Über die letzten Jahrhunderte haben Stadtplaner verschiedene Ideen, Konzepte und städtebauliche Leitbilder entwickelt und zu Teilen verwirklicht, welche die Strukturen heutiger Städte maßgeblich prägen.
Ein wichtiges städtebauliches Leitbild nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war die autogerechte Stadt. In der autogerechten Stadt sollten sich alle Planungsmaßnahmen dem ungehinderten Verkehrsfluss des Autos unterordnen, das damit zum neuen Maß aller Dinge wurde. Vor allem sollte dies in Verbindung mit klaren Flächenzuweisungen und einer Nutzungsentmischung erfolgen.
Ursprünglich umfasste die Idee einer autogerechten Stadt, wie beispielsweise im 1959 veröffentlichten Buch „Die autogerechte Stadt. Ein Weg aus dem Verkehrs-Chaos” des Stadtplaners Hans Bernhard Reichow beschrieben, weitaus mehr als eine Ausrichtung der Planung am motorisierten Individualverkehr bei gleichzeitiger Unterordnung nicht-motorisierter Verkehrsträger.
Vielmehr verfolgte er das “Ideal einer durchgrünten Siedlung am Stadtrand, die durch Beruhigung und Eindämmung des zunehmenden Verkehrs die sich abzeichnenden Probleme der Massenmotorisierung vermeiden sollte. Zu seinen praktischen Forderungen gehören die Trennung von Fußwegen und Autostraßen, ein kreuzungsfreies und knotenarmes Verkehrsnetz, die Vermeidung von Verkehrsschildern und Ampeln, Ruhe und Zurückgezogenheit als zentrale Wohnqualitäten.” (Quelle)
In Realität ergab sich jedoch der Bau mehrspuriger Hauptverkehrsstraßen durch und um die Städte, von Unterführungen für den Fuß- und Radverkehr, Parkhäusern im Innenstadtbereich und Tunnelanlagen für den öffentlichen Nahverkehr. Meistens verbunden mit erheblichen Eingriffen in vorhandene Bausubstanz und historisch gewachsene Stadtstrukturen.

Bei den Planungen wurde jedoch häufig der Mensch aus dem Blick verloren. Die starke Fokussierung auf den motorisierten Individualverkehr erzeugte eine Vielzahl von Problemen, die auch heute noch existent sind: eine hohe Belastung mit Feinstaub und anderen Luftschadstoffen, Lärm, hohe Gesundheitskosten, die Gefährdung von schwachen Verkehrsteilnehmern wie Fußgänger und Radfahrer, ein hoher Flächenverbrauch, eine hohe Trennwirkung durch breite sowie stark befahrene Straßen und Verkehrswege, teure Instandhaltungskosten für das Straßennetz und die Tunnel, welche für die Trennung des MIV und ÖPNV errichtet wurden, eine starke Erdölabhängigkeit, Bewegungsmangel, Zersiedelung und hohe Mobilitätsausgaben, eine hohe Abhängigkeit vom Pkw als Garant für soziale Teilhabe einhergehend mit einem wachsenden sozialen Ungleichgewicht, ein hoher volkswirtschaftlicher Schaden durch Stauzeitverluste, Zerstörung von Einzelhandelsstrukturen durch das Entstehen von großen Einkaufszentren auf der grünen Wiese, usw.
Anhand der Vielfalt und dem Umfang der vorhandenen Probleme ist es sehr wohl diskussionswürdig, ob unsere Städte heute noch funktionieren und in Zukunft noch funktionieren werden.
Das Beruhigende ist jedoch, dass Städte niemals “fertig” sein werden, sondern einem steten Wandel unterworfen sind. In einer vernetzten Welt haben Städte die einmalige Chance von den Erfahrungen anderer Städte zu lernen und Fehler zu vermeiden (Im Video: Kanada und Kolumbien). Denn das Ideal einer autogerechten Stadt ist mittlerweile dem Ideal einer menschengerechteren Stadt gewichen. Es ist nun an der Zeit, dieses Ideal auch umzusetzen.
