Wächst eine Region, so wächst in fast allen Fällen auch das Straßennetz mit. Reales oder prognostiziertes Bevölkerungs- und Arbeitsplatzwachstum führt – zumindest modellhaft – zu einem Anstieg der Verkehrsnachfrage und aufgrund der meist ausgelasteten Kapazitäten zu Engpässen. Diesen Engpässen wird in der Regel mit Ausbaumaßnahmen begegnet. Die Schaffung zusätzlicher Kapazitäten im regionalen Straßennetz, z.B. durch den Ausbau von Autobahnen, hat jedoch Grenzen und kann bestehende Verkehrsprobleme verschärfen. Der Kapazitätsengpass verlagert sich von der Autobahn an die Schnittstelle zum innerstädtischen Straßennetz, das aufgrund der vorhandenen Bebauung und der negativen Auswirkungen des zunehmenden Straßenverkehrs auf die dort lebende Bevölkerung nicht in gleichem Maße mitwachsen kann. Es kommt zu einer Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Straßennetzes in Form von Rückstau auf die Autobahn bzw. Staus im umliegenden Straßennetz, zu Behinderungen des öffentlichen Verkehrs sowie des Fußgänger- und Radverkehrs, zu einer Abnahme der Verkehrssicherheit sowie zu Erreichbarkeitsverlusten in Spitzenzeiten für alle Verkehrsteilnehmer. In der Schweiz wurde diese Problematik erkannt und eine Strategie zur Adressierung der Schnittstellenproblematik zwischen Nationalstrassen und dem nachgelagerten Straßennetz vorgelegt.
Das Autobahnnetz des Großherzogtums Luxemburg ist aufgrund des grenzüberschreitenden Berufverkehrs und der dispersen Siedlungsstruktur stark belastet. Es entstehen große negative externe Effekte durch den Kfz-Verkehr. Eine Gegenmaßnahme ist die kostenfreie Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel seit März 2020. Verkehrsprobleme bestehen ebenfalls zwischen den verstädterten Räumen Esch-sur-Alzette (Ballungsgebiet Agglo SUD) und Luxemburg-Stadt. Beide Gebiete sollen in den kommenden Jahren weiter wachsen.
Das Gebiet um Esch-zur-Alzette und Luxemburg-Stadt ist aktuell über die vierstreifige Autobahn A4, eine Bahnlinie im 15 Minuten-Takt und Buslinien miteinander verbunden. Eine Taktverdichtung der Bahnlinie ist aufgrund von Infrastrukturrestriktionen nicht schnell möglich, die Busse stecken häufig im Stau fest.
Angesichts der aktuellen Verkehrsprobleme und des erwarteten Wachstums in den kommenden Jahren ist ein erheblicher Ausbau der Infrastruktur erforderlich. Anstatt nur die Autobahn A4 auszubauen, hat das luxemburgische Mobilitätsministerium im Sinne einer Kapazitätsbetrachtung die Entwicklung der A4 zu einem multimodalen Korridor angekündigt. Durch die ganzheitliche Betrachtung des Problems und das Denken in Kapazitäten soll die weitere Zunahme des Kfz-Verkehrs gebremst und die Verlagerung von Verkehrsproblemen auf das nachgeordnete Straßennetz verhindert werden.
Konkret sind der Bau einer 18,7 km langen Schnell-Straßenbahnstrecke zwischen La Cloche d’or und Belvaux über Leudelange, Esch-sur-Alzette und Belval und der Bau eines Depots geplant. Die „Tram rapide“ soll den Universitätsstandort Belval und die nördlichen Stadtteile von Esch-sur-Alzette mit der Stadt Luxemburg verbinden. Es sind 13 neue Haltestellen geplant: Leudelange, Foetz, Verkehrsknotenpunkt A4/A13, Metzeschmelz, Lallange, Lankelz, Benelux, Quartier Bruch, Raemerich (Südspidol), Universität, Belval-Lycée, Belval-Süd und Belvaux-Mairie.
