Im Bereich der Mobilität und insbesondere bei den Kosten des Autofahrens lassen sich systematische Fehleinschätzungen beobachten. Menschen über- oder unterschätzen bestimmte Sachverhalte systematisch, also nicht zufällig, und treffen auf dieser Basis Entscheidungen, die aus rationaler Sicht als Fehlentscheidungen zu bewerten sind.1 Dieses Phänomen tritt neben der Mobilität auch in weiteren Lebensbereichen auf (z. B. Kaloriengehalt von Speisen, Energieverbrauch elektrischer Geräte).
Bei Kaufentscheidungen eines Pkw agieren viele Menschen tendenziell “kurzsichtig” und vernachlässigen zukünftige laufende Kosten (Myopia). Im Rahmen einer Haushaltsbefragung (884 Haushalte, nur Autobesitzer:innen) zeigte sich, dass lediglich ein Viertel der Befragten Berechnungen über die laufenden Kosten vor Kauf ihres Autos angestellt haben und diese einen Einfluss auf die Kaufentscheidung hatten. 40 % berechneten die zu erwartenden laufenden Kosten vor der Entscheidung zum Autokauf gar nicht.
Nur 22,2 % der Befragten stellte Vergleichsrechnungen zwischen verschiedenen Automodellen an und verglich diese hinsichtlich Ihrer zukünftigen laufenden Kosten (z.B. Kraftstoffkosten).
Hinzu kommt, dass die laufenden Kosten des Autobesitzes generell falsch eingeschätzt werden (siehe auch: Die wahren Kosten eines Kilometers Autofahrt). Eine Studie von Andor et al. (2020) untersucht die Diskrepanz zwischen geschätzten und tatsächlichen Kosten des Autofahrens.2
Auf Basis einer Haushaltsbefragung von knapp 6.000 Haushaltsvorständen in Deutschland im Jahr 2018 zeigte sich, dass die Gesamtkosten des Autofahrens deutlich unterschätzt werden. Die Verbraucher unterschätzen die Gesamtkosten, die mit dem Besitz eines Autos verbunden sind, um durchschnittlich 221 Euro (240 US-Dollar) pro Monat. Die Fehleinschätzung beläuft sich auf 52% der tatsächlichen Kosten, d.h. die Gesamtkosten sind fast doppelt so hoch wie angenommen.3 Werden nur die Personen betrachtet, die Angaben zu allen Kostenfaktoren einschließlich Kraftstoffkosten, Wertverlust, Reparaturkosten, Steuern und Versicherung gemacht haben, beträgt die durchschnittliche Abweichung zwischen geschätzten und tatsächlichen monatlichen Gesamtkosten 161 Euro. Das entspricht 35 Prozent der tatsächlichen Kosten.
Während die meisten Befragten ihre monatlichen Kraftstoffkosten relativ genau einschätzen konnten (die Schätzungen deuten nur auf zufällige Fehleinschätzungen hin), wurden Wertverlust, Reparaturkosten sowie Steuern und Versicherungen deutlich unterschätzt. Auch wird die Kfz-Steuer von den Autobesitzern nicht in vollem Umfang wahrgenommen. Durch Information und verständliche Kennzeichnung könnte die Wahrnehmung einzelner Kostenkomponenten wie bspw. der Kfz-Steuer verbessert werden.4 Laut Abschätzungen der Autoren könnte der Pkw-Bestand in Deutschland bei vollem Kostenbewusstsein in der Bevölkerung 17,6 Millionen (37 %) niedriger sein.5
Verweise
- Agora Verkehrswende (2022): Steuersignale zur Transformation der Pkw-Flotte. Reformoptionen für eine faire und klimagerechte Kfz- und Dienstwagenbesteuerung, S. 66 ↩
- Andor, M. A.; Gerster, A.; Gillingham, K. T. und Horvath, M. (2020): Running a car costs much more than people think — stalling the uptake of green travel. Nature 580, 453-455. https://doi.org/10.1038/d41586-020-01118-w ↩
- Andor, M. A.; Gerster, A.; Gillingham, K. T. und Horvath, M. (2020): Running a car costs much more than people think — stalling the uptake of green travel. Nature 580, S. 454 ↩
- Agora Verkehrswende (2022): Steuersignale zur Transformation der Pkw-Flotte. Reformoptionen für eine faire und klimagerechte Kfz- und Dienstwagenbesteuerung, S. 66 ↩
- Andor, M. A.; Gerster, A.; Gillingham, K. T. und Horvath, M. (2020): Running a car costs much more than people think — stalling the uptake of green travel. Nature 580, S. 454 ↩
Bezieht sich der verlinkte Artikel (€) überhaupt auf Deutschland? Wenn nein: Warum gehst du von einer 1:1 Übertragbarkeit aus?
Haushaltsvorstand: Das klingt so nach 50er-Jahre-Familie, als die Frau ihren Mann noch fragen musste, ob sie Rad fahren darf.
Ja, er bezieht sich natürlich auf Deutschland. Zitat: “We conducted a survey of the heads of German households — the people who self-report as being responsible for financial decisions — between 23 April and 12 June 2018. For every car owner, the survey elicited responses on the cost of ownership, based on the individual’s car type and driving behaviour, as well as socio-economic characteristics such as income, number of children and education. The work was done in collaboration with the survey institute Forsa in Berlin. It used a random sample of Forsa’s household panel, which is representative of the German-speaking population aged 14 and older.”
Vielleicht passt statt Haushaltsvorstand Haupteinkommensbezieher:in besser.
Und die Problematik mit wissenschaftlichen Publikationen hinter Paywall existiert 2023 leider immer noch. Ich würde auch lieber open access-Publikationen verlinken, leider gehört Nature nicht dazu.