Ende der 1980er Jahre entwickelte Peter Calthorpe1 – parallel und gemeinsam mit anderen – das Konzept des Transit Oriented Development (TOD), das 1993 durch sein Buch “The Next American Metropolis: Ecology, Community, and the American Dream” in der Planungsprofession breiter bekannt wurde.
Er positionierte TOD zum einen als regionales und zum anderen als lokal-stadtteilbezogenes Strukturmodell. TOD soll “mischgenutzte Strukturen, die Menschen ermutigt, in der Nähe eines Zugangs zum ÖPNV zu leben und ihre Abhängigkeit vom Autofahren zu verringern” zum Ergebnis haben.2 Dies setzt neben einer strukturellen Kompaktheit und Nutzungsdurchmischung auch gute Bedingungen für den Fußverkehr wie bspw. breite und nicht zugeparkte Gehwege und sichere Querungsmöglichkeiten voraus. Auf regionalem Maßstab soll es über eine Form des Hub-Modells Verkehre an ÖPNV-Knoten bündeln und die erste und letzte Meile, der Zu- und Abgang, über den Fußverkehr bzw. bei größeren Distanzen über ergänzende Verkehrsmittel erfolgen. Siedlungsstrukturen, die nicht neu, sondern seit Anfang des 20. Jahrhunderts mit dem damaligen Aufkommen der (Vorort-)Eisenbahn und Straßenbahn flächendeckend entstanden sind. Calthorpe bezeichnet die zu dieser Zeit entstehenden Strukturen jedoch als “Development-Oriented Transit”, die verkehrliche Erschließung sei erst als Reaktion auf die neu entstehenden Siedlungen mit der dortigen Verkehrsnachfrage erfolgt. Bei Transit Oriented Development gehe der Impuls für Siedlungsentwicklung vom ÖPNV aus. Die Haltestellen und neuen Strecken werden zunächst im “Nichts” errichtet, die Bebauung sei eine Folge der besseren Erschließung. Zudem stehe nicht der “Auto-Oriented Transit” im Vordergrund. Dies bedeutet, der Zugang zum ÖPNV erfolge nicht wie in den USA häufig üblich mit dem Pkw über Park & Ride, sondern im Idealfall zu Fuß.3
Diese “ÖPNV-orientierten Entwicklungen [sollen] das Potenzial [haben], die Lebensqualität der Bewohner zu verbessern und die Transportkosten der Haushalte zu senken, während sie in der Region stabile Wohnviertel mit gemischten Einkommensniveau erzeugen, die Umweltauswirkungen verringern und echte Alternativen zu Verkehrsstaus bieten.”4
In Realität können viele TOD-Projekte die in sie gesteckten Hoffnungen nicht erfüllen. “Irgendwo zwischen der Konzeptualisierung und der Eröffnung werden viele Projekte zu ziemlich traditionellen Vorstadtsiedlungen, die einfach nur in der Nähe eines ÖPNV-Zugangs liegen.”5 Für viele der Transit Oriented Development-Projekte scheint somit der Begriff “Transit Adjacent Development (TAD)”-Projekt treffender zu sein. In einer Untersuchung kam Renne (2009) zu dem Ergebnis, dass 97 % aller Bahnhöfe in den USA in einem TAD-Umfeld und nicht in einem TOD-Umfeld liegen.6 Belzer und Autler (2002) stellten fest, dass die meisten US-Bahnhöfe standardmäßig mit Park & Ride-Anlagen angelegt werden. Sie sind so gestaltet, dass sie vorrangig mit dem Pkw funktionieren.7
Zwei Beispiele illustrieren dies:
