Aktualisierung: Ein Erklärungsversuch der Prognos AG lässt sich in den Kommentaren finden. Vielen Dank an Martin H.!
Für die nächste größere Aktualisierung des Artikels über die Feste Fehmarnbeltquerung (FBQ) habe ich mich in den letzten Woche intensiv mit der prognostizierten Güterverkehrsentwicklung bis 2050 beschäftigt. Für die Prognose des Güterverkehrs bis 2050 1 wurden vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung die Progtrans AG und die Prognos AG (Basel) beauftragt. Die Untersuchung soll die Auswirkungen der “Megatrends” der Bevölkerungs-, Siedlungs- und Wirtschaftsentwicklung unter Berücksichtigung des europäischen und globalen Rahmens auf den Güterverkehr abbilden.
Auf Grundlage dieser Abschätzung wird die Dringlichkeit von Investitionen des Bundes, die im Rahmen der Bundesverkehrswegeplanung zu realisieren sind, festgelegt. Unter anderem bezieht man sich im Rahmen der Planungen einer Hinterlandanbindung für die feste Fehmarnbeltquerung auf diese Untersuchung.
Letztendlich bildet diese Prognose die Grundlage für Entwicklungen im Güterverkehrsbereich in Deutschland. Mit direkter Auswirkung auf die Wirtschaftsentwicklung, die Leistungsfähigkeit unserer Verkehrs- und Transportsysteme mit besonderem Hinblick auf die Logistikbranche. Die Dimensionierung der einzelnen Korridore und die daraus folgenden Investitionsentscheidungen festigen wegen der langen Lebensdauer von Infrastruktur unsere Strukturen auf einige Jahrzehnte. Es ist daher immer zu hoffen, dass diese Berechnungen korrekt angestellt werden.
Leider sind meiner Meinung nach eklatante Fehler bei der Abgrenzung passiert. Ich möchte dies kurz darlegen:
Die langfristige Güterverkehrsentwicklung wirkt sich folgendermaßen auf unsere Wirtschaft, unser soziales Gefüge und letztendlich auf unser aller Leben aus:
Wirkungsgefüge der langfristigen Güterverkehrsentwicklung, Güterverkehr Deutschland 2050, ProgTrans AG 2007, S. 19
Natürlich ist es recht schwierig eine Prognose für das Jahr 2050 zu erstellen. Das mit jeder Determinante ein hohes Maß Unsicherheit verbunden ist, dürfte jedem klar sein. Niemand weiß, welche Konflikte wir bis zum Jahr 2050 sehen werden, wie sich das Klima entwickelt, welche Wanderungsbewegungen es geben wird. Und niemand wird wissen, wie sich unsere und andere Volkswirtschaften entwickeln werden. Und niemand kann bestimmt sagen, welche technischen Innovationen und Entwicklungen wir in den nächsten 40 Jahren erleben werden. Man könnte auch behaupten, dass man ein wenig im Nebel herumstochert…
Progtrans und Prognos haben den Versuch dennoch übernommen. Sie wurden vom BMVBS dafür sicherlich auch gut bezahlt. Um eine „plausible“ Prognose abgeben zu können, wurden einige Annahmen getroffen, die von den Gutachtern als möglichst realistisch angesehen wurden:
- Weitergehende europäische Integration mit einer zentralen politischen und wirtschaftlichen Rolle für Deutschland
- Weitere Produktionsverlagerungen in Niedriglohnländer. Daraus resultieren stärkere Ost – West – Verkehre insbesondere zwischen Mittel- und Osteuropa.
- Wachsende Globalisierung. Terrorismus, Klimawandel, Streiks, Völkerwanderung, usw. haben keinen negativen Einfluss auf die Globalisierung. Insbesondere der Seeverkehr weist große Wachstumsraten auf.
- Die Sparquote der Haushalte bleibt relativ stabil. Die Konsumausgaben steigen weiter, allerdings schwächer als das Bruttoinlandsprodukt. Durch die höhere Individualisierung (Customizing) differenziert sich der Konsum weiter.
