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Carsharing in Mailand: Wieso es so erfolgreich ist

Collage von Mailand Impressionen
Foto: FiatLUX @ Wikimedia Commons - CC BY-SA 3.0
Collage von Mailand Impressionen
Foto: FiatLUX @ Wikimedia CommonsCC BY-SA 3.0

In der italienischen Stadt Mailand mit 1,3 Millionen Einwohnern (Metropolregion “Grande Milano”: 7,85 Millionen Einwohner) kämpfen mehrere Carsharing-Unternehmen mit teils finanzstarken Unternehmen im Hintergrund um die Gunst der Kunden.

Die kleineren Anbieter EQ Sharing und Twist kämpfen gegen die finanzstarken Wettbewerber im stationären Carsharing, E-vai, ein Unternehmen der börsennotierten Ferrovie Nord Milano (FNM)GuidaMi Car Sharing Milano, ein Unternehmen der Azienda Trasporti Milanesi (Betreiber des Mailänder ÖPNV in öffentlicher Hand) und die free float-Wettbewerber car2go (Daimler / Europcar) und Enjoy, einem Gemeinschaftsprojekt des Automobilherstellers Fiat, dem Energiekonzern Eni und der staatlichen Bahngesellschaft Trenitalia.

Mailand bietet für Carsharing-Unternehmen nahezu perfekte Bedingungen. Die Metropolregion Mailand ist im europäischen Vergleich sehr vom Pkw abhängig. Mit einer Pkw-Besitzquote von 0,6 je Einwohner und einem Pkw-Anteil von 47 % am Gesamtverkehrsaufkommen ist Mailand eine der Städte mit der höchsten Pkw-Konzentration weltweit.1 Die starke Pkw-Abhängigkeit, starke Pendlerverkehre aus dem Umland in die Stadt und ein schwacher öffentlicher Personennahverkehr in der Region gehen mit entsprechenden Effekten wie Stau und einem hohen Parkdruck einher, welche die Lebensqualität sinken lassen. Dell’Agnese und Anzoise (2011, S. 221)2 beschreiben Mailand als:

the classic hyper-congested urban reality, where a myopic management of the urban growth and its environmental costs has severely curbed living standards

Insbesondere die starke Luftverschmutzung und das Überschreiten diverser EU-Grenzwerte haben die Mailänder Stadtverwaltung zur Ergreifung emissionsreduzierender und verkehrseinschränkender Maßnahmen gezwungen. So wurde privaten Pkw für gewisse Zeiten (üblicherweise an Sonntagen) das Einfahren in den Innenstadtbereich untersagt. Im Jahr 2008 wurde “Ecopass” zur Verringerung der PM10-Belastung (Partikel, die einen aerodynamischen Durchmesser von 10 oder weniger Mikrometer besitzen) eingeführt.

Der Ecopass wurde für ein vergleichsweise kleines Gebiet der Innenstadt innerhalb der Stadtmauern aus dem 16. Jahrhundert eingeführt.3 Die Gebühr wurde an Werktagen zwischen 07:30 Uhr und 19:30 Uhr erhoben und variierte je nach Euro-Norm zwischen zwei und zehn Euro. Fahrzeuge mit geringen Emissionswerten -eingeschlossen waren in diese Gruppe beispielsweise Fahrzeuge mit Ottomotor und einer Emissionsklasse von Euro 3 oder besser – waren von der Zahlung befreit. Für Einwohner und Vielnutzer gab es entsprechende Rabatte.

Im Jahr der Einführung 2007 mussten 50 Prozent der Fahrzeuge einen Ecopass erwerben. Diese Zahl sank in den Folgejahren stark auf 25 Prozent im Jahr 2008 und auf zehn Prozent im Jahr 2010. Der Ecopass hatte somit eine positive Wirkung auf die Flottenerneuerung, konnte jedoch aufgrund seines eingeschränkten Geltungsraums keinen stadtweiten Effekt erzielen. Zudem hatte der Bezug auf die Euro-Abgasnorm einige Schwächen. So wurden stark motorisierte Fahrzeuge mit entsprechend höheren Fahrzeugemissionen nicht anders behandelt als schwach motorisierte Fahrzeuge, wenn sie in die gleiche Euro-Norm fielen.

Aufgrund der konstant schlechten Luftwerte war der Ecopass in seiner Wirkung rasch umstritten4 und wurde im Jahr 2012 zur neuen Stauabgabe Area C weiterentwickelt.

