Analyse

Mobilitätsdaten der Pandemiejahre 2020 – 2022 sind nicht sinnvoll interpretierbar und vergleichbar

Foto: Nicolas Weldingh @ Unsplash.com - Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch die Unsplash-Lizenz
Die Coronapandemie hat das Verkehrsgeschehen stark beeinflusst. Aussagen zum Verkehr für die Jahre 2020, 2021 und 2022 sollten nicht mit anderen Jahren verglichen werden. Dies gilt insbesondere für Angaben zur Verkehrsmittelnutzung (Modal Split).

Die Covid19-Pandemie war für viele Lebensbereiche mit Einschränkungen und abrupten Veränderungen verboten. Viele Menschen blieben vermehrt zu Hause, das Arbeits-, Bildungs- und Freizeitgeschehen veränderte sich stark. Der Einzelhandel in vielen Innenstädten war geschlossen, gleiches galt für die Gastronomie. Der Verkehr nahm stark ab.

Aufgrund dieser coronabedingten Ausnahmesituation können statistische Angaben zum Verkehrsgeschehen nicht mit Vorjahreswerten verglichen und Zeitreihen gebildet werden. Dies gilt für Verkehrsunfallzahlen, Verkehrszählungen, Fahrleistungsangaben, Fahrgastzahlen im öffentlichen Verkehr und viele weitere verkehrsbezogene Indikatoren. Erhebungen zum Mobilitätsverhalten der Bevölkerung in einem Land, einer Stadt oder einer Region können – wenn überhaupt – nur in einem eng abgesteckten Rahmen sinnvoll interpretiert werden. Vergleiche mit anderen Erhebungen oder Werten vor dem Jahr 2020 und Bezüge künftiger Daten auf die Pandemiejahre sollten unterlassen werden.

Mobilitätsuntersuchungen der Pandemiejahre wie bspw. MobiHam 2022 (Hamburg) oder in Köln zeigen eine starke Verschiebung vom öffentlichen Verkehr insbesondere hin zum Fußverkehr und Radverkehr. In ländlicheren Gebieten gab es mitunter starke Verschiebungen hin zum motorisierten Individualverkehr (Pkw und Motorrad). Diese Individualverkehrsmittel wurden bezüglich der Ansteckungsgefahr als sicherer wahrgenommen und daher vermehrt gewählt. Dieser Unterschied in der Verkehrsmittelwahl zeigt sich auch im sogenannten Modal Split, der den prozentualen Anteil der einzelnen Verkehrsarten am Gesamtverkehrsgeschehen ausweist. Insbesondere dieser Wert ist nicht mit Modal Split-Werten anderer Jahre vergleichbar, da die Gesamtzahl der zurückgelegten Wege weitaus geringer war und die Anteile der einzelnen Verkehrsarten entsprechend der Gesamtsituation – man könnte durchaus sagen schockbedingt – verzerrt waren. Durch den viel stärkeren Rückgang der mit öffentlichen Verkehrsmitteln absolvierten Wege steigt der Anteil der mit dem Rad, dem Pkw oder der zu Fuß zurückgelegten Wege, obwohl diese absolut betrachtet ebenfalls deutlich weniger geworden sind. Die anzunehmende pandemiebedingte Zunahme von Fußwegen insbesondere im Wohnumfeld ist oftmals nicht nachweisbar, da der Fußverkehr in einzelnen Quartieren nahezu nie automatisiert gezählt wird. Der Rückgang des absoluten Verkehrsaufkommens zeigt sich im relativen Modal Split gar nicht.

Mit dem Verlauf des Pandemiegeschehens im Jahr 2022 änderte sich das Mobilitätsverhalten wieder. Die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel nahm ebenso wie die Gesamtzahl der zurückgelegten Wege und Distanzen wieder zu. Die Nutzung von Gastronomie, Einzelhandel, Kultur- und Freizeiteinrichtungen, der Besuch von Veranstaltungen und private Treffen waren wieder möglich, ausgefallene Reisen wurden nachgeholt. Erhebungen des Jahres 2023 und der folgenden Jahre dürften wieder belastbare, interpretierbare und mit Vorjahren vergleichbare Ergebnisse liefern. Bis dahin sollte man darauf verzichten und auch zukünftig keine Werte mit den Pandemiejahren 2020 – 2022 vergleichen.