Das sind unglaublich Tolle Beiträge hier in den Kommentaren. Aber es wäre so viel schöner, wenn man sich einfach treffen würde und dergleichen von Angesicht zu Angesicht besprechen würde …. tut was dagegen!
Dafür haben wir ja die Future Mobility Camps… ;-)
http://future-mobility-camp.de
Naja, gerade das Beispiel Hamburg ist jetzt eine sehr einseitige Betrachtung a la cum hoc ergo propter hoc. Gerade historisch ist die Rolle der Politik dort eine andere und von Donyahni ging’s darum, die wirtschaftlichen Geschicke durch das Primat der Politik zu lenken, nachdem die Stadt über Jahrzehnte Einwohner und Betriebe verlor. Daher war auch kein nennenswerter Bedarf nach sozialem Wohnungsbau, da die Mieten erst durch den später eingetretenen Zuzug von Bürgern anstiegen. Da hätte in den 2000ern von von Beust mehr geschehen müssen, ggf. auch von Runde in den späten 90ern.
Investorenarchitektur ist übrigens ein sehr polemischer Begriff, den zumindest ein Planer nicht verwenden sollte. Zudem betrifft er nur wenige Teile der Hafencity, wo man natürlich auch hochpreise Wohnungen anbot, um soziale Wohnungen querfinanzieren zu können und Druck von anderen Stadtteilen (Ottensen, Eimsbüttel, Winterhude, …) zu nehmen. In der Raumentwicklung bietet es sich an, systemisch/ganzheitlich zu denken und daraus Erklärungen für Einzelmaßnahmen abzuleiten statt sich Einzelaspekte herauszupicken und davon aufs Ganze zu schließen. Genau dafür gibt’s ja seit wenigen Jahrzehnten planungswissenschaftliche Studiengänge in Deutschland.
Und die Raumentwicklung ist auch weniger ein Aspekt des Städtebaus, nur letztlich nur die Haut der Stadtplanung ist, aber nicht Hirn und Herz, falls das nun nicht zu schnulzig klingt. ;-) Gerade in Sachen Konversion kann man schlecht von Flächeninanspruchnahme (“verbraucht” werden können Flächen nicht) sprechen, da es sich nur um eine Umwidmung handelt. Gerade die Hafencity ist da ein recht schönes Beispiel, wo man innerstädtische Brachflächen, die zuvor von Hafenbetrieben genutzt wurden, in Wohn- und Gewerberaum sowie Parks, Hochschulen, Unterhaltung etc. umwandelt.
Wie auch immer: Ich find die Frage ziemlich gut, da ich es persönlich immer abgelehnt hab, wenn einzelne Fachleute (egal ob Planer, Politiker, Unternehmer, Sozialverbände oder wachstumskritische Umweltschützer) sich angemaßt haben, für die Allgemeinheit zu sprechen und z.B. festzulegen, welche Bedürfnisse denn jedes Individuum hat bzw. zu haben hätte.
