Analyse Öffentlicher Personennahverkehr

[Fakt der Woche] Ansteckungswahrscheinlichkeit in öffentlichen Verkehrsmitteln während der Grippezeit

In öffentlichen Verkehrsmitteln fahren Tag für Tag Millionen Menschen. Insbesondere während der Hauptverkehrszeiten lässt sich der Kontakt mit anderen Fahrgästen nicht immer verhindern. Problematisch wird das Ganze in der Erkältungs- und Grippezeit, wenn Krankheitserreger übertragen werden.

Im Jahr 2011 hatten Forscher der University of Nottingham ein erhöhtes Ansteckungsrisiko für akute Atemwegsinfektionen im ÖPNV festgestellt 1. Die Untersuchung, die während der Grippesaison von Dezember 2008 bis Januar 2009 durchgeführt wurde, hatte mit 138 Befragten (72 Erkrankte und 66 in der Kontrollgruppe) eine sehr geringe Stichprobengröße und daher nur begrenzte Aussagekraft.

Die an Atemwegsinfektionen erkrankten Personen wurden damals befragt, ob sie fünf Tage vor Ausbruch der Krankheit mit öffentlichen Verkehrsmitteln gefahren seien. Im Vergleich zur Kontrollgruppe erkrankten ÖPNV-Nutzer sechs Mal häufiger an Atemwegserkrankungen.

Die Wissenschaftler stellten aber einen eindeutigen weiteren Forschungsbedarf fest, da die Stichprobe sehr klein gewesen ist. Diesen Mangel haben die Mediziner der London School of Hygiene and Tropical Medicine nun geheilt.

Grippezeit ÖPNV Gefahr
Ansteckungsgefahr im ÖPNV während der Grippezeit – grün: ÖPNV-Nutzer, blau: Nicht-ÖPNV-Nutzer

In Rahmen der britischen Grippestudie (n= ~6.000) wurde auch die Ansteckungsgefahr in öffentlichen Verkehrsmitteln untersucht. Entgegen der Untersuchung der University of Nottingham konnte die LSHTM “keinerlei Anzeichen” dafür finden, dass ÖPNV-Nutzer gefährdeter seien. Personen, die regelmäßig den ÖPNV nutzen, wiesen kein erhöhtes Risiko einer Grippeinfektion auf. Nicht-Nutzer des ÖPNV erkrankten sogar leicht häufiger als Nutzer, auch wenn dieses Ergebnis nicht signifikant ist.

Grippe ÖPNV Wahrscheinlichkeit
Auftretenswahrscheinlichkeit einer Grippe-ähnlichen Erkrankung bei Personen, die den ÖPNV nutzen (blau) und Nicht-ÖPNV-Nutzer (rot). Diese Grafik bildet Ergebnisse aus Europa (n = 12.000+) ab, die den britischen Ergebnissen sehr ähneln.

Influenza wird im Allgemeinen durch Tröpfcheninfektion, Kontaktinfektion oder Schmierinfektion übertragen. Durch Niesen und Husten gelangen diese in die Luft, überleben dort allerdings anscheinend nicht lange genug, um andere Personen im unmittelbaren Umfeld zu infizieren. Problematisch sind jedoch glatte Oberflächen, von denen die Viren über die Hände auf die eigenen Schleimhäute übertragen werden können. Auf Plastik- und Metalloberflächen sind Influenzaviren bis zu 24 Stunden infektiös 2.

Daher ist es sehr wohl zu empfehlen, sich während der Grippezeit nicht ins Gesicht zu fassen und Hände häufig zu waschen. Als ÖPNV-Nutzer geht man allerdings kein größeres Ansteckungsrisiko als beispielsweise ein Autofahrer ein. Das Beachten der einfachsten Hygienegrundsätze schützt neben Sport und gesunder Ernährung am Besten!

  1. Joy Troko, Puja Myles, Jack Gibson, Ahmed Hashim, Joanne Enstone, Susan Kingdon, Christopher Packham, Shahid Amin, Andrew Hayward, Jonathan N Van-Tam: Is public transport a risk factor for acute respiratory infection?; In: BMC Infectious Diseases 2011, 11:16 – http://www.biomedcentral.com/1471-2334/11/16
  2. B. Bean, B. M. Moore, B. Sterner, L. R. Peterson, D. N. Gerding, H. H. Balfour Jr.: Survival of influenza viruses on environmental surfaces. J Infect Dis. 1982 Jul; 146(1):47-51
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Randelhoff Martin

Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
Ist interessiert an innovativen Konzepten zum Lösen der Herausforderungen von morgen insbesondere in den Bereichen urbane Mobilität, Verkehr im ländlichen Raum und nachhaltige Verkehrskonzepte.