Die Straßenbahn soll auf einem etwa zehn Kilometer langen Abschnitt entlang der Autobahn mit einer Höchstgeschwindigkeit von bis zu 100 km/h verkehren. Für die gesamte Strecke wird eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 50 km/h angestrebt, für den innerstädtischen Abschnitt eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 20 km/h. In bebauten Gebieten soll die Straßenbahn auf einem eigenen Bahnkörper verkehren. Der Umstieg von verschiedenen anderen Verkehrsmitteln und Bussen auf die Straßenbahn soll durch mehrere intermodale Verknüpfungspunkte einfach und komfortabel gestaltet werden.
Durch die Einrichtung mehrerer Buskorridore (Vorrangrouten für den Busverkehr) soll die Attraktivität der Buslinien sowohl innerhalb des südlichen Stadtgebietes als auch über die Grenze ins benachbarte Frankreich deutlich gesteigert werden.
Entlang der Autobahn in der Agglo SUD wird ein Radschnellweg (Vëloexpresswee) errichtet. Dieser soll die beiden Gebiete direkt miteinander verbinden, ohne den Straßenverkehr zu kreuzen. Durch den Ausbau des Radwegenetzes sollen die angrenzenden Siedlungsgebiete gut an den Radschnellweg angebunden werden.
Die Autobahn soll zwischen Foetz und Leudelange um einen dritten Fahrstreifen je Richtung erweitert werden. Diese Fahrspur soll ausschließlich für Fahrgemeinschaften (mindestens drei Personen in einem Pkw) und Busse zur Verfügung stehen. Hinzu kommt der Umbau von fünf Anschlussstellen, um die Kapazität für den Kfz-Verkehr zu erhöhen.
In den Städten entlang des multimodalen Korridors soll die aktive Mobilität durch Straßenumbauten und verkehrsberuhigende Maßnahmen gefördert werden. Ökologische Ausgleichsmaßnahmen einschließlich einer Wildtierbrücke runden das Gesamtprojekt mit einem Investitionsvolumen von drei Milliarden Euro ab.
Der Bau des Radschnellwegs und der Straßenbahn kosten 960 Millionen Euro, davon 840 Millionen Euro für die Infrastrukturarbeiten (einschließlich Radschnellweg) und 120 Millionen Euro für die Fahrzeuge. Der multimodale Korridor umfasst des Weiteren 20 Straßenprojekte für 1,8 Milliarden Euro: 1,45 Milliarden Euro für die Optimierung der A4/A13 (Foetz-Lankelz), 300 Millionen Euro für die multimodale Autobahn A4 (Cessange-Foetz) und 50 Millionen Euro für die Beruhigung der angrenzenden Ortschaften (Straßen N4, N13, CR169, etc.).
Die Realisierung erfolgt in Etappen und soll bis 2035 abgeschlossen sein.
Weitere Informationen zur “tram rapide” und dem multimodalen Korridor finden Sie hier.
Es geht um den Ausbau einer Autobahn und das wird nicht besser dadurch, dass man ihn mit Radschnellweg und Straßenbahn verknüpft.
Immer mehr Verkehrsinfrastruktur zu bauen ist seit Jahrzehnten erprobte Problemlösung, die fundamental gescheitert ist. Auch mit solchen Green-Washing-Add-ons wird das nicht besser.
Angesichts des immer weniger zu verdrängenden Klimaumbruchs und des unerwartet frühen Erreichen erster Kipppunkte ist es m.E. fraglich ob das
“Durch die ganzheitliche Betrachtung des Problems und das Denken in Kapazitäten soll die weitere Zunahme des Kfz-Verkehrs gebremst (…) werden”
noch eine ausreichende Bewältigungsstrategie darstellen kann.
Wenn bloßes Bremsen eines weiterhin stattfindenden Wachstums des MIV schon das maximal Erreichbare darstellt, dann landen ‘wir’ wohl künftig eher bei +6°C als bei +2°C.
Warum ist in der Verkehrsplanung noch nicht angekommen, dass die Reduktion von Autodichte und Autofahrleistung zwingend auf die Agenda gehört?