Alles Wissenswerte zum Thema Pkw-Maut / Infrastrukturabgabe in Deutschland finden Sie in unserem Dossier.
Die Einführung einer Vignette gilt als einfache und schnell zu implementierende Lösung. Sie wird daher von großen Teilen der Politik und Bevölkerung favorisiert. Neben der Vertriebsinfrastruktur muss jedoch auch die Infrastruktur zur Überprüfung auf Einhaltung der Vignettenpflicht aufgebaut werden.
Neben der klassischen Kontrolle mit Personal vor Ort haben sich in den vergangenen Jahren in vielen Ländern technische Lösungen bewährt, die jedoch datenschutzrechtliche Fragestellungen aufwerfen. Oftmals kommt eine flächendeckende fotografische Erfassung passierender Fahrzeuge in Kombination mit einer automatischen Nummernschilderkennung zum Einsatz.
Bereits heute erfassen in Deutschland die Kontrollbrücken, welche zur Kontrolle der Lkw-Maut errichtet wurden, flächendeckend passierende Pkw. Zur Kontrolle einer Vignettenpflicht für Pkw bis 3,5 Tonnen müssten die erstellten Aufnahmen im Vergleich zu heute nicht sogleich gelöscht, sondern weiterverarbeitet werden. Die Forderung nach einer Nutzung bereits existenter Infrastruktur dürfte daher in der Detaildiskussion um die Einführung einer Pkw-Maut mittels Vignette aufkommen.
Die deutsche Maut-Überwachungsinfrastruktur
Der Betreiber der deutschen Lkw-Maut, Toll Collect, verpflichtete sich in seinem Betreibervertrag zur Kontrolle von sieben Millionen Lkw im Jahr. Hierzu wurde ein entsprechender Vertrag mit der Vitronic Dr.-Ing. Stein Bildverarbeitungssysteme GmbH (kurz: Vitronic) über den Aufbau und Betrieb von Kontrollbrücken geschlossen. Das Wiesbadener Unternehmen Vitronic ist ein führender Hersteller im Bereich von Bildverarbeitungssystemen und bietet neben Systemen zur Oberflächen- und Maßinspektion, Systeme zur Texterkennung und Identifikation von Barcodes und 2D-Codes, Systeme zur laserbasierten Kontrolle von Geschwindigkeits- und Rotlichtverstößen auch Systeme zur Mautkontrolle an.
Von allen Fahrzeugen, die sich einer Kontrollbrücke nähern, wird ein Frontalfoto mithilfe einer für den Fahrer unsichtbaren Infrarot-Blitzbeleuchtung aufgenommen und das Kfz-Kennzeichen mittels Nummernschilderkennung automatisch gelesen.
Beim Passieren der Brücke vermisst das Vitronic-Produkt TollCheckerfreeflow mit Hilfe eines 2D-Laserscanners der Sick AG alle Fahrzeuge dreidimensional, ermittelt anhand der gewonnenen Daten ein geometrisches Fahrzeugmodell, bestimmt die Anzahl der Achsen und erkennt Anhänger. Aus diesen Daten ermittelt das System die Fahrzeugklasse und die Zuordnung zu den unterschiedlichen Gebührenklassen. Datensätze von nicht-mautpflichtigen Fahrzeugen wie beispielsweise Pkw werden gemäß § 9 Abs. 5 Bundesfernstraßenmautgesetz sogleich wieder gelöscht (“Bilder und Daten, die im Rahmen der Kontrolle nach § 7 Absatz 2 erhoben und gespeichert wurden, sind unmittelbar nach dem Kontrollvorgang zu löschen, wenn das Kraftfahrzeug nicht der Mautpflicht unterliegt.”), Daten mautpflichtiger Lkw weiterverarbeitet. Hierzu übermittelt das Bordgerät beim Durchfahren einer Kontrollbrücke über eine Infrarotschnittstelle unter anderem das gespeicherte Kennzeichen, die Achszahl und die Schadstoffklasse des Fahrzeugs. Diese Daten werden dann mit den Buchungsdaten der Zentrale verglichen. Datensätze von im System erkannten Mautzahlern werden wieder gelöscht, Mautpreller an Toll Collect zur weiteren Bearbeitung gemeldet.
