Fuß- und Radverkehr urbane Mobilität

Umbau des Seine-Ufers: Paris korrigiert Fehler der 1960er Jahre

Paris Plage Strand
Paris-Plage, der temporäre Pariser Strand im August 2012 - Foto: Raphaël Chekroun @ Flickr - CC BY-ND 2.0

In den 1960er Jahren hatte Paris eine intensive Liebesbeziehung mit dem Automobil. Es wurde als technischer Fortschritt und die Zukunft gefeiert. Die Liebe ging sogar so weit, dass der französische Staatspräsident Georges Pompidou beide Seine-Ufer zu einer Schnellstraße umbauen ließ (eröffnet 1967), um Autofahrer den direkten und schnellsten Weg von Westen und Osten in die Innenstadt und wieder zurück zu ermöglichen. Etwa 70.000 Fahrzeuge fuhren zuletzt täglich auf der linken Flussseite.

Paris Seine Voie Georges-Pompidou Straße
Pariser Schnellstraße Voie Georges-Pompidou auf der rechten Seite der Seine – Foto: Jean-François Gornet @ FlickrCC BY-SA 2.0

Mit der Zeit ist jedoch die Liebe zum Automobil Schritt für Schritt erloschen. Fünfzig Jahre später hat Paris eines der besten und ambitioniertesten öffentlichen Fahrradverleihsysteme weltweit, eine im Großteil verkehrsberuhigtes Straßennetz, ein gut ausgebautes ÖPNV-Angebot mit kombinierten Bus-Taxi-Radspuren und seit Ende Juni 2013 haben die Fußgänger einen Teil des Seine-Ufers wieder zurück erhalten.

Les Français aiment la bagnole!
(Die Franzosen liebe die Karre!)

– Georges Pompidou, 1973

Bereits seit 2002 wurde das rechte Ufer der Seine auf Höhe der Seine-Inseln Île de la Cité und Île Saint-Louis während der Sommerferien für vier bis fünf Wochen auf 3,5 km für den motorisierten Individualverkehr gesperrt. Möglich ist die Sperrung dieser wichtigen Verkehrsader, da während der großen Ferien nur ein sehr vermindertes Verkehrsaufkommen in der Stadt vorhanden ist. Der Abschnitt zwischen Pont au change bis zur Pont Sully gegenüber der Seine-Inseln im 4. Arrondissement ist dabei in eine Fußgängerzone mit zahlreichen Attraktionen verwandelt.

Strand Paris Seine Stadt
“Paris plage” an der Seine – Foto: Eric Huybrechts @ FlickrCC BY-SA 2.0

Um die Luftqualität zu verbessern und die Aufenthalte am Seine-Ufer angenehmer zu gestalten, beschloss der Pariser Bürgermeister Bertrand Delanoë im Jahr 2010, das linke Seine-Ufer auf einer Länge von 3,5 Kilometern dauerhaft für den motorisierten Individualverkehr zu sperren.

L’air de Paris est si mauvais que je le fais toujours bouillir avant de respirer.
(Die Luft in Paris ist so schlecht, dass ich sie vor dem Atmen immer abkoche.)

– Der in Paris lebende Komponist Erik Satie

Die Sperrung des Seine-Ufers ist Teil eines ambitionierten Plans, den der Bürgermeister im Jahr 2007 für die französische Hauptstadt vorstellte. Ziel des Planes ist eine Reduktion des motorisierten Individualverkehrs um 40 Prozent und eine Verringerung der Treibhausgasemissionen um 60 Prozent. Dies sollte durch die Schaffung eines Netzes von “zivilisierten Straßen” auf denen Fußgänger, Radfahrer und der öffentliche Verkehr Vorrang haben, einen Ausbau des Straßenbahnnetzes, den Bau neuer S-Bahn-Linien und das Entfernen der Schnellstraßen entlang des Seine-Uufers erreicht werden.

Trotz Widerstands aus konservativen Parteien, Automobilverbänden und einem Teil der Wirtschaft wurde der Plan vom Pariser Stadtrat verabschiedet. Jedoch musste neben dem Pariser Stadtrat auch die französische Regierung zustimmen. Der konservative französische Premierminister Francois Fillon blockierte das Vorhaben zunächst. Nach der Nationalwahl 2012 und der Wahl des neuen sozialistischen Premierministers Jean-Marc Ayrault konnte der Umbau des Seine-Ufers erfolgen.