Die Rahmenbedingungen verhindern es oftmals, dass TAD-Projekte ihr TOD-Potenzial entfalten können: kostenlose und zu viele Parkplätze, schlechte Bedingungen für den Fußverkehr, ein schlechtes ÖPNV-Angebot, eine falsche Nutzungsmischung im Haltestellenumfeld, fehlende ÖPNV-Verbindungen zwischen den Wohngebieten und Arbeitsplätzen und veraltete Zonierungscodes (= Bauleitplaung im weiteren Sinne). Ewing et al. (2018) haben die unterschiedlichen Einflussgrößen auf eine TOD-Entwicklung im Umfeld von 549 Bahnhöfen (Voll- und Stadtbahn) in acht US-Regionen untersucht8. Weiterer Untersuchungsgegenstand waren die Wahl des Verkehrsmittels für den Zu- und Abgang zur Station. Sie zeigen, dass die Nutzung des Automobils mit der Nutzungsvielfalt und der Gestaltung des Straßennetzes im Bahnhofsumfelds verbunden ist. Die ÖPNV-Nutzung hängt stark mit der ÖPNV-Verfügbarkeit und der Nutzungsmischung zusammen; das Gehen ist mit der ÖPNV-Verfügbarkeit, der Nutzungsmischung und der Gestaltung des Straßennetzes verbunden. Den geringsten Einfluss hat die Dichte. Nicht in der Studie betrachtet wurden aufgrund fehlender Daten Faktoren wie die Parkraumverfügbarkeit und -bepreisung, die Verfügbarkeit von Gehwegen entlang von Straßen, u.a.[a.a.O., S. 282]
Die Bebauungs- und Bevölkerungsdichte wird jedoch oftmals zur Erfolgsbewertung eines TOD-Entwicklungsprojekts herangezogen. “Während es klar ist, dass mehr Wohn- und Geschäftsaktivitäten in der Nähe von Bahnhöfen [und Haltestellen] positiv sind, scheint die vorhandene Literatur zuweilen die Dichte als Thema überzubetonen und dazu zu neigen, die Frage nach der Verkehrserzeugung (höhere Anzahl von Fahrten mit dem ÖPNV durch die größere Zahl von Wohnungen in der Nähe) mit der Frage der Verkehrsmittelaufteilung (wiedergegeben im Modal Split) zu vermischen.”9 Mees (2010) schlägt hingegen vor, in der strategischen Planung weniger auf Dichte zu achten und den Erfolg von TOD-Projekten mithilfe der ÖPNV-Netzeinbindung und der ÖPNV-Performance / Verkehrsleistung zu bestimmen.10
Renne grenzt die Eigenschaften von Transit Oriented Development (TOD) vs. Transit Adjacent Development (TAD) wie folgt ab:11
Transit Adjacent Development (TAD) | Transit Oriented Development (TOD) |
---|---|
suburbanes Straßennetz | Rasterförmiges Straßennetz |
geringe Dichte | hohe Dichte |
straßenseitiges Oberflächenparken | Vorwiegend Parken in Tiefgaragen oder Parkhäusern |
schlechte Bedingungen für den Fußverkehr / fehlende oder zugeparkte Gehwege, fehlende sichere Querungsmöglichkeiten | gute Bedingungen für den Fußverkehr |
Eingeschränkte oder fehlende Radabstellmöglichkeiten / fehlende Qualität für den Radverkehr | gute Erreichbarkeit und Abstellmöglichkeiten für den Radverkehr |
zum Großteil Einfamilienhäuser | mehrgeschossiger Wohnungsbau |
Industrielle Landnutzung | Büroflächen und Einzelhandelsflächen entlang der Hauptverkehrsader |
Nutzungsentmischung / -trennung | Vertikal und horizontal gemischte Landnutzung |
Tankstellen, Autohäuser, Drive-Thru-Märkte und andere autofokussierte Nutzungen |
Hale (2014) bemerkt darüber hinaus, dass es nicht nur an standardisierten Kriterien fehle, wann ein TOD-Projekt ein TOD-Projekt sei, sondern auch an einer Metrik bzw. einem Zielwert. Er schlägt vor, die Grenze zwischen TAD und TOD bei 50 % Anteil für den Umweltverbund (ÖPNV, Fuß und Rad) zu ziehen. Wenn diese und nicht der motorisierte Individualverkehr (= Pkw) den Großteil am Verkehrsaufkommen eine Stadtquartiers ausmache, könne man von einem Transit Oriented Development-Projekt sprechen.12
Dies mache auch aus dem Grund Sinn, da regionale Planungsagenturen TOD-Projekte wegen ihrer ursprünglich angedachten Form und Wirkung fördern und zudem als Landnutzung in der Verkehrsmodellierung verwenden. In der Praxis habe sich jedoch wenig im tatsächlichen Verhalten der US-Amerikaner oder ihren Verkehrspräferenzen geändert, um eine Nachfrageverschiebung nach Pkw-orientierten Vorortstrukturen hin zu TOD-Strukturen erkennen zu können.