Das Bundesamt für Güterverkehr und der Betreiber dürfen im Rahmen der Kontrolle folgende Daten erheben, speichern, nutzen und einander übermitteln:
- Bild des Fahrzeugs,
- Name der Person, die das Motorfahrzeug führt,
- Ort und Zeit der mautpflichtigen Benutzung mautpflichtiger Straßen im Sinne des § 1,
- Kennzeichen des Fahrzeugs oder der Fahrzeugkombination,
- für die Mauthöhe maßgebliche Merkmale des Fahrzeugs oder der Fahrzeugkombination.
Diese Daten dürfen ausschließlich zum Zweck der Überwachung der Einhaltung der Vorschriften dieses Gesetzes verarbeitet und genutzt werden. Eine Übermittlung, Nutzung oder Beschlagnahme dieser Daten nach anderen Rechtsvorschriften ist unzulässig.
Würde es nicht heute geltenden Datenschutzregeln widersprechen, könnten mit den durch an Kontrollbrücken erhobenen Daten bereits heute folgende Verwendungsmöglichkeiten angewendet werden:
- Erstellung von Bewegungsprofilen mit dem (angegebenen) Zweck der Terrorbekämpfung
- Automatisches Ausstellen von Strafmandaten bei Überschreitung der erlaubten Durchschnittsgeschwindigkeit zwischen zwei Kontrollstellen oder Abstandsverstöße.
- Technisch derzeit noch in der Entwicklung ist die Gesichtserkennung in den Bildern. Auch diese Daten könnten zur Erzeugung von Bewegungsprofilen beliebiger Autobahnbenutzer oder zur gezielten Personenfahndung eingesetzt werden.
- Abgleich der erfassten Kennzeichen mit denen von als gestohlenen gemeldeten Fahrzeugen
Die Mautüberwachung in Österreich mittels Automatischer-Vignetten-Kontrolle (AVK)
Österreich kontrolliert die Einhaltung der Vignettenpflicht seit einigen Jahren nicht nur durch Kontrolleure der ASFINAG und der Polizei, sondern auch durch die Automatische-Vignetten-Kontrolle (AVK). Die AVK ist ein mobiles Detektionssystem, welches über Fahrspuren an besteigbaren Maut-Erfassungsbrücken (Go-Box Lkw-Maut-Kontrollbrücken), Stahlgerüsten oder normalen Brücken angebracht wird. Von dort wird bei allen passierenden Pkw unter 3,5 Tonnen das Vorhandensein der Vignette automatisch überprüft. Bei Zweifeln bzw. gänzlichem Fehlen der Vignette wird eine Frontalaufnahme des Fahrzeugs mit Kennzeichen als auch ein Detailbild von der Windschutzscheibe erstellt sowie Zeit und Koordinaten der Kontrolle gespeichert. Die Bilder sind hochauflösend, sodass bei Kurzzeit-Vignetten die Lochung von Tag und Monat zweifelsfrei erkennbar ist. Der Fall wird händisch überprüft und entsprechend entschieden.
Die Standorte der etwa 280.000 Euro teuren AVK-Einheiten werden in einem festen Zyklus verändert. Derzeit besitzt die ASFINAG acht Exemplare (zwei von Siemens, sechs von Efkon). Die Automatische-Vignetten-Kontrolle wird vorrangig dort eingesetzt, wo keine manuellen Kontrollen wegen der baulichen Gegebenheiten vor Ort oder wegen des zu hohen Verkehrsaufkommens möglich sind.
Schweiz – Gleiche Problemlage wie in Deutschland
In der Schweiz wird die leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA) mit einem zu Deutschland identischen Kontrollsystem ermittelt. Dieses liefert bei Fahrzeugen mit OBU, also mit einem bei Kontrolle übermittelten elektronischen Kennzeichen, eine Erkennungsrate von 93 %, bei Fahrzeugen ohne OBU eine Erkennungsrate von 77 %. Das System könnte theoretisch auch auf den Pkw-Verkehr angewendet werden.
