Analyse Öffentlicher Personennahverkehr Telematik, Apps und IKT

Mit Open Data die Angebotsqualität des ÖPNV ermitteln

Die Urban Data Challenge hat einen neuen Wettbewerb mit verkehrsbezogenen Daten veranstaltet. Aufgabe war es, mit Hilfe von Fahrplandaten aus San Francisco, Zürich und Genf Visualisierungen zu erstellen, welche die Rolle und Wichtigkeit des öffentlichen Verkehrs in diesen Städten herausstellen. Die drei Gewinnerbeiträge beschäftigen sich mit Fahrgastströmen, Gerechtigkeit und Frustration.

1. Platz: Dots on the Bus

Verkehr ÖPNV Genf San Francisco Zürich Visualisierung
Screenshot von Dots on the Bus – ÖPNV in Genf um 21:00 Uhr

Dots on the Bus visualisiert das Busnetz über einen gesamten Tag. Nutzer können eine Linie auswählen und erkennen den Standort der Busse sowie die Fahrgastnachfrage, die mit bunten Punkten dargestellt wird. Da die Visualisierung minutenfein erstellt wurde, konnte auch die unterschiedliche Geschwindigkeit der Buslinien dargestellt werden. So fahren Busse einer Linie in der Hauptverkehrszeit viel langsamer als in den Nebenzeiten – dies ist neben des erhöhten Fahrgastaufkommens auch in der Visualisierung entsprechend abgebildet. Die notwendigen Daten stammen aus SOLL- und IST-Fahrplandaten für die Darstellung des Fahrplans und der Fahrzeiten sowie den Lichtschranken in den Türen zur Ermittlung des Besetzungsgrades.

2. Platz: Transit Quality + Equity

Transit quality and equity
Transit Quality + Equity in San Francisco: Anteil armer Menschen an der Bevölkerung und ÖPNV-Angebot / Qualität

Den ersten zweiten Platz hat die Visualisierung “Transit Quality + Equity” gewonnen. Die Webseite verbindet Taktdichte und Servicegrad des ÖPNV mit dem Einkommensniveau. So lässt sich auf einen Blick erkennen, ob ein ÖPNV-Angebot zunächst die bevölkerungsreichsten Teile einer Stadt abdeckt und ob Menschen mit niedrigerem Einkommen ein gleiches ÖPNV-Angebot erhalten wie Menschen mit höheren Einkommen.

Für San Francisco ist die Bezugsgröße der Anteil der Menschen, die unter der Armutsgrenze leben sowie die Aufteilung nach ethnischen Hintergrund. Die Daten wurden im Rahmen der US-Volkszählung erhoben. In Zürich wird das mittlere Einkommensniveau je Bezirk dargestellt, für Genf lagen leider keine Daten bezüglich der Einkommensverteilung vor. Beide Herangehensweisen lassen einen Einblick in die Wohlstandsverteilung einer Stadt zu.

Die ÖPNV-Qualität wird anhand mehrerer Kenngrößen bestimmt. Die ÖPNV-Abdeckung eines Viertels wird durch konzentrische Kreise um die einzelnen Haltestellen dargestellt. Je häufiger eine Haltestelle bedient wird, desto größer wird der Kreis. Die Zahl der Abfahrten wurde für alle Haltestellen über den Zeitraum einer Woche ermittelt. Ebenfalls erhoben wurden die Verspätungen an jeder einzelnen Haltestelle. Je dunkler ein Kreis wird, desto höher ist die Verspätungsanfälligkeit. Diese wird auch sekundenfein für jede Haltestelle ausgewiesen (Beispiel: Zürich Hauptbahnhof, durchschnittliche Verspätung über eine Woche: 0,55 Minuten, San Francisco Powell Street & Sutter Street: 11,48 Minuten).

Insbesondere in San Francisco lässt sich beobachten, dass Stadtviertel mit einem geringen Anteil armer Menschen nur sehr schlecht vom ÖPNV erschlossen sind, da reichere Amerikaner im Allgemeinen nur sehr ungerne öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Ärmere Menschen sind dahingegen auf den ÖPNV angewiesen.

2. Platz: Frustration Index

Den zweiten 2. Platz hat der Frustration Index gewonnen, der die Angebotsqualität des ÖPNV in Zürich, Genf und San Francisco visualisiert. Die Berechnung des Servicelevels ist recht komplex, basiert aber hauptsächlich auf drei Werten: Kapazität, Verspätung und Geschwindigkeit. Weitere Qualitätsfaktoren könnten die Taktzeit, Wartezeit, Bedienzeiten, Durchschnittsgeschwindigkeit und Wirtschaftlichkeit sein, die jedoch aufgrund der knappen Zeit nicht mehr eingeflossen sind.

Frustration Index Genf
Frustration Index für Genf, Geschwindigkeit = rosa, Verspätung = gelb und Kapazität = blau

Vorgehen bei der Ermittlung der einzelnen Parameter:

Kapazität:

Pnt = ∑(Bx-Ex) mit x = 1→∞

  • Pnt = Nummer der Fahrgäste an der Haltestelle n während der Fahrt t
  • Bx = Zahl der zusteigenden Fahrgäste an Haltestelle x
  • Ex = Zahl der aussteigenden Fahrgäste an Haltestelle x

Der Level of Service wird durch den errechneten Loadfaktor zwischen 0 (vollkommen leer) und >1,5 (total überfüllt) bestimmt. Die Sitzplatzkapazität wurde anhand der eingesetzten Transportgefäße bestimmt, die Zahl der ein- und aussteigenden Fahrgäste mit Hilfe von Lichtschranken ermittelt.

