Beschäftigt man sich ein bisschen intensiver mit Bio- bzw. Agrotreibstoffen, so kommen einem doch einige Zweifel. Diese Zweifel werden durch die Landwirtschaftspolitik der EU und der USA weiter genährt und kumulieren in der europäischen und amerikanischen Subventionspolitik. Zur weiteren Lektüre ist hier sehr der Artikel “Wie umweltfreundlich sind Agrotreibstoffe?” zu empfehlen.Eine bisher von der EU geheim gehaltene Studie zur CO2-Bilanz von Agrotreibstoffen des International Food Policy Research Institute (IFPRI) wurde jetzt Reuters zugespielt. Erwartungsgemäß fiel die CO2-Bilanz negativ aus, sodass die europäische Agrarindustrie nur wenig Interesse an einer Veröffentlichung haben dürfte. Vertreter der Agrarindustrie sprechen bereits von einem möglichen Todesstoß für die Herstellung von Agrotreibstoffen in Europa. Dabei ist diese Studie bereits die zweite, die insbesondere die negativen Effekte durch die indirekten Landnutzungsänderungen, kritisiert. 1
Man wird also das Gefühl nicht los, dass die Förderung von Agrotreibstoffen in den letzten Jahren eine versteckte Subvention an die 13 Milliarden schwere und sehr einflussreiche Agrarbranche in Europa war.
Zu meinem Bedauern konnte sich Reuters nicht dazu entschließen, die gesamte Studie zu veröffentlichen, sodass ich den Angaben vertrauen muss. Eine Anfrage bei der EU-Kommission meinerseits ist bisher noch unbeantwortet. Ich glaube auch nicht, dass ich eine Antwort bekommen dürfte, da die Herausgabe der IFPRI-Dokumente an Reuters durch die EU abgelehnt wurde, da das öffentliche Interesse an einer Veröffentlichung nicht ausreichend sei (meint jedenfalls die EU-Kommission). Man kann also nur hoffen, dass sich Reuters doch noch dazu entschließt, die vier Dokumente zu veröffentlichen.
Die IFPRI-Studie befasste sich intensiver mit den indirekten negativen Effekten des Anbaus von Energiepflanzen zur Agrospritgewinnung. Dies umfasst unter anderem die Vernichtung von Vegetation, die Trockenlegung von Feuchtgebieten, den Anbau (insbesondere die Düngung) der Energiepflanzen, die Veredlung zu Ethanol und die sogenannten indirekten Landnutzungsänderungen (“Indirect Land Use Change”, auf deutsch “Indirekte Veränderung der Bodennutzung” (ILUC)).
In der EU wird mit indirekten Landnutzungsänderungen in einer Größenordnung von 41.000 bis 69.000 Quadratkilometern bis 2020 gerechnet.
Was sind indirekte Landnutzungsänderungen?
Der Anbau von Energiepflanzen (in der EU und den USA vor allem Raps, Mais, Weizen, Gerste und Zuckerrüben) findet entweder auf Flächen statt, die bisher der Nahrungsmittelproduktion dienten oder auf neuen Ackerflächen. Wenn immer mehr bestehende Fläche für die Produktion von Biokraftstoffen genutzt wird, muss die Landwirtschaft die Erträge pro Hektar Land erhöhen oder den Anbau in andere Gebiete ausweiten, um den bestehenden und zunehmenden Bedarf an Lebens- und Futtermitteln zu decken. Die Produktion von Agrotreibstoffen fördert dadurch indirekt die Umwandlung von Urwälder und anderen schützenswerten Ökosysteme in Ackerfläche. Insbesondere sind Wälder, Grünland, Torfland, Feuchtgebiete und andere kohlenstoffreiche Ökosystemen von der Umwandlung betroffen.
IFRPI rechnet mit einer einmaligen Freisetzung von rund 1000 Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid durch die Vernichtung der Vegetation und der Trockenlegung von Böden. Zum Vergleich: Das hochgradig industriell geprägte Deutschland emittiert pro Jahr etwa 850 Millionen Tonnen CO2 2, die EU insgesamt 4100 Millionen Tonnen im Jahr3.
Die Essenz der vier Dokumente, die allesamt Reuters vorliegen, ist folgende:
- die bisherige Politik bzgl. Agrotreibstoffen der Europäischen Union senkt die CO2-Emissionen nicht, sondern erhöht diese sogar. Bei einer transparenten und “CO2-wahren” Bewertung würde der Vorrat an pflanzlichem Material, der für die Treibstoffproduktion zur Verfügung steht, erheblich schrumpfen. Des Weiteren müsste über die Subventionspolitik der EU nachgedacht und diskutiert werden.
