Die anhaltende Diskussion über Angebote wie UberPop, WunderCar, SideCar und deren problematisches Verhältnis mit Taxiunternehmen und deren Verbänden wird gerne als Kampf zwischen jungen innovativen Unternehmen der “sharing economy” gegen etablierte und womöglich aus der Zeit gefallene, staatlich regulierte Monopolisten hochstilisiert. Problematisch an der Diskussion ist jedoch, dass ein sachgerechter und objektiver Austausch von Argumenten nicht möglich ist.
Ursächlich für die Problematik ist unter anderem eine klare Abgrenzung und Definition des Begriffs Ridesharing. Anbieter wie UberPop, Lyft und Sidecar nehmen für sich in Anspruch “Ridesharing-Anbieter” zu sein oder werden aus Unkenntnis von den Medien als solche bezeichnet. Eine Definition und Abgrenzung der einzelnen Begriffe zeigt jedoch, das dies mitnichten der Fall ist.
Definition Ridesharing
Unter Ridesharing – ein Synonym für Carpooling – versteht man das Bilden von Fahrgemeinschaften mit einem privaten Pkw für einen spezifischen gemeinsamen Weg. Der Kraftfahrzeugbesitzer bestimmt, ob und mit welchem Ziel eine Fahrt unternommen wird. Die Fahrt findet auch statt, wenn keine dritte Person mitfährt oder wenn nur Personen mitfahren, die nicht über eine Ridesharing-Plattform vermittelt wurden. In der Regel werden die Fahrtkosten geteilt oder über abwechselnde Fahrten gegenseitig verrechnet.
– Eigendefinition “Ridesharing”
Die klassische Form des Ridesharing / Carpooling ist die Mitnahme von Arbeitskollegen / -kolleginnen zur Arbeitsstelle oder von Kindern aus der Nachbarschaft zur Schule / Sportverein und zurück. Hierbei wird oftmals zwischen den jeweiligen Fahrern / Pkw rotiert, ein monetärer Ausgleich fließt nicht zwingend.
Das Ziel auf persönlicher Ebene ist in den meisten Fällen die Senkung der persönlichen Kosten der Ortsveränderung. Weitere persönliche Ziele können im ökologischen Bereich zu finden sein. Aus Gesellschaftssicht ist die Reduktion des motorisierten Individualverkehrs durch die Bündelung mehrerer Pkw-Fahrten zu einer einzelnen Fahrt das Ziel (siehe auch: Geschichte des Carpoolings in den USA). Durch eine Erhöhung des Besetzungsgrades (Besetzungsgrad im Berufsverkehr: 1,1 Personen / Pkw1) werden Pkw-Fahrten mit den jeweiligen internen und externen Kosten vermieden.
Bei einigen Plattformen stellt sich die Frage, ab welchem Zeitpunkt Anbieter den Definitionsbereich eines Fahrtanbieters im Rahmen einer Ridesharing-Plattform verlassen und eher den Charakter eines unregulierten Taxianbieters aufweisen.
Da dies aufgrund des Aufbaus der Plattformen und des Servicedesigns schnell der Fall sein kann, werden Angebote wie UberX, Lyft und SideCar beispielsweise in Kalifornien als “Transportation Network Companies” (kurz: TNCs) und nicht als Ridesharing-Plattformen bezeichnet.2
Angebote wie UberPOP / UberX oder WunderCar können in bestimmten Konstellationen gar dem originären Ziel des Ridesharings, einer Reduktion der Verkehrsmenge, zuwiderlaufen. Indem die Möglichkeit besteht, höhere Fahrpreise als die Betriebskosten der spezifischen Fahrt anzusetzen, besteht die Möglichkeit der Gewinnerzielung (→ Problematik Personenbeförderungsgesetz). Pkw-Nutzer, welche ihre Fahrt bei UberPop anbieten, können ihre Preise gar nicht frei festlegen. Diese werden unabhängig vom Pkw-Modell und den spezifischen Betriebskosten pauschal festgesetzt.
Anbieter, welche bei UberPop, WunderCar und anderen Plattformen Fahrten anbieten und einen Preis erzielen, welcher über den Betriebskosten des Pkw liegt, können einen Nebenverdienst erzielen. Diese Zusatzeinnahmen werden jedoch nicht ausschließlich auf Wegen generiert, welche der Fahrzeugführer ohnehin zurückgelegt hätte. Vielmehr legt der Fahrgast das Ziel der Fahrt fest. Derartige Angebote fallen nicht mehr unter den Begriff des “Ridesharing”, sondern vielmehr unter den Begriff des “Rideselling”.
Definition Rideselling
Unter Rideselling versteht man das Anbieten von Fahrten in einem privaten Pkw. Der Fahrgast bestimmt, ob und mit welchem Ziel eine Fahrt unternommen wird. Anbieter und Nachfrager einer Mitfahrt werden über eine (Online-) Plattform miteinander verbunden. Für die Vermittlungsleistung kann eine Provision anfallen. Die Fahrt würde ohne die Nachfrage eines Dritten nicht stattfinden. Das Entgelt einer Fahrt wird entweder bilateral zwischen Fahrer und Mitfahrer oder unilateral durch den Anbieter der Fahrt oder den Betreiber der Plattform festgelegt. Der Fahrpreis kann dabei die spezifischen Betriebskosten der Fahrt übersteigen.
– Eigendefinition “Rideselling”
Bei einer Bewertung von Anbietern und Plattformen wie Lyft, UberX, Sidecar, Wingz, Summon, Haxi, Carpooling.com, BlaBlaCar, flinc, Match Rider und WunderCar sollte stets geprüft werden, ob es sich bei dem jeweiligen Angebot (noch) um “Ridesharing” oder (schon) “Rideselling” handelt.