Schaut man sich repräsentative Umfrage aus deutschen Metropolen an, dann zeigt sich, dass die Bürger in der Regel sehr zufrieden mit ihrem Umfeld sind und gleichzeitig kulturoptimistisch bzw. zuversichtlich hinsichtlich der Zukunft. Wieso sollte man da in die Diskussion hereinplatzen und den Menschen nörgelnd mitteilen, dass alles so schrecklich meinschenunwürdig oder gar -feindlich sei? Man kann einen hohen MIV-Anteil natürlich aus eigener Überzeugung ablehnen, aber dafür muss man Menschen nicht zu ihrem Glück zwingen. Selbiges für “soziale Verwerfungen”, wie sie genannt werden. Gerade in Metropolen gibt’s häufig recht große Unterschiede in Sachen Einkommen zwischen einzelnen Quartieren. Jedenfalls relativ zum suburbanen und auch ländlichen Raum, der eher homogen ist. Aber gerade Vielfältigkeit zieht dennoch viele Menschen an, die Homogenität und fehlende Gegensätze als langweilig empfinden und unter Leben vor allem lebendige Metropolen verstehen, mit allen Ecken und Kanten. Man kann ja gerne im Wedding (oder auf der Veddel) Bürger fragen, was aus ihrer Sicht geändert werden sollte. Themen, die wohlhabende Viertel wie Zehlendorf oder die Elbvororte ansprechen, wird man da kaum hören. Das heißt natürlich nicht, dass sich die Stadtpolitik (z.B. durch sozialen Wohnungsbau) nicht auch um ärmere Bürger kümmern sollte. Gerade in Sachen Mieten gibt es viele Verunsicherungen. Aber die Gesellschaft auf dem Papier zu spalten, um anschließend eigene Partikularinteressen als eierlegende Wollmilchsau zu präsentieren, hat noch nie etwas erreicht. Kann man ebenfalls doof und langweilig finden, aber so ist der Mensch halt.
Daher ist es sehr sinnvoll, dass sich Planer heutzutage weniger als Top-Down-Experten sehen, sondern viel mehr als Vermittler zwischen verschiedenen Interessen, um in einer Demokratie nicht nur populäre Mehrheitsentscheidungen oder weltverbessernde Minderheitsmeinungen durchzuboxen, sondern einen Konsens zu finden, sofern möglich. Ein Planer ist ein Begleiter, der mit seinem Wissen einschätzen kann, ob diverse Maßnahmen überhaupt realistisch sind. Und nicht jemand, der sich in seine Position hereinkämpft, um sich selbst durch eigene Vorlieben/Projekte zu verwirklichen, auch wenn es das Anliegen vieler älterer Planer war, die eher aus Architektur, Geographie und Bauingenieurwesen stammten. Deren Qualifikation möchte ich keineswegs schlechtreden, sondern hab Hochachtung vor ihrem Können. Bloß setzte man sie auf Positionen mit Leistungsanforderungen, für die sie nie ausgebildet wurden. Genauso ist ein Planer in Städtebau und Architektur eher schlecht als recht aufgehoben. Arbeitsteilung halt.
Wobei “top down” nicht per se schlecht ist. Viele Bürger stellen einen Anspruch daran, dass sich Politik und Verwaltung um Verkehrsprobleme gefälligst zu kümmern haben und sie dafür ja Steuern zahlen. Nicht jeder hat Zeit, Lust und Wissen, um sich in partizipativen Verfahren einzubringen. Das heißt aber nicht, dass seine Anliegen deshalb zu vernachlässigen sind, was wiederum Aufgabe eines Generalisten ist. Gerade im Falle New York sieht man ja auch das, was sich zunehmend in Deutschland abzeichnet. Die Teilnehmer sind meist weiße Akademiker ab 40. Klischeehaft wäre es das Lehrerpärchen oder der pensionierte Arzt oder Anwalt, der mit Ausdauer und Lautstärke seine Interessen durchbringen möchte. Die junge, migrantische Frau ohne höhere Bildung findet sich bei solchen Bürgerworkshops selten wieder, was häufig weniger an Desinteresse liegt, als viel mehr der Angst, sich nicht anständig artikulieren zu können und unter den (vermeintlichen) Experten unterzugehen. Genau dort sollte aber auch ein Planer ansetzen und versuchen zu ermitteln, wie das gesamte Meinungsbild/Stimmungslage ist.