Eine automatisierte Überwachung der Vignettenpflicht findet derzeit nicht statt.
London – Die vollkommene Überwachung
London nutzt für die Erhebung der Congestion Charge im Innenstadtbereich (siehe auch: London: Die Folgen der Innenstadtmaut und der Low Emission Zone, Innenstadtmaut in London, Mailand und Stockholm – eine Übersicht sowie Langfristige Wirkung des Straßenausbaus und der Förderung des öffentlichen Verkehrs auf das Stauaufkommen) eine flächendeckende Videoüberwachung. 230 Überwachungskameras, davon 180 an den Rändern der Zone, sind derzeit im Einsatz. Weitere 50 Kameras befinden sich verstreut innerhalb der Gebührenzone, um Fahrzeuge zu entdecken, die bei der Einfahrt übersehen wurden oder sich ausschließlich innerhalb der Zone bewegen. Zusätzlich werden einige mobile Kameras innerhalb der Zone eingesetzt.
Die Kameras fotografieren die Front und das Heck von Fahrzeugen und speichern diese als Schwarz-Weiss- sowie als Farbaufnahme. Die Kennzeichen werden mithilfe von Infrarot gescannt. Eine automatische Kennzeichenerfassung, die von PIPs Technology entwickelt wurde, verarbeitet die Aufnahmen weiter.
Die Kennzeichenerkennung soll eine Fehlerrate von etwa 10 Prozent aufweisen, kann aber durch die Kombination mehrerer Erfassungsprozesse auf bis zu 98 Prozent gesteigert werden. Alle Aufnahmen werden in einem hoch automatisierten Prozess, der von der Roke Manor Research Ltd erstellt wurde, in einem Rechenzentrum in London ausgewertet. Ein zweites Rechenzentrum dient der Datenspeicherung und als Ausfallsicherung. Die erkannten Nummernschilder werden mit einer Liste der bereits verrechneten Fahrten abgeglichen, gegebenenfalls wird eine Verrechnung veranlasst. Ebenso werden die Daten mit den Zulassungsdaten der Driver and Vehicle Licensing Agency verglichen.
Fazit
Auch die Einführung einer Vignette anstatt einer GPS-überwachten fahrleistungsabhängigen Maut stellt gewisse Anforderungen an den Datenschutz. Die Erhebung entsprechender Bewegungsdaten dürfte bei Innenpolitikern sowie Polizei-Gewerkschaftern entsprechende Begehrlichkeiten wecken. Die Diskussionen um die Nutzung entsprechender Bewegungsdaten aus der Lkw-Maut haben dies bereits in Ansätzen gezeigt.
In der derzeitigen Diskussion um die Einführung einer Pkw-Maut kommen datenschutzrechtliche Einwände kaum vor. Im Rahmen einer objektiven Bewertung der einzelnen Mautmodelle wäre es jedoch von Vorteil, alle Vor- und Nachteile entsprechend zu diskutieren, zu bedenken und in den Entscheidungsprozess einfließen zu lassen. Ebenfalls diskussionswürdig ist die entsprechende Kontrollinfrastruktur, die bei Einführung einer Pkw-Maut in Deutschland aufgebaut werden muss. Leider sieht es zurzeit eher danach aus, dass die Grundsatzentscheidung ohne tiefer gehende Diskussion oder Betrachtung dieser Problematik gefällt werden dürfte. Dieser Artikel soll ein Anreiz sein, die Folgen und systemischen Eigenschaften einer Vignetteneinführung zu bedenken und keine voreiligen Entscheidungen für oder gegen ein bestimmtes System zu treffen.
An dieser Stelle möchte ich nochmals auf meinen Vorschlag für eine datenschutzkonforme fahrleistungsabhängige Maut verweisen, der bereits konstruktiv diskutiert wurde.