfähiges Modell einer Megacity des 21. Jahrhunderts ist – Städte mit 10 Millionen oder mehr Einwohnern, in denen bis 2050 20 Prozent der Weltbevölkerung wohnen und leben werden.
Istanbul, Bosporusbrücke bei Nacht – Kara Sabahat – Creative Commons
Mit 13 Millionen Einwohnern ist Istanbul die drittgrößte Stadt der Welt, gleich hinter Shanghai und Peking. In der Metropolregion Istanbul leben 14,35 Millionen Menschen (2010), Platz 17 weltweit. Bereits seit 8.000 Jahren existiert die Stadt. Sie befindet sich in einem hochwasser- und erdbebengefährdetem Gebiet, die Stadtgrenzen liegen auf dem europäischen und asiatischen Kontinent und das Stadtgebiet wird durch den international verwalteten, stark befahrenen Bosporus in zwei Hälften geteilt.
Fatih-Sultan-Mehmet-Brücke während der Hauptverkehrszeit – Marla Zinger @ Flickr – Creative Commons
Durch eine enorme Ausdehnung (5.400 Quadratkilometer) und eine enorme Dichte (2.400 Menschen pro Quadratkilometer) hat Istanbul in den letzten fünf Jahren jedes Jahr (!) einen steten Zustrom von mehr als 250.000 Zugezogenen aus den umliegenden Gebieten sowie der Vielzahl neugeborenener Babys verkraften müssen. In den letzten Jahren hat die Bevölkerung kontinuierlich um 4,5 Prozent jedes Jahr zugenommen. (Zum Vergleich: die flächenmäßig größte Stadt der USA hat eine Ausdehnung von 2.292 Quadratkilometern und eine Dichte von 354 Menschen je Quadratkilometer bei einem Bevölkerungswachstum von 5 Prozent per annum)
Bis 1980 war Istanbul mit dieser Bevölkerungsexplosion und den damit einhergehenden Veränderungen überfordert. Das Versorgungsnetz konnte mit dem enormen Bevölkerungswachstum nicht Schritt halten. Die Schwerindustrie verschmutzte die Gewässer, das berühmte Goldene Horn galt als industrielle Müllhalde. Gecekondu (wilde Siedler) besetzten unbebautes Land – die Hügel, die Peripherie, die Altstadt, sogar das Universitätsgelände.
Heute hat sich viel geändert. Istanbul wurde zu einer Weltstadt, die für ihre effektive Modernisierung gelobt wird. Natürlich ist noch nicht alles perfekt – massive Staus auf Istanbuls Straßen und wilde Siedlungen sind immer noch vorhanden – aber die Verbesserungen sind spürbar. Das Goldene Horn ist gesäubert und mit seinen angrenzenden Parks und kulturellen Einrichtungen eine der touristischen Sehenswürdigkeiten in Istanbul. Der Hausbau, für alle Einkommensgruppen erschwinglich, ist explodiert. Die Hauseigentümerquote ist auf 60 Prozent angewachsen – vorherige wilde Siedler eingeschlossen.
Schienennahverkehr in Istanbul (Metro, Stadtbahn, Vorortzüge, Metrobüs, Standseilbahnen und Seilbahnen), Stand 4. Juni 2011 – Maximilian Dörrbecker (Chumwa) – Creative Commons
Ein neues integriertes Nahverkehrssystem mit einem 37 Kilometer langen U-Bahnnetz ist entstanden, das noch weiter ausgebaut werden soll. Oberirdische Straßenbahnen verbinden die Stadt mit den historischen Stätten, bei denen eine Untertunnelung nicht möglich ist; Standseilbahnen die steilen Hügel und Fähren den europäischen und asiatischen Teil der Stadt. Der Fahrgast braucht nur einen Fahrausweis – zur Zeit einen aufladbaren Fahrausweis in Anhängerform (der sogenannte Akbil – Bild rechts) in Anhängerform, den er kauft und bei Fahrtantritt einliest.
Das Stadtgebiet ist polyzentrisch gestaltet worden. Durch öffentliche und private Investitionen sind einige zentrale gemischte Geschäftsviertel entstanden, viele Slums wurden aufgewertet und die Stadt kümmert sich viel besser um ihre historischen Stätten. Hafen- und Industrieanlagen wurden an geeignetere Standorte verlagert, wodurch zentral gelegene Flächen für die Bebauung frei wurden.