Lesen Sie hier, welche grundsätzlichen Schwächen der Modal Split hat und wieso Modal Split-Werte nicht zur Formulierung von Zielen (z. B. 25 % MIV, 75 % Umweltverbund) genutzt werden sollte.

Anonymous

Randelhoff Martin

Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
Ist interessiert an innovativen Konzepten zum Lösen der Herausforderungen von morgen insbesondere in den Bereichen urbane Mobilität, Verkehr im ländlichen Raum und nachhaltige Verkehrskonzepte.

Kontaktaufnahme:

Telefon +49 (0)351 / 41880449 (voicebox)

E-Mail: randelhoff [ät] zukunft-mobilitaet.net

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
0 Kommentare
Inline Feedbacks
View all comments

Jetzt abonnieren

4.416Fans
8.046Follower
2.618RSS-Abonnements
990Follower
  

Neue Diskussionsbeiträge

  • AnonymousAlfons Krückmann zu News- und Diskussionsfaden April 2024Mittlerweile hat das Münsteraner Ordnungsamt den Abbau der Blumenkübel durchgesetzt. Schon Stunden später war die 'Welt wieder in Ordnung': Gehwege wieder komplett zugeparkt.
  • AnonymousNorbert zu News- und Diskussionsfaden April 2024VMK Nachlese beim WDR und direkt anschließend im Beitrag geht es um Münsteraner, die sich gegen Gehwegparken wehren. https://www.ardmediathek.de/video/Y3JpZDovL3dkci5kZS9CZWl0cmFnLXNvcGhvcmEtZGZkNThlMDMtZGZmMC00NDJkLWE4MmQtZGIxNDM5OGJkOTBj
  • AnonymousNorbert zu News- und Diskussionsfaden April 2024Quelle? Die Aufgabe waren Gags, Gags, Gags. :-)
  • AnonymousNorbert zu News- und Diskussionsfaden April 2024https://www.dmz-news.eu/2024/04/15/der-vw-chef-redet-von-e-fuels-und-wirtschaftsjounalisten-versäumen-ihren-job/ Über das Versagen der Wirtschaftspresse hinsichtlich der Antriebe.
  • AnonymousRandelhoff Martin zu News- und Diskussionsfaden April 2024Ist auch ein gutes Stück konjunkturell bedingt. In Ludwigshafen kann man die Absatzmenge des BASF-Werks direkt daneben legen: 2022: ~7,3 Mio. t 2023: ~6,1 Mio. t

Auszeichnungen

Grimme Online Award Preisträger 2012

Zukunft Mobilität hat den Grimme Online Award 2012 in der Kategorie Information erhalten. Ich möchte mich bei all meinen Lesern für die Unterstützung bedanken!

PUNKT Preisträger 2012

Zukunft Mobilität hat den PUNKT 2012 der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) in der Kategorie "Multimedia" gewonnen.

Logo VDV Verband Deutscher Verkehrsunternehmen

Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V. (VDV) hat mich im Rahmen der VDV-Jahrestagung 2013 in Mainz als “Talent im ÖPNV” des Jahres 2013 ausgezeichnet. Der VDV vertritt rund 600 Unternehmen des Öffentlichen Personennahverkehrs, des Schienenpersonennahverkehrs, des Schienengüterverkehrs, der Personenfernverkehrs sowie Verbund- und Aufgabenträger-Organisationen.

Lizenz

Zukunft Mobilität Creative Commons

Die Inhalte dieses Artikels sind - soweit nicht anders angegeben - unter CC BY-SA 3.0 de lizensiert. Grafiken sind von dieser Lizenz aus Vereinfachungs- und Schutzgründen ausgenommen (Anwendung aufgrund der Verwendung von Grafiken / Bildern mit unterschiedlichen Lizenzen zu kompliziert) außer die CC-Lizenz ist ausdrücklich genannt.

Weitere Informationen

Verfasst von:

Anonymous

Randelhoff Martin

Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
Ist interessiert an innovativen Konzepten zum Lösen der Herausforderungen von morgen insbesondere in den Bereichen urbane Mobilität, Verkehr im ländlichen Raum und nachhaltige Verkehrskonzepte.

Kontaktaufnahme:

Telefon +49 (0)351 / 41880449 (voicebox)

E-Mail: randelhoff [ät] zukunft-mobilitaet.net