Analyse Verkehr und Energie

Energiesicherheit und fossile Abhängigkeit des deutschen / europäischen Verkehrssektors

Foto: Erdölraffinerie in Schwechat bei Wien von Dimitry Anikin @ Unsplash.com - Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch die Unsplash-Lizenz
Die Energieimportabhängigkeit der Europäischen Union und Deutschlands ist hoch. Der Verkehrssektor ist maßgeblich vom fossilen Energieträger Rohöl abhängig, der in Deutschland zu 98,27 % importiert wird. Im Gegensatz zu Erdgas bestehen bei Rohöl aktuell weniger Mengenrisiken, da die Zahl der potentiellen Lieferländer größer und die Importinfrastruktur vorhanden ist. Mengenausfälle können einfacher kompensiert werden. Preisrisiken bestehen dennoch, da die Preisbildung am globalen Erdölmarkt von lokalen Ereignissen stark beeinflusst wird. Es ist daher sinnvoll, die Energieimportabhängigkeit rasch zu reduzieren.

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine verändert die europäische Sicherheitsarchitektur maßgeblich. Ein wichtiges Element ist die Versorgungssicherheit mit Energie, die aktuell nur bedingt gegeben ist. Die Abhängigkeit Europas von Energieimporten ist sehr hoch. Etwa 90 % des in der EU benötigten Erdgas werden importiert, wobei auf Russland 2021 ein Anteil von 45,3 % entfiel.1 Die Abhängigkeitsbeziehungen sind aber auch bei den fossilen Energieträgern Erdöl und Kohle sehr hoch. 27 % der Ölimporte in die EU stammen aus Russland, bei Kohle sind es 46 %.2 Die aktuellen Entwicklungen zeigen, dass die deutschen und europäischen Energiebezüge aus Russland ein problematisches Abhängigkeitsniveau erreicht haben, das die Versorgungssicherheit gefährdet. Dies gilt für den Gesamtbezug ebenso wie für die einzelnen Teilsektoren wie den Verkehr.

Der Verkehrssektor ist der Bereich mit der größten Abhängigkeit von einem fossilen Energieträger, der Anteil regenerativer Energie ist mit 5,6 % (2019) gering.3 Von insgesamt 36.035 GWh Endenergieverbrauch erneuerbarer Energien im Verkehrssektor stammten 22.120 GWh aus Biodiesel (61 %), 8.360 GWh aus Bioethanol (23 %) und 4.874 GWh aus erneuerbarem Strom (14 %, berechnet mit dem Anteil erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch des jeweiligen Jahres).4 Der mit weitem Abstand wichtigste Energieträger im Verkehrsbereich ist jedoch das fossile Rohöl.

Deutschland ist nahezu vollständig von Rohöl-Importen abhängig:

Rohöl-Versorgung in Deutschland 1955–2019 in Tsd. t – Grafik: Mineralölwirtschaftsverband e.V. (2021): Jahresbericht 2020. Berlin, S. 58

Die Energieimportabhängigkeit Deutschlands lag 2019 bei Rohöl bei 98,27 % und bei Öl und Mineralölerzeugnissen (ohne Biokraftstoffanteil) bei 97,34 %. Auch auf europäischer Ebene ist die Importabhängigkeit sehr hoch und steigt weiter an.

Energieimportabhängigkeit Deutschlands und der EU27 in den Bereichen Rohöl sowie Öl und Mineralölerzeugnisse (ohne Biokraftstoffanteil) 1990 – 2020 (Daten: Eurostat)

Rohöl DMineralöl-
produkte D
Rohöl EU27Mineralöl-
produkte EU27
JahrProzentProzentProzentProzent
199095,82894,43293,18293,057
199196,65297,27292,61592,673
199298,32898,8794,41194,192
199396,6496,85393,34192,986
199497,12797,2993,50393,549
199596,92995,80493,38292,949
199697,3897,17293,42993,521
199795,35696,72593,64593,651
199899,47599,17194,72494,948
199995,86793,91493,26991,658
200093,84794,59292,81893,279
200197,6396,68393,68492,919
200296,76694,05992,40991,873
200396,89897,2393,12593,088
200497,81695,43893,32592,702
200597,26197,31793,17793,847
200697,81795,79193,98693,775
200796,8994,35793,79293,11
200898,32696,22794,67194,537
200997,41596,50394,24193,974
201097,27996,75694,43293,966
201197,12695,594,05493,345
201298,64597,15195,08693,855
201397,5396,47594,99694,323
201497,57295,90894,56794,087
201597,12396,54196,00696,748
201696,69296,37495,24194,701
201797,35495,83495,71193,783
201897,06995,48495,75794,52
201998,27797,33996,7696,728
202098,30596,54496,20596,996

