Dies ist ein Gastartikel von Paul Balzer. Er betreibt einen sehr empfehlenswerten Blog über Fahrzeugtechnik. Wenn auch Sie Interesse haben, hier einen Gastartikel zu veröffentlichen, dann schreiben Sie uns bitte. Alles Wissenswerte zum Thema Luftverschmutzung durch den Verkehr, Feinstaub, Luftreinhaltepläne und Umweltzonen finden Sie in unserem Dossier.
Aufgrund der oftmals schlechten Luftqualität und strikten Grenzwerten seitens der EU (siehe auch Umweltzonen in Deutschland – eine Einführung) führen deutsche Städte Umweltzonen ein, welche Fahrzeuge mit roten oder gelben Plaketten aussperren.
Doch macht dieses Instrument eigentlich Sinn?
Feinstaubbelastung in Städten
Das Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme IVI hat in den Jahren 2001 – 2003 die PM10 Belastung in den deutschen Städten Frankfurt, Karlsruhe, Mannheim und Stuttgart gemessen und miteinander verglichen. Die Partikelmasse (PM) ist ein Messwert für die Bestimmung der Luftqualität. Der gängige limitierte Wert ist PM10, deren aerodynamischer Durchmesser weniger als 10 Mikrometer (10 µm) beträgt.
Quelle: Vorlesung “Modellierung und Simulation” von Dr. Matthias Klingner, Fraunhofer IVI Dresden
Auffällig ist, dass die Belastungen und die damit verbundenen Grenzwertüberschreitungen in allen vier getesteten Städten ungefähr zur gleichen Zeit auftraten. Dies bedeutet, dass entweder unabhängig von der Stadt und dem Tag in allen Städten ungewöhnlich viele Fahrzeuge mit starken Feinstaubemissionen zur gleichen Zeit fuhren oder es eine gemeinsame Variable gibt, deren Auftreten sich in allen Städten zeitlich überlagert.
Klimadaten und Feinstaubbelastung
Das Wetter hat auf die Feinstaubbelastung eines Ortes einen größeren Einfluß, als man zunächst annehmen möchte. Je nach Windrichtung, Windstärke und Temperatur verbleiben die Staubteilchen am Emissionsort oder dessen unmittelbarer Umgebung oder sie gelangen an andere Orte. Im Winter kommt es zudem zu sogenannten austauscharmen “Inversionswetterlagen”, in denen der Feinstaub nicht aus einer Stadt heraustransportiert wird.
Dies lässt sich auch in folgendem Diagramm erkennen:
Quelle: Vorlesung “Modellierung und Simulation” von Dr. Matthias Klingner, Fraunhofer IVI Dresden
Neben den Partikelwerten werden in den Messstationen auch Wetterdaten wie Luftdruck, Luftfeuchte, Temparatur, usw. erhoben. Die folgende Darstellung zeigt farblich die Feinstaubbelastung über 2 Jahre (horizontal) und in 1/2h-Auflösung (von oben nach unten), wobei dunkelrot eine geringe Belastung und weiß eine sehr starke Belastung darstellt.
Bezieht man die Klimadaten relative Luftfeuchte, Temperatur und Niederschlag in die Analyse mit ein, so lässt sich eine hohe Korrelation zwischen den Klimadaten und der Feinstaubbelastung erkennen. Durch die lange Beobachtungsdauer und die gute Auflösung (1/2h Rythmus) sind diese Daten valide und können für eine qualifizierte Bewertung verwendet werden.
Desweiteren ist auffällig, dass die Feinstaubbelastung sehr stark von der Temperatur abhängt. Erwärmt sich die Luft um ein paar Grad (beispielhaft Temperaturdifferenz zwischen 5 Uhr und 13 Uhr), so verändert sich die Feinstaubbelastung massiv (siehe nachfolgende Abbildung links). Eine stärkere Verkehrsbelastung an der Messstation konnte im gleichen Zeitraum jedoch nicht festgestellt werden (siehe Abbildung rechts).
Der Knick um die Mittagszeit lässt sich damit erklären, dass sowohl der horizontale als auch der vertikale Luftaustausch zu dieser Zeit am größten ist. Die Luft wird in den oberen Höhenlagen “gereinigt”. Wärme selbst verbessert die Feinstaubprobleme, im Sommer gibt es keine, da die Mischungsschichthöhe deutlich über der im Winter liegt. Ganz schlecht sind kalte Wintertage mit hoher Sonneneinstrahlung, wenig Luftbewegung und Inversionswetterlagen.
Fraunhofer Feinstaubmodell zur Vorhersage der Feinstaubbelastung
Bislang wissen Kommunen nur in den seltensten Fällen, wie sich die Feinstaubbelastung in einem 24-Stunden-Zeitraum entwickeln wird. Mit Hilfe einer Prognose wäre es möglich, mögliche grenzwertüberschreitungen frühzeitig zu erkennen und dynamisch zu reagieren. Denkbar wären beispielsweise Einfahrverbote für gewisse Fahrzeugtypen, den Schwerlastverkehr oder die Sperrung bestimmter Straßenabschnitte für den gesamten Verkehr. Mit einem solchen Modell würden Fahrzeuge nicht wie heute üblich, generell ausgesperrt werden, sondern nur bei entsprechender Notwendigkeit.