- Durch die zunehmende Biospritproduktion steigen die Nahrungsmittelpreise und der globale Hunger nimmt zu. Bereits kleinere Versorgungsengpässe aufgrund steigender Preise haben enorme Auswirkungen auf Menschen in bereits unterernährten Regionen.
- Die indirekte Veränderung der Bodennutzung (ILUC) verringert die positiven Effekte der Beimischung von Biodiesel um mehr als die Hälfte
- Biodiesel aus asiatischem Palmöl, südamerikanischen Sojabohnen und europäischen Rapspflanzen haben einen größeren negativen Einfluss auf das Klima als konventioneller Dieselkraftstoff.
Agrokraftstoffe und EU-Klimapolitik
Nichtsdestotrotz sind Agrotreibstoffe weiterhin eine wichtige Säule der europäischen Klimapolitik. Die Erneuerbare Energien-
Richtlinie der EU 4 (Renewable Energy Directive – RED) verpflichtet die Mitgliedsstaaten, bis 2020 10% des Gesamtenergieverbrauchs im Verkehrssektor aus erneuerbaren Quellen zu decken. Dies geschieht vor allem durch den Einsatz von Agrotreibstoffen.
Zwar sollen die EU-Staaten nur solche Biokraftstoffe unterstützen, die auch erkennbar Treibhausgase einsparen. In den Nachhaltigkeitskriterien der Erneuerbare Energien-Richtlinie werden die Emission aus direkter Landnutzungsänderung durch den steigenden Bedarf an Biokraftstoffen auch berücksichtigt. Allerdings ist noch keine verbindliche Methodik zur Berechnung indirekter
Landnutzungsänderungen festgeschrieben worden.
Artikel 17 der Richtlinie bildet die naturschutzrelevanten Nachhaltigkeitskriterien ab:
- Die Treibhausgas-Einsparung muss 35 % betragen, ab 2017 müssen es 50% sein.
- Keine Biomasse von Flächen mit hohem Wert der biologischen Vielfalt (Stichtag Januar 2008)
- Keine Biomasse von Flächen mit hohem Kohlenstoffbestand (Januar 2008)
- Flüssige Biobrennstoffe aus der EU müssen gemäß den gemeinsamen Regeln für Direktzahlungen erfolgen (CrossCompliance).
Wie könnte die bestehenden Probleme gelöst werden?
Da die EU sich der bestehenden Probleme anscheinend bewusst ist, muss sie neue verpflichtende Richtlinien und Regeln erlassen. Es dürfen nur die aus Pflanzen produzierten Treibstoffe gefördert werden, die nachweislich die Treibhausgas-Emissionen senken, nicht zu Landnutzungskonflikten führen, die Nahrungssicherheit nicht gefährden und keine wertvollen Ökosysteme zerstören.
Des Weiteren ist es notwendig, dass die Europäische Union Sicherheitsfaktoren für indirekte Landnutzungsänderungen festlegt und bei der Bewertung von Agrotreibstoffen mit einbezieht.
Diese Regeln sollten zur Not auch gegen den Widerstand des europäischen Agrarlobbyismus durchgesetzt werden.
(via egghat | Artikelbild von h.koppdelaney @ Flickr – Creative Commons)
- Institute for European Environmental Policy (IEEP), November 2010, “Anticipated Indirect Land Use Change Associated with Expanded Use of Biofuels in the EU – An Analysis of Member State Performance”. Autor: Catherine Bowyer, Senior Policy Analyst. IEEP is a leading independent centre for the analysis of European policy. (http:///www.ieep.eu). Report commissioned by ActionAid, BirdLife International, ClientEarth, European Environmental Bureau, FERN, Friends of the Earth Europe, Greenpeace, Transport & Environment, Wetlands International. http://www.foeeurope.org/agrofuels/ILUC_report_November2010.pdf ↩
- Entwicklung des CO2-Ausstoßes seit 1991 (in Mt), aufgerufen am 11.07.2011 – Internationales Wirtschaftsforum Regenerative Energien – http://www.iwr.de/klima/ausstoss_welt.html ↩
- UNFCCC Greenhouse Gas Inventory Data – Detailed data by Party – http://unfccc.int/di/DetailedByParty/Event.do?event=go ↩
- DIRECTIVE 2009/28/EC OF THE EUROPEAN PARLIAMENT AND OF THE COUNCIL of 23 April 2009 on the promotion of the use of energy from renewable sources and amending and subsequently repealing Directives 2001/77/EC and 2003/30/EC – http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2009:140:0016:0062:en:PDF ↩