Verspätung:

Dnt = AAn – SAn (Verspätung an Haltestelle n während des Umlaufs t)

  • AAn: IST-Ankunftszeit an Haltestelle n
  • SAn: SOLL-Ankunftszeit an Haltestelle n

Zur Ermittlung des Level of Service wurde die Minimal- und Maximalverspätung eines Tages ermittelt und in mehrere Verspätungsklassen geschichtet:

dnt = ( Dnt – d) / (D – d)

  • Dnt: Verspätung an Haltestelle n während des Umlaufs t
  • d: minimale Verspätung
  • D: maximale Verspätung

Ein Wert zwischen 0 – 0,05 gilt als minimale Verspätung, 0,06 – 01,5 als tolerierbar, 0,16 – 0,25 als unzuverlässig, 0,26 – 0,35 als frustrierend, 0,36 – 0,65 als stark frustrierend und alles über 0,65 als unakzeptabel.

Geschwindigkeit

Die Geschwindigkeit wurde jeweils zwischen der betrachteten Haltestelle n und der zuvor angefahrenen Haltestelle n-1 betrachtet.

Theoretisch nach Fahrplan gefahrene Geschwindigkeit:
Vn, n-1 = Dn, n-1 / STn, n-1 

Real gefahrene Geschwindigkeit:
Vn, n-1 = Dn, n-1 / ATn, n-1 

mit den Variablen:

  • STn, n-1: theoretische Fahrzeut zwischen den Haltestellen n und n-1
    • STn, n-1 = SAn – SAn-1
    • SAn: SOLL-Ankunftszeit an Haltestelle n
    • SA n- 1: SOLL-Ankunftszeit an Haltestelle n-1
  • ATn ,n-1: reale Fahrzeit zwischen Haltestelle n und n-1
    • ATn, n-1 = AAn – AAn – 1
    • AAn: IST-Ankunftszeit an Haltestelle n
    • AAn-1: SOLL-Ankunftszeit an Haltestelle n-1
  • Dn, n-1: Luftlinienentfernung zwischen Haltestelle n und n-1
    • Dn,n-1 = √ ( (Ln-1 – Ln)2 + (ln-1 – ln)2 )
    • Ln-1: Längengrad der Haltestelle n-1
    • Ln: Längengrad der Haltestelle n
    • ln-1: Breitengrad der Haltestelle n-1
    • ln: Breitengrad der Haltestelle n

Ein Geschwindigkeitsfaktor zwischen 0 und 0,05 gilt als schneller ÖPNV, 0,06 – 0,15 als annehmbare Geschwindigkeit, 0,16 – 0,25 als zu langsam, 0,26 – 0,35 als frustrierend, 0,36 – 0,65 als sehr frustrierend und Werte über 0,65 sind als Stillstand und daher als untolerierbare ÖPNV-Geschwindigkeit zu verstehen.

Fazit

Alle drei Anwendungen sind wieder einmal ein großartiger Einblick, was mit offenen Fahrplandaten und OPEN DATA allgemein alles möglich ist. Öffentliche Verkehrsunternehmen müssen meiner Meinung auch keine Furcht haben, dass anhand dieser Daten große öffentliche Kritik aufkommt. Man sollte eher die Chancen erkennen und vor allem auch ergreifen, die solche Visualisierungen ermöglichen.

Anonymous

Randelhoff Martin

Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
Ist interessiert an innovativen Konzepten zum Lösen der Herausforderungen von morgen insbesondere in den Bereichen urbane Mobilität, Verkehr im ländlichen Raum und nachhaltige Verkehrskonzepte.

Kontaktaufnahme:

Telefon +49 (0)351 / 41880449 (voicebox)

E-Mail: randelhoff [ät] zukunft-mobilitaet.net

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Grimme Online Award Preisträger 2012

Zukunft Mobilität hat den Grimme Online Award 2012 in der Kategorie Information erhalten. Ich möchte mich bei all meinen Lesern für die Unterstützung bedanken!

PUNKT Preisträger 2012

Zukunft Mobilität hat den PUNKT 2012 der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) in der Kategorie "Multimedia" gewonnen.

Logo VDV Verband Deutscher Verkehrsunternehmen

Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V. (VDV) hat mich im Rahmen der VDV-Jahrestagung 2013 in Mainz als “Talent im ÖPNV” des Jahres 2013 ausgezeichnet. Der VDV vertritt rund 600 Unternehmen des Öffentlichen Personennahverkehrs, des Schienenpersonennahverkehrs, des Schienengüterverkehrs, der Personenfernverkehrs sowie Verbund- und Aufgabenträger-Organisationen.

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Verfasst von:

Anonymous

Randelhoff Martin

Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
Ist interessiert an innovativen Konzepten zum Lösen der Herausforderungen von morgen insbesondere in den Bereichen urbane Mobilität, Verkehr im ländlichen Raum und nachhaltige Verkehrskonzepte.

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