In Stockholm wird in den nächsten Jahren eines der ambitioniertesten Umbauprojekte eines Verkehrsknotenpunktes in Europa durchgeführt. Slussen ist eine Schleuse zwischen den Inseln Södermalm und Gamla stan und zudem einer der wichtigsten Umsteigepunkte der schwedischen Hauptstadt.
Die U-Bahn-Station Slussen ist die zweitmeistfrequentierte Station des Stockholmer U-Bahn-Netzes. An einem normalen Werktag steigen 79.000 Pendler hier zu und um. Die Vorortbahn Saltsjöbanan endet ebenfalls in Slussen. Im Busbahnhof beginnen viele Buslinien, die Kommunen im Osten der Stadt anbinden.
Südlich der Schleuse befindet sich der 1935 eröffnete kleeblattförmige, kreuzungsfreie Verkehrskreisel. Dieser äußerst raumfordernde Straßenverkehrsknotenpunkt wurde seit seiner Eröffnung nicht weiterentwickelt und ist heute in einem sehr schlechten baulichen Zustand.
Da eine Renovierung inzwischen für undurchführbar gehalten wird, wird seit den neunziger Jahren ein kompletter Neubau der Verkehrsanlagen geplant.
Schlechter Zustand:
Da in europäischen Innenstädten solch raumfordernde Bauwerke heutzutage nicht mehr gebaut werden und die Verknüpfung der verschiedenen Verkehrsmittel verbessert werden soll, hat man sich zur kompletten Neugestaltung des gesamten Bereichs entschlossen. Durch die Neuplanung soll die Raumaufteilung an heutige Gegebenheiten angepasst werden. So werden erstmals die Bedürfnisse von Radfahrern und Fußgängern berücksichtigt und ÖPNV-Beschleunigungsmaßnahmen in diesem Bereich durchgeführt.
Die beiden Inseln Södermalm und Gamla stan sind zurzeit über zwei Brücken mit insgesamt 12 Fahrspuren verbunden. Beide Brücken sollen durch ein Querungsbauwerk mit insgesamt acht Fahrstreifen, von denen zwei für den ÖPNV reserviert sind, ersetzt werden. Breite Fuß- und Radwege werden an die Fahrbahn anschließen. Die restliche Fläche soll aufgewertet werden.
Ist (Februar 2013):
Teilweise müssen Fußgänger durch solche Unterführungen laufen:
Soll:
Die Aufenthaltsqualität für Fußgänger und Radfahrer soll durch einen neuen Plaza am Wasser steigen. Dieser soll neben einer Verbindung für den nicht-motorisierten Verkehr das Verweilen am Wasser ermöglichen. Zwei Gebäude am Ufer Södermalms werden abgerissen und Platz für Cafes, Restaurants und Kultur geschaffen.
Ist (Februar 2013):
Soll:
Der Verkehrskreisel wird durch eine herkömmliche T-Kreuzung ersetzt. Die Schleuse muss ebenso modernisiert werden. Sie ist nicht nur für die Durchlässigkeit des Schiffsverkehrs aus dem Mälarsee in die Ostsee notwendig, sondern schützt Stockholm auf vor Hochwasser und sichert die Trinkwasserversorgung für zwei Millionen Menschen.
Parallel zur U-Bahn wird eine neue Brücke für Fußgänger und Radfahrer errichtet, die den Zugang zur Altstadt ohne Umwege ermöglicht. Die Hauptverkehrsstraße Stadsgårdsleden wird in einen Tunnel gefasst und die Überdeckelung mit Gebäuden und einem Park bebaut. Der direkte Zugang zum Wasser soll so ermöglicht werden.
Heute sieht die zu überbauende Straße so aus. Teile des Busbahnhofs sind ebenfalls zu erkennen:
Von weiter oben:
Das Busterminal wird neu errichtet und direkt mit der U-Bahn verknüpft. Der Bahnhof der Vorortbahn Saltsjöbanan erhält ein zweites Gleis. Wo in Zukunft die Einfahrt zum neuen Busterminal sein soll, befindet sich heute noch ein Parkhaus:
Das Busterminal im Februar 2013:
Soll:
Die Vorarbeiten für das ambitionierte Projekt sollen noch in diesem Jahr starten. Der Abriss der Gebäude und der alten Brücken ist für das Jahr 2014 vorgesehen. Ab 2017 sollen die Bauarbeiten auf der westlichen Seite beginnen, für 2018 ist die Fertigstellung des neuen Busbahnhofs vorgesehen. Bis zum Jahr 2020 soll das Gesamtprojekt abgeschlossen sein.