So, mein Bier dazu. ;-)
Vielen Dank für “dein Bier” zum Thema. Es sind einige sehr intelligente und wichtige Aspekte dabei. Meine “Schnoddrigkeit” hinsichtlich der Hamburger Verhältnisse in den Bereichen Politik und Stadtplanung bitte ich zu entschuldigen. Subjektive Wahrnehmung ohne Wissen von Hintergründen und eine mangelnde ganzheitliche Betrachtung. Die Hafencity fiel mir persönlich negativ auf: Sehr wenig Grün (-> Spinnenproblem ist ja bekannt), architektonisch so lala, abseits der Bürostunden relativ leer. Ist aber nur meine subjektive Wahrnehmung aus einigen Besuchen. Weder habe ich mich dort länger aufgehalten (an einem Oft mehrere Tage zu verbringen, bringt mich in Sachen Wahrnehmung immer weiter, häufig ändere ich auch meine Meinung ins Positivere), noch habe ich mich mit den Zusammenhängen und der Historie eingehender beschäftigt. Hätte ich vielleicht etwas anders formulieren können…
Zum Thema: Ich denke, wir können einen Konsens darüber finden, dass jeder Stakeholder primär seine eigenen Interessen durchsetzen möchte. Mit Ausnahmen wird dies nicht öffentlich, d.h. im Sinne von offen, versucht, sondern indem man seine subjektive Meinung / Pläne in einem Allgemeininteresse oder dem Interesse einer Gruppe versteckt. Dies erzeugt Gewicht in einer Diskussion und bei der Konsensfindung.
Man kann an dieser Stelle sicherlich auch darüber diskutieren, ob Planer eine eigene Haltung haben sollten bzw. diese in Planungsprozesse einbringen dürfen oder ob ihre Rolle nicht auch im öffentlichen Bereich rein auf die eines ausführenden Werkzeugs beschränkt sein sollte. Bei privaten Vorhaben haben Planer primär den Willen des Eigentümers umzusetzen und nicht ihre Kreativität auszuleben. Auf dem Papier gilt das auch für den öffentlichen Raum. Planungsbüros wie die Verwaltung haben den Vorgaben demokratisch legitimierter Vertreter zu folgen – und dies zu 100 %. Denn nur diesen Rahmen gibt das Grundgesetz vor. Theoretisch könnte man sogar unterstellen, dass informelle Bürgerbeteiligungsprozesse, welche nicht den Vorgaben und Zielen regulär gewählter Volksvertreter folgen, nicht planungsrelevant sein dürfen. Denn hier beeinflusst eine kleine Gruppe (weiß, 40+, akademischer Hintergrund) den Volkswillen über Gebühr. Die Demokratisierung der Planungsprozesse ist somit ja eigentlich undemokratisch.
In Theorie müsste die Planung stets nach Mehrheitsmeinung planen, d.h. in Deutschland exakt nach dem Willen der Volksvertreter in einer Gebietskörperschaft. Die Mehrheitsmeinung wird natürlich durch entsprechende Gesetzgebung, übergeordnete Ziele und die Grundrechte (insb. Art. 4 GG) flankiert, welche alle wiederum demokratisch legitimiert sind und als Ergebnis einen Teil der Vorhaben bereits unmöglich machen dürften. Als Stadt, Land oder Nation muss man dann aber auch einhergehend mit wechselnden Mehrheiten mit anderen Zielen und Strategien umgehen können. Mir stellt sich hier nur die Frage, ob es bei sehr langfristigen Planungen nicht zu einer demokratischen Legitimierungslücke kommt, wenn Beschlüsse für mehrere Jahre / Jahrzehnte bindend sind (Bestandsschutz, Rechtssicherheit, usw.) und viel wichtiger, ob diese Lücke überhaupt zu schließen oder gar demokratieimmanent ist? Und welche Rolle spielt der breite Verzicht auf das Wahlrecht bei der Legitimierung?
In Summe müsste man dafür werben, dass insbesondere bei Kommunalwahlen die Kandidaten und Parteien ihre Pläne für eine Kommune oder einzelne Viertel formulieren, erläutern und zur Diskussion stellen. In Theorie bräuchte man hier die stärkste Bürgerbeteiligung. Denn nur an diesem Bereich haben die Bürger unmittelbaren Einfluss auf die Entwicklung einer Kommune für die kommenden vier / fünf Jahre und darüber hinaus. Oder man nutzt doch mehr Elemente der direkten Demokratie. Und landet dann in Abhängigkeit der Wahlbeteiligung wieder bei der Legitimierungsfrage…
Danke Martin, wieder ein guter Beitrag. Es zeigt wieder, dass Verkehrsplanung und Stadtentwicklung immer mehr Einfluss auf das Sozialgefüge einer Gemeinde nehmen.