Was hat diese Veränderungen angestoßen? Die türkische Bewerbung um einen Beitritt zur Europäischen Union hat nationale Reformen hervorgebracht, die politische Entscheidungen dezentralisiert und mehr Macht auf die Kommunen übertragen haben. Die ersten Verbesserungsmaßnahmen wurden bereits in den späten achtziger Jahren durchgeführt, nahmen aber erst mit dem Sieg des Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan, dem früheren Istanbuler Oberbürgermeister, im Jahr 2002 Fahrt auf. Seine Partei, die AKP (Adalet ve Kalkınma Partisi, Deutsch: Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) kontrolliert heute sowohl das nationale Parlament als auch das Istanbuler Stadtparlament. Die Kontinuität der AKP-Führung in der kommunalen Führung Istanbuls (jetzt unter Bürgermeister Kadir Topbas, ein charismatischer, visionärer Architekt – ein moderner Jaime Lerner) ist ein großer Vorteil geworden, bietet eine einheitliche Vision und sorgt für eine wohlwollende Behandlung durch die nationale Regierung.
Aber auch die nationale und kommunale Gesetzgebung wie auch öffentliche / private Investitionen, einige recht aufsehenerregend, sind und waren wichtig. Es gibt drei wichtige Gruppen von neuen Rechtsvorschriften. Eine erlaubte die Zusammenlegung der städtischen und regionalen Grenzen und die Gründung der Istanbul Metropolitan Municipality (IMM), eine regionale Verwaltungseinheit für eine gemeinsame Stadtplanung, Infrastruktur (Wasser und Abwasser, Nahverkehr) und Projektdurchführung und -verwaltung. 39 subregionale Verwaltungen unter der Leitung von Bezirksbürgermeistern kümmern sich um das Tagesgeschäft.
Die zweite Gesetzesänderung betraf die Gründung und Stärkung der TOKI (staatliche Wohnungsbaugesellschaft der Türkei), die direkt dem Ministerpräsidenten unterstellt ist und die Macht hat Enteignungen durchzuführen, Flächennutzungspläne zu ändern, erhebliche Finanzmittel für den Wohnungsbau verwaltet und sich an Public-Private-Partnership-Programmen beteiligen darf.
Die dritte große Maßnahme war die Legalisierung des Besitzes von illegal besetztem Land, die Zulassung von kommunalen großräumigen “Stadtumbauprojekten” auch über kommunale Grenzen hinweg, eine Ausweitung der Finanzierung von Wohneigentum (ausgeweitete Vergabe von Hypotheken) und die Erlaubnis zum Erwerb von Grund- und Wohneigentum durch Ausländer.
Bis jetzt mag diese Geschichte als zu schön um wahr zu sein und “von oben verordnet” klingen – und das ist sie auch. In Wirklichkeit befindet sich Istanbul in einem täglichen Todeskampf, die vorbildliche Megastadt des 21. Jahrhunderts zu sein und effektive Lösungen für die zahlreichen Probleme zu finden. Es gibt keine Alternative zu außergewöhnlich hohen Dichten (da sie auch eine Verminderung der Armut erlauben und Druck auf die historischen Stätten abbauen, die von einigen als zu erschließendes Bauland angesehen werden). Die Bewahrung des Ökosystems konkurriert mit der Nachfrage nach Land am Stadtrand. Transparenz und die Beteiligung der Bürger sind schlechter als in langsam oder gar nicht wachsenden Gebieten. Es ist daher verständlich, wenn Sie als Leser an meinem Lobgesang auf Istanbul zweifeln.
Sie sollten sich jedoch bewusst sein, dass Istanbul jedes Jahr ein Bevölkerungswachstum erlebt, das einer mittelgroßen Stadt gleicht. Dieses explosive Wachstum zu managen ist eine große Herausforderung. Die Lösung der Probleme in den Bereichen Mobilität, Wohnraum und Umweltschutz haben die höchste Priorität – und einige würden sagen, der einzige Weg eine Megacity im 21. Jahrhundert zu planen.
Dieser Artikel ist zuerst auf Citiscope.org erschienen und aus dem Englischen übersetzt. Mit freundlicher Genehmigung durch Citiscope. Diese Übersetzung steht unter folgenden Creative Commons-Lizenz: Namensnennung 3.0 Unported (CC BY 3.0)
Sehr informativ, vielen Dank. Lesenwert.