Eines der beiden Gebäude, das abgerissen werden soll:
Das größte Stadtumbauprojekt Schwedens wird in 25 Einzelverträgen vergeben. Die Kosten werden mit acht Milliarden Schwedische Kronen, umgerechnet 935 Millionen Euro, beziffert.
Bürgerbeteiligung
Vorbildlich ist die Information zum Bauprojekt. Auf einer speziellen Projekt-Webseite (englische Version) können die unterschiedlichsten Informationen eingesehen werden. So sind beispielsweise die einzelnen Baustufen und Einzelaufträge aufgeführt, die mit zusätzlichen Informationen zu Ausschreibungen und Verträgen ergänzt werden. Detaillierte Pläne des Großbauprojekts können ebenfalls online eingesehen werden: Bauplan 1 (1,4 MB), Bauplan 2 (22 MB), Bauplan 3 (1,4 MB), Bauplan 4 (2,2 MB), Bauplan 5 (863 kb), Bauplan 6 (11,7 MB) und Bauplan 7 (10,1 MB). Alle weiteren Planungs- und Bauschritte werden transparent und leicht verständlich kommuniziert und die entsprechenden Dokumente mit veröffentlicht.
https://www.youtube.com/watch?v=BSRrW9xKKUc
https://www.youtube.com/watch?v=JxhuAFmSH8o
Vielen Dank für die umfangreiche Zusammenfassung über das Projekt. Das war selbst mir als derzeit im Großraum Stockholm Lebender nicht alles bewusst.
Zum ersten deiner Fotos: Es könnte sein, dass du dort eine Stelle erwischt hast, bei denen bereits mit Vorarbeiten begonnen wurde. Ich war zwar in letzter Zeit nicht mehr bei Slussen, aber das Foto erinnert mich an Fotos aus der hiesigen Zeitung, die im Januar vom Start der Vorarbeiten berichtete.
Ein weiterer Grund um Slussen umzubauen ist übrigens auch um Platz für weitere Gebäude zu schaffen.
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Und ganz allgemein ist Stockholm als stark wachsende Gegend für Verkehrsplaner sicher eine wahre Freude. Aktuell wird ein Eisenbahntunnel unter der Stockholmer Innenstadt gegraben. Darüber gibt es jeweils umstrittene Pläne für einen Straßenbahnausbau im Osten sowie Südwesten der Stadt, einen neuen U-Bahnlinie von der Innenstadt nach Südosten sowie neue Autobahnverbindungen im Osten und Westen der Stadt. Und das müsste jeweils mit Hilfe von vielen Tunneln oder Brücken entstehen, da die Stadt so stark von Wasser umgeben ist.
Hallo Thomas,
für mich persönlich waren keine Baumaßnahmen erkennbar. Einzig ein einzelner Mitarbeiter hat eine defekte Leuchtstoffröhre im Fußgängertunnel ausgetauscht. Der generelle Zustand des gesamten Knotenpunktes war sehr schlecht. Ich habe ja noch weitere Fotos gemacht, die einige Mängel zeigen. Das fängt von durchgerosteten Sicherheitsgeländern auf der Brücke an und geht über abgeschlagene Fliesen und ausgebrochenen Treppenstufen hin zu Grafitti und bröckelnden Treppenaufgängen im Bereich des Busbahnhofs. Da ist defintiv die Zeit reif für einen Abriss. Man kann sicherlich auch über eine Modernisierung anderer U-Bahn-Stationen reden. Zum Beispiel Gamla stan oder Hässelby strand. Die unterste Ebene von T-centralen oder Stadshagen sind dagegen echt schick: http://j.mp/WWw6f8
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Die neuen Gebäude über Stadsgårdsleden sind sicherlich auch ein Grund für ein Neubau, allerdings eher aus Sicht der Stadtentwicklung und weniger aus verkehrlicher Sicht.
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Und das Wachstum ist sicherlich auch ein wichtiger Grund. Bis 2025 sollen direkt in Stockholm eine Million Menschen leben und im Großraum wird es sicherlich eine Million mehr sein. Und ich habe auch mitbekommen, dass insbesondere der Straßenbahn- / Stadtbahnausbau sehr umstritten ist. In Stockholm hat man ja auch eher eine Stadtbahn als eine Straßenbahn, da diese ja großteils auf eigenem Gleiskörüer ausgeführt sind. Und man benötigt wegen der Topographie wirklich vergleichsweise viele Tunnel und Brücken. Ich bin aber nur mit der Tvärbanan von Gullmarsplan nach Alvik und von dort weiter mit der T19 bis Hässelby strand gefahren. Und dann nochmal mit der S7 von Sergels torg nach Waldemarsudde. Irgendwie wird ja auch zwischen L- und S-Linien differenziert. Mit den Autobahnbauten soll ja ein Autobahnring um die Stadt entstehen, wenn ich das richtig im Erinnerung habe. Da ist man doch schon seit Jahrzehnten dran, oder?
