Straßenverkehr urbane Mobilität Verkehrsgeschichte

Abteilung Killerphrasen (1986)

Screenshot: Der Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Bonn (1986): Stadtverkehr im Wandel. Bonn. S. 11

Der Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau informiert im Jahr 1986 mit der lesenswerten Broschüre “Stadtverkehr im Wandel” über Verkehrsberuhigung und die stadtverträgliche Abwicklung von Kfz-Verkehr.1 37 Jahre später lesen sich viele Inhalte weiterhin erschreckend aktuell:

Allerdings: Nur zu oft kaufen sich die Bauträger von Neubauten in dicht besiedelten Gebieten von der Pflicht der Stellplatzvorsorge frei. Meist zu billig. Dabei ist eine Versorgung der Anwohner mit Parkständen auch möglich, wenn es auf dem Grundstück selbst keine Möglichkeit dazu gibt. Denn ein paar Minuten Fußweg zur nächsten Sammelgarage sind durchaus zumutbar. Schließlich gibt es ja auch nicht vor jeder Haustür eine Bushaltestelle.

Bald keine Kfz-Zulassung mehr ohne Stellplatz?

Vielleicht ist das die effektivere Regelung. In Japan ist die Zulassung eines Autos ohne den Nachweis über einen Stellplatz schon lange nicht mehr möglich. Und auch von dem Recht der höheren Parkgebühren am Straßenrand wird in Deutschland bisher zu wenig Gebrauch gemacht. Die Gebühren an Parkuhren, für Parkscheine und für die Anwohnerlizenz müssen konsequenterweise den Preisen für Garagen angeglichen werden. Kostenloses Abstellen von Autos auf kostbarem Stadtgrund dürfte es überhaupt nicht mehr geben!

– S. 54

Mich als Zeitpunkt der Veröffentlichung noch nicht Geborenen macht es sehr nachdenklich, wenn man auch heute noch damalige Ideen und Gedanken problemlos in Maßnahmenkataloge aufnehmen und in Präsentationen anführen kann.

Auf Seite 79 findet sich die Abteilung Killerphrasen. Die Argumentationsmuster scheinen sich in den vergangenen 37 Jahren nicht maßgeblich verändert zu haben. Eingeleitet wird der Inhalt mit “Erstens: Das haben wir schon immer so gemacht! Zweitens: Das haben wir noch nie so gemacht!” und wird wie folgt weiter ausgeführt:

“Sicher können Sie jetzt keine Verkehrsplanung machen. Aber Sie können, sachliche, kritische Fragen stellen. Und vor allem kann Sie nicht mehr vordergründig abspeisen. Mit “Killerphrasen”. Wie zum Beispiel:2

    1. Das ist nicht richtliniengemäß, das dürfen wir gar nicht.
      Richtlinien sind kein Grundgesetz. Ein sorgfältiger Entwurf rechtfertigt immer Abweichungen.
    2. Irgendwo muss der Verkehr doch hin.
      Ja. Aber nicht so viel wie heute. Man kann auch mit Bus oder Fahrrad fahren.
    3. Und wo sollen wir eigentlich parken?
      Wir werden eben Garagen bauen müssen. Deswegen muß das Straßenparken ja auch etwas kosten.
    4. Das ist ja alles viel zu teuer.
      Stadtverträglicher Verkehr kostet Geld. Aber: Schneller Verkehr ist teurer. Vergleichen wir einmal unser Projekt mit 2 km Umgehungsstraße; mit dem jährlichen Etat für Straßenunterhalt; mit einem höhenfreien Kreuzungsbauwerk.
    5. Da ist so wenig Verkehr, da brauchen wir keine Verkehrsberuhigung.
      Alle 5 Minuten ein Auto mit 70 km/h macht die Straße für alles andere unbrauchbar. Deshalb brauchen wir auch da Verkehrsberuhigung.
    6. Da ist so viel Verkehr, da geht eben keine Verkehrsberuhigung.
      Viel Verkehr kann verträglicher abgewickelt werden als heute. Gerade dort haben die Anwohner Verkehrsberuhigung besonders nötig.
    7. Für die paar Radler brauchen wir doch keinen Radweg.
      Wir brauchen den Radweg, damit es endlich mehr Radfahrer werden.
    8. Das haben unsere Verkehrsplaner genau ausgerechnet.
      Glauben Sie jemandem, der die Zukunft ausrechnet? Die Planer sollen Pläne machen, wie wir etwas verbessern können.
    9. Wenn sie das machen, bricht der Verkehr zusammen.
      Verkehr bricht nie zusammen. Es mag Wartezeiten geben und damit längere Reisezeiten. Das ist immer so, wenn zu viele etwas wollen, wovon nur wenig da ist.
    10. Der Verkehr nimmt hier immer mehr zu. Deswegen brauchen wir eine neue Straße.
      Der Verkehr nimmt gerade deswegen zu, weil wir ständig neue Straßen bauen. Denn Gelegenheit macht Verkehr.
    11. Sie sind doch selber mit dem Auto da. Oder: Sie parken doch selber auf dem Gehsteig.
      Was bleibt einem übrig, solange die Verhältnisse so sind! Trotzdem kann ich es mir anders vorstellen – aber dazu müssen wir alle mitmachen.
    12. Und wenn ein Auto gegen den Poller (Baum, Leuchte, Pflanzbeet) prallt?
      Fragen Sie doch mal den Fahrer, der den Poller (Baum, Leuchte, Pflanzbeet) nicht gesehen hat, ob er ganz sicher ist, daß dahinter nicht ein Kind stand?!
    13. Das geht schon wegen der Leitungen (Feuerwehr, Schneeräumung, Krankenwagen, Straßenreinigung) nicht.
      Bei den vorhandenen Beispielen ging es offenbar?!? Vielleicht gibt es Techniker, die Lösungen finden, und solche, die hilflos sind?

Es ist zu hoffen, dass diese Argumentationshilfe im Jahr 2060 nicht mehr angewendet werden kann.

Hinweise

  1. Einen Scan gibt es bei Verkehrsplanung.de
  2. Hinweis: In der Originalquelle sind Fragen und Antworten getrennt. Für eine bessere Lesbarkeit habe ich sie zusammengeführt.

Randelhoff Martin

Herausgeber und Gründer von Zukunft Mobilität, arbeitet im Hauptjob im ARGUS studio/ in Hamburg. Zuvor war er Verkehrswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
Ist interessiert an innovativen Konzepten zum Lösen der Herausforderungen von morgen insbesondere in den Bereichen urbane Mobilität, Verkehr im ländlichen Raum und nachhaltige Verkehrskonzepte.

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E-Mail: randelhoff [ät] zukunft-mobilitaet.net

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Randelhoff Martin

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