Der Anstoß kam aus der Bevölkerung. Die Bürgerinitiative Milano si Muove (Mailand bewegt sich) forderte in insgesamt fünf Referenden eine umfassende Strategie zur Weiterentwicklung der Stadt inkl. Verbesserung der Verkehrssituation unter anderem mit der Forderung nach einer Verdopplung der Fußgängerzonen bis 2012, die Verdoppelung der Tempo 30-Zonen bis 2012, den Ausbau des Radwegenetzes auf 300 km bis 2015, eine Bestandsgarantie für Busspuren bis 2015, die Einführung von Quartiersbussen, die Ausweitung von öffentlichen Fahrradverleihsystemen und die Förderung von Carsharing, die Ausweitung der U-Bahn-Betriebszeiten auf die Nacht und die Verbesserung des Taxiverkehrs. Die Maßnahmen sollten über eine Weiterentwicklung des Ecopass zu einer allgemeingültigen Innenstadtmaut für alle Fahrzeuge von fünf bis zehn Euro finanziert werden.

Bei einer Wahlbeteiligung von rund 49 % (Quorum: 30 %) stimmten am 12. Juni 2011 79,12 % für die Umsetzung der Maßnahmen. Die Innenstadtabgabe wurde zum 16. Januar 2012 eingeführt. Die Mautzone wurde jedoch nicht erweitert.

AntriebBenzinBenzinDieselDieselHybrid / LNG / CNGElektro
Abgas-Norm1 - 504, 50 - 3
Nicht-
Bewohner
5 €verboten5 €verbotenfrei
(bis
Ende
2016)
frei
Bewohner2 €verboten2 €verbotenfrei
(bis
Ende
2016)
frei
Gewerbe3 €verboten3 €verbotenfrei
(bis
Ende
2016)
frei
öffentlicher
Dienst (ÖPNV, Rettungswagen, Taxis)
freiverboten
(mit Ausnahmen)
freiverboten
(mit Ausnahmen)
freifrei

Die Zahl der abgabepflichtigen Fahrzeuge stieg von 12 % auf 92 %. Die Verkehrsmenge ging im Jahr der Einführung in der Area C um 34,3 Prozent zum Vorjahreszeitraum zurück (40.000 Fahrzeuge / Tag, 700.000 Fahrzeuge / Monat). Im gesamten Stadtgebiet sank das Verkehrsaufkommen um sieben Prozent.5. Für weitere Ergebnisse siehe den Artikel “Innenstadtmaut in London, Mailand und Stockholm – eine Übersicht“.

Innenstadtmaut Mailand Wirkung Area C
Durchschnittliche Zahl von Fahrzeugfahrten in den Innenstadtbereich Mailands an einem Werktag bei Gültigkeit des Ecopass (2011) und der Area C Innenstadtmaut (2012) – Daten: Comune di Milano, Grafik: Ita140188 @ Wikimedia CommonsCC BY-SA 3.0

Der Aufbau öffentlicher Carsharing-Angebote trug ebenfalls zur Reduktion der Verkehrsmenge innerhalb der Stadt bei. Das Angebot ist attraktiv, da die Area C Innenstadtmaut bereits im Preis für das Carsharing-Fahrzeug inkludiert ist und Carsharing somit finanziell nochmals attraktiver wird. Zudem darf das Fahrzeug auch innerhalb der blauen und gelben Zonen, also auf bewirtschafteten Stellflächen und Anwohnerparkplätzen, abgestellt werden – die Parkplatzsuche ist einfacher.

DensityDesign, ein Forschungsinstitut an der Fakultät für Design der Politecnico di Milano, hat die Ausleihvorgänge einer Woche des Carsharing-Anbieters Enjoy visualisiert. Mit der Visualisierung sollten verschiedene Möglichkeiten zur Darstellung des Verkehrsverhaltens über den Tag erprobt und das Kundenverhalten der Enjoy-Nutzer beleuchtet werden. Die notwendigen Daten wurden im Februar 2014 über eine Woche hinweg direkt von der Enjoy-Webseite erhoben. Hierfür fragte ein Bot alle zwei Minuten die Position aller Fahrzeuge ab. In der einwöchigen Erhebungszeit wurden 1,7 Millionen Datenpunkte, über 20.000 Ausleihvorgänge, eine Fahrleistung von 100.000 km und insgesamt 800 Tage Nutzungszeit erfasst.

Da Enjoy keinerlei Information über die gefahrene Route weitergibt, wurden diese mithilfe der Open Source Routing Machine (OSRM) berechnet. Als Inputdaten dienten der Ausleih- und Rückgabeort sowie die Ausleihdauer und Distanz. Die Routendaten wurden interpoliert, in eine geojson-Datei konvertiert und mit Processing und der Unfolding library visualisiert.

In der Visualisierung ist die Verlagerung des Verkehrs von der Innenstadt und dem Hauptstraßennetz während des Tages hin zu den Außenbereichen in der Nacht gut zu erkennen. Weitere Ergebnisse und Visualisierungen sind auf der Projekt-Webseite zu finden.