- Globale Klima- und Umweltprobleme verschärfen sich, die Bevölkerung entwickelt ein geschärftes Bewusstsein für die Umweltproblematik. Ihr Konsumverhalten passt dennoch nur eine Minderheit an.
- Abnehmende Bevölkerungszahl und Altersstrukturverschiebung führt zu weniger, aber differenziertem Konsum
- Wachsende Bedeutung regionaler Lieferbeziehungen und Feinverteilungssysteme wie Packstationen, usw.
- Ballungsräume wachsen, ländliche Gebiete entvölkern weiter. Eine Folge: aufwändigere Versorgungsverkehre, zunehmende Transportweiten
- Kein Auftreten vollkommen neuer Verkehrssysteme, Weiterentwicklung bestehender Fahrzeugtechnologie insbesondere im Lkw-Bereich, Nutzung alternativer Antriebe
- „Langfristig innovative Nutzfahrzeuge, d.h. mit einem Gesamtgewicht von über 60 Tonnen und/oder einer Länge von 25,25 Metern“, sind in Deutschland nicht zugelassen. Was an diesen Fahrzeugen so innovativ sein soll, äußern die Urheber der Studie leider nicht.
- Schnell- und Hochgeschwindigkeitszüge werden in Randzeiten für den Güterverkehr genutzt
- Die Containerisierung von Gütern nimmt zu, es existieren 60-TEU Container. Langlaufende Verkehre mit der Eisenbahn und dem Binnenschiff nehmen zu.
- Vorhandene und neue Technologien (GPS, RFID) optimieren die Logistikprozesse
- Kapazitätsengpässen auf der Straße wird durch Einsatz von Telematiksystemen entgegen gewirkt (bspw. Dynamische Leitsysteme, elektrische Laderaumbörsen, gekoppelte Fahrzeuge)
- Weltbevölkerung steigt auf 9,2 Milliarden Menschen. In Deutschland leben 2030 81,1 Millionen Menschen, 2050 etwa 75 Millionen.
- Das Verhältnis der Personen im Rentenalter zu den Personen zwischen 20- bis 64-Jährigen erhöht sich von heute 32 Prozent auf 66 Prozent im Jahr 2050
- Das weltweite BIP wächst um das Dreifache, das Welthandelsvolumen um 500 Prozent
- Die deutsche Wirtschaftsleistung pro Kopf steigt von heute 26.400 Euro / Kopf auf 50.400 Euro / Kopf.
- Nach ILO-Definition sind nur noch 1,5 Millionen Menschen in Deutschland arbeitslos. Die Arbeitslosenquote geht auf 4,2 Prozent zurück. Im verarbeitenden Gewerbe sollen bis 2050 allerdings 2,8 Millionen Arbeitsplätze verloren gehen.
- Die Maut für Lkw-Transporte auf deutschen Autobahnen wird auf Transporte ab 3,5 t ausgeweitet (heute: 12 t), Bundesstraßen und andere Straßennetze bleiben allerdings mautfrei
Anmerkung Martin Randelhoff:
Diese Aussage ist bereits überholt. Die Einführung auf einzelnen Bundesstraßen steht bevor. - Zunahme des Transportvolumens von 3,7 Milliarden Tonnen auf fast 5,5 Milliarden Tonnen. In der Sensitivitätsanalyse werden sogar 6,2 Milliarden Tonnen erreicht. Die Tonnenkilometer steigen auf 1.200 Milliarden Tonnenkilometer. In der Sensitivitätsanalyse steigen diese auf bis zu 1.350 Milliarden tkm.
Über die Eintrittswahrscheinlichkeit der oben vorgestellten Annahmen kann man trefflich streiten. Jeder einzelne Faktor ist ebenfalls mit einer gewissen Eintrittsunsicherheit versehen, die genaue Risikoabwägung bzw. eine Eintrittswahrscheinlichkeit wird von Progtrans und Prognos nicht angegeben.