Aber wie ich auch schon bei der Podiumsdiskussion letztens in Nürnberg angemerkt habe: In Deutschland wird es nicht einfach sein, die faulen und/oder dicken Leuten aus ihrem heiligen Auto zu bekommen…
Hallo Martin, mal etwas provokant auf Deutschland bezogen gefragt: Was ist eigentlich menschengerecht bzw. wer entscheidet darüber? Und inwieweit deckt sich deine Definition als Verkehrsplaner mit dem was der “gemeine” Stadtbewohner darunter versteht; Möglicherweise haben viele Menschen, die in urbanen Gebieten leben und/oder arbeiten, gar kein Problem mit “ihrer” Stadt?!
Hallo Kurt,
ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung wer darüber entscheiden soll oder wie man “menschengerecht” definiert. Sicherlich gibt es einige Kriterien, die erfüllt sein sollten: Sauberes Wasser und saubere Luft, intakter Naturhaushalt, wirtschaftliche Unabhängigkeit, keine sozialen Verwerfungen, soziale Teilhabe, persönliche Freiheit und Entfaltung, usw.
In der Arbeitswissenschaft definiert man “Menschengerechte Arbeit” als ausführbar, nicht schädigend, erträglich und zumutbar sowie persönlichkeitsförderlich. Zu Teilen ist dies sicherlich auch auf das Stadtleben übertragbar, muss aber zu Teilen ergänzt werden.
Der Städtebau wird durch städtebauliche Leitbilder geprägt. Die “menschengerechte Stadt” ist im Gegensatz zur “autogerechten Stadt” kein Leitbild, sondern ein von mir geschaffener Begriff. Er spiegelt zum Teil einen Zeitgeist wieder und muss als Leitbild nicht demokratisch legitimiert sein. Die einzelnen Maßnahmen müssen es jedoch sein. An sich soll das Leitbild eine Orientierungsfunktion, eine Motivationsfunktion und eine Legitimationsfunktion (im Sinne einer Rechtfertigungsygrundlage und Legitimierung) geben. Natürlich kann man beim letzten Punkt darüber streiten, ob Leitbilder daher zwingend demokratisch sein müssen. Weder die “Gartenstadt” noch die “gegliederte und aufgelockerte Stadt” und “Urbanität durch Dichte” wurden als Ziel von der Bevölkerung beschlossen, sondern waren immer Konzepte um planerisch akute Missstände zu lösen. Sei es Industrialisierung mit prekären Verhältnissen und der Bildung von Slums oder ein in Trümmern liegendes Deutschland nach dem 2. Weltkrieg.
Heutige Probleme liegen vor allem im Flächenverbrauch, dem Verlangen nach einer effizienten Nutzung von Infrastruktur und den oben im Artikel aufgeführten Problemen durch die starke Abhängigkeit und Fokussierung auf den Individualverkehr. Städtebauliche Lösungen sind daher die kompakte Stadt mit kurzen Wegen und einer hohen Attraktivität für zu Fuß gehende und mit dem Rad fahrenden Menschen sowie neue Achsenmodelle, in denen sich Städte entlang von Verkehrsachsen entwickeln (insbesondere SPNV-Achsen).
