Ursprünglich geplantes Hochgeschwindigkeitsnetz – 4darek – public domain
In Deutschland kommt immer wieder die Forderung auf, den Bau neuer Schnellfahrstrecken wie Wendlingen – Ulm (in Planung), Nürnberg–Erfurt (im Bau), Erfurt–Leipzig/Halle (im Bau), Rhein/Main–Rhein/Neckar (in Planung) oder der Y-Trasse (Hamburg/Bremen-Hannover, in Planung) zugunsten einer Verbesserung des deutschen Schinenennetzes in der Fläche zu unterlassen. Statt einiger Leuchtturmprojekte solle vielmehr das gesamte Netz profitieren. (siehe Forderungen des Bündnis Bahn für alle, des Verkehrsclubs Deutschland sowie Kritik an Stuttgart 21 am Beispiel eines Flyers der Grünen, usw.)
Der polnische Minister für Verkehr, Bau und maritime Angelegenheiten, Slawomir Nowak, hat nun erklärt, dass “alle Arbeiten an der Studie zum Aufbau des polnischen Hochgeschwindigkeitsnetz bis zum Jahr 2030” ab sofort eingestellt werden. Dies bedeutet, dass die Arbeiten zur Vorbereitung des Baus einer Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnlinie (für Züge mit Geschwindigkeiten bis zu 350 km/h) zwischen Warschau und Wroclaw bzw. Posen über Lodz, für die nächsten zwanzig Jahre nicht fortgeführt werden. Begründet wird diese Entscheidung mit einer Neufokussierung auf die Modernisierung des bestehenden Netzes. Den Bau von Hochgeschwindigkeitsstrecken bei gleichzeitiger Erneuerung des bestehenden Netzes kann sich Polen nicht leisten.
Der derzeitige Netzausbaustand
Die größten Städte Polens sind heute durch Strecken mit einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 160 Stundenkilometern verbunden. Teile sind zwar für 200 Stundenkilometer freigegeben, allerdings besitzt die Polskie Koleje Państwowe Spółka Akcyjna (kurz: PKP, deutsch: „Polnische Staatsbahnen AG“) kein Rollmaterial, das für diese Geschwindigkeiten zugelassen ist.
Geplant war der Bau einer “Y-Strecke” Warschau – Łódź – Kalisz mit Verlängerungen nach Breslau und Posen. Die Verbindung sollte mit 350 Stundenkilometer befahrbar sein. Die geschätzten Baukosten für die 450 bis 470 km Hochgeschwindigkeitsstrecke lagen bei etwa 20 bis 28 Mrd. Zloty (ca. 4,5 bis 6,3 Mrd. Euro). Die Baumaßnahmen sollten ursprünglich 2014 beginnen und bis 2019 dauern.
Durch die politische Entscheidung seitens der polnischen Regierung dürfte sich die Fertigstellung dieser Strecke mindestens bis zum Jahr 2030 mit Tendenz bis 2040 verzögern.
Weitere Ausbauprojekte
Fertiggestellt wird jedoch der bis 2013 dauernde Ausbau der Strecke Warschau – Katowice bzw. Krakau auf 220 Stundenkilometer. Ab 2014 sollen 20 Alstom New-Pendolino Hochgeschwindigkeitszüge (ohne Neigetechnik) auf dieser Strecke verkehren. Diese wurden durch ein Darlehen in Höhe von 224 Millionen Euro von der Europäischen Investitionsbank EIB finanziert. Die Beschaffungskosten betragen insgesamt 665 Millionen Euro und umfassen den Bau eines neuen Depots in Warschau und die Wartung der Züge für 17 Jahre.
Der Einsatz erfolgt auf den Strecken Warschau-Danzig-Gdynia, Warschau-Krakau und Warschau-Kattowitz. Sobald die Stromversorgung von 3 kV DC auf 25 kV 50 Hz AC umgestellt ist, werden die Züge mit einer Höchstgeschwindigkeit von 250 Stundenkilometer verkehren.
Das vorgeschlagene Streckennetz der Hochgeschwindigkeitsbahn in Polen bis 2050, Stand Juli 2011
In Polen befinden sich derzeit die folgenden Strecken im Ausbau, bzw. in der Planungsphase (unterschiedliche Planungsstände):
- Frankfurt (Oder)–Poznań–Warszawa–Terespol
- Świnoujście–Szczecin (–Warszawa)
- Poznań–Wrocław–Katowice
- Šeštokai (Litauen, einzige Eisenbahnverbindung zwischen Polen und Litauen, Anbindung an das litauische Breitspurnetz – Polen: 1.435 mm, Litauen: 1.520 mm)–Suwałki–Warszawa
- Przemyśl–Kraków–Katowice
- Warszawa–Katowice (siehe oben)
- Danzig – Warschau
- Warschau – Terespol
- Warschau über Łódź nach Breslau und Posen (siehe oben)
- Östliche Umgehungsstrecke um das oberschlesische Industriegebiet als Bestandteil der Verbindung Warschau–Prag
Eine genaue Aussage, welche Neu- und Ausbaustrecken letztendlich und vor allem wann umgesetzt werden, lässt sich heute noch nicht treffen. Das polnische Eisenbahnnetz hat einige strukturelle Defizite, die dringend aufgearbeitet werden müssen. Mit dem neuen Winter-Fahrplan vom 11. Dezember 2011 wurde der Regionalverkehr in vielen Regionen massiv ausgedünnt. So entfällt in der Region Westpommern (Zachodniopomorskie) etwa jeder vierte Regionalzug.
Eine weitere Regionalisierung und Zergliederung der regionalen Bahnverkehre ist durch die Auflösung der Regional-Betriebsgesellschaft Przewozy Regionalne (PR) Ende 2012 zu erwarten. Eine Lösung der strukturellen Probleme des polnischen Verkehrsnetzes dürfte noch einige Jahre dauern.
Finanzierungsprobleme
Ein Großteil der Investitionsmittel für Verkehrsinfrastrukturinvestitionen kommt aus Töpfen der europäischen Union. Der Ausbaustop des Hochgeschwindigkeitsnetzes kommt eigentlich nicht überraschend, hat die EU doch mitgeteilt, dass Polen in den Jahren 2014 – 2020 nur umgerechnet 6,6 Milliarden Euro für Investitionen in das Schienennetz erhält. Das polnische Verkehrsministerium war somit zu einer Entscheidung über den Investitionsschwerpunkt gezwungen.
Die Entscheidung musste vor dem Hintergrund getroffen werden, dass die Kosten für den Bau der “Y-Linie” durch ein polnisch-spanisches Konsortium auf rund 35 Mrd. Zloty (7,8 Mrd. Euro) geschätzt wurden; also etwa 10 Mrd. Zloty bzw. ein Drittel mehr als ursprünglich geplant. Diese Kostensteigerungen ließen das Projekt letztlich unfinanzierbar werden.
Die Wahl zwischen einem einzelnen Megaprojekt oder der Verbesserung des gesamten maroden Schienennetzes hat der landesweite Ausbau daher für sich entschieden. Ein Ergebnis mit dem die polnischen Fahrgastverbände sicherlich leben können und das sich einige deutsche Verbände und Organisationen sicherlich auch für unser Land wünschen dürften.