Ebenso wenig wie eine Fahrt mit einem Taxi nicht als Ridesharing bezeichnet wird, sollten Fahrten, welche nicht den grundlegenden Charakteristika des Ridesharing entsprechen, derart bezeichnet werden. Vielmehr sollten auch in Deutschland und Europa die Unterschiede zwischen beiden Formen der “Mitfahrt” herausgearbeitet, spezifiziert und ganz im Sinne des Fahrgastes und des Verbraucherschutzes, ebenso wie zum Schutz des Fahrtanbieters, entsprechende Regularien und Grundvoraussetzungen von staatlicher Seite beschlossen werden.
Disclosure: Uber war im Jahr 2013 Partner des von mir veranstalteten Future Mobility Camps Berlin.
- Vgl. FGSV (FORSCHUNGSGESELLSCHAFT FÜR STRAßEN- UND VERKEHRSWESEN) 2006: Hinweise zur Schätzung des Verkehrsaufkommens von Gebietstypen. Köln ↩
- DECISION ADOPTING RULES AND REGULATIONS TO PROTECT PUBLIC SAFETY WHILE ALLOWING NEW ENTRANTS TO THE TRANSPORTATION INDUSTRY – http://docs.cpuc.ca.gov/PublishedDocs/Published/G000/M077/K112/77112285.PDF ↩
Hi Martin,
könntest Du bitte noch ridehailing zuordnen?
Herzlichen Dank schonmal!
Hallo Martin
Gehören herkömmliche Taxis deiner Meinung nach auch zum Rideselling? Interessiere mich sehr für deine Argumente, denn ich schreibe eine Projektarbeit über die Sharing-Economy und deren Mobilitätsdienstleister in der Schweiz.
Grüsse
Matthew
Hallo Matthew,
vom Prinzip und insbesondere bezüglich des Ergebnisses für den Kunden sind sich Rideselling und klassisches Taxi sehr ähnlich. Ich sehe aber bei den folgenden Punkten dennoch Unterschiede:
Viele Grüße,
Martin
Hallo Martin
Vielen lieben Dank für deine Rückmeldung. Das sind auch für mich klare Unterschiede zwischen Taxis und Rideselling.
Viele Grüsse
Matthew
Hallo Martin,
wie wärs wenn Du in diesem Rahmen auch mal auf die kostenfreien Portale zur Vermittlung von Fahrgemeinschaften und Mitfahrgelegenheiten hinweist. Dort stellt sich mE die Frage zwischen Ridesharing oder Rideselling schon überhaupt nicht, u.a. weil die Fahrer/ Mitfahrer z.B. direkt miteinander kommunizieren können ohne dass ein Dritter an der Fahrt mitverdient. Die Meisten dieser Portale findest Du z.B. unter http://www.fahrtfinder.net
Würde mich zum Wohle der Gesellschaft und Umwelt freuen.
Gruss
Sven
Hallo Sven,
solche Portale sind natürlich noch besser, weil hier eindeutig die Sache und der Idealismus und weniger das Geld verdienen im Vordergrund steht. *daumen hoch*
Aus meiner Sicht muss ich aber sagen, dass eine Beschäftigung mit Uber & Co. sowie der Konflikt Ridesharing versus Rideselling aus verkehrswissenschaftlicher Sicht sehr interessant ist und daher in diesem Blog ausführlich behandelt wird. Ist ja nicht nur ein deutsches Phänomen, sondern ein internationales…
Viele Grüße,
Martin
Hallo Martin,
wie wäre denn flinc hier einzusortieren? Sicherlich ist das Angebot in erster Linie auf tatsächliche Ridesharing-Angebote ausgelegt, aber das System wäre doch wohl auch geeignet, Fahrten zu vermitteln, die eher dem Rideselling zuzuordnen sind. Ich habe den Eindruck, dass man dort im Zuge der aktuellen Diskussion um Uber & Co. die Füße stillhält und einfach wie bisher weitermacht. Täuscht das?
Gruß
Martin
Hallo Martin,
flinc selber verortet sich ja eindeutig im Bereich Ridesharing: https://twitter.com/flinc/status/492687529943252992
Generell kann man davon ausgehen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um Ridesharing handelt, mit der Distanz einer Fahrt zunimmt. Mitfahrgelegenheit.de / Carpooling.com, Blablacar & Co. haben daher eher nicht das Problem mit Rideselling, weil sich dies aufgrund der Preisstruktur (~6 € je 100 km) und der häufig nur einseitig gerichteten Nachfrage nicht lohnt.
flinc positioniert sich ja mittlerweile als Anbieter für den ländlichen und suburbanen Raum auf Strecken bis 100 km. Je Fahrtminiute sind 0,12 Euro zu bezahlen, maximal können also 7,20 € in einer Stunde erlöst werden. Nach Abzug der Fahrzeugkosten bleibt da nicht mehr viel übrig, sodass das Geschäftsmodell für Fahrer mit Gewinnerzielungsabsicht kaum bzw. gar nicht attraktiv ist.
Ich würde also behaupten, dass es bei reiner Betrachtung des Servicedesign theoretisch zu Rideselling kommen könnte, dies jedoch in Praxis aufgrund der Preisstruktur äußerst unwahrscheinlich ist.
Hoffe, geholfen zu haben!
Viele Grüße,
Martin
PS: Die Frage ist natürlich noch, ob Rideselling überhaupt etwas schlechtes ist. Für den ländliche Raum benötigen wir ja zukünftig flexible Bedienformen, welche auch einen Anreiz zur Mitnahme bieten. Nur mal so als Einwurf…