Die fehlende direkte demokratische Legitimation von Leitbildern, welche durch top-down-Prozesse entwickelt wurde, ist in Theorie ein Problem, in der Praxis jedoch nicht wirklich von Belang. Man kann zudem darüber streiten, ob diese Leitbilder nicht zumindest indirekt legitimiert sind. Lokal stellt meistens der Oberbürgermeister diese Leitbilder auf und verfolgt diese in seiner politischen Zielsetzung. Die Bevölkerung weiß also zumindest zum Zeitpunkt der OB-Wahl und spätestens zur Wahl des Stadtparlaments – welches ja die Umsetzung demokratisch beschließen muss – von der Zielsetzung. Der damalige Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi hatte zu seiner Regierungszeit die Vorstellung die Stadt als ökonomischer Einheit (“Unternehmen Hamburg”). Folge war die Einführung des Stadtmarketings und die Einführung eines rationalen ökonomischen Verständnisses. Mit dem negativen Effekt weniger Sozialbauwohnungen und einer starken Ausrichtung auf Investorenarchitektur (Beispiel: HafenCity).
Zurück zum Thema: Viel spannender ist an dieser Stelle die Frage, ob es überhaupt möglich ist, Stadtentwicklung nach gewissen Kriterien übergeordnet mit der Bevölkerung zu diskutieren und zu beschließen (bottom-up). Und wie hoch muss der Abstraktionsgrad sein? Schließlich sind Menschen Besitz- und vor allem Zustandswahrer, d.h. der Veränderungsdruck muss groß genug sein, um Änderungen freiwillig zu akzeptieren bzw. gar einzufordern. Da die negativen Folgen der starken MIV-Orientierung jedoch nicht unmittelbar zu spüren sind, wird dieser Druck nicht entstehen. Wenn überhaupt ist es ein schleichender Prozess, dessen Folgen auch nicht unbedingt dem Verkehr zugerechnet werden (Beispiele: kürzere Lebenserwartung durch Luftverschmutzung, Zersiedelung, Folgen von Verkehrsunfällen, ein Ausbluten der Innenstädte und ein Niedergang des Einzelhandels, etc.)
Im Verkehrsbereich würde ein Änderungsdruck nur bei einem massiven Anstieg des Ölpreises oder der Energiepreise im Allgemeinen entstehen. Alles andere betrifft nicht persönlich und unmittelbar.
Das große Problem ist jedoch, dass z.B. ein Ölpreisschock die Grundfeste unseres Wohlstands angreifen würde und wir unsere Strukturen nicht schnell genug adaptieren können. Aus diesem Grund ist meiner Meinung nach eine vorsorgende und eventuell auch teilweise bevormundende Planung notwendig. An dieser Stelle sei auf das Buzzword “Resilienz” verwiesen: https://www.zukunft-mobilitaet.net/40882/analyse/resilienz-infrastruktur-stadt-wirtschaft-zukunft-resiliente-infrastrukturen/ Im Artikel finden sich auch einige Planungsprinzipien, die meiner Meinung nach umgesetzt werden müssten.
Und vielleicht ist der Mittelweg wie so oft doch der Beste. Ich halte persönlich wirklich sehr viel vom New Yorker PlaNYC (http://www.nyc.gov/html/planyc/html/about/about.shtml) Gemeinsam mit der Bevölkerung wurden übergeordnete Ziele für das Jahr 2030 festgelegt und von der Verwaltung konkretisiert und in Einzelpläne aufgesplittet. Diese werden auf Stadtviertel- und Communityebene weiter diskutiert und verfeinert, dürfen aber nicht von den überordneten Zielen abweichen. Dafür sorgt ein striktes Monitoring. In Freiburg i. Br. gab es meines Wissens vor einigen Jahren einen ähnlichen Plan.
Eventuell ist folgendes Prinzip ja durchsetzbar:
Übergeordnete verbindliche Langfristziele mit Bürgerbeteiligung und demokratisch direkt legitimiert -> Mittelfristige Einzelpläne von der Verwaltung, durch das Stadtparlament indirekt demokratisch legitimiert -> Aktionspläne auf Mikroebene in enger Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung, Beschlüsse und Planungen müssen jedoch den übergelagerten Zielen entsprechen.