Aus einer hohen Energieimportabhängigkeit müssen nicht zwingend unbeherrschbare Versorgungsrisiken entstehen, wenn durch eine hinreichende Diversifikation spezifische Preis- und Mengenrisiken, die mit der Einfuhr von Primärenergieträgern einhergehen, vermieden werden können. Im Gegensatz zum deutschen Erdgasbezug können im aus vielen Einzelexporteuren bestehenden Öl-Oligopol Lieferausfälle eines Förderstaates durch einen anderen Lieferstaat einfacher ausgeglichen werden. Die Pipelineinfrastruktur ist im Gegensatz zum Erdgasnetz auch auf einen West-Ost-Betrieb ausgelegt, die Importterminals für Rohöl und Mineralölprodukte hinreichend dimensioniert.

Die Herkunftsländer des nach Deutschland importierten Rohöls setzen sich aus Ländern mit einer vergleichsweise hohen politischen Stabilität (Großbritannien, Norwegen, USA, Dänemark, Niederlande) und Regionen mit höheren geopolitischen Risiken zusammen. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass die Erdölreserven global ungleich verteilt sind und die europäische Fördermenge kontinuierlich zurückgeht.

Deutsche Rohölimporte nach ausgewählten Exportländern in den Jahren 2013 bis 2020 (in Tonnen)

[t]20132014201520162017201820192020
Russland31.447.00030.026.00032.577.00036.048.00033.517.00030.969.00027.091.00028.132.000
Großbritannien9.445.0009.727.0009.953.0009.210.0008.555.0006.685.00010.217.0009.489.000
USA868.0003.886.0005.325.0009.371.000
Norwegen10.953.00015.183.00012.455.00011.190.00010.303.00010.044.0009.702.0008.033.000
Libyen6.650.0003.194.0002.874.0001.779.0006.915.0007.205.0008.332.000
Kasachstan7.128.0006.777.0006.421.0008.375.0008.114.0006.821.0006.325.0007.427.000
Nigeria7.306.0007.119.0006.691.0003.810.0004.916.0005.494.0005.241.0005.173.000
Irak799.000919.0002.392.0003.146.0004.675.0003.031.000
Saudi-Arabien2.433.0001.414.0001.195.000812.0001.021.0001.425.000
Ägypten1.172.0001.487.0002.894.0001.740.0001.737.0001.092.000
Algerien2.608.0003.624.0003.468.0003.266.0001.958.000688.000
Venezuela325.0008.000109.000407.000654.000666.000
Dänemark1.170.000273.000707.000503.000612.000621.000
Niederlande554.000626.000362.000327000440.000360.000
Kuwait563.000234.000192.000190.000176.000353.000
Iran794.000273.000
Polen403.000420.000254.000223.000219.000241.000
Mexiko198.000432.000586.000854.000345.000191.000
Italien160.000222.000219.000235.000316.000121.000
Kamerun0003400098.000
Angola796.000251.000340.00067500020500085.000
Tunesien309.000307.000422.000284000160000
Schweden00016.00030.00048.000
Frankreich5.0005.0004.00018.0003.0004.000
Estland032.000175.00059.000
Pakistan039.00000
Syrien0000

Der größte Teil der in Deutschland benötigten Mineralölprodukte wird in inländischen Raffinerien aus dem importierten Rohöl hergestellt. Der restliche Bedarf wird durch Importe von im Ausland hergestellten Produkten gedeckt, knapp ein Drittel der in Deutschland verbrauchten Mineralölprodukte kommen fertig produziert ins Land. Die Importe stammen zum Großteil aus der Europäischen Union, eine größere Menge Dieselkraftstoff jedoch auch aus der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), primär Russland.

Bei den Importen aus der Europäischen Union ist zu beachten, dass aufgrund der hohen Importabhängigkeit der Europäischen Union indirekt Abhängigkeitsverhältnisse bspw. von russischen Rohölimporten bestehen.