Problematisch sind jedoch die nächsten beiden Aussagen, mit denen ich ein echtes Problem habe:
Der Knaller:
„Der Ölpreis dürfte real im Prognosezeitraum zwischen 40 und 50 US-Dollar je Barrel der Sorte Brent liegen.“ (Seite 38)
und
Bis zum Jahr 2030 liegt der weltweite Energieverbrauch um rund 60 Prozent höher als heute. In Deutschland sinkt der Energieverbrauch bis 2030 um fünf Prozent. (vgl. Seite 39)
An dieser Stelle müssten sich die Verantwortlichen wirklich fragen, ob sie das ernst meinen. Bei einem wachsenden Energieverbrauch, einem Erdölangebot, dessen Förderung nur unter schwierigem technischen Einsatz und hohen Explorationskosten auszuweiten ist und ein großes globales Konflikt- und Wanderungspotential wegen des Klima- und Umweltwandels soll der Erdölpreis bis zum Jahr 2050 im Schnitt bei 40 – 50 Dollar je Barrel liegen?
Der Erdölpreis beeinflusst heutzutage und wahrscheinlich auch in Zukunft die Transportkosten recht stark. Im Luftverkehr sehen wir im Jahr 2012 bereits einige Insolvenzen wegen des steigenden Preises für Flugbenzin und Kerosin, die Gewinnmargen sind unter Druck. Auch im Seeschifffahrtsbereich wird eine Anpassung der Frachtraten aufgrund der gestiegenen Energiepreise erwartet. Von steigenden Kosten für Kraftstoffe erst gar nicht zu reden…
Insgesamt haben sich die Transportkosten bzw. die Kosten für Mobilität in den letzten zwanzig Jahren um rund 50 Prozent erhöht. Im Kraftstoffbereich reichen die Abweichungen sogar an die 100%-Marke heran.
Bei bestem Willen und einem großen technologischen Fortschritt erscheint mir ein solcher Ölpreis äußerst unrealistisch.
Auf Basis der oben vorgestellten Annahmen und des zugrunde gelegten Rohölpreises ergeben sich die folgenden Entwicklungsszenarien:
Entwicklung des deutschen Güterverkehrs bis 2050 in Milliarden Tonnenkilometern 2:
Entwicklung des deutschen Straßengüterverkehrs bis 2050 in Milliarden Tonnenkilometern 3:
Mit annähernd 900 Milliarden Tonnenkilometern transportiert der Straßengüterverkehr auch in Zukunft ein Vielfaches des Schienengüterverkehrs. Dieser soll bis zum Jahr 2030 angeblich auf bis zu 230 Milliarden Tonnenkilometer ansteigen.
Entwicklung des deutschen Schienengüterverkehrs bis 2050 in Milliarden Tonnenkilometern 4:
Kritische Betrachtung
Die unterstellten Wachstumsraten bereiten mir durchaus Kopfschmerzen.
Nicht nur, dass ich linearen Wachstumskurven immer recht kritisch gegenüberstehe, ich glaube auch, dass diese prognostizierte Entwicklung mit der Realität und den existierenden Strukturen wenig gemein hat.
Neben des äußerst niedrigen Erdölpreises wird in der Prognose keine wesentliche Änderung der Transportkosten unterstellt. Die spezifischen Transportkosten sinken wegen undefinierter Effizienzsteigerungen sogar.
Ein weiteres Problem sehe ich im Bereich der Schieneninfrastruktur. Bereits heute leidet die Substanz des Netzes, wachsende Verkehrsmengen treffen auf ein qualitativ und quantitativ nicht mehr ausreichendes Netz. Bis 2050 soll im Schienennetz das 2,5fache Leistungsvolumen abgewickelt werden können. Bei quasi-fixer Infrastruktur und mangelhaften Investitionsmitteln in den jeweiligen Haushalten stellt sich schon die Frage, wie die zusätzliche Nachfrage absorbiert werden soll.