Die Antwort war jetzt relativ breit und komplex, letztlich nur eine Verbalisierung meiner Gedanken zum Thema. Ich freue mich, wenn wir das weiter diskutieren könnten. ;-)
Viele Grüße,
Martin
Top, die Frage stelle ich mir auch immer wieder
Das Problem liegt wohl v.a. in der “Schizophrenie” (ich nenne es jetzt einfach mal so…) der Verkehrsteilnehmer/innen, die von einer Stadt Unterschiedliches erwarten, je nach dem, mit welchem Verkehrsmittel sie gerade unterwegs sind (und die meisten sind das ja nicht nur mit einem EINZIGEN!). Insofern ist schon notwendig zu versuchen, einigermaßen “objektive” Kriterien zu finden. Die Schadstoffbelastung gehört da sicher dazu, der Flächenverbrauch u.ä. Und natürlich Kriterien, die signalisieren, dass sich die Menschen WOHL FÜHLEN in ihrer Stadt. Jan Gehl hat darauf ja sehr deutlich hingehiesen. Ein Indikator dafür ist, wie viele alte und wie viele junge Menschen sich im öffentlichen Raum aufhalten.
Den “gemeinen” Stadtbewohner mit identischen Vorstellungen und Wünschen an seine Stadt gibts ja genauso wenig wie eine einheitliche Auffassung darüber bei allen Verkehrsplanern… Trotzdem: Wer zu Fuß geht, wird es meistens nicht besonders schätzen, wenn er an einer Fußgängerampel ewig warten muss oder z.B. an einer Einkaufsstraße nur mit langen Umwegen überhaupt auf die andere Straßenseite kommt, Menschen mit Kinderwagen oder im Rollstuhl werden sich über das Fehlen von Rampen oder Aufzügen ärgern und auch der imposantesten Treppenanlage, Fußgängerunter- oder überführung (selbst wenn dort wie bei dem historischen Bild oben aus Leipzig die Montagsdemonstrationen stattgefunden haben) nicht nur positive Seiten abgewinnen usw. Deshalb ist wahrscheinlich die interessante Frage weniger, ob Verkehrsplaner hierzu eine andere Sicht als andere Stadtbewohner haben, sondern welche Sichtweise aus ihrer eigenen Mobilität und überwiegenden Fortbewegungsart in der Stadt sie auf zu lösende “Verkehrsprobleme” übertragen. Da hat man leider den Eindruck, dass zumindest unter städtischen Verkehrsplanern mit “Durchsetzungsbefugnis” überwiegend Autofahrer sein müssen…
Die Haltung / Einstellung der einzelnen Planer spielt sicherlich eine Rolle, aber ist das in der deutschen durchschnittlichen Kommune wirklich ausschlaggebend? Die endgültige Entscheidung liegt ja im Stadtrat mit den jeweiligen Mehrheiten. Die Verwaltung ist ja nur Entscheidungsvorbereiter. Hinzu kommt, dass die Verwaltung in den letzten Jahren stark geschliffen wurde und mit Ausnahme von einigen Großstädten ein Großteil der Planungsaufgaben an Externe vergeben wird. Aus den 1000 Seiten externer Planung macht der Verwaltungsangestellte dann in sehr kurzer Zeit zehn Seiten Vorlage für die politischen Entscheidungsträger und man kann nur hoffen, dass jeder einzelne Gemeinderat sich damit auch entsprechend auseinander setzt und nicht nur der Fraktionsmeinung gefolgt wird.
Es gibt aber natürlich auch Ausnahmen. Eventuell sollte man sich Leipziger ” Stadtentwicklungsplans (STEP) Verkehr und öffentlicher Raum” etwas näher anschauen. Der Entwurf, der seit 2012 in einem mehrstufigen Gremien-und Bürgerbeteiligungsverfahren diskutiert und der von einem Bürgerwettbewerb “Ideen für den Stadtverkehr” begleitet wurde (http://www.leipzig.de/umwelt-und-verkehr/verkehrsplanung/buergerwettbewerb/), wurde nur leicht verändert durch den Stadtrat beschlossen.
http://www.leipzig.de/umwelt-und-verkehr/verkehrsplanung/?eID=dam_frontend_push&docID=38025 [Achtung! 51 MB]
Hallo Martin,
Menschenrecht ist nach meinen Maßstäben alles was dem Menschen in seinem täglich Leben direkt oder indirekt unterstützt. Das kann die U-Bahn in die Stadt sein oder die Hecke am Straßenrand.