Grün am Pariser Seineufer
Foto: Mairie de Paris/Marc Verhille

Die Schnellstraße auf der rechten Seine-Seite wurde nahe des Hôtel de Ville auf der Länge von einem Kilometer verengt, um Fußgängerüberwege und Gehwege entlang der Seine anlegen zu können. Bis Juni 2013 wurde ein 2,5 Kilometer langer Abschnitt auf dem linken Seine-Ufer zwischen der Pont de l’Alma und dem Musée d’Orsay zu einer autofreien Zone umgebaut. Geschaffen wurden ein Park entlang des Flusses, mehrere Fußgängerzonen, fünf schwimmende botanische Gärten, ein Blumenmarkt auf Lastkähnen, Sportmöglichkeiten (Kletterwand, Leichtatlethikbahn) und mehrere Restaurants. Eine große Holztreppe vor dem Musée d’Orsay schafft die Verbindung zwischen der Fußgängerzone Quai Anatole France und den Ufern der Seine.

Umgebautes Seineufer mUSEE D*oRSAYmUSEE D+oRSAY
Foto: Mairie de Paris/Marc Verhille

Die Fahrzeit für Autofahrer soll sich im Schnitt um sieben Minuten verlängern. Da das Seine-Ufer ein offizielles Überschwemmungsgebiet ist, sind alle Ausstattungsmerkmale beweglich und können innerhalb von 24 Stunden entfernt werden.

Seineufer Paris
Foto: Mairie de Paris/Marc Verhille

Der Umbau hat 35 Millionen Euro gekostet. Die jährlichen Unterhaltskosten (Reinigung, Sicherheit, Reparaturen) sollen fünf Millionen Euro betragen.

Der Umbau der Ufer der Seine stützt zudem wieder einmal meine Theorie, dass vor allem die Bürgermeister einen unmittelbaren Einfluss auf den Verkehr der Zukunft haben. Durch lokale Weichenstellungen kann ein direkter Einfluss auf die Verkehrsmittelwahl der Bevölkerung ausgeübt werden. Letztendlich sollte es Hauptaugenmerk eines Bürgermeisters sein, die Lebensqualität der Bevölkerung zu maximieren und zu sichern. Hier kann eine “grüne Verkehrsplanung” sicherlich helfen.

Randelhoff Martin

Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
Ist interessiert an innovativen Konzepten zum Lösen der Herausforderungen von morgen insbesondere in den Bereichen urbane Mobilität, Verkehr im ländlichen Raum und nachhaltige Verkehrskonzepte.

Kontaktaufnahme:

Telefon +49 (0)351 / 41880449 (voicebox)

E-Mail: randelhoff [ät] zukunft-mobilitaet.net

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Julien Schwindenhammer
Julien Schwindenhammer
22. September 2013 22:29

Hallo,

Danke für diese Artikel, es ist wie immer sehr interessant. Eine kurze Bemerkung: George Pompidou ist 1972 gestorben, deswegen das Zitat ist mit dem falschen Datum gestempelt.

Münchner Kindl
Münchner Kindl
1. Juli 2013 17:53

Die Straße wurde nicht “für den Verkehr gesperrt”. Fußgänger dürfen schließlich weiterhin (bzw: erstmalig) die Strecke benutzen, und Fußgänger sind bekanntlich auch Verkehr ;)

Henk Engbers
Henk Engbers
29. Juni 2013 17:04

Ich wohne in Groningen,Holland. Diese Stad hätte das Venetiën des Nordens sein können, wäre da nicht das Auto usw. usw. So gut wie alle Kanäle zugeworfen, das Auto regiert jetzt. Und gross ist heute das Bedauern, aber leider……! Und das Alles in einem Land wo es mehr Fahrräder als Menschen gibt.

In Peking übrigens wird denselben Fehler gemacht. Wo vor 30 Jahren noch die Fahrräder gingen, gehen Heute die Auto’s. Ganze Strassen sind gesperrt für Fahrräder.

Von Frankreich her…..die Revolution. Lasst uns hoffen…

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Verfasst von:

Randelhoff Martin

Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
Ist interessiert an innovativen Konzepten zum Lösen der Herausforderungen von morgen insbesondere in den Bereichen urbane Mobilität, Verkehr im ländlichen Raum und nachhaltige Verkehrskonzepte.

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