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LOK
LOK
4. Januar 2022 18:37

Mir ist angesichts der COVID-Pandemie jetzt wieder dieser Artikel eingefallen, da ich in den Medien hörte, Aerosole wurden bisher möglicherweise bei Übertragungen generell zu wenig in Betracht gezogen. Falls Aerosole auch bei Erkältungsviren eine nennenswerte Rolle spielen, wäre die Studie aus dem Artikel vermutlich überholt? Ob dem so ist, weiß ich aber nicht. Solange auch nach der Pandemie die Mund-Nasen-Schutz-Masken zugelassen bleiben, bleibt der ÖV aber ohnehin sicher. (In Österreich sind solche ja wegen des Vermummungsverbots außerhalb der Pandemie nur mit ärztlichem Attest erlaubt, was ein präventives Aufsetzen leider unterbindet. Hoffentlich wird das künftig geändert.)

Halle Verkehrt
Halle Verkehrt
6. Dezember 2018 14:57

Wir finden den Link zur zweiten Studie leider nicht – euer Link ist nur auf die Hauptseite der LSHTM. Könnt ihr uns da noch einen Hinweis geben?

Anonym
Anonym
Reply to  Randelhoff Martin
15. Dezember 2018 16:48

Danke!

S@g ich nicht
S@g ich nicht
16. Februar 2014 15:02

> Als ÖPNV-Nutzer geht man allerdings kein größeres
> Ansteckungsrisiko als beispielsweise ein Autofahrer
> ein.

Da die ÖPNV-Nutzer (aka Krankheitsverteiler) das alles dann an ihren Arbeitsplätzen weiterverteilen, bekommen auch die Indivdualverkehrsnutzer (Auto, Motorrad, Fahrrad, per Pedes) ihre Packung Keime von den ÖPNV-Nutzern. Insofern leiden alle unter der Keimschleuder ÖPNV.

S@g ich nicht
S@g ich nicht
Reply to  Randelhoff Martin
17. Februar 2014 22:06

> Wenn die ÖPNV-Nutzer wirklich die Keime an die
> Individualverkehrsnutzer weitertragen würden, müssten
> ja die ÖPNV-Nutzer zwingend erkrankt sein bevor Dritte
> angesteckt werden können.

Nö, es reicht völlig, wenn sie die Keime von der ÖPNV-Möblierung (Türhebel, Armlehnen, Haltestangen usw.) dann in der Firma auf die entsprechenden Kontaktflächen (Türdrücker, Tischflächen, Bedienpanels, usw.) weiterverteilen.

Das sind die typischen Verbreitungswege von Infektionen und Epidemien. Je mehr Menschen auf einem Haufen und je schlechter die Hygiene (sowohl der Menschen als auch ihrem Umgebung) desto Ansteckung. Am schlimmsten z.B. in Notlagern nach Naturkatastrophen/Kriegen, aber auch der ÖPNV ist eine riesige Keimverbreitungsmaschine.

Das hier jetzt ein Studie angeblich das Gegenteil beweisen will, ist die Realitätsverbiegung.

Martin
Martin
Reply to  S@g ich nicht
18. Februar 2014 01:42

Falls Ihre Argumentation stichhaltig wäre, müssten sich die Individualverkehrsnutzer ziemlich unhygienisch verhalten. Vielleicht wissen Sie dazu mehr?

S@g ich nicht
S@g ich nicht
Reply to  Martin
20. Februar 2014 23:44

Menschen verhalten sich unabhängig vom bevorzugten/benutzten Verkehrsmittel alle mehr oder weniger hygienisch. Aber im ÖPNV sind mehr davon auf einem Haufen und dichter beisammen, deshalb verteilen sich Keime und Erreger unter dieser Gruppe notgedrungen besser. Zu Lasten aller (einschließlich sie selber).

Da reicht ein Schnodderer, der seinen infektiösen Naseninhalt via Hand in ein Polster oder auf einen Griff oder einen Halteknopf bringt, und schon verteilt dieses ÖPNV-Fahrzeug die Keime den Rest das Tages an alle anderen Menschen, die dort hinfassen. Und die verteilen es dann von dort weiter in ihre sonstigen Lebensräume.

Eigentlich ganz einfach zu verstehen …

Michael S
Reply to  S@g ich nicht
21. Oktober 2014 12:45

“Eigentlich ganz einfach zu verstehen …” heißt wohl, alle die mir nicht folgen sind grenzdebil.

Ich würde das ganze freundlicher betrachtet unter “Der gesunde Menschenverstand sagt mir…” verbuchen. Wenn wir den immer nur alle hätten und dieser sich in der Vergangenheit als durchgängig gute Basis bewiesen hätte, bräuchten wir in der Tat auch keine wissenschaftlichen Untersuchungen. Gesunden Menschenverstand hatten die Menschen im Mittelalter übrigens auch.

Mein Fazit aus dem Artikel: Interessant, hätte ich so nicht erwartet. Man macht sich ja doch in Zeiten mit erhöhter Medienaufmerksamkeit für Infektionen so seine Gedanken über Ansteckungsgefahren im ÖPNV. Eine einzelne Studie überzeugt mich jetzt nicht nachhaltig, aber die Situation scheint ja dann doch nicht so simpel zu sein, wie man sich das im allgemeinen so zusammenreimt.

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Verfasst von:

Michael S

Randelhoff Martin

Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
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