  1.  Rotaris, L., Danielis, R., Marcucci, E., & Massiani, J. (2010). The urban road pricing scheme to curb pollution in Milan, Italy: Description, impacts and preliminary cost–benefit analysis assessment. Transportation Research Part A, 44, 359-375.
  2.  Dell’Agnese, E., & Anzoise, V. (2011). Milan, the unthinking metropolis. International Planning Studies, 16 (3), 217-235.
  3. Agenzia Mobilità Ambiente Territorio. (2010). Monitoraggio Ecopass Gennaio-Dicembre 2009. Indicatori sintetici. Comune di Milano.
  4. Gullberg, A., & Isaksson, K. (2009b). Fabulous success or insidious fiasco. Congestion tax and the Stockholm traffic dilemma. In A. Gullberg, & K. Isaksson (Eds.). Congestion Taxes in City Traffic. Lessons learnt from the Stockholm Trial. Lund: Nordic Academic Press.
  5. Agenzia Mobilità Ambiente Territorio. (2012b). Monitoraggio Area C. Sintesi risultati al 30 giugno. Traffico e composizione del parco veicolare. Comune di Milano.
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Randelhoff Martin

Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
Ist interessiert an innovativen Konzepten zum Lösen der Herausforderungen von morgen insbesondere in den Bereichen urbane Mobilität, Verkehr im ländlichen Raum und nachhaltige Verkehrskonzepte.

Kontaktaufnahme:

Telefon +49 (0)351 / 41880449 (voicebox)

E-Mail: randelhoff [ät] zukunft-mobilitaet.net

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Julia
17. Februar 2015 10:21

An sich finde ich Leihwagenflotten in Städten eine gute Sache, wie sie aber effektiv zur Verringerung des Verkehrs beitragen sollen weiß ich nicht. Würde jeder, der sein Auto nicht mehr in der Innenstadt nutzen darf, auf einen Leihwagen umsteigen bzw ein CarsharingAuto nehmen, hätte sich auf den Straßen nichts getan. Es parken vielleicht nur nicht mehr so viele Autos, unterwegs müssten aber genauso viele sein.

Das Prinzip funktioniert also nur, weil viele Menschen dann zu faul sind, sich um ein Sharing Auto zu kümmern. Glücklicherweise sind sie es!
Generell finde ich das Sharing-Prinzip sehr gut, es funktioniert allerdings nur in größeren Städten und auch da nur in dicht besiedelten Gebieten.
In kleineren Städten wie beispielsweise Kaiserslautern finde ich das CarSharing Angebot zwar ganz nett und als Idee super, da es aber nur einige Abholstationen gibt, bringt es ohnehin nur den Leuten etwas, die in Gebieten leben, in denen man gar kein Auto braucht, weil man hervorragend angebunden ist (oder überall zu Fuß hin kommt).
In Berlin ist das Problem ähnlich. Wer wirklich ein Auto braucht, wohnt in den Randbezirken. Erst mit Bus und Bahn in die Stadt zu fahren, sich dort ein Auto zu leihen und dann in einen Randbezirk zu fahren, macht wenig Spaß.
Will man zB von Berlin Rudow nach Berlin Hellersdorf, ist man je nach genauer Adresse pro Richtung schon mal mit dem ÖPNV 2 Stunden unterwegs. Mit einem Auto wäre man nach 40 Minuten da. Muss man aber erst mit dem Bus zur Bahn und mit der Bahn in die Stadt, um sich ein Auto zu leihen, ist der Ansporn, das auch durchzuziehen, irgendwie recht gering.

Die Grundidee von Carsharing finde ich super, aber dann müsste man schon irgendwie jedes herumstehende Auto benutzen können. Es müssten also alle mitmachen, damit auch diejenigen, für die sich das am meisten lohnt, etwas davon haben. Wer in der Berliner Innenstadt wohnt und nur dort unterwegs ist, wird in den meisten Fällen den Teufel tun, sich dort ein Auto zu mieten, außer man will sich im Möbelhaus ein neues Wohnzimmer kaufen. Da hat man dann aber auch andere Möglichkeiten als CarSharing.

Wäre CarSharing weiter verbreitet, ist das ein Modell mit Zukunft. Hoffen wir, dass mehr Autos zum Sharen bereit gestellt werden.

LG, Julia

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Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V. (VDV) hat mich im Rahmen der VDV-Jahrestagung 2013 in Mainz als “Talent im ÖPNV” des Jahres 2013 ausgezeichnet. Der VDV vertritt rund 600 Unternehmen des Öffentlichen Personennahverkehrs, des Schienenpersonennahverkehrs, des Schienengüterverkehrs, der Personenfernverkehrs sowie Verbund- und Aufgabenträger-Organisationen.

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Verfasst von:

Julia

Randelhoff Martin

Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
Ist interessiert an innovativen Konzepten zum Lösen der Herausforderungen von morgen insbesondere in den Bereichen urbane Mobilität, Verkehr im ländlichen Raum und nachhaltige Verkehrskonzepte.

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