Der Ruf asiatischer ÖPNV-Netze ist exzellent: sauber, pünktlich und verlässlich. Und nebenbei mit Millionen von Fahrgästen jeden Tag auch extrem leistungsfähig.
Es ist bereits heute absehbar, dass das Automobil in den Megastädten des asiatischen Raums nicht die Dominanz erreichen können wird, die es in Nordamerika oder Europa innehat. Das Straßennetz einer Stadt mit mehreren zehn Millionen Einwohnern würde bei einem Motorisierungsgrad wie in Europa oder den USA vollständig kollabieren. Die Stadt und ihre Bewohner würden wortwörtlich im und am Verkehr ersticken. Und auch das zumindest lokal emissionsfreie Elektroauto dürfte aufgrund des vergleichsweise hohen Flächenverbrauchs keine Lösung sein. Der elektrische Lieferverkehr, elektrisch angetriebene Zweiräder und der ÖPNV dürfte den Straßenraum derart in Beschlag nehmen, dass nicht viel Platz bleibt.
Wir in Westeuropa haben im vergangenen Jahrhundert unter Beweis gestellt, dass eine Massenmotorisierung und der Umbau unserer Städte hin zu autogerechten Strukturen kein tragfähiges Modell ist, da der Ausbau des Straßennetzes eine steigende Nachfrage nach motorisiertem Individualverkehr und Pkw-Besitz induziert. Seit den achtziger Jahren versuchen europäische Länder durch eine integrierte Verkehrsplanung, den Ausbau von Straßenbahnnetzen, welche zuvor großflächig der Idee einer autogerechten Stadt zum Opfer fielen, den Ausbau des ÖPNV-Angebots und die Förderung des Radverkehrs die negativen Effekte des Autoverkehrs zu minimieren und wieder lebenswerte und auf die Bedürfnisse der Menschen hin orientierte Städte zu schaffen.
Asiatische Städte werden von den von uns gemachten Erfahrungen lernen.
Meiner Meinung nach wird insbesondere der schienengebundene Nahverkehr aufgrund seiner hohen Leistungsfähigkeit das Rückgrat einer jeden größeren Stadt im asiatischen Raum bilden. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass die Qualität des Schienenpersonennnahverkehrs ebenso wie von Metrosystemen, Stadtbahn- und Straßenbahnen sowie Monorail und allen weiteren Mischformen des schienengebundenen Verkehrs sehr hoch ist.
Hongkongs Mass Transit Railway (MTR)
Das Streckennetz der Mass Transit Railway (kurz: MTR) umfasst zehn Linien mit 97 Stationen, davon eine Disneyland Resort Line und ein Airport Express. Hinzu kommt ein Stadtbahnsystem mit 12 Linien und 68 Stationen. Jeden Tag befördert die MTR in Hongkong (7,2 Millionen Einwohner) durchschnittlich 2,45 Millionen Fahrgäste. Etwa fünf Millionen Fahrten werden an Werktagen abgewickelt (ÖPNV in Hongkong gesamt: 11 Millionen Fahrten). Diese Leistungsfähigkeit ist bei einem ÖPNV-Anteil von über 90 Prozent am Gesamtverkehrsaufkommen auch dringend notwendig. 1
Mit einem Kostendeckungsgrad von 186 Prozent ist die MTR eines der profitabelsten Nahverkehrsangebote weltweit. Die Betreibergesellschaft MTR Corporation Limited (MTRCL) investiert einen Teil dieser Gewinne im Ausland.
Die sehr hohe Nachfrage stellt einige besondere Erfordernisse an den Betrieb. Um die Fahrgäste möglichst schnell und unkompliziert durch die Stationen zu leiten, sind diese besonders hell und geräumig gestaltet sowie mit eindeutiger Beschilderung ausgestattet. Wäre dies nicht der Fall, würden sich einzelne Fahrgäste in der Menschenmasse unwohl und verloren fühlen. Zudem senken orientierungslose Fahrgäste die Kapazität der Station, indem sie Zeit für die Wegsuche benötigen und nicht die direkten Wege nehmen. Anweiser und Bodenmarkierungen sorgen auf den Bahnsteigen dafür, dass sich die Fahrgäste richtig anstellen. Bei sehr hohem Fahrgastaufkommen helfen spezielle Barrieren mit Türen bei der Steuerung der Fahrgastströme.
Ebenfalls sind das Tarifsystem und das Fahrgeldmanagement eindeutig auf die Abwicklung eines hohen Fahrgastaufkommens ausgelegt.
Die Octopus-Karte ist eine wiederaufladbare, berührungslose Chipkarte, die im elektronischen Zahlungsverkehr in Hongkong benutzt wird und mittels RFID-Technik funktioniert. Vorgestellt im September 1997 als weltweit erste Fahrkarte dieser Art, hat sie sich zu einem weitverbreiteten bargeldlosen Zahlungsmittel entwickelt. Sie kann neben dem öffentlichen Verkehr unter anderem in Lebensmittelläden, Supermärkten und Parkhäusern verwendet werden. Die Octopus-Karte funktioniert berührungslos durch gewöhnliches Material wie Baumwolle oder Leder hindurch bis zu einem Abstand von mehreren Zentimetern. Das Abbuchen des Guthabens dauert 0,3 Sekunden. Einzelfahrscheine können über eine grafische Oberfläche im Design des Netzplans gekauft werden.