Auch Peter Calthorpe traf die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis: Die von ihm als TOD-Projekt entworfene Siedlung Laguna West im Sacramento County, Kalifornien, scheiterte am fehlenden Stadtbahnanschluss. Die ursprünglich geplante Verlängerung der Blauen Linie von Sacramento wurde umgeplant und verläuft nun nach Osten in Richtung Elk Grove, etwa 2 bis 3 Meilen nördlich von Laguna West. Die Siedlung wird somit wie viele andere US-Vororte nicht von öffentlichen Verkehrsmitteln bedient und ist vollständig vom Auto abhängig.
Fazit
Transit Oriented Development scheitert häufig nicht an der Grundidee, sondern vielmehr an der Umsetzung. Die Idee macht sich zunächst in Katalogen von Immobilienentwicklern gut, bedarf aber aufgrund der im Vergleich zu konventionellen Immobilienprojekten höheren Komplexität einer besseren Planung mit ganzheitlichem Ansatz.
Quellenverzeichnis
- Peter Calthorpe, Autor von “Urbanism in the Age of Climate Change”, ist Architekt und Stadtplaner und Direktor von Calthorpe Associates. Er ist einer der Gründer des Congress for New Urbanism (CNU) und hat neben verschiedenen Stadtentwicklungsprojekten auch Regionalpläne für Portland, Salt Lake City, Los Angeles und den Post-Hurrikan Southern Louisiana erstellt. Mittlerweile ist er vermehrt im Auftrag chinesischer Städte tätig. ↩
- Still, T. (2002): Transit-Oriented Development: Reshaping America’s Metropolitan Landscape. In: On Common Ground. Winter 2002 ↩
- Für nähere Informationen zur Geschichte des Transit Oriented Development siehe auch: Carlton, Ian 2007: Histories of Transit-Oriented Development: Perspectives on the Development of the TOD Concept Real Estate and Transit, Urban and Social Movements, Concept Protagonist. Working Paper 2009-02. Institute of urban and regional development. University of California. Berkeley ↩
- Ditmarr, Hank; Ohland, Gloria 2004: The New Transit Town: Best Practices in Transit-Oriented Development. Washington: Island Press. Übersetzung des Autors. ↩
- ebd. ↩
- Renne, J.L. 2009: From transit-adjacent to transit-oriented development. Journal of Local Government. 14(1). 1-15; S. 1 ↩
- Belzer, D.; Autler, G. 2002: Transit Oriented Development: Moving from Rhetoric to Reality. Washington, DC: Brookings Institution and The Great American Station Foundation, S. 5 ↩
- Park, Keunhyun; Ewing, Reid; Scheer, Brenda C.; Tian, Guang 2018: The impacts of built environment characteristics of rail station areas on household travel behavior. Cities 74. 277-283 ↩
- z. B. Belzer, D.; Autler, G. 2002: Transit Oriented Development: Moving from Rhetoric to Reality. Washington, DC: Brookings Institution and The Great American Station Foundation, S. 5 ↩
- Mees, P. 2010: Transport for Suburbia. London: Earthscan ↩
- Renne, J.L. 2009: From transit-adjacent to transit-oriented development. Journal of Local Government. 14(1). 1-15 ↩
- Hale, Chris 2014: TOD versus TAD: The great debate resolved…(?). Planning Practice and Research. 29 (5). 492-507, S. 504 ↩
Es werden Ziele gesteckt ,und tolle Pläne gemacht und leider davon zu wenig umgesetzt und die dritte Dimension den Luftraum so gut wie nicht berücksichtigt.
Ich denke der fundamentale Fehler ist, dass man besser Städte für Fußgänger bauen sollte. Das mit dem ÖPNV muss man natürlich auch berücksichtigen, aber der ÖPNV kann auch nichts auffangen, was für Fußgänger und Radfahrer verpasst wurde
Da ist auf jeden Fall etwas dran, nur sind ab einer gewissen Stadtgröße die Entfernungen einfach so groß, dass man ohne ÖPNV einfach zu lange von A nach B benötigt.
Ich meinte auch nicht “ohne ÖPNV”. Es ist nur die Frage, wie man Straßen baut. Wenn Fußgänger nicht im Mittelpunkt stehen, bleiben auch Haltestellen und deren Umgebung Fremdkörper.