Eine Investitionsentscheidung für den Bau von Infrastruktur sollte stets mit Blick auf die Effektivität, die Effizienz und die Alternativen getroffen werden. Wie viele Menschen werden diese Infrastruktur nutzen? Welche Wirkung hat der Bau auf das gesamte Verkehrssystem, die Umwelt, den Wohlstand und den einzelnen Menschen an sich? Manchmal scheint es, dass man Ingenieure, Designer und Architekten an diesen Grundsatz erinnern sollte. Es ist nur allzu verständlich, dass das technisch maximal Machbare, das Spektakulärste und Herausstechendste am attraktivsten erscheint. Jedoch ist die Umsetzung dieser Projekte meistens überproportional teuer oder im Ganzen unrealistisch.
In diese Kategorie gehört auch der Vorschlag eines schwimmenden Radwegs für London.
Der “Thames Deckway” ist ein 12 Kilometer langer schwimmender Radweg, der zwischen den Londoner Stadtvierteln Battersea im Westen und Canary Wharf im Osten nahe des Südufers der Themse verlaufen soll. Das Projekt von River Cycleway Consortium Ltd soll die Fahrzeit von heute knapp über einer Stunde auf dreißig Minuten reduzieren. Die variabel gelagerten Elemente können den Tidenhub der Themse ausgleichen. Dieser beträgt auf Höhe der London Bridge 4,5 bis 7 Meter. Der Radweg soll über Rampen mit dem Ufer verbunden werden. Die Kosten werden auf 600 Millionen Pfund geschätzt.
Die Entwicklung der Themse (Gewässerüberwachung, Wasserdurchfluss, usw.) und der Verkehrsfluss auf dem Radweg sollen über Satelliten, Wetterstationen und On-Board-Sensoren überwacht werden. Für die Instandhaltung soll eine Benutzungsgebühr von 1,50 £ / Fahrt erhoben werden.
Die von der Künstlerin Anna Hill und dem Architekten David Nixon entwickelte Designstudie soll die massiven Verkehrsprobleme der britischen Hauptstadt lösen helfen. Das Unternehmen River Cycleway Consortium Ltd wird von den Ingenieurgesellschaften Arup und dem Ingenieurbüro Hough Broughton Architects mitgetragen.
London needs to think outside the box of conventional solutions to solve its deep-seated traffic and pollution problems. The Thames offers vast, untapped potential to ease and improve London’s infrastructure problems. What is needed is imagination to unleash it.
Mir persönlich stellt sich bei derartigen Vorschlägen und Konzepten immer die Frage nach den Alternativen (→ Opportunitätskostenprinzip). Welche alternative Maßnahmen zur Förderung des Radverkehrs wären in London mit 600 Millionen Pfund möglich und welche Nutzen würden diese bringen? Übersteigt der Nutzen der Alternativmaßnahmen den Nutzen aus dem Bau des schwimmenden Radwegs? Ebenfalls in West-Ost-Richtung soll der knapp 29 Kilometer lange East-West Cycle Crossrail verlaufen. Der Radschnellweg, welcher Kernstück von Londons Radverkehrsstrategie ist, soll im Vergleich nur 47 Millionen Pfund kosten.
Ein Ausweichen auf einen Fluss dürfte vor allem dann gerechtfertigt sein, wenn das Platzangebot am Ufer nicht ausreicht. Des Weiteren sind die Bodenpreise in London und die Zahlungsbereitschaft von Investoren mit alternativen Raumnutzungskonzepten vergleichsweise hoch, sodass hier entsprechende Restriktionen auftreten könnten. Jedoch dürfte die Umwidmung von Straßenraum zugunsten des Radverkehrs einen geringen Finanzierungsbedarf haben. Spannender ist die politische Zielsetzung und die Stringenz, welche in Diskussionen mit Anwohnern oder Beteiligten mit persönlichem Interesse an den Tag gelegt wird.
Neben der reinen Investitionsentscheidung muss der Blick auf den gesamten Lebenszyklus einer Infrastruktureinrichtung und deren spezifischen Lebenszykluskosten gerichtet werden: Schwimmende Elemente unterliegen oftmals hohen Instandhaltungskosten. Zur Refinanzierung soll eine Benutzungsgebühr von 1,50 Pfund erhoben werden. Die Höhe des Instandhaltungsbudgets definiert sich somit aus der Zahl und Häufigkeit der Nutzung. Zumal neben den Erhaltungsaufwänden auch der Kapitalbedarf und insbesondere die Kapitalkosten des privat finanzierten schwimmenden Radwegs gedeckt werden sollen.
Der Radweg bietet auf die Gesamtlänge eine Zeitersparnis von etwa 30 Minuten. Vor dem Hintergrund der Zeitkosten, welche sich zu einem großen Teil wiederum aus der Einkommensstruktur der Nutzenden ergibt, erscheint es realistisch, dass für 30 Minuten Zeitgewinn eine Zahlungsbereitschaft von 1,50 Pfund vorhanden ist. Jedoch ist zu beachten, dass ein Großteil des Verkehrs den Radweg nur abschnittsweise und nicht auf die Gesamtlänge von 12 Kilometern befahren dürfte. Somit sind auch die zu erzielenden Zeitgewinne und damit einhergehend die Zahlungsbereitschaft geringer.
Letztlich hängt der Erfolg eines solchen schwimmenden Radwegs von der Netzintegration, der Qualität und den zu erzielenden Reisezeitgewinnen ab. Nur wenn es hier zu substanziellen Verbesserungen kommt, bietet der Bau solch aufwendiger Infrastruktur Vorteile. Ansonsten reiht sich der Vorschlag in die lange Reihe von schicken, aber leider unpraktikablen Designstudien ein.