Hinzu kommen strukturelle Probleme in Europa. Osteuropäische Länder haben in jüngerer Vergangenheit Investitionsvorhaben in die Schienennetze zurückgestellt bzw. vollständig gestrichen. In vielen Ländern wird stattdessen in die Straßeninfrastruktur investiert. Da gebrochene Verkehre kostenintensiver sind, dürfte ein Großteil des Gütermengenwachstums über die Straße abgewickelt werden. Die unterstellten Wachstumsraten des Schienengüterverkehrs im Transitverkehr zwischen Ost und West erscheinen mir relativ zweifelhaft.
Äußerst problematisch ist auch das Fehlen von Sättigungsgrenzen. Jedes System – egal ob Verkehrssystem, Netzwerksystem oder ein simpler Wasserkreislauf – hat eine gewisse Maximalkapazität. Verkehrswissenschaftsstudenten lernen bereits im Grundstudium die Wichtigkeit von Sättigungsgrenzen kennen. Ohne Sättigungsgrenzen ist grenzenloses Wachstum möglich.
Der gesunde Menschenverstand gibt einem bereits zu verstehen, dass diese Entwicklung nicht möglich ist. Straßen, Schienen und Kanäle haben eine gewisse Maximalkapazität. Überlastete Verkehrssysteme erfüllen ihre Aufgabe nicht mehr, sie stauen zu.
Ein Verkehrsmengenwachstum von 250 Prozent bedeutet in Deutschland eine Verdreifachung des Lkw-Verkehrs. Es kann sich jeder die Frage stellen, ob unser Autobahnnetz dafür geeignet ist, drei Mal so viele Lkw aufzunehmen. Oder ob das Eisenbahnnetz 2,5 Mal so viele Güterzüge verkraften kann.
Hinzu kommt: Die deutsche Bevölkerung wird in Zukunft schrumpfen. Ebenso wie die Gesamtbevölkerung Westeuropas. Die Transportleistung steigt jedoch. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass immer weniger Menschen eine höhere Transportleistung benötigen sollen. Durch den Wegfall von Industriearbeitsplätzen und einer wachsenden Verlagerung von Produktionsstätten in Niedriglohnländern ist dieser Trend durchaus realistisch. Insbesondere der Durchgangsgüterverkehr würde in Deutschland wachsen.
Außen vorgelassen wir jedoch der durchaus mögliche Trend einer zunehmenden Abschottung. Protektionismus und Handelsbarrieren könnten in Zukunft durchaus zunehmen (Beispiel: „Buy American“). Diese Entwicklung hängt eng von der wirtschaftlichen Entwicklung in naher Zukunft ab. Ignoriert wird ebenso der Trend, dass einige Unternehmen bereits Produktionsstandorte wieder nach Deutschland bzw. Europa zurückverlagern um flexibler liefern zu können.
Ebenso unklar ist für mich, wie robust unsere Verkehrs- und Transportnetze gegenüber in Zukunft zunehmenden extremen Wetterereignissen wie Stürmen, usw. sind. Neue Transportrouten nördlich von Russland sind durchaus denkbar, allerdings dürfte die Zahl und Intensität tropischer Wirbelstürme weiter zunehmen. Dies alles sind Faktoren, die die Standortwahl von Unternehmen durchaus beeinflussen.
Fazit
Verkehrsprognosen wie die der Progtrans AG und der Prognos AG bilden die Grundlage für Infrastrukturentscheidungen in Deutschland. Es ist für mich recht erschreckend, dass in diesen Studien offensichtlich eklatante Schwächen wie der zu geringe Ölpreis, vorkommen. Die Eintrittswahrscheinlichkeit wird ebenso wenig angegeben.
Man darf sich durchaus die Frage stellen, ob es sinnvoll ist auf Grundlage solcher Berechnungen unsere zukünftige Infrastruktur zu planen.
Ich möchte nochmals kurz auf die Folgen eines zu gering angesetzten Erdölpreises eingehen:
Durch die geringen Kraftstoffkosten werden Transporte künstlich verbilligt. Dadurch steigt die Transportintensivität der Volkswirtschaft, woraus ein erhöhter Aus- und Neubaubedarf der Infrastruktur entsteht. Besonders bevorteilt wird der Verkehrsträger Schiene, wegen seines vermeintlich übergroßen Wachstumspotenzials.