Da die Modellierung der Gesamtsituation extrem Nichtlinear und auch teilweise die Zusammenhänge unbekannt sind, entschied sich das Fraunhofer dazu das Modell mittels Neuronaler Netzwerke abzubilden und mit den vorhandenen Messungen zu trainieren 1.
Die Zuverlässigkeit und Güte des Modells konnte durch folgenden Vorhersageverlauf nachgewiesen werden:
Quelle: Klingner, M.; Sähn, E.: Prediction of PM10 concentration on the basis of high resolution weather forecasting. Meteorologische Zeitschrift, Volume 17, Number 3, June 2008, pp. 263-272
Verkehrsbelastung hat kaum Auswirkung auf Feinstaubbelastung
Das Modell bezieht Klimadaten mit ein und sagt die Feinstaubbelastung voraus. Es ist auffällig, dass die Anzahl der passierenden Fahrzeuge kaum relevant ist. Daher sind kurzfristige Maßnahmen, wie die Einführung einer Umweltzone, eher als sinnfrei anzusehen. Wenn man bedenkt, dass mittlerweile 1L/100km Kraftstoff benötigt wird um die Abgasnachbehandlung betreiben zu können, das Fahrzeuggewicht dementsprechend steigt, ist es umso fraglicher, ob wir da die richtigen Maßnahmen ergreifen. Herr Dr. Klingner, Institutsleiter der Fraunhofer IVI, formuliert es politisch korrekt mit:
[…] dabei das Verhältnis zwischen Aufwand und Wirkung bei der Umsetzung von Maßnahmen im Rahmen von Luftreinhalteplänen zu wahren […]
Was er damit vermutlich sagen möchte: Man sollte keine sinnlosen, kurzfristigen Aktionen starten, welche offensichtlich kaum/keine Wirkung haben. Das Aussperren von Fahrzeugen mit gelber oder roter Plakette hat mitunter keine Auswirkung (man berechnete eine Verringerung um 4% auf die Feinstaubbelastung) aber drangsaliert viele Gewerbetreibende und Besucher von Innenstädten. Sogar das vollständige Aussperren von allen Fahrzeugen ist ein Aktionsplan der genutzt wird.
Durch die Umweltzone, welche ja trotzdem alle Fahrzeuge mit grüner Plakette passieren lässt, kann nur der 14% Anteil des 32% Anteils, also insgesamt nur knapp 5%, reduziert werden. Andere Zahlen aus anderen Quellen nennen ähnliche Größenordnungen für das Reduzierungspotential. Es wurde sich bewusst auf die Datengrundlage Wikipedia bezogen, da dort eine gewisse Unabhängigkeit gewahrt wird.
In der Studie “Möglichkeiten und Grenzen verkehrsbeschränkender Maßnahmen zur Einhaltung der zulässigen PM10-Tagesgrenzwerte in der Stadt Ulm”, welche von der IHK Ulm in Auftrag gegeben wurde, sank die Wahrscheinlichkeit die Grenzwerte an mehr als 35 Tagen im Jahr zu überschreiten von 99.9% (ohne Umweltzone) auf 99.8% (mit Umweltzone).
Fazit
Natürlich sind leisere, verkehrsberuhigte und/oder fußgängerfreundlichere Städte angenehmer. Aber darum soll es an dieser Stelle nicht gehen. Problematisch ist vor allem die Wahl unserer Maßnahmen und Werkzeuge. Mit viel (Verwaltungs)Aufwand werden Umweltzonen geschaffen, Fahrzeuge ausgesperrt und Kosten, beispielsweise für Partikelfilter, verursacht, ohne dass dies eine signifikante Auswirkung auf die Feinstaubbelastung und die Luftqualität in den Innenstädten hat. Das ist schade, denn man könnte das Engagement ja auch in eine sinnvolle Richtung bündeln.
Zusammenfassend kann man sagen:
Das Wetter bestimmt weitgehend die Feinstaubbelastung, weil es die Luft mehr oder weniger umwälzt.
Nicht der LKW und schon gar nicht der PKW.
Wie man hört waren die EU Kommissare nicht sehr interessiert an den Ergebnissen, denn sie würden das bisherige in Frage stellen. Zumindest wurde erreicht, dass die Grenzwerte für Jahresdurchschnittswerte wieder etwas gelockert wurden. Das Fraunhofer IVI ist seither allerdings nicht mehr mit der Modellierung solcher Sachverhalte betraut worden.
Vielen Dank an Elke Sähn vom Fraunhofer IVI für die wissenschaftliche Beratung zu diesem Artikel.