Bei der Einführung bzw. Ausweitung von Tempo 30 werden häufig die Auswirkungen für den straßengebundenen öffentlichen Verkehr thematisiert. Dies trifft insbesondere bei Geschwindigkeitsbeschränkungen auf Hauptstraßen zu. Im Auftrag des Verkehrs-Clubs der Schweiz VCS hat Metron die Auswirkungen von Tempo 30 auf den öffentlichen Verkehr Anfang 2023 untersucht (Zur Publikation | Downloadmirror).1
Für den öffentlichen Verkehr ist eine Geschwindigkeitsrezierung aus folgenden zwei Gründen relevant: Zum einen kann sich die Fahrzeit für die Fahrgäste mit entsprechender Auswirkung auf die Attraktivität des öffentlichen Verkehrs verlängern, zum anderen kann es Auswirkungen auf die sogenannte Umlaufzeit geben. Diese setzt sich zusammen aus der Fahrzeit eines Fahrzeugs vom Startpunkt zum Ziel und zurück, einschließlich der Halte an Haltestellen sowie der Wendezeiten. Von großer Bedeutung sind die Wendezeiten an der Endhaltestelle. Sie dient zum einen als Pausenzeit für das Personal oder für einen Personalwechsel. Zum anderen sind sie Puffer- und Reservezeiten, um (übliche) Verspätungen, die sich auf der Fahrt von A nach B aufbauen, auszugleichen. Ein Wegfall oder eine starke Verkürzung der Wendezeit ist problematisch. Das Gleiche gilt, wenn sich die Umlaufzeit so stark verlängert, dass zusätzliche Fahrzeuge eingesetzt werden müssen, was mit entsprechenden Mehrkosten und einem höheren Personalbedarf verbunden ist.
Fahrzeitverlängerungen durch die Reduktion von 50 km/h auf 30 km/h
Die theoretische Fahrzeitverlängerung durch die Reduktion von Tempo 50 auf Tempo 30 liegt in der Größenordnung von 3 bis 4 Sekunden pro 100 m Fahrstrecke.2,3 Der durchschnittliche Haltestellenabstand beeinflusst die durchschnittliche Geschwindigkeit pro 100 m jedoch stark. Je größer der durchschnittliche Haltestellenabstand ist, desto geringer ist die benötigte Fahrzeit, da die theoretisch mit zulässiger Höchstgeschwindigkeit fahrbare Distanz zunimmt. Bei einer dichten Abfolge von Haltestellen wird relativ viel Zeit und Strecke für Bremsen und Anfahren genutzt. Für einen durchschnittlichen Haltestellenabstand von 350 m erhöht sich die Fahrzeit je 100 m beim Wechsel von Tempo 50 auf Tempo 30 um circa 3 Sekunden.4
In der Realität ist der Betrieb wesentlich komplexer und wird von vielen Faktoren beeinflusst. Busse und Straßenbahnen fahren in der Regel deutlich langsamer, als es die zulässige Höchstgeschwindigkeit erlauben würde. Insbesondere zu den Hauptverkehrszeiten und in dicht besiedelten Gebieten mit vielen Haltestellen und Lichtsignalanlagen liegen die tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeiten oft darunter. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit wird häufig nicht oder nur auf kurzen Streckenabschnitten erreicht. Entsprechend sind die effektiv messbaren Fahrzeitverlängerungen im praktischen Betrieb niedriger.
Übersicht von gemessenen Verlustzeiten bei Bussen (jeweils pro 100 m Strecke) aufgrund Tempo 30:5
Zeitverlust pro 100 m Strecke (in Sekunden) | Bemerkung | Quelle |
---|---|---|
1,2 | Mittelwert verschiedene Linien | vbz 2019 |
0,4 | Fahrtrichtung aufwärts | Metron 1994 |
1,6 | Fahrtrichtung abwärts | Metron 1994 |
1,1 | Aus: Dittmann 2013 | Eckart 2018 |
1,4 | Aus: Bruckner 2017 | Eckart 2018 |
2,0 | Aus: Stadt Zürich 2010 | Eckart 2018 |
2,7 | Aus Bruder et. al. 1989 | Eckart 2018 |
1,8 | Aus: Birk et al. 1993 | Eckart 2018 |
1,5 | Mittelwert | |
0,6 | Standardabweichung |
Für Buslinien liegt der effektive Zeitverlust nach Einführung von Tempo 30 in der Größenordnung von 0,9–2,1 s/100 m, im Mittel bei 1,5 s/100 m Fahrstrecke. Allerdings hat die Gestaltung der Tempo 30-Strecken einen relevanten Einfluss auf die Fahrzeiten:6
Fahrzeitverlängerung pro 100 m Strecke (in Sekunden) | Strecke |
---|---|
1,0–1,2 | Tempo 30-Abschnitt mit Vorfahrt |
1,2–2,8 | Tempo 30-Abschnitt mit Rechts-vor-Links-Regelung |
2,0–3,6 | Tempo 30-Abschnitt mit Rechts-vor-Links-Regelung und baulichen Maßnahmen |
Die geringsten Auswirkungen auf die Fahrzeit hat die Herabsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h auf 30 km/h, wenn die Vorfahrtsregelung beibehalten wird. Dies ist in Tempo 30-Zonen in der Regel nicht der Fall, kann aber bei streckenbezogenen Geschwindigkeitsregelungen z.B. auf Hauptverkehrsstraßen vorkommen. Die Einführung von Rechts-vor-Links erhöht den Zeitverlust. Verkehrsberuhigende Maßnahmen erhöhen den Zeitverlust zusätzlich.