Es ist durchaus im Sinne der Auftraggeber und Auftragnehmer solcher Untersuchungen, dass aus den Ergebnissen ein erhöhter Infrastrukturbedarf abgeleitet werden kann. Aufgrund dieser Planergebnisse lassen sich höhere Finanzmittel aus dem Bundesverkehrswegeplan einfordern. Ob diese Investitionen letztendlich dienlich sind, steht nicht im Vordergrund.
Es solle jedem klar sein, dass aussagekräftige Ergebnisse nur mit Hilfe der richtigen Annahmen getroffen werden können. Das Schönrechnen von Ergebnissen und die daraus folgende falsche Interpretation schaden langfristig mehr als sie kurzfristig helfen. Es ist durchaus diskussionswürdig, wieso das Bundesverkehrsministerium wachsende Verkehrsmengen als Ziel hat. Es wäre durchaus sinnvoller, sich das Ziel zu setzen, die Mobilität der Bevölkerung zu erhöhen und den Transportbedarf der Industrie zu senken und dadurch einen positiven Effekt für die Volkswirtschaft zu erzielen.
Dies setzt aber einen ziel- und bedarfsgerechten Ausbau der Infrastruktur voraus.
- Schlussbericht Abschätzung der langfristigen Entwicklung des Güterverkehrs in Deutschland bis 2050, progtrans im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Basel, 31. Mai 2007 – http://www.bmvbs.de/cae/servlet/contentblob/30886/publicationFile/455/gueterverkehrs-prognose-2050.pdf ↩
- Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur auf der Achse Hamburg – Puttgarden im Zuge einer festen Fehmarn-Beltquerung, Hanseatic Transport Consultancy / ETC Transport Consultants GmbH, Hamburg / Berlin, 2009, Seite 14 – http://www.ihk-schleswig-holstein.de/linkableblob/1054234/.3./data/gutachten_langfassung-data.pdf ↩
- Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur auf der Achse Hamburg – Puttgarden im Zuge einer festen Fehmarn-Beltquerung, Hanseatic Transport Consultancy / ETC Transport Consultants GmbH, Hamburg / Berlin, 2009, Seite 15 – http://www.ihk-schleswig-holstein.de/linkableblob/1054234/.3./data/gutachten_langfassung-data.pdf ↩
- Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur auf der Achse Hamburg – Puttgarden im Zuge einer festen Fehmarn-Beltquerung, Hanseatic Transport Consultancy / ETC Transport Consultants GmbH, Hamburg / Berlin, 2009, Seite 15 – http://www.ihk-schleswig-holstein.de/linkableblob/1054234/.3./data/gutachten_langfassung-data.pdf ↩
Die Sache mit den Prognosen, wonach der Verkehr wächst, hat System. Damit die Straßenbaumaschine am Laufen bleibt, muss Wachstum her. Da aber der private Kfz-Verkehr nicht mehr so wächst wie früher (höhere Energie- und Materialkosten, Demografie, wachsender Umweltverbund (Rad, ÖV, Fuß), gesättigte Pkw-Motorisierungskennziffer usw.), muss eben der Lkw-Verkehr steigen (das kann keiner richtig nachvollziehen bzw. überprüfen und scheinbar wächst ja auch der Konsumgüterverbrauch etc.), um weiteren Straßenbau begründen zu können. Dabei liegen die Kfz-Belegungen nach Eröffnung neu gebauter Straßen (insbesondere im Osten) stets weit hinter den Prognosen, für die der Ausbau dimensioniert wurde. Besonders schlimm dabei ist, das alles neu Gebaute mal später unterhalten werden muss, dafür aber immer weniger Menschen als Steuerzahler zur Verfügung stehen werden (siehe wachsende Anteile der Alten, die ja auch von den Jungen finanziert werden müssen).