Züge der MTR fahren zwischen 05:30 Uhr und 01:00 Uhr je nach Linie im Zwei-Minuten Takt zur morgendlichen Hauptverkehrszeit und Sechs-Minuten-Takt zur Nebenzeit sowie an Sonn- und Feiertagen. Da die Haltestellenaufenthaltszeit exakt eine Minute beträgt, kann in Hongkong auch ein 2,1- oder 5,8-Minuten-Takt gefahren werden. Die Pünktlichkeit beträgt 99 Prozent. Im 1. Quartal 2013 erreichte die MTR sogar einen Pünktlichkeitswert von 99,9%. Zu 99,9% der Zeit konnte die vorgesehene Streckengeschwindigkeit gefahren werden.
U-Bahn Tokio
Die U-Bahn Tokio ist ein weiteres asiatisches Nahverkehrsnetz, welches höchsten Qualitätsansprüchen genügen muss. Mit jährlich ca. 3,1 Milliarden Fahrgästen das am stärksten in Anspruch genommene U-Bahn-System der Welt. Die 13 Linien der Tokioter U-Bahn werden täglich von durchschnittlich 7,8 Millionen Fahrgästen genutzt (zuzüglich S- und Regionalbahnen). Eine weitere Besonderheit der Tokioter U-Bahn ist, dass sie eigentlich aus zwei unterschiedlichen U-Bahn-Systemen besteht, welche sich zu einem Gesamtnetz ergänzen: die Tōkyō Metro (Joint Venture der Tokioter Präfekturregierung mit 46,6 % der Anteile und der japanischen Regierung mit 53,4%) und die Toei-U-Bahn im Besitz des Verkehrsamts von Tokio.
Das Netz der Toei-U-Bahn umfasst vier Linien mit 109 km Streckenlänge und 106 Bahnhöfen. Sie transportiert etwa zwei Millionen Fahrgäste am Tag. Die Tōkyō Metro bedient neun Linien mit 195,1 km Streckenlänge und 179 Bahnhöfen und befördert täglich etwa 6,33 Millionen Passagiere (2010). Neben der Hongkonger U-Bahn soll die Tōkyō Metro der weltweit einzige profitabel arbeitende U-Bahn-Betreiber sein.
Beide Gesellschaften haben unterschiedliche Tarife. Fahrkarten werden nicht gegenseitig anerkannt, das heißt, für eine Fahrt auf beiden Netzen muss man zwei Fahrkarten erwerben. Seit 2007 ist es möglich im Netz der Tōkyō Metro mit der (RFID) Pasmo-Smartcard (ähnlich der Octopus-Card der MTR) und dem ähnlichen JR East Suica-System zu zahlen. Beide elektronischen Fahrausweise werden darüber hinaus bei anderen Nahverkehrsunternehmen in Tokio sowie bei verschiedenen japanischen Eisenbahngesellschaften, Supermärkten und anderen Anbietern akzeptiert.
Die U-Bahn-Züge in Tokio verkehren ebenfalls extrem pünktlich, der maximale Taktabstand über den Tag hinweg und in der Nacht beträgt meistens weniger als fünf Minuten. Betriebspause ist zwischen 01:00 Uhr bis 05:00 Uhr. Die Fahrzeiten werden in Zehntelsekunden gemessen. Da die Fahrer nur auf einer einzigen Linie nach einem mehrmonatigen Training eingesetzt werden, benötigen sie keine Geschwindigkeitsanzeigen und fahren rein nach Gefühl:
Während der Hauptverkehrszeiten ist die Tokioter U-Bahn häufig überfüllt. Insbesondere während der morgendlichen Hauptverkehrszeit drücken die sogenannten “oshiya” Fahrgäste in die Wagen, sodass die Türen sich schließen können. Auf einigen Linien dürfen während der Hauptverkehrszeit zur Verhinderung von sexueller Belästigung nur Frauen in den ersten Wagen einsteigen.
Der Bahnhof Shinjuku (jap. 新宿駅, Shinjuku-eki) ist mit über drei Millionen Passagieren pro Tag neben Chhatrapati Shivaji Terminus im indischen Mumbai einer der verkehrsreichsten Bahnhöfe der Welt. Je nach Quelle wird er täglich von einer bis zu vier Millionen Passagieren genutzt. In der Stoßzeit am Morgen steigen im Durchschnitt pro Sekunde etwa 500 Menschen auf den ca. dreißig Bahnsteigen ein oder aus.
Einen guten Eindruck über das Tokioter U-Bahn-System und den Bahnhof Shinjuku gibt diese Dokumentation:
Aktualisierung – 23.03.2014
In einer früheren Version dieses Artikels stand, dass sich MTR um den Betrieb eines Teilnetzes der S-Bahn Berlin bewerbe. Insidern zufolge haben sich MTR aus Hongkong, JR East aus Japan und RATP aus Paris jedoch mittlerweile aus dem Bieterverfahren zurückgezogen. Derzeit scheinen sich nur noch die Deutsche Bahn und das britische Verkehrsunternehmen National Express um die Ringbahn (S 41 und S 42), die künftige Linie S 46 (Königs Wusterhausen– Hauptbahnhof), die S 47 (Südkreuz– Spindlersfeld) und die neue S 8 (Zeuthen– Hohen Neuendorf) zu bewerben. Ich bitte wegen des Fehlers um Entschuldigung.
- Lam, William H. K.; Bell, Michael G. H. (2003). Advanced Modeling for Transit Operations and Service Planning. Emerald Group Publishing. p. 231. ISBN 978-0-08-044206-8. ↩