Und generell würde man ja gerne den Busverkehr ein wenig optimieren. Der Ausbau der blauen Linie nach Nacka soll ja so theoretisch überflüssig sein (keine Ahnung, ob da was dran ist). Und die Citybanan folgt ja theoretisch nur den Vorbilden in Malmö und Göteborg, die auch den Eisenbahnverkehr zum Teil über Tunnel unter der Stadt abwickeln.
Stockholm ist auf jeden Fall ein sehr interessantes Pflaster für Verkehrswissenschaftler, Planer & Co. Man geht ja auch recht offen an die verschiedenen Themen heran, ohne gleich die Bevölkerung durch riesige Megaprojekte zu verschrecken. Und in Stockholm ist der Bedarf für einen weiteren Ausbau des ÖPNV ja gegegen.
Viele Grüße,
Martin
Hallo Martin,
herzlichen Dank für Deine Aufarbeitung und die aktuellen Bilder!
1935, das muss ja damals unglaublich futuristisch angemutet haben. Noch 30 Jahre zuvor hatten wohl Pferdegespanne das Bild dominiert, und dann wird ein Knoten zum kreuzungsfreien Düsen durch die Stadt gebaut. Wahnsinn.
Grüße von Lukas.
Hallo,
die Verkehrsinfrastruktur ist mit der Stadt und dem damaligen Fortschrittsdenken gewachsen. In den dreißiger Jahren hat die damalige Stockholmer Ausstellung 1930 in Sachen Architektur, Design und Kunsthandwerk einiges bewegt. Im Nachlauf dieser Veranstaltung ist man dann auf diese Ideen gekommen. Damals war das wahrscheinlich wirklich over-the-top.
Die Stadt hatte damals ungefähr 550.000 Einwohner, heute sind es etwa 850.000. Bis 2025 soll die Stadt auf eine Million wachsen. Das stellt ganz andere Anfordeungen an eine Stadt. Glücklicherweise sind wir heute nicht mehr so autofixiert wie vor einigen Jahrzehnten und das Rad und der ÖPNV spielen wieder eine wichtige Rolle. Heute fahren noch etwa 30.000 Fahrzeuge über Slussen, in den sechziger Jahren waren es 90.000 am Tag. Das ist schon eine gewaltige Abnahme. Dafür ist der ÖPNV um ein Vielfaches gewachsen. Und dieser Entwicklung muss man jetzt eben mit der Umgestaltung der Infrastruktur entsprechen.
Gruß,
Martin
Na ja, ich glaube, solche Bauten findet man auf der ganzen Welt. Auf manchen Bildern hatte ich geglaubt, das wäre Sachen aus dem Ruhrgebiet.
Aber wenigstens wird dort etwas mal grundlegend modernisiert. Das wird mit Sicherheit eine ziemlich große Baustelle werden.
2020 das ist ein ehrgeiziges Ziel – finde ich.
Ja, das könnte ohne Probleme auch im Ruhrgebiet stehen. Inklusive bröckelnde Bausubstanz. :-/
Aber man würde in Essen, Bochum oder Duisburg vermutlich nicht auf die Idee kommen, so massiv rückzubauen. Zudem haben wir ja meistens keine so komplexen Knotenpunkte in Deutschland. Im Innenstadtbereich haben wir fast immer plangleiche Knotenpunkte und nur in den Außenbereichen planfreie bzw. teilplangleiche Knotenpunkte. Auf Anhieb fält mir nur die Autobahnanschlussstelle Essen Zentrum und Freiheit, die Kreuzung zwischen Kruppstraße und Huyssenallee ein. Aber es wird entlang des Ruhrschnellweges bestimmt noch einige solcher Knotenpunkte geben.
Und es wird für ein paar Jahre bestimmt einige Einschränkungen im MIV und im ÖPNV geben. Die Haupttourismusattraktionen sind auch recht nahe, auch wenn Slussen dafür keine Rolle spielt.
Aber 2020 ist recht realistisch. Jedenfalls für die Fertigstellung der Verkehrsanlagen. Der Abriss der Brücken und der Fundamente dürfte nicht länger als ein Jahr bauen, den Bau neuer Fundamente und der Balkenbrücke zwei Jahre, sodass noch drei jahre für die restlichen Arbeiten bleiben. Und den Bau des Busterminals mit dem zweiten Gleis für die Vorortbahn kann man parallel in Angriff nehmen. Aber eventuell findet sich ja irgendwo noch ein genauerer Zeitplan! ;-)
Gruß,
Martin