Davon abgesehen flunkern auch die, die meinen, dass wir immer mehr Güter produzieren und transportieren werden, denn auch dieses läuft i. d. R. über den Einsatz von Öl. Wir werden also nicht nur für Verkehr, Transport und Mobilität mit viel weniger Öl auskommen müssen, sondern auch für unseren Warenbedarf. Das zu lösen, erfordert weniger Verbrauch, somit weniger Materialeinsatz und damit weniger Verkehrsaufwand. Dabei werden – wie Jahrhunderte zuvor üblich – kleinräumige, regionale Kreisläufe nicht nur erforderlich, sondern (über)lebensnotwenig sein. Wasser in Form von Tomaten aus Gran Canaria oder Äpfel aus Neuseeland werden wir dann nicht mehr transportieren können, was ja auch wirklich – auch schon heute nicht notwendig ist.
Es wäre noch vieles zu sagen, doch jetzt erst einmal Schluss.
Hallo Herr Dr. Hunger,
vielen Dank für Ihren Kommentar. ich bitte um Entschuldidung wegen meiner späten Antwort. Die Klausuren gingen leider vor und Sie haben eine ausführlichere Antwort verdient.
Ich finde Ihren Ansatz, dass vor allem im Warentransport der Verkehrsbedarf übertrieben wird, sehr interessant. Der Individualverkehr ist ja alleine durch die Bevölkerungszahl und die demographische Entwicklung vordeterminiert. Daher erscheint mir eine (leichte) Übertreibung im Güterverkehr durchaus plausibel. Ich frage mich auch, wieso für die Prognose der zukünftigen Güterverkehrsmenge keine Szenarien genutzt werden. Der Verkehrsbedarf wird letztendlich stark mit der wirtschaftlichen Entwicklung, den regionalen Unterschieden in Produktion, Arbeitsplatzangebot und Wirtschaftskraft sowie mit den Energiepreisen korrelieren (Unterstellung meinerseits, die ich leider nicht mit empirischen Untersuchungen unterlegen kann). In allen Bereichen werden Szenarien genutzt, die durchaus starke Unterschiede aufweisen. Eine Stagnation im langfristigen Wirtschaftswachstum und steigende Energiepreise wären sehr interessant und eine realistischere Grundlage für die Prognose der Güterverkehrsmenge. Die pauschale Aussage “der Lkw-Verkehr wachse bis 2030 um bis zu 90%” ist mir zu generalisierend und für die Planung unserer Infrastruktur ungenügend…
Ich würde mich freuen, wenn Sie noch weitere Gedanken mit uns austauschen würden.
Viele Grüße,
Martin Randelhoff
Die globale Rohoelproduktion hat seit 2005 praktisch nicht mehr zugenommen (peak oil). Das hat die hohen Oelpreise gebracht und die Finanzkrise ausgeloest. Das billige Oel, mit dem unsere Wirtschaft angetrieben wurde and Wachstum gebracht hat, ist weg. Mit anderen Worten, die Zukunft von Oel hat schon vor 8 Jahren aufgehoert. Das Oel, das jetzt kommt, wird teuer und die Produktion wird in den naechsten Jahren abnehmen. Uebrigens hat ein Wiki leaks Bericht genau das bestaetigt, was ASPO schon lange weiss: dass OPEC ca 300 Gb weniger Oel Reserven hat als allgemein angenommen. Das entspricht 30 Jahren Produktion. Es wird also zu einer dauerhaften Oel Krise kommen. Eine Rezession in den USA und Europa wird abnehmende Produktion verdecken. Bisher wurde das von der OECD eingesparte Oel von Indien, China und anderen Entwiclungslaendern aufgebraucht (Null Summen Spiel). Wie lange das noch friedlich so weiter geht, wissen wir nicht. Die Bundeswehr hat einen guten peak oil Bericht geschrieben
Ja, aber je größer das Schienenaufkommen wird, desto größer wird auch der Bedarf an Sonderfahrten, da große Firmen wie z.Bsp. Daimler oder Audi ihre Lieferungen oftmals entgegen den Fahrplänen der Bahn sofort benötigen. Da ändert auch der steigende Ölpreis nichts!
