Der Rückbau von Fahrstreifen und Parkplätzen zugunsten von Radwegen, Radfahrstreifen oder auch Haltestellen und eigenen Gleiskörpern ist oft Gegenstand einer kontroversen Diskussion. Viele Einzelhändler fürchten, dass durch den Wegfall von Parkplätzen Kunden nicht mehr in ihren Geschäften einkaufen, die Anlieferung von Waren schwieriger wird und durch die Verringerung von drei auf zwei oder zwei auf einen Fahrstreifen die Straße nicht mehr attraktiv für den Pkw-Verkehr sei und Alternativrouten gewählt werden.
Die Wirkung des Radverkehrs auf die lokale Wirtschaft ist jedoch ein wissenschaftliches Feld, welches in Vergangenheit kaum betrachtet wurde und auch heute noch oftmals an einer mangelhaften Datengrundlage scheitert. Aufgrund des Mangels an ausreichend belastbaren Informationen können entsprechende Entscheidungen nur unvollkommen auf Basis subjektiver Empfindungen statt objektiver Kriterien getroffen werden. Die Umgestaltung von Straßenzügen stellt Verkehrsplaner häufig vor ein Dilemma, da lokale Händler gegen den Umbau argumentieren und andererseits keine belastbaren Daten für eine Folgenabschätzung existieren. Auch heute gibt es noch keine Richtwerte. Ob es diese in Zukunft geben wird, ist aufgrund der unterschiedlichen Strukturen vor Ort, unklar.
Nichtsdestotrotz entsteht bezüglich einiger Aspekte mittlerweile Klarheit: Untersuchung nach Untersuchung zeigt, dass fußgänger- und radverkehrsfreundliche Straßen die Umsätze lokaler Händler und Dienstleister steigen lassen. Und der Rückbau von Parkplätzen und Fahrstreifen lässt die Umsätze der lokalen Wirtschaft nicht sinken.
Kyle Rowe von der University of Washington analysierte beispielsweise die wirtschaftliche Entwicklung zweier Straßenzüge, in denen ein Fahrstreifen zugunsten eines Radwegs zurückgebaut wurde. Basis für die Untersuchung waren die Umsatzzahlen der dort ansässigen Unternehmen.
Das erste Untersuchungsgebiet verläuft entlang der NE 65th St zwischen dem NE Ravenna Blvd und der 1st Ave NE. Da ein Teil der Straße eine große Steigung aufweist, wurde für Radfahrer ein spezieller Radweg angelegt.
Die Zahl der Fahrstreifen blieb konstant, jedoch wurden 12 Parkplätze zugunsten des Radwegebaus umgebaut.
Die Umsatzentwicklung wurde mithilfe eines Index mit dem Basiswert 100 im ersten Quartal 2010 abgebildet. Als Vergleichswert dient ein ähnlich großes Geschäftsgebiet nahe des betrachteten Gebiets und die Umsatzentwicklung im gesamten Nordwesten Seattles. Der Bau des Radweges ist entsprechend markiert.
Während der Bauzeit und kurz nach Fertigstellung des Radweges folgte die wirtschaftliche Entwicklung den beiden anderen betrachteten Gebieten. Kurz darauf waren ein Anstieg um 350% und ein weiterer Sprung auf einen Indexwert von über 400% zu beobachten, der sich auf einem hohen Level stabilisierte.
Die angewandte Methodik lässt jedoch nicht den Schluss zu, dass die erfolgten Umsatzsprünge ihre Ursache in der Fertigstellung des Radwegs haben. Ein starkes Umsatzwachstum in einem Straßenzug kann auch durch die Eröffnung eines neuen Unternehmens mit starkem Umsatzwachstum oder der Ansiedlung mehrerer kleinerer Unternehmen hervorgerufen werden. Diesbezüglich gibt die Untersuchung jedoch keine Auskunft.
Das zweite Untersuchungsgebiet betrachtete die Greenwood Ave N, in der zwischen der N 85th St. bis zur N 105th St. ein neuer Radweg gebaut wurde. Die Zahl der Fahrstreifen wurde von vier auf zwei (je einer je Richtung) verringert. Die Zahl der Parkplätze wurde minimal um drei Parkstände reduziert.
In diesem Gebiet folgte die Umsatzentwicklung der allgemeinen Umsatzentwicklung im Nordwesten Seattles.
Es lässt sich feststellen, dass trotz Wegfall zweier Fahrstreifen kein Umsatzverlust zu verzeichnen ist. Für beide Untersuchungsgebiete lässt sich feststellen, dass der Radwegebau mit Rückbau von Fahrstreifen bzw. Parkplätzen keinen negativen Effekt auf das lokale Gewerbe gehabt hat. Es lässt sich jedoch nicht belegen, dass die höhere Attraktivität der entsprechenden Straßenzüge für den Radverkehr ein Umsatzwachstum erzeugt hat. Dies lässt die gewählte Datengrundlage nicht zu.
Anhand dieser Untersuchung und in Kombination mit Betrachtungen aus anderen Städten lassen sich jedoch einige weitere Rückschlüsse treffen:
Eine Untersuchung des New York Department of Transportation über den Nutzen durchgeführter Verkehrsberuhigungsmaßnahmen und neu gebauter Radwege ermittelte eine Umsatzsteigerung in Höhe von 49 Prozent für den lokalen Handel entlang der 9th Avenue, während das allgemeine Wachstum in Manhattan in diesem Zeitraum nur drei Prozent betrug. Am Union Square North ging der Leerstand nach Bau des Radweges innerhalb weniger Wochen um 49 Prozent zurück, entlang der First und Second Avenues sank er um 47 Prozent (Zunahme des Radverkehrs um 177 Prozent). Der Umbau eines nicht stark genutzten Parkplatzes in Brooklyn in eine Fußgängerzone ließ die Einzelhandelsumsätze um 172 Prozent steigen (Vergleichszeitraum: 18% Umsatzwachstum in Gesamt-Brooklyn).
Ähnliche Umsatzpotenziale durch eine Förderung des Radverkehrs ließen sich ebenfalls in Toronto oder in Melbourne feststellen.
Interessante Sache – auch wenn die Aussagekraft durch die Methodik begrenzt ist. Wer weiß, vielleicht haben an der ersten Straße sehr gut gehende Fahrradläden aufgemacht? ;-)
Es kommt bestimmt auch auf die Handelsstruktur an – kleinwaren gehen ja wunderbar auch mitm Rad, ein Getränkehändler ist in Deutschland, wo es wenige Lastenräder gibt, eher auf Autoverkehr angewießen. Wobei die Erreichbarkeit ja nicht wesentlich verschlechtert wurde.