Entscheiden sollte darüber der Mensch. Allerdings versteckt sich hier meiner Meinung nach ein Problem, weil wie Kurt schon richtig sagt finden viele Menschen ihre Stadt gut (obwohl man sie besser machen könnte). Die Schwierigkeit besteht darin Menschen von einer besseren Alternative zu überzeugen. Solange diese die Menschen nicht kennen, bleiben sie bei ihren alten Gewohnheiten. Bestes Beispiel: 2007 brauchte keiner mobiles Internet. Selbst bei der Vorstellung des ersten iPhones war der Applaus eher verhalten (1:50), insbesondere ggü 1:40.
http://youtu.be/ko__M_jZZ2A
Meiner Meinung nach sollten “Experten”, “Visionäre” und Stadtplaner Ideen für die Menschen vorentwickeln und dann MIT den Menschen diese Pläne verfeinern und umsetzen. Wenn am Ende was ganz anderes rauskommt umso besser, aber wenn man die Menschen vor ein weises Papier setzt, kommt nicht viel bei rum. Ich würde dies dann partizipative Planung mit Orientierung nennen. Was meinst du?
In Theorie sind solche Impulse sicherlich goldrichtig. Über Provokationen oder Visionen kann man Menschen sicherlich sehr gut aktivieren. Und das Beispiel mit Steve Jobs und dem iPhone ist ein sehr gutes. Man kann auch Henry Ford mit seinem berühmten Zitat “Wenn ich die Menschen gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt schnellere Pferde.” nehmen. Oder das Sprichwort “was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht.”
Es geht in diesem Bereich aber sicher auch um Balance. Visionen tendieren ja gerne dazu, etwas sehr spacig zu sein. Wenn ein Planer oder Ingenieur aus dem Vollen schöpfen kann, kommt meistens auch etwas Großartiges heraus – zumindest auf dem Papier. Ob es finanzierbar oder durchsetzbar ist, ist etwas anderes.
Hinzu kommt, dass Revolutionäres häufig (bewusst) polarisiert. Und somit Widerstand hervorruft. In diesen Momenten ist eine partizipative Planung aber extrem schwierig. Hier fehlt es auch ein Stück an Planungskultur und eingespielten Prozessen.
Es muss ja heute nicht einmal etwas besonders Innovatives sein, um Widerstand hervorzurufen. Es reicht ja schon die Planung von Freileitungen (z.B. SuedLink), den Bau einer neuen Trasse für die Straßenbahn oder ganz simpel der Wegfall von ein oder zwei Parkständen. Hinzu kommt, dass der Einfluss der Bevölkerung zu Beginn einer Planungsphase am größten ist. In diesen Momenten interessieren sich aber vergleichsweise wenige Menschen. Meistens entsteht der Widerstand erst, wenn eine bis dahin beschlossene Maßnahme im Bau oder in der Umsetzung ist. Und bis dahin können viele Jahre vergehen, sodass die Menschen, die dann betroffen sind nicht unbedingt beteiligt wurden. Hier fehlt auch ein Stück Verantwortung bei Menschen, die bspw. in ein Planungsgebiet ziehen, sich vorab über Planungen zu informieren. Anders kann ich diesen Konflikt nicht lösen, stelle aber diejenigen dann vor die Wahl “alles oder nichts”.
Ich finde eine Planung MIT den Menschen goldrichtig. Anders ist es in einem demokratischen Land auch nicht möglich. Allerdings ergeben sich daraus wieder eine Vielzahl von Fragen, die diskutiert werden sollten… :-)