Verstehe ich das jetzt richtig? Durch ein Wachstum des Schienengüterverkehrs sinkt die noch freie Trassenkapazität und dadurch die Anzahl der zur Verfügung stehenden Zeitfenster für Sonderfahrten? Dieser Verkehr wird dann auf die Straße verlagert weil hier die Kapazität noch vorhanden ist?
Oder verstehe ich Ihren Kommentar gerade falsch?
Sehr geehrter Herrr Randelhoff,
grundsätzlich zunächst vielen Dank für Ihre zahlreichen zumeist “wachstums”-kritischen Ausführungen.
Mich würde dabei in Sachen “Verkehrsprognosen” interessieren, woher die Grafiken stammen, die die Verläufe im Güterverkehr bis 2050 darstellen?
Sie haben sonst alle Quellen angegeben, zum Nachlesen für Interessierte. Hier aber bin ich bisher gescheitert.
Für eine Aufklärung dankt recht herzlich,
Thomas Rössler
Hallo Herr Rössler,
vielen Dank für den Hinweis. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass die Fußnoten nicht richtig angezeigt wurden. Da hat das entsprechende Plugin anscheinend ein wenig gesponnen. Der Fehler ist jetzt behoben.
Die drei Grafiken stammen aus dem Gutachten “Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur auf der Achse Hamburg – Puttgarden im Zuge einer festen Fehmarn-Beltquerung” der Hanseatic Transport Consultancy / ETC Transport Consultants GmbH, Hamburg / Berlin, 2009, Seite 14 bzw. 15. (http://www.ihk-schleswig-holstein.de/linkableblob/1054234/.3./data/gutachten_langfassung-data.pdf)
Martin Randelhoff
Hallo Martin,
ich habe 2 Antworten der Firma Prognos erhalten, indem sie mitteilen, dass zum damaligen Zeitpunkt der Ölpreis real etwa bei 50 USD lag. In ihrer Prognose ist die allgemeine Preissteigerung rausgerechnet.
Weiterhin teilen sie mit, dass die Trendaussagen eine vergleichsweise einfache Hypothese zugrunde liegt, nämlich, dass sich die wesentlichen Parameter und deren Interaktionen in Zukunft so weiter entwickeln, wie sie es in der Vergangenheit getan haben. Das Szenario einer zukünftigen veränderten Entwicklung (z. b. weltweit steigende Nachfrage, Fördermengen nicht mehr steigerbar, steigende Förderkosten usw.) ist dabei unberücksichtigt.
Nun stellt sich natürlich die Frage, wie das Verkehrsministerium, diese Trendaussagen politisch „verkauft“ hat, bei denen zukünftige Veränderungen unberücksichtigt, blieben.
Gruß
Martin H.
„Der Ölpreis dürfte real im Prognosezeitraum zwischen 40 und 50 US-Dollar je Barrel der Sorte Brent liegen.“ (Seite 38)
Das muß doch ein Druckfehler sein! Der aktuelle Ölpreis für ein Barrel (Brent)liegt bei ca. 113 USD.
Wie soll da der Preis im Jahre 2050 zwischen 40 und 50 USD liegen.
Ich werde mal die Progtrans anmailen und nachfragen.
Gruß Martin H.
Hallo Martin,
ich glaube nicht, dass das ein Druckfehler ist. Diese Berichte werden wirklich mit 50 USD je Barrel gerechnet. Du kannst dir auch gerne einmal die Annahmen für die Bundesverkehrswegeplanung anschauen. Ich könnte dir jetzt sagen, mit welchem Ölpreis gerechnet wird, aber dann ist die ganze Spannung ja weg… ;-)
“Wie soll da der Preis im Jahre 2050 zwischen 40 und 50 USD liegen.” <- Eine sehr gute Frage, die Progtrans dir hoffentlich beantworten wird. Wäre nett, wenn du mich / uns über die Antworten auf dem Laufenden hältst. Gruß! Martin