Straßenverkehr Studien Verkehrssicherheit

Kinder schätzen Geschwindigkeiten ab 30 km/h falsch ein

Artikelaktualisierung Zukunft MobilitätWelche Geschwindigkeit sollte innerhalb von Städten gefahren werden? Dies ist ein stark diskutiertes Thema und eventuell führt die hier vorgestellte Studie neue Sachargumente in die Diskussion ein.

Eine Studie von Wissenschaftlern der Royal Holloway, University of London, belegt, dass Grundschulkinder eine maximale Geschwindigkeit von 30 Kilometern pro Stunde richtig einschätzen können. Dies hat eine immense Bedeutung für die Straßenverkehrssicherheit.

Die Wissenschaftler haben für ihre Untersuchungen die Wahrnehmungsschärfe von über 100 Grundschulkindern zwischen sechs und elf Jahren gemessen. Aus den Messergebnissen konnte die maximale Geschwindigkeit, welche von diesen Kinder erkannt werden kann, berechnet werden.

Man kann sich dies folgendermaßen vorstellen: Wenn man am Straßenrand steht und versucht die Entfernung und die Geschwindigkeit herannahender Fahrzeuge zu schätzen, kann dies mitunter sehr schwierig sein. Das Gehirn erhält nur sehr wenige verlässliche Informationen, mit denen es die Entscheidung “gehen oder stehen bleiben” treffen kann. Eine der wenigen Parameter zur Einschätzung der Entfernung eines Fahrzeuges ist die Größe des Objekts. Eine der wenigen Messgrößen für die richtige Einschätzung der Geschwindigkeit ist die Geschwindigkeit mit der sich der visuelle Eindruck vergrößert, das sogenannte “Looming”. Bewegt sich ein Objekt genau auf uns zu, expandiert das Flussfeld zentral und symmetrisch. Aus dem relativen Anwachsen der Abbildung in der Zeit (Expansionsrate) lässt sich der Zeitpunkt der Kollision bestimmen.

Alle Menschen haben eine bestimmte visuelle Grenze, bis zu welcher sie den “Looming”-Effekt richtig einschätzen können. Des Weiteren erscheint die Expansionsrate bei schnelleren Objekten geringer zu sein als bei langsamen. Ein Fahrzeug A, welches die doppelte Geschwindigkeit von Fahrzeug B fährt, muss für die Ankunft im Punkt X zum identischen Zeitpunkt wie Fahrzeug B, doppelt so weit entfernt sein. Somit erscheint Fahrzeug A vom Punkt X aus kleiner. Dadurch wird auch die Looming-Rate geringer. Dies ist der Grund, warum weit entfernt Autos aussehen, als ob sie stehen würden.

Die Ergebnisse der Messung zeigten, dass Erwachsene eine maximale Geschwindigkeit von bis zu 80 km/h eines auf sie zu fahrenden Autos richtig einschätzen können. Bei den untersuchten Kindern kam es jedoch zu erheblichen Abweichungen, sobald ein Auto schneller als 30 km/h fuhr und weniger als fünf Sekunden entfernt war (ein Grundschulkind braucht etwa fünf Sekunden um eine normal breite Straße zu überqueren).

Professor John Wann, der die Studie durchgeführt hat, schließt ein Aufmerksamkeitsproblem als Ursache für die Fehleinschätzung aus. Auf kurze Entfernung können Kinder Geschwindigkeiten aus körperlichen Gründen nicht richtig einschätzen. Bis zum Alter von etwa sieben Jahren sieht ein Kind ein großes Auto – beispielsweise einen Lastwagen – immer näher, als einen kleinen Wagen, der genauso weit entfernt ist. Erst wenn das räumliche Sehen mit etwa neun Jahren ausgereift ist, kann ein Kind erkennen, ob verschieden große Autos gleich weit entfernt sind. Drei- bis Vierjährige können durch einfaches Hinsehen nicht einmal ein fahrendes Auto von einem stehenden Auto unterscheiden, geschweige denn die Geschwindigkeit richtig einschätzen.

Diese Fehleinschätzung von Geschwindigkeiten suggeriert Kindern, dass insbesondere Autos, die mit 50 – 65 km/h auf sie zu fahren, weiter entfernt sind, als sie es in Realität sind. Daher neigen Kinder bei diesen Geschwindigkeiten zu besonders gefährlichen Straßenüberquerungen. Durch die hohen Geschwindigkeiten sind für die Autofahrer lange Bremswege und für die Kinder schwerste Verletzungen verbunden.

Der effektivste Schutz für Kinder ist daher eine Anpassung der Geschwindigkeit auf maximal 30 km/h. Eine anderthalb Kilometer lange Fahrt dauert bei einer Geschwindigkeit von 30 km/h nur 60 Sekunden länger als eine Fahrt mit einer Geschwindigkeit von circa 50 km/h.

Vielleicht sollten Autofahrer darüber kurz nachdenken. Insbesondere wenn sie an Kindergärten, Spielplätzen oder Schulen vorbeifahren.

Aktualisierung – 10.05.2014

Den falschen Begriff “Stundenkilometer” gegen die korrekte physikalische Einheit [km/h] ausgetauscht.

Anonymous

Randelhoff Martin

Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
Ist interessiert an innovativen Konzepten zum Lösen der Herausforderungen von morgen insbesondere in den Bereichen urbane Mobilität, Verkehr im ländlichen Raum und nachhaltige Verkehrskonzepte.

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Michael S
Michael S
12. Mai 2014 10:57

“Vielleicht sollten Autofahrer darüber kurz nachdenken. Insbesondere wenn sie an Kindergärten, Spielplätzen oder Schulen vorbeifahren.”

Das ist besser nichts, was man dem Nachdenken von Verkehrsteilnehmern überläßt. Mit Nachdenken haben erfahrungsgemäß viele Menschen zuzeiten ein Problem.

Besser wäre (überwachtes) Tempo 30, überall wo viele Menschen rumlaufen.

Samuel Albert
Samuel Albert
Reply to  Michael S
25. März 2017 22:51

Überall Tempo 30 halte ich für den falschen Weg. Das ist ein Rückschritt. Seit Jahrzehnten fahren wir problemlos innerorts 50, warum jetzt rückwärts gehen? Die Zahl der Verkehrsopfer ist seit Jahren rückläufig, die Autos werden moderner und sicherer, also ist doch kein Handlungsbedarf, um die Höchstgeschwindigkeit zu senken. Dann dauern ja alle Fahrten noch länger. Aber alle Behörden, Arbeitgeber usw. erwarten trotzdem stets Pünktlichkeit zu Terminen, Vorladungen, Dienstbeginn usw. 30 km/h sind so langsam, wenn man ein leises, modernes Auto hat, denkt man fast, man bleibt gleich stehen. Da fahre ich nach Gefühl automatisch immer schneller und muss ständig auf den Tacho starren und mich zum Schleichen zwingen. Wenn ich auf den Tacho schaue, schaue ich nicht auf die Straße. Ein guter Kompromiss, wie ich finde, wäre: Innerorts generell 40 km/h und dafür Abschaffung der Tempo 30-Zonen und Abschaffung der Rechts-vor-Links-Regel. Dann kann man endlich gleichmäßig und umweltschonend mit 40 km/h fahren, ohne ständig auf die Bremse latschen zu müssen, weil jemand von rechts kommt, der sowieso auch anhalten und schauen muss.

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Verfasst von:

Randelhoff Martin

Randelhoff Martin

Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
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