Einfuhr von Mineralölprodukten 2019: Aufgliederung nach Erzeugnissen und Herkunftsländern in t (Daten: Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle nach Mineralölwirtschaftsverband 2020, S. 62)

RegionInsgesamtRohbenzinOttokraftstoffBenzin-
komponenten
DieselkraftstoffHeizöl, extra leichtMitteldestillat-komponentenHeizöl, schwerHS-Komponenten
Europäische Union32.208.0004.746.0002.026.0001.025.00011.113.0003.037.000292.000285.000311.000
Übriges Europa1.824.0001.101.00064.00032.00021.000258.0004.0002.00066.000
GUS6.712.000652.000-6.0004.652.00020.000376.000-852.000
Afrika361.000-----2.000-111.000
Amerika652.0004.000-4.00038.000-4.000--
Naher Osten111.0003.000-5.00057.000-23.000--
Sonstige71.00014.000-1.0001.000----
Gesamt4.213.60006.881.00020900001.073.0001.588.10003.315.000700.000287.0001.340.000

Fazit

Die Energieimportabhängigkeit der Europäischen Union und Deutschlands ist hoch, der für den Verkehr wichtige Energieträger Rohöl ist hierbei keine Ausnahme. Im Gegensatz zu Erdgas bestehen bei Rohöl aktuell weniger Mengenrisiken, da die Zahl der potentiellen Lieferländer größer und die Importinfrastruktur vorhanden ist. Mengenausfälle können einfacher kompensiert werden. Zu beachten ist, dass beherrschbare Mengenrisiken mit mitunter eskalierenden Preisrisiken einhergehen können, da die Preisbildung am globalen Erdölmarkt von lokalen Ereignissen stark beeinflusst werden kann. Zur Stärkung der Resilienz der europäischen und deutschen Wirtschaft, der Sicherung des sozialen Gefüges und zur Vorsorge gegenüber den negativen Effekten stark steigender Energiepreise sollte die Energieimportabhängigkeit rasch reduziert werden. Dies kann durch einen raschen Ausbau erneuerbaren Energien und eine Erhöhung des Anteils regenerativer Energien im Verkehrssektor geschehen. Ein wichtiges Element ist hierbei die Elektrifizierung von Pkw und Nutzfahrzeugen sowie das flächendeckende Ausrollen bidirektionaler Ladeinfrastruktur zur Kopplung des Strom- und Verkehrssektors bei gleichzeitig massiver Steigerung der Energieeffizienz. Um in diesem Rahmen neuen Abhängigkeiten zu vermeiden bzw. deren Auswirkung zu begrenzen, ist auf einen sparsamen Umgang mit Ressourcen, eine hohe lokale Recyclingquote und eine diversifizierte Rohstoffbezugsstrategie zu achten.

Verweise

  1. Europäische Kommission (2022): RePowerEU: Joint European action for more affordable, secure and sustainable energy. COM(2022) 108 final. Strasbourg, S. 1
  2. ebd.
  3. Geschäftsstelle der Arbeitsgruppe Erneuerbare Energien-Statistik (AGEE-Stat) (2021): Zeitreihen zur Entwicklung der erneuerbaren Energien in Deutschland unter Verwendung von Daten der Arbeitsgruppe Erneuerbare Energien-Statistik (AGEE-Stat) (Stand: September 2021). Dessau-Roßlau, S. 5
  4. Geschäftsstelle der Arbeitsgruppe Erneuerbare Energien-Statistik (AGEE-Stat) (2021): Zeitreihen zur Entwicklung der erneuerbaren Energien in Deutschland unter Verwendung von Daten der Arbeitsgruppe Erneuerbare Energien-Statistik (AGEE-Stat) (Stand: September 2021). Dessau-Roßlau, Tabelle 6
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Randelhoff Martin

Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
Ist interessiert an innovativen Konzepten zum Lösen der Herausforderungen von morgen insbesondere in den Bereichen urbane Mobilität, Verkehr im ländlichen Raum und nachhaltige Verkehrskonzepte.

Kontaktaufnahme:

Telefon +49 (0)351 / 41880449 (voicebox)

E-Mail: randelhoff [ät] zukunft-mobilitaet.net

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