Die Einführung von Tempo 30 hat je nach Linienabschnitt unterschiedliche Auswirkungen:
- Kürzere Abschnitte mit Tempo 30 sind üblicherweise aufgrund des geringen Zeitverlustes ohne weitere Maßnahmen umsetzbar.
- Je größer der Anteil an Tempo 30-Abschnitten ist, desto eher sind flankierende Maßnahmen erforderlich.
- Auf ÖV-Korridoren kann durch geeignete Gestaltung (kein Rechts-vor-Links, keine baulichen Maßnahmen) der Zeitverlust gering gehalten werden.
- Auf Strecken mit großen Haltestellenabständen, einem geringen Verkehrsaufkommen und einer geringen Anzahl von Knoten hat eine Reduzierung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine größere Wirkung, da die tatsächlich gefahrenen Maximalgeschwindigkeiten näher an der zulässigen Höchstgeschwindigkeit liegen.
- Nimmt der Haltestellenabstand ab und die Anzahl der Knoten sowie die Verkehrsmenge zu, sind die Auswirkungen von Tempo 30 auf die effektiv gefahrene Geschwindigkeit nicht sehr groß.
- Durch begleitende Maßnahmen wie unter anderem eine Bevorrechtigung an Lichtsignalanlagen, die Anlage von Bussonderfahrstreifen, erleichtertes Abbiegen oder die Gestaltung der Haltestellen mit dem Bus als Pulkführer (Fahrbahn- oder Kap-Haltestellen) können Fahrzeitverlängerungen (teilweise) kompensiert werden.
- Die Beschleunigungsmaßnahmen können auch auf anderen, z. B. aufkommensstärkeren Linienabschnitten umgesetzt werden, um Umlaufzeiten halten zu können.
- Für die Fahrgäste stellen geringfügig längere Fahrzeiten keine Einschränkung dar, sofern die Fahrpläne angepasst werden und die Umsteigezeiten gewährleistet bleiben.
- Tempo 30 führt zu einem gleichmäßigeren Verkehrsfluss mit positiven Auswirkungen auf die Betriebsstabilität.
Weitere Hintergründe und Informationen können der Publikation entnommen werden.
Verweise
- Häfliger, R. und Urech, S. (2023): Wie funktioniert der ÖV bei Tempo 30? Empfehlungen für einen attraktiven öffentlichen Verkehr. Hrsg.: VCS Verkehrs-Club der Schweiz. Bern: Metron AG ↩
- Schweizerische Vereinigung der Verkehrsingenieure und Verkehrsexperten (SVI) (2019): Tempo 30 auf Hauptverkehrsstrassen – Einsatzgrenzen und Umsetzung, Forschungsprojekt 2015/004 ↩
- Eckart, J.; Richard, J. und Schmidt A. (2018): ÖPNV im Spannungsfeld zwischen kurzer Beförderungszeit und stadtverträglicher Geschwindigkeit, Handbuch der kommunalen Verkehrsplanung, Berlin 2/2018 ↩
- Häfliger, R. und Urech, S. (2023): Wie funktioniert der ÖV bei Tempo 30? Empfehlungen für einen attraktiven öffentlichen Verkehr. Hrsg.: VCS Verkehrs-Club der Schweiz. Bern: Metron AG, S. 12 ↩
- Häfliger, R. und Urech, S. (2023): Wie funktioniert der ÖV bei Tempo 30? Empfehlungen für einen attraktiven öffentlichen Verkehr. Hrsg.: VCS Verkehrs-Club der Schweiz. Bern: Metron AG, S. 13 ↩
- Häfliger, R. und Urech, S. (2023): Wie funktioniert der ÖV bei Tempo 30? Empfehlungen für einen attraktiven öffentlichen Verkehr. Hrsg.: VCS Verkehrs-Club der Schweiz. Bern: Metron AG, S. 13 ↩
In Wien gibt es inzwischen mehrere Straßen, bei denen “Tempo 30 ausgenommen Straßenbahn und Linienbusse” gilt, letztere dürfen weiterhin mit 50km/h fahren, was als Pulkführer durchaus sinnvoll sein kann.
In Amsterdam hat man ebenfalls Straßenabschnitte, entlang derer der ÖPNV 50 km/h und der restliche Kfz-Verkehr 30 km/h fahren darf. Nur dass man dort die zulässige Höchstgeschwindigkeit für einzelne Fahrstreifen festsetzt. Die innenliegenden Bussonderfahrstreifen mit bzw. ohne Straßenbahngleise sind geschwindigkeitstechnisch nicht von der Regelgeschwindigkeit herabgesetzt, die außenliegenden Fahrstreifen werden als Fietsstraaat mit Unterordnung des Kfz-Verkehrs ggü. dem Radverkehr und einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h ausgenommen Straßenbahn ausgewiesen.
Beispiel: Binnenring in Amsterdam: https://www.amsterdam.nl/projecten/binnenring/
Streetview im Abschnitt Sarphatistraat: https://goo.gl/maps/6VxcJYyzTk1JAvc99
Moin Martin, guter Überblick über das Thema!
Ein weiterer Aspekt könnten die Auswirkungen auf den Reisezeitvergleich ÖPNV/MIV sein. Ich vermute, dass sich bei T30 der Wert für den ÖPNV verbessert.
Ich habe so meine Zweifel, ob man einen Durchschnittswert von Durchschnittswerten aus verschiedenen Untersuchungen berechnen darf, solange nicht jeweils gleich viele Fahrten mit der gleichen Erhebung analysiert wurden. Nicht alles, was mathematisch geht, st statistisch redlich.